OLG Düsseldorf 21. April 2017
7 U 12/16
BGB §§ 242, 2147, 2287, 2289 Abs. 1 S. 2

Arglisteinwand kann Berufung auf Beeinträchtigung des Erbrechts entgegenstehen

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 9.11.2017
OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.2017 – 7 U 12/16

BGB §§ 242, 2147, 2287, 2289 Abs. 1 S. 2
Arglisteinwand kann Berufung auf Beeinträchtigung des Erbrechts entgegenstehen

Der Berufung auf die Unwirksamkeit eines Vermächtnisses und damit den Schutz des § 2289
Abs. 1 S. 2 BGB kann der Arglisteinwand aufgrund widersprüchlichen Verhaltens
entgegenstehen. (Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Die Parteien streiten darüber, ob eine Anfechtung eines Erbvertrages wirksam geworden
ist. Die Klägerin fordert die Zahlung der Leibrente aus einem Erbvertrag von 1977,
während der Beklagte der Auffassung ist, dass ein früherer Erbvertrag gelte, weil dessen
Anfechtung nicht wirksam geworden sei.
Der Erblasser B. betrieb eine Spedition mit zwei Niederlassungen und war in erster Ehe
mit seiner Frau D. verheiratet. Die Ehegatten errichteten in den Jahren 1962, 1968 und
1971 notarielle Erbverträge, wobei der jüngere den älteren jeweils ersetzte. In diesen
Erbverträgen (Anlagen K 1 bis K 3) erklärten sie, dass der gemeinsame Sohn, der
Beklagte, Alleinerbe nach dem Erblasser sein und die Spedition fortführen solle. Der
Ehefrau wurde der Nießbrauch an dem gesamten Nachlass vermacht, hinsichtlich des
Unternehmens beschränkt auf eine lebenslange monatliche Rente nach der
Besoldungsgruppe A 14 des Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen. Frau
D. verstarb am 25.9.1974.
Am 22.3.1977 heiratete der Erblasser die Klägerin. Am 11.11.1977 errichteten sie einen
neuen Erbvertrag, in welchem der Erblasser seinen Erbvertrag aus dem Jahr „1968“
anfocht, den Beklagten als Alleinerben und die Klägerin als Vermächtnisnehmerin
einsetzte (Anl. K 4). Das ihr ausgesetzte Vermächtnis enthält insbesondere eine Leibrente
nach dem Gehalt eines Regierungsdirektors der Besoldungsgruppe A 15 nach dem
Bundesbesoldungsgesetz, die jährlich 13-fach zu entrichten war. Die Klägerin verzichtete
auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Erblasser.
Am 8.2.1978 unterzeichnete der Beklagte eine privatschriftliche Erklärung, er habe eine
Abschrift des Erbvertrages vom 11.11.1977 erhalten und er sei mit dem Inhalt der
Regelung einverstanden. Der Notar reichte eine beglaubigte Ablichtung der
Anfechtungserklärung nebst Erklärung des Beklagten vom 8.2.1978 an das
Nachlassgericht ein, welche dort am 24.5.1978 einging. Mit Schreiben vom 6.10.1986
übersandte der Notar dem Nachlassgericht eine auszugsweise Ausfertigung der Urkunde
vom 11.11.1977. Die Akten AG Remscheid 5 IV 53 - 55/75 und 5 IV 332 – 333/98 waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die Eheleute errichteten am 2.4.1998 vor dem Notar eine Ergänzung zum Erbvertrag von
1977 (Anlage K 5), mit der der Klägerin das Vermögen des Erblassers in Spanien
vermacht wurde. Am 10.6.1998 schlossen der Erblasser und der Beklagte einen
notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag, in dem sich der Beklagte mit dem im Erbvertrag
vom 2.4.1998 angeordneten Vermächtnis einverstanden erklärte und er insoweit auf sein
künftiges Pflichtteilsrecht an dem in Spanien belegenen Vermögen des Erblassers
verzichtete (Anlage K 12, Bl. 84).
