Teilungserklärung einer Anlage: kein Wohnen gewerblich zu nutzenden Gebäudeteil
letzte Aktualisierung: 10.11.2022
BGH, Urt. v. 15.7.2022 – V ZR 127/21
Teilungserklärung einer Anlage: kein Wohnen gewerblich zu nutzenden Gebäudeteil
Gibt die Teilungserklärung einer Anlage, zu der sowohl Wohnungs- als auch Teileigentumseinheiten
gehören, innerhalb eines Gebäudes eine räumliche Trennung von Wohnen und Gewerbe vor, stört
die Wohnnutzung einer Teileigentumseinheit in dem der gewerblichen Nutzung vorbehaltenen
Gebäudeteil bei typisierender Betrachtung regelmäßig mehr als die vorgesehene Nutzung.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Wohnnutzung mit der
Zweckbestimmung der Teileigentumseinheit unvereinbar ist. Sie sei auch nicht
ausnahmsweise deshalb zulässig, weil sie nicht mehr störe als die vorgesehene
Nutzung. Die für eine solche Annahme erforderliche ergänzende Auslegung der
Gemeinschaftsordnung komme nicht in Betracht. Diese gebe bewusst eine räumliche
Trennung der Nutzungen vor, indem sie die Wohnnutzung auf das Dachgeschoss
und die gewerbliche Nutzung auf die darunterliegenden Stockwerke konzentriere,
um auf diese Weise etwaige Nutzungskonflikte zu entschärfen. Zudem
werde ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Nutzung der
Wohneinheiten zu gewerblichen Zwecken erlaubt sei, während umgekehrt die
Nutzung einer Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken gerade nicht vorgesehen
sei. Schließlich störe die Wohnnutzung bei typisierender Betrachtung mehr als
die gewerbliche Nutzung, die an Sonn- und Feiertagen regelmäßig unterbleibe.
II.
Die Revision der Beklagten hat mit der Maßgabe keinen Erfolg, dass auf
den Antrag der Klägerin die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen
ist. Die Erledigung der Hauptsache kann von dem Kläger im Revisionsverfahren
jedenfalls dann noch einseitig erklärt werden, wenn das Ereignis, das
die Hauptsache erledigt haben soll (hier: Eingang der Revisionsbegründung mit
dem Widerspruch der GdWE), als solches außer Streit steht. Zu prüfen ist dann,
ob die Klage bis zu dem geltend gemachten erledigenden Ereignis zulässig und
begründet war und, wenn das der Fall ist, ob sie durch dieses Ereignis unzulässig
oder unbegründet geworden ist. Sind - wie hier - beide Voraussetzungen erfüllt,
ist die Erledigung der Hauptsache festzustellen; andernfalls ist die Klage abzuweisen
(vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - I ZR 84/01, NJW
2004, 1665; Urteil vom 10. Januar 2017 - II ZR 10/15,
1. Die Klage war bis zu dem Eingang der Revisionsbegründung mit dem
Widerspruch der GdWE zulässig und begründet. Die gegen das Berufungsurteil
gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.
a) Die Klage war zulässig. Insbesondere konnte ein einzelner Wohnungseigentümer
- wie die Klägerin - auf der Grundlage des bis zum 30. November
2020 geltenden Wohnungseigentumsgesetzes von einem anderen Wohnungseigentümer
oder dessen Mieter gemäß
Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung des Wohnungseigentums verlangen,
solange der Verband diese Ansprüche nicht an sich gezogen hatte. Zwar können
entsprechende Unterlassungsansprüche seit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes
am 1. Dezember 2020 gemäß
allein von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend gemacht werden
(Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 86/21,
die bei Gericht bereits anhängigen Verfahren hat der Senat aber entschieden,
dass die Prozessführungsbefugnis über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung
des Rechtsgedankens des
schriftliche Äußerung des nach
einen entgegenstehenden Willen der GdWE zur Kenntnis gebracht wird (Senat,
Urteil vom 7. Mai 2021 - V ZR 299/19,
Grund bestand die Prozessführungsbefugnis der Klägerin zunächst fort.
