Umfang einer Grunddienstbarkeit; Bedarfssteigerung
letzte Aktualisierung: 12.08.2020
OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.7.2020 – 12 U 34/20
Umfang einer Grunddienstbarkeit; Bedarfssteigerung
1. Der Umfang einer Grunddienstbarkeit ist wandelbar; er kann bei einer Bedarfssteigerung
wachsen. Voraussetzung ist, dass sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach
gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der
Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare und willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen
ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2014 – V ZR 151/13).
2. Eine willkürliche Bedarfssteigerung kann vorliegen, wenn das herrschende Grundstück
ursprünglich – bei Bestellung der Grunddienstbarkeit - auch von öffentlichen Wegen aus zugänglich
war und erst später durch bauliche Maßnahmen ein rückwärtiger Gebäudeteil so abgetrennt wurde,
dass er ausschließlich über das dienende Grundstück zugänglich ist, und dieser rückwärtige
Gebäudeteil an einen Tanzschulbetreiber vermietet wurde.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Art und Weise der Nutzung einer Tiefgaragenzufahrt auf dem Grundstück der
Kläger.
Die Kläger sind seit 2012 Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. .../25 (H-Straße 15) in P. Bei dem Gebäude
handelt es sich um ein Geschäftshaus, in dessen Untergeschoss sich eine Tiefgarage mit 25 Stellplätzen
befindet. Das Gebäude wurde in den Jahren 2014/2015 fertiggestellt. Im Grundbuch ist zulasten des
Grundstücks der Kläger folgende Grunddienstbarkeit eingetragen:
„Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht – auch für Lkw (12 Tonnen) – sowie Nutzungsrecht an mindestens
25 Stellplätzen in der Tiefgarage im UG) für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Flurstück Nummer
.../17, derzeit eingetragen im Grundbuch von P, Blatt Nr. ... [... ])“.
Zum Zeitpunkt der Eintragung der Grunddienstbarkeit nutzten überwiegend Angestellte der auf dem
Grundstück Flst.-Nr. .../17 tätigen Firma die Möglichkeit, mittels ausgegebener Schlüssel das Garagentor zu
öffnen, ein Fahrzeug auf einem Tiefgaragenparkplatz abzustellen und sodann in die Räumlichkeiten der Firma
zu gehen.
[Redaktionelle Ergänzung des Sachverhalts (nicht im Urteil, da für den Rechtsstreit ohne Belang): Die
Tiefgarage erstreckt sich auch auf einen Teil des benachbarten Grundstücks .../16, zu dessen Gunsten
ebenfalls ein Geh- und Fahrrecht im Grundbuch eingetragen ist.]
Die Beklagte ist nunmehr Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. .../17. Ihr Grundstück ist sowohl über die
angrenzende G-Straße als auch über die angrenzende S-Straße zu erreichen. Das Gebäude auf dem
Grundstück ist ein ehemaliges Fabrikgebäude, das nach einem Umbau anderweitig gewerblich genutzt wird.
Die Beklagte hat das Grundstück zwischenzeitlich verkauft, zu einer Übergabe des Grundstücks an den
Erwerber und einer Eintragung des Erwerbers im Grundbuch war es bis zur mündlichen Verhandlung in erster
Instanz nicht gekommen, weil der Kaufpreis nicht vollständig gezahlt worden war.
Die Beklagte vermietete im Frühjahr 2018 Teile ihres auf dem Grundstück belegenen Gebäudes an eine
Tanzschule („U School“). Die Räumlichkeiten der Tanzschule befinden sich in einem rückwärtigen Anbau, der
wegen anderweitiger Nutzungen des restlichen Gebäudes weder von der S-Straße noch von der anliegenden
G-Straße betreten werden kann. Der Publikumsverkehr zu und von der Tanzschule erfolgt seit Frühjahr 2018
über die Zufahrt zur Tiefgarage, also über das Grundstück der Kläger. Der Mieter der Beklagten brachte am
Eingangsbereich ein Geschäftsschild an. Die neben dem Garagentor vorhandene Tür war bis Frühjahr 2018 auf
der Außenseite mit einem Knauf ausgestattet, der eine Öffnung nur mit Schlüssel erlaubte. Die Beklagte oder
ihr Mieter tauschte den Knauf gegen eine Klinke aus, der nunmehr von außen den jederzeitigen Zugang auch
ohne Schlüssel ermöglicht.