Nach dem Tod des Erblassers am 6.7.1998 bis Ende des Jahres 2014 zahlte der Beklagte
an die Klägerin die im Vermächtnis zugewandte Leibrente.
Am 25.10.2005 wandte sich der Beklagte an die Klägerin mit dem Ansinnen, anlässlich
Ihres 65. Geburtstages den Betrag der Leibrente wie bei einem Pensionär zu kürzen. In
dem Schreiben heißt es:
„Konzentriert man sich auf das Wesentliche unseres Erbvertrages, so wird vor allem klar,
dass eines für alle Zeiten gewährleistet sein soll: Versorgungssicherheit. Ich verbürge
mich, stets dafür einzutreten, und so würde es im Erbfall auch mein Rechtsnachfolger tun.
Als Hauptverantwortlicher unserer Betriebe bin ich jedoch ebenso verpflichtet, die
Kontinuität des Leistungsvermögens im Auge zu behalten. Diese resultiert aber nicht aus
Konsum, sondern aus Investition der Mittel zur Erhaltung und Modernisierung des
Anlagevermögens. Als Konsequenz wird letztlich auch Deine Versorgung auf ein solides
Fundament gestellt.“
Die Klägerin antwortete mit Anwaltsschreiben vom 17.11.2005 (Anl. B1, Bl. 63) und wies
darauf hin, dass bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Textes des Erbvertrages folge,
dass die Leibrente entsprechend dem Gehalt eines Regierungsdirektors der
Besoldungsgruppe A 15, Dienstaltersstufe 11 nach dem Bundesbesoldungsgesetz bis zum
Lebensende gezahlt werden müsse.
Anfang 2013 kam es zwischen den Parteien erneut zu einem Austausch über die Höhe der
Leibrente. Der Beklagte war der Auffassung, dass sich in den letzten 15 Jahren die
Entwicklung der Beamtenversorgung, nach der sich die Versorgungsleistung der Klägerin
berechnet, immer weiter von der Realwirtschaft entfernt habe und dass deswegen die
Leibrente zu kürzen sei. Die Parteien einigten sich in einem Gespräch, welches der
Beklagte im Schreiben vom 7.2.2013 (Anl. K 8) wie folgt zusammenfasste:
„Dies vorausgeschickt hast Du mich nach dreiwöchiger Bedenkzeit gestern um ein
erneutes Gespräch gebeten, welches heute morgen in Deinem Haus geführt wurde. Nach
ausführlicher Betrachtung der Gesamtsituation haben wir uns auf der Basis eines von Dir
gemachten Kompromissvorschlages im beiderseitigen Einvernehmen auf folgende
Regelung verständigt:
1. Auf eine Nachzahlung, die den Anhebungen vom 1.3.2012 und 1.1.2013
entsprächen, wird für die Zeit bis heute verzichtet.
2. Die monatliche Versorgungszahlung wird von heute EUR 5.329,58
zukünftig auf genau EUR 5.500,00 angehoben.
3. Die neue Leistungsrate bis zum 1.3.2013 erstmalig fällig.
4. Die Laufzeit dieser Vereinbarung beträgt drei Jahre. Im Februar 2016 werden die
Beteiligten zu einem erneuten Lagegespräch zusammentreffen.
5. Ferner wurde abgesprochen, dass die Pflegearbeiten für den Garten (Mähen,
Unkraut, Laub) künftig direkt von Dir vergeben und bezahlt werden.
In welcher Weise der Winterdienst, den meine Mitarbeiter seit 15 Jahren freiwillig und
ohne Berechnung verrichtet haben, Bestandteil der gefundenen Einigung sein soll, wurde
heute noch nicht besprochen.
Ich habe veranlasst, dass der Bankauftrag entsprechend unserer neuen Regelung
geändert und pünktlich wirksam werden wird.“
Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 26.2.2013 (Bl. 110). Am 23.12.2014 kündigte
der Beklagte an, in Zukunft keine Vermächtniszahlungen mehr zu leisten, da das
Vermächtnis unwirksam sei. Die im Januar 2015 fällige Zahlung blieb aus. Mit Schreiben
vom 22. Januar 2015 forderte die Klägerin dem Beklagten zur Weiterzahlung der Leibrente
auf.
