Anwendbarkeit von § 2069 BGB bei Veräußerung des Nacherbenanwartschaftsrechts
letzte Aktualisierung: 17.2.2021
OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.5.2020 – 3 W 74/20
BGB §§ 2069, 2108 Abs. 2 S. 1
Anwendbarkeit von
1. Ein Nacherbenanwartschaftsrecht ist grundsätzlich übertragbar und vererblich; ob ein
entgegenstehender Wille des Erblassers vorgelegen hat und er eine Ersatznacherbschaft angeordnet
hat, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu
ermitteln, namentlich durch die erläuternde Auslegung, hilfsweise durch die ergänzende Auslegung.
2. Erst wenn sich nach den allgemeinen Auslegungsregeln kein eindeutiges Ergebnis ergibt, ist auf
die nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des § 2018 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 2069
BGB zurückzugreifen.
3. Wenn ein vom Erblasser als Nacherbe bedachter Abkömmling nach Testamentserrichtung
wegfällt, ist gemäß
bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Dies gilt aber
nicht, wenn ein als Nacherbe eingesetzter Abkömmling aus freien Stücken als Erbe wegfällt und
dafür etwas erhält, etwa dann, wenn er sein Nacherbenanwartschaftsrecht veräußert.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einen Erbschein ohne Nacherbenvermerk, die
Verfahrenspflegerin und das Nachlassgericht halten einen solchen Vermerk für
erforderlich.
Der Erblasser hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung und war bis zu seinem
Tode mit der Antragstellerin verheiratet, die drei Kinder aus erster Ehe hat.
Mit notariell beurkundetem Erbvertrag vom 21. August 1989 (Bl. 8–11 d. BA 6 IV
326/89) verfügte der Erblasser wie folgt:
Ich setze als meine alleinige Erbin meine Ehefrau … ein.
Sie ist jedoch nur Vorerbin und als solche von allen gesetzlichen
Beschränkungen befreit, soweit dies möglich ist.
Als Nacherben bestimme ich meinen Sohn [Name, Geburtsdatum und
Anschrift].
Der Nacherbfall tritt ein mit dem Tode der Vorerbin.
Für den Fall, dass meine Ehefrau als Vorerbin die von mir erworbene
Wohnung [nähere Bezeichnung] veräußert, so hat sie die Hälfte des
Verkaufserlöses nach Abzug der auf dem Grundbesitz liegenden
Belastungen an den Sohn [Name] auszuzahlen.
Nach dem Tod des Erblassers übertrug sein nach wie vor kinderloser Sohn mit
notarieller Urkunde vom 25. Oktober 2018 (beglaubigte Ablichtung Bl. 15–21 d.A.)
seine Nacherbenrechte gegen Zahlung von 10.000,00 € auf die Antragstellerin,
wobei beide davon ausgingen, dass dies der Hälfte des Verkehrswertes der
Eigentumswohnung entsprach.
Mit weiterer notarieller Urkunde vom 25. Oktober 2018 (Bl. 2–9 d.A.) beantragte die
Antragstellerin einen Erbschein ohne Nacherbenvermerk, der sie als Alleinerbin
ausweist.
Die – zur Vertretung etwaiger unbekannter Abkömmlinge des Sohnes bestellte –
Verfahrenspflegerin und das Nachlassgericht sind im Schriftsatz vom 23. Oktober
2019 (Bl. 42 f. d.A.) sowie im Schreiben vom 25. November 2019 (Bl. 69 d.A.) – auf
die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird – der Ansicht, der Erbschein
könne nur mit Nacherbenvermerk erteilt werden;
Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft gemäß
vor. Dass der Erblasser die Eigentumswohnung habe in der „engsten Familie“
halten wollen, spreche gegen die generelle Vererblichkeit der
Nacherbenanwartschaft. Insoweit seien mögliche Abkömmlinge des Sohnes als
mögliche Ersatznacherben in den Erbschein aufzunehmen.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag mit angegriffenem Beschluss vom
18. Dezember 2019 – 6 VI 964/18 – (Bl. 73 f. d.A.) unter Hinweis auf die obige
Ansicht zurückgewiesen.