Eine Klingel oder ein Türöffner, der die Öffnung der Tür durch die Beklagte bzw. ihren Mieter ermöglichen
würde, ist nicht vorhanden.
Die Kläger haben vorgetragen:
Diese Nutzung führe zu erheblichen Beeinträchtigungen. Das Garagentor werde regelmäßig geöffnet und im
offenen Zustand fixiert, so dass ungehinderter Publikumsverkehr möglich sei. Auch komme es im Bereich der
Tür regelmäßig zu Beschädigungen, die darauf beruhten, dass versucht werde, die Tür und das Tor
offenzuhalten. Im Bereich der Garagenzufahrt hielten sich regelmäßig größere Menschenansammlungen auf,
was Gefahren berge. Darüber hinaus verschafften sich regelmäßig Unberechtigte Zutritt zum Bürogebäude auf
dem Klägergrundstück. Da für die Tiefgarage ein zweiter Fluchtweg vorhanden sein müsse, führe dieser über
das Treppenhaus des Gebäudes, so dass es Unberechtigten möglich sei, über den freien Zugang in die
Tiefgarage und von dort in das Treppenhaus des Gebäudes zu gelangen. Auch an der Tür zum Treppenhaus in
der Tiefgarage sei es bereits zu Beschädigungen gekommen. Die Beklagte als Eigentümerin des Grundstücks
Flst.-Nr. .../17 könne es regeln, ob Publikumsverkehr über die Zufahrt stattfinde oder nicht.
Die Kläger haben beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts auf der
Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks Flurstück Nummer .../25 (H-Straße 15) in P, das Zufahrtstor zur
Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder schließen lassen,
2. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt aus Ziffer 1 Publikumsverkehr
zu eröffnen, der nicht mit der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück .../16 im
Zusammenhang steht, insbesondere nicht den Zugang zu Tanzschulräumen im Gebäude S-Straße 17 in P.
über die Tiefgaragenzufahrt zu ermöglichen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 586,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit 01.09.2018 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Die Personen, die zur Tanzschule gingen, seien Berechtigte hinsichtlich des bestehenden Geh- und Fahrrechts.
Sie seien auch zur Nutzung der Stellplätze berechtigt. Die Beklagte bzw. ihre Mitarbeiter hätten das Tor zu
keinem Zeitpunkt blockiert. Die Mitarbeiter der Beklagten schlössen das Tor stets ab. Auch werde zu keinem
Zeitpunkt Publikumsverkehr über die Tiefgarageneinfahrt eröffnet, der nicht mit der Nutzung der
Tiefgaragenplätze oder dem Zutritt zum Gebäude auf dem Flurstück Nr. .../16 im Zusammenhang stehe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 geltend gemachte
Unterlassungsanspruch stehe den Klägern nicht zu. Es sei weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte
oder ihre Mitarbeiter nach Nutzung der Zufahrt zur Tiefgarage das Tor nicht geschlossen hätten. Die Kläger
seien aufgrund des umfassenden Geh- und Fahrrechts zudem verpflichtet, die von ihnen als beeinträchtigend
empfundene Nutzung des Tiefgaragentores und der dort befindlichen Tür zu dulden. Das im Grundbuch
zugunsten des Eigentümers des Beklagtengrundstücks eingetragene Geh- und Fahrrecht sei, was sich u.a. aus
dem Wortlaut der Eintragung ergebe, nicht mit der Nutzung eines der 25 Stellplätze in der Tiefgarage im UG
verknüpft, sondern davon losgelöst. Auch unter Berücksichtigung der schonenden Ausübung (
bestehe der von den Klägern geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht. Bereits bei Eintragung der
Grunddienstbarkeit sei es nicht fernliegend gewesen, dass das ehemalige Fabrikgebäude auf dem
Beklagtengrundstück in Innenstadtlage anders gewerblich genutzt werden könnte. Hinzu komme, dass der
Mieter der Beklagten in der gegenwärtigen Ausgestaltung der Nutzung des Gebäudes der Beklagten keine
Möglichkeit habe, seinen Kunden anderweitig Zugang zu seinen Räumlichkeiten zu verschaffen als über die