Mit der Klage fordert die Klägerin die 13. Leibrentenzahlung für das Jahr 2014 sowie die
Leibrentenzahlungen für die Monate Januar, Februar und März 2015 zu jeweils 5.500 €.
Die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit hat die Klägerin nach einem Streitwert für die
Rente für einen 3,5 fachen Jahreswert (13 Monate mal 5.500 € mal 3,5 = 250.250,- €),
nach dem Wohnrecht mit einem 7.5 –fachen Betrag der einjährigen Leistung (12 Monate
mal 7,5 Jahre mal 1.200 € Miete = 108.000 €), und damit insgesamt mit 358.250 €
berechnet. Sie verlangt Anwaltskosten nach einer Geschäftsgebühr mit dem Faktor 2,0
(Berechnung Bl. 21). Für den Fall, dass die erbvertragliche Regelung keinen Bestand
haben sollte, macht sie hilfsweise Wege der Stufenklage Pflichtteilsansprüche an dem
Nachlass des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes geltend.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 22.000 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche Kosten i.H.v. 6.528,34 €
zu zahlen.
Sie hat hilfsweise im Wege der Stufenklage beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
1.
a) Auskunft über den Bestand und Wert des Nachlasses des am 6.7.1998 in A.
verstorbenen B. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar
aufgenommenen Verzeichnisses, das im Einzelnen umfasst:
aa) alle beim Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen (Aktiva);
bb) alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Passiva);
cc) alle ergänzungsbedürftigen Schenkungen, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten
getätigt hat;
b) den Wert der B. GmbH & Co. KG (AG Wuppertal, HRA 17780) sowie der B.
Verwaltungs GmbH (AG Wuppertal, HRB 11039) sowie der zum Nachlass gehörenden
Immobilien durch Sachverständigengutachten zu ermitteln;
2.
für den Fall, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt errichtet worden
sein sollte, zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er den Bestand des Nachlasses
so vollständig und richtig angegeben hat, als er dazu in der Lage ist;
3.
Nach Auskunftserteilung und Wertermittlung gemäß Klageantrag zu 1a und Ermittlung des
Wertes der B. GmbH & Co. KG, der B. Verwaltungs- GmbH sowie der zum Nachlass
gehörenden Immobilien gemäß Klageantrag zu 1b) an die Klägerin den Pflichtteil in Höhe
einer Pflichtteilsquote von ein Viertel des sich nach dem Klageantrag zu Z. 1 berechneten
Nachlasswertes nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat er beantragt,
festzustellen, dass die in dem zwischen dem am 6.7.1998 verstorbenen, zuletzt in A.
wohnhaft gewesenen Erblasser Herr B. und der Klägerin am 11.11.1977 vor dem Notar C.
in A. zur UR-Nr. 1808/77 abgeschlossenen Erbvertrag angeordneten Vermächtnisse zu
Gunsten der Klägerin unwirksam sind.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Erbvertrag aus dem Jahr 1977 sei unwirksam, weil
der Erblasser lediglich den Erbvertrag aus dem Jahr 1968 angefochten habe. Der
Erbvertrag aus dem Jahr 1971 bestehe daher fort. Jedenfalls sei die Anfechtung verfristet.
Die Anfechtungserklärung habe gegenüber dem Nachlassgericht in der Form des §§ 2282
Abs. 3 BGB erfolgen müssen, die Anfechtung sei in dieser Form jedoch nicht fristgerecht
beim Nachlassgericht eingegangen. Der Klägerin stehe kein Arglisteinwand zur Seite. Der
Beklagte habe erst im Jahr 2014 von seinem Verfahrensbevollmächtigten von der
Unwirksamkeit der Vermächtnisregelung erfahren. Die Zahlung in Unkenntnis der
Nichtschuld begründe keine Arglist. Ferner erhebt er die Einrede der Bereicherung gemäß
§ 821 BGB. Pflichtteilsansprüche seien verjährt. Im Übrigen erhebt er die Einrede der
Beschränkung der Haftung auf den Nachlass gemäß § 780 ZPO.