Gegend diesen – ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 20. Dezember 2019
zugestellten – Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 16. Januar
2020 eingegangenen Beschwerde. Dieser hat das Nachlassgericht mit Beschluss
vom 10. Februar 2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur
Entscheidung vorgelegt.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 30. März 2020 beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts Salzgitter aufzuheben und der
Antragstellerin den beantragten Erbschein zu erteilen,
und die Beschwerde begründet. Insbesondere hätte der seinerzeit beurkundende
Notar einen weiteren Gestaltungswunsch des Erblassers – so es ihn denn gegeben
hätte – in die Urkunde aufgenommen; dass Ersatznacherben nicht benannt seien,
zeige, dass kein solcher Wunsch bestanden habe. Wegen der Einzelheiten wird auf
den Schriftsatz vom 30. März 2020 (Bl. 107–114 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Die Beschwerde ist statthaft und auch ansonsten zulässig; insbesondere ist sie
innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt worden.
2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Erteilung
des von der Antragstellerin beantragten Erbscheins ohne Nacherbenvermerk liegen
vor. Der Sohn des Erblassers ist Inhaber eines Nacherbenanwartschaftsrechts
geworden, das grundsätzlich übertragbar und vererblich ist (a); ein der Übertragung
oder Vererbung entgegenstehender Wille des Erblassers ist hier nicht festzustellen
(b) und der Sohn der Erblasserin hat das Nacherbenanwartschaftsrecht wirksam
auf die Antragstellerin übertragen (c).
a) Der Sohn des Erblassers ist mit dessen Tod Inhaber eines
Nacherbenanwartschaftsrechts geworden, denn der Erblasser hat mit dem
Erbvertrag vom 21. August 1989 seine Ehefrau als alleinige befreite Vorerbin und
seinen Sohn als Nacherben eingesetzt. Mit dem Tod eines Erblassers erwirbt der in
dessen letztwilliger Verfügung bestimmte Nacherbe ein Anwartschaftsrecht (BGH,
Urteil vom 9. Juni 1983 – IX ZR 41/82 –, NJW 1983, S. 2244 [2245 f.] m.w.N.). Ein
solches Nacherbenanwartschaftsrecht kann grundsätzlich übertragen und nach
BGB Erbrecht, 5. Auflage 2018, § 2102, Rn. 13). Dabei normiert § 2108 Abs. 2
Satz 1 BGB die Vererblichkeit dieses Anwartschaftsrechts als den Regelfall; das
Anwartschaftsrecht soll im Zweifel im Verkehr ein sicheres Vermögensrecht sein
und nur durch einen abweichenden Willen des Erblassers in ein unvererbliches
Recht umgestaltet werden können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember
2016 – I-3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30; Lang, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht,
3. Auflage 2019,
b) Ein der Vererbung – und hier der Übertragung – des
Nacherbenanwartschaftsrecht entgegenstehender Wille des Erblassers ist nicht
festzustellen.
Ob ein solcher Wille des Erblassers vorgelegen hat – mithin, ob dieser eine
Ersatznacherbschaft angeordnet hat –, ist durch Auslegung der letztwilligen
Verfügung nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu ermitteln, namentlich durch
die erläuternde Auslegung, hilfsweise durch die ergänzende Auslegung (BGH, Urteil
vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963, S. 1150 [1151 Ziff. III.2]; vgl. RG,
Beschluss vom 2. November 1933 – IV B 43/33 –, RGZ 142, S. 171 [174]; Lieder,
in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2102, Rn. 11 m.w.N.). Erst wenn sich nach den
allgemeinen Auslegungsregeln kein eindeutiges Ergebnis ergibt, ist auf die
nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des
und des
– I-15 W 107/13 –, juris, Rn. 16; BayObLG, Beschluss vom 30. September 1993
– 1Z BR 9/93 –, NJW-RR 1994, S. 460; Czubayko, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht,
3. Auflage 2019,
Nach der erläuternden Auslegung der letztwilligen Verfügung ergibt sich hier nicht,
dass der Erblasser einen Ersatznacherben hat einsetzen wollen; die in der
Verfügung enthaltene Regelung zum Verkauf der Eigentumswohnung spricht sogar
deutlich dagegen (aa); Unklarheiten, die im Wege der ergänzenden Auslegung der
letztwilligen Verfügung zu beseitigen sein könnten, verbleiben insoweit nicht (bb);
auf die nachrangigen Auslegungen des
BGB kommt es demnach nicht an (cc).