Torzufahrt auf dem Grundstück der Kläger. Eine Verpflichtung der Beklagten und ihrer Mieter, die Tür außerhalb
der Öffnungszeiten der Tanzschule verschlossen zu halten, sei weder eingeklagt, noch lägen die tatsächlichen
Voraussetzungen hierfür vor, etwa in Form einer von der Beklagten bzw. dem Mieter zu bedienenden
Türöffnung. Da das Geh- und Fahrrecht unbeschränkt für den Eigentümer des Beklagtengrundstücks
eingetragen sei, stehe den Klägern auch nicht der mit dem Klageantrag zu Ziff. 2 geltend gemachte
Unterlassungsanspruch zu.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, die wie folgt begründet wird:
Die Dienstbarkeit sehe nach ihrem Wortlaut von vornherein keine ausschließlich Nutzung der Tiefgarage durch
die Beklagte vor, was sich u.a. aus der Formulierung „mitbenutzt“ ergebe. Aus dem Zusammenhang der
Bestellung und der notariellen Urkunde sei unter Berücksichtigung des beiliegenden Planes deutlich zu
erkennen, dass Zweck der Dienstbarkeit die Andienung der Stellplätze und des Hofes sei, während das
Gehrecht nur eine dienende Funktion gegenüber dem Fahrrecht habe. Auch nach den örtlichen Verhältnissen
sei für jeden Besucher einsichtig, dass der Tiefgaragenbereich nicht für einen Publikumsverkehr und eine
Fußgängernutzung vorgesehen sei. Das Landgericht habe auch nicht gewürdigt, dass die Nutzung durch die
Tanzschule nachträglich erfolgt sei. Diese Erweiterung der Nutzung durch eine Tanzschule in einem früheren
Fabrikgebäude mit Büronutzung könne man nicht mehr als eine der Art nach gleichbleibende Benutzung des
Grundstücks ansehen und diese sei auch nicht für den objektiven Betrachter vorhersehbar. Die Steigerung der
Nutzung beruhe auf einer willkürlichen Maßnahme der Beklagten, nämlich auf ihrer Entscheidung, das
umfangreiche Gebäude mit zwei Eingängen so zu gestalten, dass dort ein Zugang zu der Tanzschule über die
normalen Hauszugänge nicht mehr möglich sei. Jedenfalls widerspreche die Nutzung den Grundsätzen einer
schonenden Ausübung nach
nicht berücksichtigt worden. Zum Kursende entstehe hier eine Situation, in der die Teilnehmer und ihre
Angehörigen sich im Bereich der Tiefgaragenzufahrt aufhielten auch durch den Anhalteverkehr auf der
H-Straße, die ein Halten von Fahrzeugen hier nicht erlaube, führe das zu echten Missständen.
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06.02.2020 (2 O 292/18) wird abgeändert und die Beklagte wird
verurteilt
a) nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und Fahrrechts auf der Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks
Flurstück Nummer .../25 (H-Straße 15) in P. das Zufahrtstor zur Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder
schließen zu lassen;
b) es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt aus Z. 1 Publikumsverkehr zu eröffnen, der nicht mit der
Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück .../16 im Zusammenhang steht,
insbesondere nicht den Zugang zu Tanzschulräumen im Gebäude S-Straße 17 in P. über die
Tiefgaragenzufahrt zu ermöglichen.
c) an die Kläger 586,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
01.09.2018 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt dazu vor:
Die Einheiten des herrschenden Grundstücks seien schon immer gewerblich genutzt worden. Auch ein Zugang
durch die eingeräumte Grunddienstbarkeit sei schon anfänglich geschaffen worden. Diese Grundstücksnutzung
habe die Beklagte nicht geändert.
Ergänzend wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche
Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung ist zulässig und hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Der mit Klageantrag zu Ziff. 2 geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht den Klägern nur insoweit zu,
als sie sich gegen die Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für den Zugang zu den Tanzschulräumen wenden.