Das Landgericht hat den Beklagten auf die Klage hin zur Zahlung von 22.000 € verurteilt.
Mit dem Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 7.2.2013 habe sich der Beklagte
gegenüber der Klägerin zur Erbringung einer monatlichen Versorgungszahlung in Form
einer Leibrente von 5.500 € verpflichtet. Hierbei handele es sich um eine von der
Vermächtniseinsetzung abgekoppelte, neue Regelung mit Vergleichscharakter. Dem
Schriftformerfordernis des §§ 761 S. 1 BGB sei durch die Briefform genügt worden. Die
Kosten des Prozessbevollmächtigten seien gemäß §§ 280 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3
BGB gerechtfertigt. Der Beklagte habe ernsthaft und endgültig die Erfüllung verweigert.
Auf die Widerklage hat das Landgericht die beantragte Feststellung getroffen und im Tenor
die Maßgabe hinzugefügt, dass sich der Beklagte nicht auf die Unwirksamkeit der
Vermächtnisse berufen kann. Die Widerklage sei zwar teilweise begründet, weil die
Anfechtung nicht rechtzeitig erklärt worden sei. Die Anfechtung sei dem Nachlassgericht
gegenüber nicht innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt. Der Beklagte könne sich jedoch
nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht auf die
Unwirksamkeit berufen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Der Beklagte rügt, dass das
Landgericht den Schriftwechsel vom Februar 2013 unzutreffend gewürdigt habe. Die
Parteien hätten im Februar 2013 lediglich zur Höhe verhandelt, jedoch keinen
zusätzlichen, von dem ursprünglichen Schuldgrund losgelösten neuen Vertrag schließen
wollen. Eine Zuwendung bis Ende Januar 2016 stelle keine Leibrente auf Lebenszeit im
Sinne des § 759 BGB dar. Wollte man die Vereinbarung als abstraktes
Schuldanerkenntnis auslegen, hätte es als Schenkung gemäß § 518 Absatz I S. 2 BGB
der notariellen Form bedurft. Jedenfalls sei es gemäß § 812 BGB kondizierbar. Auf die
Widerklage habe der Beklagte etwas anderes als beantragt, etwas völlig Wertloses
erhalten, da die Maßgabe des Urteilstenors nicht beantworte, welche Rechtsfolgen das
Durchgreifen des Arglisteinwandes haben solle. Die Voraussetzung des Arglisteinwandes
läge nicht vor. Die Formbedürftigkeit der Erklärung vom 8.2.1978 schütze den Beklagten.
Widersprüchliches Verhalten lasse die Rechtsordnung zu, solange das Verhalten nicht
rechtsmissbräuchlich sei, eine Zahlung auf eine unerkannte Nichtschuld sei nicht
rechtsmissbräuchlich.
Der Beklagte beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. Dezember 2015, 2O 66 / 15, wird
aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage des Beklagten wird festgestellt, dass die in dem zwischen dem am
6.7.1998 verstorbenen, zuletzt in A. wohnhaft gewesenen Erblasser, Herrn B., und der
Klägerin am 11.11.1997 vor dem Notar C. in A. zu UR – Nr. 1808 / 77 abgeschlossenen
Erbvertrag angeordneten Vermächtnisse zu Gunsten der Klägerin unwirksam sind,
und die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen;
den Beklagten auf die Anschlussberufung zu verurteilen, an die Klägerin über den
erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 82.500 € nebst Zinsen i.H.v. 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Mit der Anschlussberufung verlangt die Klägerin Zahlung für 15 weitere Monate, für die
Monate April 2015 bis Mai 2016 (14 Monate) sowie die 13. Monatszahlung für 2015. Sie
beanstandet, dass das Landgericht ihr eine Kostenquote von 10 % auferlegt habe, denn
die Widerklage hätte bereits aufgrund des selbständigen Leibrentenversprechens des
Beklagten abgewiesen werden müssen.

II.