aa) Die (erläuternde) Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des
Erblassers zu erforschen. Sie soll klären, was der Erblasser mit seinen Worten
sagen wollte. In diesem Zusammenhang verbietet sich gemäß
Auslegung, die allein auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abstellt; vielmehr
ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, allein sein
subjektives Verständnis ist maßgeblich. Auch eine ihrem Wortlaut nach scheinbar
eindeutige Willenserklärung bindet bei der Auslegung nicht an diesen Wortlaut,
wenn – allerdings nur dann – sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende
mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen
Sprachgebrauch entspricht (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 – IV a ZR 94/81 –,
NJW 1983, S. 672 [673] m.w.N.). Bei der Testamentsauslegung geht es aber „nicht
um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens (…), sondern um die
Klärung der Frage, was der Erblasser mi t s e i n e n Wo r t e n sagen wollte“ (BGH,
Urteil vom 28. Januar 1987 – IVa ZR 191/85 –, juris, Rn. 17, Hervorhebung im
Original; Leipold, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2084, Rn. 8 m.w.N.).
Nach diesem Maßstab ist dem Erbvertrag vom 21. August 1989 die Anordnung
einer Ersatznacherbschaft nicht zu entnehmen.
Der Wortlaut enthält keine ausdrückliche Anordnung einer Ersatznacherbschaft; der
Erblasser hat lediglich geregelt: „Als Nacherben bestimme ich meinen Sohn …“ An
diese Einsetzung des Nacherben schließt sich gerade nicht die zur Einsetzung von
Ersatznacherben gebräuchlichen Formulierung „ersatzweise dessen Abkömmlinge“
an, wie sie – augenscheinlich aus Gewohnheit – ins Grundbuch der
Eigentumswohnung „übernommen“ worden ist (vgl. die Eintragungen in Abteilung II
Nr. 4 bzw. Nr. 2 im Grundbuch, wiedergegeben im notariellen Übertragungsvertrags
vom 25. Oktober 2018 [S. 4 f., Bl. 17 f. d.A.])
Auch aus dem weiteren Regelungszusammenhang ergibt sich keine Einsetzung
von Ersatznacherben. Der Erbvertrag enthält keine weiteren Regelungen dazu,
welche weiteren Personen in irgendeiner Form Begünstigte sein sollen; er regelt
lediglich die Vorerbschaft der Ehefrau und Nacherbschaft des Sohnes. Weitere
Personen werden nicht genannt.
Allein der Umstand, dass ein Abkömmling zum Nacherben eingesetzt worden ist,
reicht nicht aus, um die Einsetzung von Ersatznacherben anzunehmen (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – I-3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30).
Während keine Anhaltspunkte im Erbvertrag enthalten sind, die dafür sprechen,
dass der Erblasser eine Ersatznacherbeneinsetzung gewollt hat, sind allerdings
Anhaltspunkte enthalten, die deutlich dagegen sprechen:
Der Erblasser hat seine Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt und für den Fall
der Veräußerung der Eigentumswohnung durch die Vorerbin geregelt, dass sein
Sohn die Hälfte des Verkaufserlöses erhalten soll. Er hat also gewollt, dass seine
Ehefrau uneingeschränkt über die Wohnung verfügen und diese nutzen, aber eben
auch veräußern kann, auch an Personen außerhalb der Familie. Hätte der Erblasser
gewollt, dass die Wohnung auf jeden Fall in der Familie bleibt, hätte er seine Ehefrau
als nicht befreite Vorerbin einsetzen können – die zwar die Wohnung nutzen, nicht
aber hätte veräußern können –, oder er hätte seinem Sohn ein Vorkaufsrecht an
der Wohnung einräumen können, so dass seine Ehefrau die Wohnung zwar hätte
veräußern können, der Sohn in diesem Falle aber Zugriff auf die Wohnung gehabt
hätte. Beides hat der Erblasser nicht getan. Dies deutet stark darauf hin, dass es
ihm gerade nicht darum gegangen ist, dass die Wohnung selbst auf jeden Fall in
der Familie bleibt.
Daneben hat der Erblasser geregelt, dass sein Sohn im Falle der Veräußerung der
Eigentumswohnung nur die Hälfte des Veräußerungserlöses erhält; er hat seiner
Ehefrau so die Möglichkeit eröffnet, die andere Hälfte des etwaigen
Veräußerungserlöses für sich zu verwenden. Auf diese Weise ist es möglich, dass
weder die Wohnung selbst, noch deren ganzer Wert den Nachfahren des Erblassers
zukommt. Diese vom Erblasser hingenommenen Möglichkeiten, dass die Wohnung
selbst und die Hälfte ihres Wertes schon nicht an seinen Sohn weitergegeben
werden, spricht dagegen, einen Willen des Erblassers anzunehmen, nach dem die
Wohnung auf jeden Fall an einen etwaigen Abkömmling seines Sohnes
weitergegeben werden soll.