b) Die Klage war begründet. Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht
einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung der Wohnnutzung.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Klägerin weiterhin aktivlegitimiert,
und die Beklagten sind passivlegitimiert. Zwar ist nunmehr jeder Wohnungseigentümer
gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 WEG (anders als nach § 15
Abs. 3 WEG aF) gegenüber der GdWE verpflichtet, die Vereinbarungen einzuhalten
(näher Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 86/21,
Rn. 23). Aber ein Anspruch eines Wohnungseigentümers - wie der Klägerin - auf
Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung kann sich unverändert aus § 1004
BGB ergeben (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 2019 - V ZR 271/18, BGHZ
223, 305 Rn. 14 ff.; Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 86/21, aaO Rn. 24), und
ein solcher Anspruch richtet sich gegen den Störer, hier also die Beklagten. Geändert
hat sich seit dem 1. Dezember 2020 gemäß
für diese Ansprüche; nunmehr ist allein die GdWE prozessführungsbefugt
und aktivlegitimiert (näher Senat, Urteil vom 28. Januar 2022
- V ZR 86/21, aaO Rn. 24). Aber soweit die Prozessführungsbefugnis eines einzelnen
Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum
ergebende Rechte geltend macht, in Anwendung des Rechtsgedankens von § 48
Abs. 5 WEG fortbesteht, ist auch die materiell-rechtliche Aktivlegitimation weiterhin
gegeben (so bereits Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 86/21, aaO
Rn. 10; Urteil vom 1. Oktober 2021 - V ZR 48/21,
Gesetzgeber hat mit seiner grundsätzlichen Entscheidung, bei anhängigen Verfahren
das alte Verfahrensrecht weiter gelten zu lassen, zugleich aber das neue
materielle Recht zur Anwendung zu bringen, die enge Verzahnung von materiellem
und formellem Recht in verschiedenen Bereichen - und so auch hier - übersehen
(näher Senat, Urteil vom 25. Februar 2022 - V ZR 65/21,
Rn. 20).
bb) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die mit
der Zweckbestimmung der Teileigentumseinheit unvereinbare Wohnnutzung bei
typisierender Betrachtungsweise mehr stört als die vorgesehene Nutzung, so
dass die Klägerin Unterlassung der Wohnnutzung gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB verlangen kann.
(1) Allerdings kann sich eine nach dem vereinbarten Zweck ausgeschlossene
Nutzung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als zulässig erweisen,
wenn sie bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die
vorgesehene Nutzung (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 203/18,
Rn. 27 mwN). Diese Einschränkung des Unterlassungsanspruchs ist nach den
Grundsätzen einer ergänzenden Vertragsauslegung gerechtfertigt. Eine solche
ist sowohl bei der Auslegung von Vereinbarungen der Wohnungseigentümer als
auch bei der Auslegung von einseitigen Willenserklärungen möglich, zu denen
die Teilungserklärung nach
nach den Regeln der ergänzenden Auslegung geschlossen werden, wenn sich
hypothetischer Wille des teilenden Eigentümers feststellen lässt. Hierfür ist darauf
abzustellen, welche Regelung der teilende Eigentümer bei einer angemessenen
Abwägung der berührten Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise
getroffen hätte, wenn er den von ihm nicht geregelten Fall bedacht hätte
(Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 203/18, aaO Rn. 10).
(2) Was die Nutzung einer Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken angeht,
kann diese sich im Einzelfall zwar als zulässig erweisen, wenn die Anlage im
Übrigen nur aus Wohnungen besteht. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz
des Inhalts, dass die Wohnnutzung die intensivste Form des Gebrauchs
einer Sondereigentumseinheit sei; erforderlich ist stets der Vergleich der
mit der erlaubten und der tatsächlichen Nutzung in der konkreten Anlage typischerweise
verbundenen Störungen (näher Senat, Urteil vom 16. Juli 2021
- V ZR 284/19,
Zwecken dienenden Gebäude stört die Wohnnutzung bei typisierender
Betrachtung regelmäßig mehr als die vorgesehene Nutzung (vgl. Senat, Urteil
vom 23. März 2018 - V ZR 307/16,
wenn die Teilungserklärung einer Anlage, zu der sowohl Wohnungs- als auch
Teileigentumseinheiten gehören, innerhalb eines Gebäudes eine räumliche Trennung
von Wohnen und Gewerbe vorgibt, stört die Wohnnutzung einer Teileigentumseinheit
in dem der gewerblichen Nutzung vorbehaltenen Gebäudeteil bei
typisierender Betrachtung regelmäßig mehr als die vorgesehene Nutzung (zu
diesem Aspekt bereits Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 - V ZR 284/19, aaO
Rn. 36).