Demgegenüber können die Kläger von der Beklagten nicht die generelle Unterbindung von Publikumsverkehr
verlangen, der nicht mit der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze oder dem Zutritt zum Grundstück .../16 im
Zusammenhang steht.
a) Zur Ermittlung des Inhalts der Dienstbarkeit ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung
und der in Bezug genommenen (
unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser
Urkunden dürfen insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des
Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Rspr, BGH, Urteil vom 08.02.2002 - V ZR 252/00,
juris Rn. 10; Urteil vom 03.07.1992 - V ZR 218/91, juris Rn. 9; Urteil vom 14.0.1978 - V ZR 119/76, juris Rn. 11;
jeweils m.w.N.). Zwar können die Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere Lage und
Verwendungsart des herrschenden Grundstücks, Hinweise für die Auslegung des Eingetragenen geben. Dies
wird vor allem der Fall sein, soweit das Eingetragene der Deutung bedarf und die äußeren Umstände dem Text
eindeutig und offenkundig zu einem bestimmten Inhalt verhelfen. Nicht zulässig ist es dagegen, dem
eingetragenen Inhalt der Dienstbarkeit aufgrund von Schlussfolgerungen, zu denen die Lage der Grundstücke
Anlass gab, einen veränderten Inhalt zu verschaffen (BGH, Urteil vom 08.02.2002 aaO Rn. 12).
b) Nach diesen Grundsätzen kann der Auslegung der Klägerseite, das Gehrecht sei dem Fahrrecht funktionell
untergeordnet und nicht unabhängig von der Nutzung der 25 Tiefgaragenstellplätze eingeräumt, nicht gefolgt
werden. Diese Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut der Dienstbarkeit und der in Bezug genommenen
Eintragungsbewilligung nicht in Einklang bringen. Der Inhalt der Grunddienstbarkeit ist durch die
Eintragungsbewilligung unter § 9 Ziff. 4 a) des notariellen Kaufvertrags vom 12.12.2012 präzisiert. Nach der
Eintragungsbewilligung wurde das Recht eingeräumt, das belastete Grundstück „zum Befahren und Begehen
mitzubenutzen“, wobei klargestellt wurde, dass das Fahrrecht auch das Befahren mit Lkw umfasst. Darüber
hinaus („ferner“) wurde das Recht eingeräumt, „die mindestens 25 Stellplätze in der Tiefgarage im UG mietfrei
und zeitlich unbegrenzt zu benutzen“. Bereits durch diese Formulierung ist klargestellt, dass das generelle Gehund
Fahrrecht von dem Recht zur Nutzung der 25 Stellplätze unabhängig sein soll. Zutreffend verweist das
Landgericht darauf, dass auch die Erstreckung des Fahrrechts auf Lkw gegen eine Abhängigkeit des Geh- und
Fahrrechts von der Nutzung der Tiefgaragenstellplätze spricht, da diese Stellplätze für Lkw ohnehin nicht
nutzbar sind.
c) Im Hinblick auf diesen weiten Umfang des Geh- und Fahrrechts kann der Beklagten auch nicht generell
untersagt werden, über die Zufahrt Publikumsverkehr zu eröffnen, der nicht mit der Nutzung der
Tiefgaragenstellplätze oder mit dem Zutritt zum Grundstück .../16 im Zusammenhang steht. Jedoch ist die
Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für Publikumsverkehr zu der im rückwärtigen Bereich des
Beklagtengrundstücks eingerichteten Tanzschule von der Grunddienstbarkeit nicht umfasst.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt der Umfang einer Dienstbarkeit, insbesondere
wenn sie zeitlich nicht begrenzt ist, nicht von vornherein für alle Zeiten fest, sondern ist wandelbar:
Entscheidend sind nicht die augenblickliche Art der Benutzung des herrschenden Grundstücks zur Zeit der
Dienstbarkeitsbestellung, sondern sein allgemeiner, der Verkehrsauffassung entsprechender und für jedermann
ersichtlicher Charakter und das jeweilige Bedürfnis, in diesem Rahmen von der Dienstbarkeit, etwa einem
Wegerecht, Gebrauch zu machen. Dementsprechend kann sich der Dienstbarkeitsumfang ändern,
insbesondere mit einer Bedarfssteigerung wachsen; die Grunddienstbarkeit ist also bezüglich ihrer Ausübung
weniger fest umrissen als viele andere Rechte und auf Veränderung angelegt. Voraussetzung für die
Umfangserweiterung ist jedoch, dass sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach
gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der
Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare und willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (BGH,
Urteil vom 21.05.1971 – V ZR 8/69, juris Rn. 17; Urteil vom 25.04.1975 - V ZR 185/73, juris Rn. 8; Urteil vom
18.07.2014 - V ZR 151/13, juris Rn. 7).