Die Berufung hat hinsichtlich des Zahlungsanspruchs zur Hauptforderung und hinsichtlich
der Entscheidung zur Widerklage keinen, hinsichtlich der Höhe der vorgerichtlichen
Anwaltskosten teilweisen Erfolg. Die Anschlussberufung der Klägerin hat Erfolg.
1.
Die Berufung des Beklagten hinsichtlich seiner Verurteilung zur Zahlung von 22.000 € hat
keinen Erfolg. Der Klägerin steht gemäß § 2147 BGB gegen den Beklagten ein Anspruch
auf Zahlung von 4 Raten zu je 5.500 € zu. Das Vermächtnis ergibt sich aus § 2 des
Erbvertrages des Erblassers mit der Klägerin vom 11.11.1977 (Anlage K 4). Danach erhielt
die Klägerin von dem Beklagten als Erben des Erblassers beginnend mit dem Ableben des
Erblassers eine Leibrente entsprechend dem Gehalt eines Regierungsdirektors der
Besoldungsgruppe A 15 in der Dienstaltersstufe elf nach dem Bundesbesoldungsgesetz.
Diese Zahlung ist von den Beklagten als Erben jährlich 13-fach zu entrichten. Es kann
dahingestellt bleiben, ob entsprechend der Auffassung des Landgerichts in dem Schreiben
der Parteien vom 7. Februar 2013 eine eigenständige, neue Regelung geschaffen worden
ist.
Dieses Vermächtnis ist zwar gem. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wie das
Landgericht auf die Widerklage rechtskräftig festgestellt hat; die Klägerin hat die
Feststellung nicht mit der Berufung angegriffen.
Der Beklagte kann sich aber auf die Beeinträchtigung seines Erbrechts aus dem nicht
rechtzeitig angefochtenen Erbvertrag vom 21.10.1971 und damit auf den Schutz des §§
2289 I S. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt des Arglisteinwandes (§ 242 BGB) nicht
berufen. Die formlose Einwilligung des vertragsmäßig bedachten Erben in eine seine
Rechte beeinträchtigende Verfügung von Todes wegen nimmt ihm nicht den Schutz des §
2287 BGB. Sie kann aber ausnahmsweise den Arglisteinwand begründen (BGH, Urteil
vom 12.7.1989, IVa ZR 174 / 88, BGHZ 108, 252; Musielak, Münchener Kommentar zum
BGB, 7. Auflage 2017, § 2289 Rn 18). So liegt der Fall hier.
Der Formmangel eines Rechtsgeschäfts ist nur ganz ausnahmsweise wegen unzulässiger
Rechtsausübung unbeachtlich, weil sonst die Formvorschriften des bürgerlichen Rechts
ausgehöhlt würden (BGHZ 132, 119; BGHZ 121, 224, 233). Treuwidrig kann allerdings das
Verhalten einer Partei sein, die über längere Zeit aus einem wichtigen Vertrag Vorteile
gezogen hat und sich nunmehr ihren Verpflichtungen unter Berufung auf den Formmangel
entziehen will. Bei einem Bürgen kommt dies beispielsweise in Betracht, wenn er als
Gesellschafter der Hauptschuldnerin aus der Gewährung des Kredits jahrelang mittelbar
Vorteile gezogen, durch sein Handeln ein berechtigtes Vertrauen des Gläubigers auf die
Wirksamkeit des Vertrages begründet und jener im Hinblick darauf seine Leistungen
erbracht hat (BGH, Urteil vom 28. November 1957 – VII ZR 42/57, BGHZ 26, 142, 151 f;
BGH, Urteil vom 28. Januar 1993 – IX ZR 259/91 –, BGHZ 121, 224, 233 f).