Durch die Regelung bezüglich des halben Veräußerungserlöses hat der Erblasser
außerdem seinem Sohn eine bereits zu dessen Lebzeiten verwertbare
Rechtsstellung eingeräumt; eine solche Rechtsstellung spricht für eine
Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts (Lang, in: Burandt/Rojahn,
Erbrecht, 3. Auflage 2019,
2020, § 2108, Rn. 10), und damit auch für dessen Übertragbarkeit.
Diese Auslegung ändert sich auch nicht, wenn man den Vortrag der Beteiligten zu
1. berücksichtigt, der Erblasser habe die Eigentumswohnung in der „engsten
Familie“ halten wollen. Damit ist ersichtlich gemeint, dass seine Ehefrau die
Wohnung weiterhin bewohnen können sollte, dass diese aber nach dem Tod der
Ehefrau nicht deren Erben – mutmaßlich ihre nicht mit dem Erblasser verwandten
Kinder aus erster Ehe –, sondern dem Sohn des Erblassers zufallen sollte. Die Vorund
Nacherbschaft ist das geeignete Mittel, um genau dies in der vorliegenden
Konstellation („meine Kinder – deine Kinder“) sicherzustellen (Lieder, in: MüKo
BGB, 8. Auflage 2020, § 2100, Rn. 5; Kappler/Kappler, in: ZEV 2015, S. 437 [440]).
Nach der gesetzlichen Erbfolge hätten die Ehefrau und der Sohn Miteigentum an
der Wohnung erlangt und bei testamentarischer Einsetzung der Ehefrau als
Vollerbin wäre dem Sohn des Erblassers nur der Pflichtteil geblieben, während die
Wohnung oder deren Wert letztlich den Erben der Ehefrau zugefallen wäre. Der
Erblasser hat also genau die Regelung gewählt, die es seiner Ehefrau ermöglicht,
zu Lebzeiten von der Wohnung zu profitieren, ohne seinen Sohn zu enterben. Ein
weitergehender Wunsch des Erblassers dahingehend, dass die Wohnung – quasi
als Familienstammsitz – auf jeden Fall dauerhaft in seinem Stamm bleibt, ist dem
Erbvertrag und den weiteren Umständen nicht zu entnehmen.
bb) Vor dem Hintergrund dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses bedarf es
nicht des Rückgriffs auf die ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung; im
Wege dieser Auslegung ergibt sich aber auch nichts anderes.
Die ergänzende Auslegung dient zwar in erster Linie dazu, Lücken zu schließen,
die sich daraus ergeben, dass sich nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung
vom Erblasser nicht bedachte Veränderungen ergeben haben. Sie kann aber auch
im Falle ursprünglicher planwidriger Unvollkommenheiten greifen, etwa, wenn der
Erblasser die Verhältnisse zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung falsch
beurteilt hat, aus einem bekannten tatsächlichen Umstand fehlerhafte rechtliche
Schlussfolgerungen gezogen hat oder sich über den Inhalt eines Vertrages geirrt
hat (BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 1997 – 1Z BR 240/96 –, NJW-RR 1997,
S. 1438 [1439, lit. c.bb] m.w.N.; Leipold, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 2084,
Rn. 90).
Dies ist hier nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser eine Klausel
betreffend etwaige Ersatznacherben schlicht vergessen hat, liegen nicht vor.
Gegen ein solches Versehen spricht bereits, dass der Erblasser sein mutmaßliches
Regelungsziel auch ohne die Einsetzung von Ersatznacherben erreichen konnte
und auch erreicht hat (siehe oben, Abschnitt aa a.E.).
Gegen eine versehentliche Auslassung spricht ferner die Tatsache, dass es sich
hier um einen notariell beurkundeten Erbvertrag handelt, was Auslassungen zwar
nicht ausschließt, aber doch unwahrscheinlicher macht, als dies etwa bei einem
privatschriftlichen Testament eines Laien der Fall wäre.
