OLG München 05. August 2021
29 U 2411/21 Kart
Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020

Auswirkungen des Brexits auf die Existenz einer britischen Limited Company mit tatsächlichem Sitz der Hauptverwaltung in Deutschland

Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020
Auswirkungen des Brexits auf die Existenz einer britischen Limited Company mit tatsächlichem Sitz der Hauptverwaltung in Deutschland

1. Seit dem Vollzug des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gemäß Art. 50 EUV durch Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 ist eine britische Limited, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat, nach der sogenannten milden Form der Sitztheorie je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder – bei nur einer Gesellschafterin – als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln.
2. Eine Fortgeltung der Gründungstheorie mit der Konsequenz der fortbestehenden Rechts- und Parteifähigkeit einer britischen Limited trotz tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland wie unter der Geltung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV folgt nicht aus dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020 (ABl. L 444/2020 vom 31.12.2020) […].

OLG München, Urt. v. 5.8.2021 – 29 U 2411/21 Kart

Problem
Eine nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründete Private Company Limited by Shares (Limited) beantragt vor dem Landgericht eine einstweilige Verfügung. Sie trägt vor, dass sie den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung in England habe. Sie gibt dort als Adresse die Anschrift einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an. Die Gesellschaft sei komplett in England steuerlich veranlagt worden, die Voraussetzung des § 4 Abs. 3 GewO für eine Niederlassung in Deutschland lägen nicht vor.

Entscheidung
Das OLG München bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung unzulässig sei. Die Antragstellerin sei mangels Rechtsfähigkeit nicht parteifähig. Wegen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union könne sich die nach dem englischen Recht gegründete Gesellschaft nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Anderes folge auch nicht aus dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020. Dieses Abkommen gewähre keine Rechtsposition, die der Niederlassungsfreiheit in der Ausprägung der EuGH-Rechtsprechung zur freien Wahl von Sitz und anwendbarem Gesellschaftsrecht gleichkomme. Den Stimmen in der deutschen Literatur (z. B. J. Schmidt, EuZW 2021, 613; Zwirlein-Forschner, IPRax 2021, 357, 360), die dem Handelsabkommen eine Niederlassungsfreiheit entnehmen wollen, sei nicht zu folgen. Der Handelsvertrag gewähre lediglich einen diskriminierungsfreien Zugang zum Markt. Hierfür sei aber die Gewährung der Niederlassungsfreiheit nicht erforderlich.

Es gelte daher die Sitztheorie, so dass nach der Sandrock’schen-Formel zu ermitteln sei, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäfts­führungsakte umgesetzt werden (BGH NJW 1986, 2194, 2195). Liege dieser Ort in Deutschland, so könne die Gesellschaft allenfalls als Gesellschaft deutschen Rechts behandelt werden. Da die Gründung nicht die Anforderungen für die Gründung einer Kapitalgesellschaft deutschen Rechts einhalte, komme nur eine Personengesellschaft deutschen Rechts (OHG bzw. GbR) in Betracht. Bei einer Ein-Personen-Gesellschaft erlösche die Gesellschaft automatisch und alle Aktiva und Passiva wüchsen dem Alleingesellschafter an (Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH NJW 2009, 289 – Trabrennbahn).

Praxishinweis
Da in vielen Fällen die Gesellschafter versäumt haben, vor Wirksamwerden des Brexits die erforderlichen und dringend angeratenen Umwandlungsmaßnahmen durchzuführen, stellt sich die Frage, wie nun die Register zu berichtigen sind. War zuvor eine Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen und hatte die Limited nur einen Gesellschafter, so kann diese gelöscht und ein entsprechendes einzelkaufmännisches Unternehmen des alleinigen Gesellschafters der Limited eingetragen werden. Dem Handelsregister wäre dann nachzuweisen, dass die Gesellschaft keinen Hauptverwaltungssitz in England hatte. Dies könnte nach den Aussagen des Urteils u. U. dadurch erfolgen, dass dargelegt wird, dass in England lediglich eine Briefkastenanschrift unterhalten wurde, dass dagegen eine feste und nicht nur virtuelle Niederlassung in Deutschland bestand, dorthin Post geleitet wurde etc. Durch eine entsprechende Umschreibung des Handelsregisters ließe sich hiernach erforderlichenfalls auch eine Grundbuchberichtigung bzw. die Berichtigung der Handelsregistereintragung einer Kommanditgesellschaft, an der die Limited als Komplementärin beteiligt war, bewerkstelligen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

05.08.2021

Aktenzeichen:

29 U 2411/21 Kart

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 141-142

Normen in Titel:

Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich vom 24.12.2020