Maßgebend ist die Fallgruppe des widersprüchlichen Verhaltens. Widersprüchliches
Verhalten ist missbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand
geschaffen worden ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn der eine Teil mit seinem
Verhalten einen Vertrauenstatbestand schafft und der andere Teil in Hinblick darauf
bestimmte Dispositionen getroffen hat, etwa wenn die Vertragspartner eine rechtliche
Regelung längere Zeit in einem bestimmten Sinn auslegen und wenn der andere Teil sich
auf eine gleichbleibende Handhabung eingerichtet hat. So konnte sich ein Erbe wegen
widersprüchlichen Verhaltens auf die Unwirksamkeit eines mit einem gemeinschaftlichen
Testament unvereinbaren Erbvertrags nicht berufen, wenn er beim Abschluss des
Erbvertrags mitgewirkt und die Bestimmung des Erblassers gebilligt hat (BGH, Urteil vom
28. April 1958 – III ZR 98/56, MDR 1958, 490).
Die Beurteilung erfolgt anhand der besonderen Vorgänge des Einzelfalles, seiner
Vorgeschichte und der nachfolgenden Entwicklung. Das gesamte Verhalten des Beklagten
über Jahrzehnte zeigt, dass er selber von der Wirksamkeit des Erbvertrages ausging und
dass er entsprechend bei der Klägerin einen entsprechenden Vertrauenstatbestand schuf.
Beide Parteien erarbeiteten gemeinsam von 1978 bis 2013 über 35 Jahre eine
durchgehende Vertrauensbasis, auf die sich die im Jahre 1940 geborene Klägerin zum
Zeitpunkt der Zahlungseinstellung im Alter von 74 Jahren verlassen darf. Dieses Vertrauen
erschöpft sich nicht in der Zahlung seit dem Tod 1998 bis Ende 2014. Schon 1978 hat der
Beklagte mit seinem Einverständnis zum Erbvertrag von 1977 zu erkennen gegeben, dass
er mit der Verfügung seines Vaters einverstanden war. Wenn dieses nach der späteren
Rechtsprechung des BGH auch keine rechtliche Bindung entfaltete, begründete die
Erklärung im Zusammenhang mit der jahrelangen Umsetzung das gerechtfertigte
Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Vereinbarung, selbst wenn der Beklagte, wie
er behauptet, die Erklärung ungelesen unterschrieben haben sollte. Nachfolgend hat der
Beklagte 1998 hinsichtlich der in Spanien belegenen Vermögensgegenstände der
Übertragung auf die Klägerin zugestimmt und so erneut deutlich gemacht, dass der Wille
des Vaters hinsichtlich der Versorgung seiner neuen Ehefrau umgesetzt wird. In allen
Schreiben bis hin zur Zahlungseinstellung ab 2015 hat der Beklagte keinen Zweifel daran
gelassen, dass er sich an die Anordnung seines Vaters halten möchte, die Klägerin
entsprechend zu versorgen. Dieses wird besonders deutlich in dem Schreiben vom
25.10.2005, dem er die Versorgungssicherheit so klar herausstellte, dass er sich
„verbürgte“, stets dafür einzustehen, dass die Versorgung für alle Zeiten gewährleistet sei.
Auch sein Schreiben vom 7.2.2013 bestärkte das gemeinsame Vertrauen, weil er dort
nach ausführlicher Erörterung der Gesamtsituation im beiderseitigen Einvernehmen auf
Vorschlag der Klägerin einen Kompromiss skizzierte, der die monatliche
Versorgungszahlung bestätigte und die Höhe der Leibrente neu regelte. Das Vertrauen der
Klägerin ist schutzwürdig. Der Beklagte hatte von Anfang an die Einschätzung, dass er
das Unternehmen mit der Verpflichtung erbte, zeitgleich für die Versorgung der Klägerin
eintreten zu müssen. Die Klägerin hingegen hat selbst wenn sie über Vermögen verfügen
sollte, nach so langer Zeit der Zahlungen und der Bestätigungen des Vertrauensschutzes
wegen ihres Alters keine Möglichkeit mehr, sich anderweitig laufende
Versorgungsleistungen zu beschaffen oder gar die Rückzahlung zu bewerkstelligen.