Da ein dingliches Wegerecht dem Interesse des herrschenden Grundstücks und nicht bloß dem persönlichen
Vorteil seines jeweiligen Eigentümers zu dienen bestimmt ist, kann es, sofern der Bestellungsakt nichts
Gegenteiliges ergibt, auch von dritten Personen ausgeübt werden, die zu dem Eigentümer in besonderen
Beziehungen stehen, insbesondere von seinen Hausgenossen, Besuchern und Kunden, von Mietern, Pächtern
und dergleichen (BGH, Urteil vom 21.05.1971 aaO Rn. 16; Urteil vom 04.12.2015 – V ZR 22/15, juris Rn. 47).
Das gilt allerdings nur, soweit dadurch nicht der Umfang der Grunddienstbarkeit in unzulässiger Weise erweitert
wird (BGH, Urteil vom 04.12.2015 aaO).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist eine Nutzung der Tiefgaragenzufahrt für Publikumsverkehr im Hinblick auf
den weiten Umfang der Dienstbarkeit und den Charakter des mit einem ehemaligen Fabrikgebäude bebauten
und bereits bei Bestellung der Dienstbarkeit gewerblichen genutzten Beklagtengrundstücks nicht von
vornherein ausgeschlossen.
Insoweit kommt es nicht entscheidend darauf an, dass an der Tür in dem Tor zur Tiefgarage ursprünglich ein
Türknauf angebracht war, so dass sie nur mit Schlüssel zu öffnen war. Maßgeblich für die Nutzungsbefugnisse,
die eine Grunddienstbarkeit gewährt, ist nicht die im Zeitpunkt der Bestellung gerade ausgeübte Nutzungsart;
vielmehr kommt es auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann
ersichtlichen Charakter des betreffenden Grundstücks sowie auf das Bedürfnis, von dem Wegerecht in diesem
Rahmen Gebrauch zu machen, an (BGH, Urteil vom 04.12.2015 – V ZR 22/15, juris Rn. 48 m.w.N). Ist der
Inhalt eines auf Dauer eingeräumten Wegerechts – wie hier - nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung
oder der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ohne Einschränkung als Recht zum Gehen und
Fahren beschrieben, muss aus dem Wortlaut der Bewilligung zunächst auf einen von der Nutzungsart des
herrschenden Grundstücks unabhängigen Umfang der Dienstbarkeit geschlossen werden (BGH, Urteil vom
26.10.1984 – V ZR 67/83,
bedarf eindeutiger Anhaltspunkte, um annehmen zu können, das Wegerecht sei auf die Benutzung zu einem
bestimmten Zweck beschränkt. Aus der Nutzung des herrschenden Grundstücks zur Zeit der Bestellung der
Dienstbarkeit kann eine solche Beschränkung nur hergeleitet werden, wenn ein unbefangener Betrachter unter
Berücksichtigung des Grundbuchinhalts und aller zu seiner Auslegung verwertbaren Umstände daraus den
eindeutigen Schluss auf eine entsprechende Einschränkung ziehen würde (BGH, Urteil vom 26.10.1984 aaO).