Dem Erblasser war bei Errichtung des Erbvertrags auch bekannt, dass sein Sohn
seinerzeit keine Abkömmlinge hatte; ihm war nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1.
auch bekannt, dass sein Sohn nicht plante, überhaupt Vater zu werden. Der Sohn
des Erblassers hat auch bis heute keine leiblichen oder angenommenen
Abkömmlinge, mit denen der Erblasser bei Errichtung der letztwilligen Verfügung
nicht gerechnet haben könnte und die er – hätte er davon gewusst, es
vorhergesehen, geahnt oder zumindest darauf gehofft – als Ersatznacherben hätte
einsetzen wollen. Eine Veränderung im Vergleich zur damaligen Situation hat
gerade nicht stattgefunden.
cc) Aufgrund dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses ist für die Anwendung der
nachrangigen gesetzlichen Auslegungsregelungen des
und des
diesen gesetzlichen Auslegungsregeln hier auch nichts anderes ergäbe:
den Regelfall und allein der Umstand, dass ein Abkömmling zum Nacherben
eingesetzt wird, reicht nicht aus, um einen Ausschluss der Vererblichkeit
anzunehmen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963,
S. 1150 [1151 Ziff. III.2]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – I-
3 Wx 285/15 –, juris, Rn. 30; Lang, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019,
23. Januar 1963 – V ZR 82/61 –, NJW 1963, S. 1150 [1151 Ziff. III.2]).
Doch selbst aus
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier nichts anderes: Wenn ein vom
Erblasser als Nacherbe bedachter Abkömmling nach Testamentserrichtung
wegfällt, ist gemäß
Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen
Stelle treten würden. Dies gilt aber nicht, wenn ein als Nacherbe eingesetzter
Abkömmling aus freien Stücken als Erbe wegfällt und dafür etwas erhält, etwa dann,
wenn er das Erbe ausschlägt und den Pflichtteil verlangt; in diesem Fall geht der
Stamm des Wegfallenden (schon in dessen Person selbst) nicht leer aus. Die
Ersatzberufung der weiteren Abkömmlinge gemäß
aber, dass der Stamm des Wegfallenden in zweierlei Weise erbrechtlich zum Zuge
käme: dem Erstbedachten stünde der Pflichtteil und außerdem seinen
Abkömmlingen das vom Erblasser zunächst ihm zugedachte Erbe zu (BGH, Urteil
vom 29. Juni 1960 – V ZR 64/59 –, NJW 1960, S. 1899). Dasselbe muss gelten,
wenn ein Nacherbe sein Nacherbenanwartschaftsrecht veräußert, denn auch dann
erhält sein Stamm (in der Person des Nacherben) etwas und geht nicht leer aus.
Auch hier bedeutete die Ersatzberufung der weiteren Abkömmlinge gemäß § 2069
BGB, dass der Stamm des Wegfallenden in zweierlei Weise erbrechtlich zum Zuge
käme: dem Erstbedachten stünde der Veräußerungserlös und außerdem seinen
Abkömmlingen das vom Erblasser zunächst ihm zugedachte Erbe zu. Damit greift
die gesetzliche Auslegungsregel des
Bundesgerichtshofs hier gerade nicht.
c) Der Sohn des Erblassers hat seine Nacherbenrechte mit notariellem
Übertragungsvertrags vom 25. Oktober 2018 (beglaubigte Ablichtung Bl. 15–21
d.A.) dinglich auf die Antragstellerin übertragen. Gründe, die der Wirksamkeit dieser
Übertragung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund hat
das Nachlassgericht den beantragten Erbschein – ohne Nacherbenvermerk (vgl.
auch OLG Köln, Beschluss vom 22. November 2017 – 2 Wx 219/17 –, ZEV 2018,
S. 138 [140 Rn. 24] m.w.N.) – zu erteilen.
III.
Da die Beschwerde der Antragstellerin erfolgreich war, fallen im
Beschwerdeverfahren keine Gerichtskosten an,
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf
Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin durch
die Beteiligten zu 2. ist nicht geboten; insbesondere liegt kein Fall des § 81 Abs. 2
FamFG vor.
Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in
Bormann, in: Korintenberg, GNotKG, 21. Auflage 2020, § 36, Rn. 78 m.w.N.). Ziel
der Antragstellerin ist es, wie eine Vollerbin über den maßgeblich aus der
Eigentumswohnung bestehenden Nachlass verfügen zu können; ausweislich des
Übertragungsvertrags vom 25. Oktober 2018 ist ihr diesbezügliches wirtschaftliches
Interesse mit 10.000,00 € zu bemessen.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG
besteht kein Anlass.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Braunschweig
Erscheinungsdatum:13.05.2020
Aktenzeichen:3 W 74/20
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
NJW-RR 2020, 1082-1084
ZEV 2020, 687-691
BGB §§ 2069, 2108 Abs. 2 S. 1