(3) Von diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht aus und verneint
die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung in rechtsfehlerfreier
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Schon der Umstand, dass die
Ausübung eines Gewerbes in den zu Wohnzwecken dienenden Einheiten nach
der Gemeinschaftsordnung unter näher geregelten Voraussetzungen zulässig
sein kann, während der umgekehrte Fall, nämlich die Nutzung einer Teileigentumseinheit
zu Wohnzwecken, gerade nicht vorgesehen ist, deutet darauf hin,
dass der teilende Eigentümer solche Nutzungen nicht zulassen wollte. Es kommt
hinzu, dass die Nutzung der Teileigentumseinheiten und das zulässige Störungspotential
zwar detailliert geregelt, eine Wohnnutzung aber nicht vorgesehen ist.
Diese Gesichtspunkte sprechen für eine insoweit abschließende Regelung der
erlaubten Nutzungen und gegen die Zulässigkeit einer ergänzenden Auslegung
der Teilungserklärung (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR
203/18,
auf die räumliche Trennung von Wohn- und Gewerbeeinheiten in den Gebäuden.
Nach dem in der Teilungserklärung verankerten Konzept der Anlage soll in beiden
Häusern (allenfalls) im Dachgeschoss gewohnt werden, während die übrigen
Gebäudeteile (nur) gewerblichen Zwecken dienen. In einer solchen gemischten,
aber räumlich getrennten Anlage haben sowohl die Teil- als auch die Wohnungseigentümer
ein berechtigtes Interesse daran, dass die vorgegebene räumliche
Trennung erhalten bleibt, um etwaige Nutzungskonflikte von vornherein zu vermeiden
(vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2018 - V ZR 307/16, NJW-RR 2018,
1227 Rn. 9). Darauf kann sich die Klägerin berufen, auch wenn ihre Einheit zu
Wohnzwecken dient und in dem anderen Haus belegen ist.
2. Indem die Beklagten den Widerspruch der GdWE mit der Revisionsbegründung
eingereicht haben, ist die zuvor zulässige und begründete Klage unzulässig
geworden; die Prozessführungsbefugnis der Klägerin ist - ebenso wie ihre
Aktivlegitimation (vgl. dazu Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 86/21, ZfIR
2022, 233 Rn. 11) - entfallen. Das dem Gericht überreichte Schreiben der Verwalterin
enthält einen eindeutigen Widerspruch gegen die weitere Prozessführung.
Auf die Wirksamkeit der Willensbildung im Innenverhältnis kommt es nicht
an (näher Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR 106/21,
Rn. 21 f.). Der von den Beklagten vorgelegte Widerspruch der GdWE ist auch im
Revisionsverfahren zu beachten (vgl. Senat, Urteil vom 28. Januar 2022 - V ZR
86/21, aaO Rn. 11). Zu Recht weist die Revisionserwiderung zwar darauf hin,
dass es für das (auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende) Bestehen
oder Fehlen der Prozessführungsbefugnis grundsätzlich auf den Zeitpunkt
der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ankommt (vgl. Senat, Urteil
vom 14. Dezember 1959 - V ZR 197/58,
19. März 1987 - III ZR 2/86,
anders, weil die materiell-rechtlichen Änderungen durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz
in Ermangelung von Übergangsvorschriften sofort
gelten und diese Gesetzesänderung auch in der Revisionsinstanz beachtlich ist
(vgl. Senat, Urteil vom 7. Mai 2021 - V ZR 299/19,
Prozessführungsbefugnis wäre deshalb an sich selbst in dritter Instanz ohne weiteres
entfallen; nachdem der Senat ihren Fortbestand in Anwendung des Rechtsgedankens
des
andere Partei noch in der Revisionsinstanz auf einen Widerspruch der GdWE
berufen können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:15.07.2022
Aktenzeichen:V ZR 127/21
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG § 10 Abs. 1