Ein solch eindeutiger Schluss war unter Berücksichtigung des Grundbuchinhalts und der ohne weiteres
erkennbaren Umstände nicht möglich. Dass bei Bestellung der Grunddienstbarkeit die Firma Lauer als
damalige Eigentümerin des Beklagtengrundstück – so der unbestrittene Vortrag der Kläger - die Zufahrt nur für
ihre Angestellten genutzt hat, welche mit einem Schlüssel das Tor geöffnet hatten, steht daher einer
Bedarfssteigerung und einer dadurch bedingten Erweiterung des Umfangs der Grunddienstbarkeit für eine mit
Publikumsverkehr verbundene Nutzung nicht von vornherein entgegen. Auch eine etwaige mit einer solchen
Nutzung verbundene Gefahr für das Bürogebäude der Kläger, das über einen Fluchtweg aus der Tiefgarage
zugänglich ist, war bei Bestellung der Dienstbarkeit nicht ohne weiteres erkennbar und ist daher nicht geeignet,
den Umfang der Dienstbarkeit zu begrenzen.
cc) Dagegen führt die Nutzung allein des rückwärtigen Gebäudeteils auf dem Beklagtengrundstück für den
Betrieb einer Tanzschule zu einer nicht vorhersehbaren und willkürlichen Benutzungsänderung.
Die An- bzw. Umbaumaßnahmen auf dem Beklagtengrundstück und die Nutzung allein des rückwärtigen
Gebäudeteils für einen mit Publikumsverkehr verbundenen Betrieb war zum Zeitpunkt der Bestellung der
Dienstbarkeit nicht vorhersehbar. Ursprünglich wurden das ehemalige Fabrikgebäude und das
Gewerbegebäude auf dem Beklagtengrundstück in einer Weise genutzt, dass der Zugang von der G- bzw. der
S-Straße aus gewährleistet und die Nutzung der streitgegenständlichen Zufahrt daher im Wesentlichen zum
Parken von Kraftfahrzeugen auf den von der Grunddienstbarkeit umfassten Stellplätzen im UG des
Bürogebäudes auf dem Klägergrundstück erforderlich war. Bei der Teilung des Gebäudes durch bauliche
Umgestaltung und der Vermietung des rückwärtigen, allein über das Klägergrundstück zugänglichen
Gebäudeteils an einen Tanzschulenbetreiber handelt es sich um eine willkürliche Änderung der Benutzungsart,
die dazu führt, dass die Zufahrt zur Tiefgarage für die Kunden der Tanzschule während deren Öffnungszeiten
ständig zugänglich sein muss.
Zwar hat nach den örtlichen Verhältnissen bei Bestellung der Dienstbarkeit das Geh- und Fahrrecht die
Befugnis eingeschlossen, über die Toreinfahrt auch in den hinteren Bereich des Beklagtengrundstücks zu
gelangen. Die Nutzungsänderung bedingt aber zwangsläufig eine intensivere Inanspruchnahme des dienenden
Grundstücks, weil der Publikumsverkehr nunmehr ausschließlich über die streitgegenständliche Zufahrt
stattfinden muss, während zuvor der Zugang zu den Gebäuden auf dem Beklagtengrundstück auch über die
Eingänge an der G-Straße und/oder der S-Straße gewährleistet war. Dementsprechend hat auch die Beklagte
nicht in Abrede gestellt, dass durch die Tanzschule der Personenkreis, der die Zufahrt bzw. den Zugang über
das Grundstück der Kläger nutzt, gewachsen ist.
d) Der Anspruch, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt den Zugang zu den Tanzschulräumen zu
eröffnen, richtet sich gegen die Beklagte als Störerin.
Für Störungshandlungen seines Mieters kann der Eigentümer nach
werden, wenn er dem Mieter den Gebrauch seiner Sache mit der Erlaubnis zu den störenden Handlungen
überlassen hat oder wenn er es unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes
Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (BGH, Urteil vom 27.01.2006 – V ZR 26/05,
juris Rn. 5; Urteil vom 07.04.2000 – V ZR 39/99, juris Rn. 12). Auch unter den vorgenannten Voraussetzungen
scheidet eine Haftung aus
Unterlassungsanspruch unter keinen Umständen durchzusetzen vermag; allerdings ist es ausreichend, dass
die Möglichkeit, auf dem Verhandlungsweg der Verurteilung des Vermieters aus
zu tragen, nicht ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 07.04.2000 aaO Rn. 13).