Rechtsfolge des widersprüchlichen Verhaltens ist, dass sich der Beklagte nicht darauf
berufen kann, dass der Erbvertrag von 1977 der früheren Anordnung von 1971
widerspreche. Das vertrauensbegründende Verhalten führt dazu, dass der Beklagte die
Regelung aus 1977 akzeptieren und die Versorgung weiter gewähren muss.
c)
Der Höhe nach sind monatlich derzeit mindestens 5.500 € geschuldet, nachdem sich die
Parteien am 7.2.2013 auf diese Höhe geeinigt haben und eine höhere oder niedrige
Leistungsrate bislang nicht abweichend vereinbart worden ist.
2.
Die Berufung hat teilweise Erfolg hinsichtlich der Nebenforderung. Es ist keine 2,0,
sondern nur eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG angemessen.
In durchschnittlichen Rechtssachen fällt die 1,3-fache Geschäftsgebühr als Regelgebühr
an. Eine höhere Gebühr kann nur gefordert werden, wenn eine Tätigkeit umfangreich und
schwierig und daher "überdurchschnittlich" war (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – I ZR
59/14 –, NJW 2015, 3244; BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - IX ZR 110/10, NJW 2011,
1603; Urteil vom 11. Juli 2012 - VIII ZR 323/11, NJW 2012, 2813). Aus dem
Gebührenrahmen ergibt sich zwar rechnerisch eine Mittelgebühr von 1,5, die jedoch durch
die "Kappungsgrenze" auf eine 1,3-fache Gebühr abgesenkt worden ist. Ob eine
Rechtssache als durchschnittlich anzusehen ist, bestimmt sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1
RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers.
Die Angelegenheit war vom Sachverhalt überschaubar, da die Erbverträge und sonstigen
Sachverhaltsdetails mit Dokumenten in chronologischer Reihenfolge leicht darstellbar
waren. Rechtlich war die Tätigkeit mit zwei wesentlichen Fragestellungen aus dem BGB,
der Wirksamkeit des Erbvertrages und der Anwendung des § 242 BGB, durchschnittlich.
Beide Parteien diskutierten seit Jahren eine Absenkung der Zahlungen, so dass die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse einer durchschnittlichen Bewertung nicht
entgegenstehen. Der Senat berücksichtigt ferner, dass sich die verbleibende
wirtschaftliche Bedeutung für die Parteien bereits in der Höhe des Streitwertes und damit
auch in der Höhe der Vergütung niederschlägt.
Die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit hat die Klägerin nach einem Streitwert für die
Rente für einen 3,5 fachen Jahreswert (13 Monate mal 5.500 € mal 3,5 = 250.250,- €)
berechnet. Hinzukommt die Tätigkeit hinsichtlich des Nießbrauchs am Grundstück. Bei
einem monatlichen Wert von 1.200 € (Bl. 20) ergibt sich ein Jahreswert von 14.400,- €. Für
das Jahr 2015 ist nach der Tabelle zu § 14 BewG ein Multiplikator von 9,166 zugrunde zu
legen, so dass der Nießbrauch mit 131.990.40 € zu bewerten ist. Insgesamt beträgt der
Gegenstandswert damit (250.250,- + 131.990,40 =) 382.240,40 €.
Bei einer Geschäftsgebühr von 1,3 berechnet sich vorgerichtliche Anwaltskosten bei
einem Wert von 382.240,40 € wie folgt:
1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2.300 VV RVG 3.708,90
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 RVG 20,--
Zwischensumme 3.728,90
19 % Umsatzsteuer 708,49
Gesamt: 4.437,39
3.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Berufung des Beklagten gegen die teilweise
Abweisung der Widerklage erfolglos ist. Es kann dahinstehen, ob es zutreffend gewesen
wäre, die Widerklage insgesamt abzuweisen, weil im Streitverhältnis der Parteien ein
Interesse des Beklagten an der Feststellung der Unwirksamkeit des Erbvertrages nicht
besteht, weil er sich auf die Unwirksamkeit nicht berufen kann. Insoweit ist der Ausspruch
des Landgerichts rechtskräftig geworden und unterliegt nicht mehr der Abänderung durch
den Senat.
4.
Die Anschlussberufung ist zulässig. Sie erfordert keine Beschwer. Daher kann der in erster
Instanz siegreiche Kläger ausschließlich zum Zwecke der Klageerweiterung
Anschlussberufung einlegen. Die Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) ist begründet.
Geschuldet werden die weiteren 15 Raten, die korrekt berechnet und ab Rechtshängigkeit
zu verzinsen sind.
5.
Der Hilfsantrag, eine Stufenklage hinsichtlich der Pflichtteilsansprüche, bedarf keiner
Entscheidung, da die Klägerin Ansprüche aus dem Vermächtnis geltend machen kann.
6.
Ein Vorbehalt wird gemäß § 780 ZPO tenoriert. Nach § 780 Abs. 1 ZPO kann der als Erbe
des Schuldners verurteilte Beklagte die Beschränkung seiner Haftung nur geltend machen,
wenn sie ihm im Urteil vorbehalten ist. Ob die Voraussetzungen für eine Beschränkung der
Haftung vorliegen, ist mit der Aufnahme des Vorbehaltes nicht entschieden. Auf die
Kostenentscheidung bezieht der Vorbehalt sich nicht (Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 780
Rn. 7, 12).

III.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte gemäß §§ 92 II, 97 ZPO zu tragen. Die
Kostenquote von 10 % zu Lasten der Klägerin ist nicht gerechtfertigt. Ein Teilunterliegen
liegt nicht darin, dass das Landgericht unangefochten die Unwirksamkeit der
Vermächtnisse festgestellt hat. Maßgebend für die Kostenquote ist der Erfolg der Parteien
im konkreten Rechtsstreit. Im Ergebnis hat die Widerklage keinen Erfolg, weil sich der
Beklagte gerade nicht auf die Unwirksamkeit des Erbvertrages berufen kann. Der Erfolg
der Berufung bei der Nebenforderung ist geringfügig.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe, gem. § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat eine Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und
klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil
aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer
Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn
die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen
Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur
unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH NJW-RR 2010, 1047-1048, Tz. 3
nach juris; MüKoZPO/Krüger, 5. Auflage, § 543, Rn. 7).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass die
Rechtssache klärungsbedürftig ist. Der Weg über § 242 BGB ist in der Entscheidung des
BGH zur Formbedürftigkeit von Erklärungen, die die Nähe zum Erbverzicht haben (BGH,
Urteil vom 12.7.1989, IVa ZR 174 / 88, BGHZ 108, 252), vorgegeben. Die Entscheidung
beruht auf einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Aus diesen Gründen ist die
Revision auch nicht gem. § 543 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO zuzulassen.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 10.04.2017 gibt keine
Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
Der Streitwert wird in Abänderung der Streitwertfestsetzung der ersten Instanz (§ 63 III Nr.
2 GKG) für die erste und zweite Instanz auf 382.240,40 € festgesetzt.
Maßgebend ist der negative Feststellungsantrag der Widerklage. Die Widerklage umfasst
sämtliche Vermächtnisse, d.h. das Leibrentenversprechen und den Nießbrauch am
Wohnhausgrundstück. Die monatlichen Zahlungen werden gemäß § 9 Satz 1 ZPO mit
dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezuges berechnet. Bei 13 Raten pro Jahr zu
je 5.500 € ergeben sich 250.250 €. Die Klageanträge über 22.000 € bzw. 82.500,- € sind
nicht damit zusammenzurechnen. Insoweit besteht wirtschaftliche Identität, § 45 I 3 GKG.
Für den Nießbrauch am Grundstück mit einem monatlichen Wert von 1.200 € (Bl. 20)
ergibt sich ein Jahreswert von 14.400,- €. Für das Jahr 2015 ist nach der Tabelle zu § 14
BewG ein Multiplikator von 9,166 zugrunde zu legen, so dass der Nießbrauch mit
131.990.40 € zu bewerten ist.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Düsseldorf

Erscheinungsdatum:

21.04.2017

Aktenzeichen:

7 U 12/16

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Allgemeines Schuldrecht
Vermächtnis, Auflage

Normen in Titel:

BGB §§ 242, 2147, 2287, 2289 Abs. 1 S. 2