Daran gemessen ist die Beklagte als Störerin verantwortlich. Sie hat die Räumlichkeiten im rückwärtigen
Bereich ihres Gebäudes nach baulicher Trennung an den Betreiber einer Tanzschule vermietet in dem Wissen,
dass ein Zugang für die Kunden der Tanzschule zu diesem rückwärtigen Bereich nur über die
streitgegenständliche Tiefgaragenzufahrt möglich ist. Auf diese Weise hat sie an der Entstehung der Störung
und – durch das Festhalten am Mietvertrag – auch an ihrer Aufrechterhaltung mitgewirkt (vgl. BGH, Urteil vom
11.11.1966 – V ZR 191/13, juris Rn. 28). Dass eine Erfüllung der Unterlassungspflicht ausgeschlossen ist,
ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht.
2. Soweit die Kläger geltend machen, die Beklagte sei verpflichtet, nach jeder Inanspruchnahme des Geh- und
Fahrrechts das Zufahrtstor zur Tiefgarage unverzüglich zu schließen oder schließen zu lassen (Klageantrag zu
Ziff. 1) steht ihr ein Unterlassungsanspruch, der über die Untersagung des Zugangs zu den Tanzschulräumen
hinausgeht, nicht zu. Soweit die behauptete Störung durch das Tanzschulpublikum verursacht wird, ist der mit
dem Klageantrag zu Ziff. 1 geltend gemachte Anspruch als ein Minus in dem Anspruch, den Zugang zu den
Tanzschulräumen über die Tiefgaragenzufahrt zu unterbinden, enthalten. Soweit die Kläger die Störung auf
andere Personen, insbesondere auf Mitarbeiter der Beklagten, zurückführen, fehlt es dagegen an der für einen
Anspruch aus § 1004 i.V.m.
a) Gemäß
des Eigentümers des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Verstößt er gegen diese Pflicht, stellt dies
eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des
– V ZR 184/14, juris Rn 9; Urteil vom 19.09.2008 – V ZR 164/07, juris Rn. 20). Ein Unterlassungsanspruch aus
Wiederholungsgefahr gegeben ist oder die erste Verletzung unmittelbar bevorsteht (Staudinger/Weber, BGB,
Stand 2017 § 1020 Rn. 9; MünchKomm-BGB/Mohr, 8. Aufl. § 1020 Rn. 7).
b) Eine Wiederholungsgefahr ist von den Klägern lediglich im Zusammenhang mit der Nutzung der Tanzschule
dargetan. So hat sie selbst dargelegt, dass erst seit Eröffnung der Tanzschule das Garagentor regelmäßig
offenbleibe und fixiert werde, damit ungehinderter Publikumsverkehr möglich sei. Auch die weiteren
behaupteten Beeinträchtigungen – insb. Beschädigungen und Gefahren durch Menschenansammlungen –
führen die Kläger auf die Tanzschule zurück und haben keine Anhaltspunkte für die Annahme vorgetragen,
diese Beeinträchtigungen würden durch Mitarbeiter der Beklagten verursacht. Die Beklagte hat ihrerseits
behauptet, ihre Mitarbeiter und Repräsentanten würden das Zufahrtstor zur Tiefgarage immer verschließen.
3. Ein Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten besteht nicht, ergibt sich insbesondere nicht aus
Verzug (
Vertreter der Kläger bereits in Verzug befand, ist nicht dargelegt. Soweit die Kläger vortragen, die Beklagte sei
bereits vor dem Anwaltsschreiben vom 10.08.2018 von den Klägern auf die Missstände aufmerksam gemacht
und um Abhilfe gebeten worden, ergibt sich daraus weder eine Mahnung (
ernsthafte und endgültige Weigerung der Beklagten, den Forderungen der Kläger nachzukommen (§ 286 Abs.
2 Nr. 3 BGB).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus
primäres Ziel, den mit der Tanzschule verbundenen Publikumsverkehr und die dadurch bedingten
Beeinträchtigungen ihres Grundstücks zu unterbinden, erreicht, andererseits aber mit den Klageanträgen,
insbesondere mit dem weit formulierten Antrag zu Ziff. 2, nicht in vollem Umfang Erfolg hatten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:21.07.2020
Aktenzeichen:12 U 34/20
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Grundpfandrechte
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB § 1018