BGH 24. September 2020
V ZB 90/19
WEG a. F. § 43 Nr. 1

Gerichtliche Zuständigkeit in Wohnungseigentumssachen bei Vertrag über Erwerb von Wohnungseigentum

letzte Aktualisierung: 10.12.2020
BGH, Beschl. v. 24.9.2020 – V ZB 90/19

WEG a. F. § 43 Nr. 1
Gerichtliche Zuständigkeit in Wohnungseigentumssachen bei Vertrag über Erwerb von
Wohnungseigentum

Ansprüche aus einem Vertrag über den Erwerb von Wohnungseigentum zählen nicht zu den in § 43
Nr. 1 WEG genannten Streitigkeiten; das gilt auch dann, wenn sie auf eine Änderung der
Gemeinschaftsordnung gerichtet sind und die Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin (nur)
aus den Vertragsparteien besteht.

Gründe:

I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
Die Anlage, zu der zwei Gebäude gehören, stand ursprünglich im Eigentum einer
Bank. Bereits vor der geplanten Aufteilung in Wohnungseigentum verkaufte die
Bank (im Folgenden: Verkäuferin) die Einheit Nr. 2, der das Sondereigentum an
einem der Gebäude zugeordnet ist, an die Beklagte. Der Kaufvertrag sah folgende
Klausel vor: Der Erwerber verpflichtet sich, gegen Bauvorhaben des jeweiligen
Eigentümers der Einheit Aufteilungsplan Nr. 1 keine Einwendungen zu
erheben, sofern diese baurechtlich zulässig sind . Die anschließend errichtete
Teilungserklärung hingegen enthält in diesem Punkt folgende Regelung: Soweit
rechtlich möglich, hat jeder Sondereigentümer das Recht, ohne die Zustimmung
der and
nehmen. Im Jahr 2014 erwarben die Kläger von der Verkäuferin die Einheit
Nr. 1, zu der das andere Gebäude gehört.

Gestützt auf abgetretene vertragliche Ansprüche der Verkäuferin verlangen
die Kläger von der Beklagten die Zustimmung zu einer Änderung der Teilungserklärung
dahingehend, dass die in dem Kaufvertrag enthaltene Regelung
vereinbart ist. Das Amtsgericht Calw hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember
2018 stattgegeben. In der Rechtsmittelbelehrung wird das Landgericht Tübingen
als zuständiges Berufungsgericht genannt. Die Beklagte hat die Berufung mit einem
am 15. Januar 2019 eingegangenen Schriftsatz bei dem gemäß § 72 Abs. 2
GVG für Wohnungseigentumssachen zuständigen Landgericht Stuttgart eingelegt.
Dort ist das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen worden.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde und beantragt
hilfsweise die Verweisung an das Landgericht Tübingen sowie die Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

II.
Das Berufungsgericht hält sich für unzuständig. Es handele sich nicht um
eine Berufung in Wohnungseigentumssachen im Sinne von § 72 Abs. 2 GVG.
Die allein in Betracht kommende Zuständigkeit gemäß § 43 Nr. 1 WEG setze voraus,
dass die anspruchsbegründenden Tatsachen in einem inneren Zusammenhang
mit dem Gemeinschaftsverhältnis stünden. Daran fehle es nach einhelliger
Auffassung, wenn schuldrechtliche Ansprüche nicht aus einer spezifisch wohnungseigentumsrechtlichen
Verbindung resultierten. So liege es hier, weil die
Klage ausschließlich auf den abgetretenen Anspruch auf Abänderung der Teilungserklärung
aus dem Kaufvertrag zwischen der Beklagten und der Verkäuferin
gestützt werde. Dass die Entscheidung Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung
der Parteien als Wohnungseigentümer habe, reiche für den Gemeinschaftsbezug
nicht aus.

III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte
Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig, weil es an den besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder ist eine
grundsätzliche Bedeutung anzunehmen noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer,
aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl.
dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488
Rn. 7 mwN).

1. Rechtsfehlerfrei verneint das Landgericht Stuttgart seine Zuständigkeit,
weil es sich nicht um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 72 Abs. 2 i.V.m.
§ 43 Nr. 1 WEG handelt.

a) Zu den Wohnungseigentumssachen gehören gemäß § 43 Nr. 1 WEG
unter anderem Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer
untereinander; diese Bestimmung ist weit auszulegen. Ausschlaggebend für die
Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die
Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von einem
Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende
Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus
dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist (vgl. zum
Ganzen Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 313/16, WuM 2020, 180
Rn. 6 mwN).

b) Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht
den Rechtsstreit nicht als Wohnungseigentumssache ansieht. Seinen Feststellungen
zufolge wird die Klage - wenn auch unter Hinweis auf § 10 Abs. 3
WEG und die angestrebte Bindung von späteren Sondernachfolgern - ausschließlich
auf abgetretene Ansprüche aus der kaufvertraglichen Rechtsbeziehung
zwischen der Verkäuferin und der Beklagten gestützt. Zwar hat das Amtsgericht
von sich aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG mit einem Satz geprüft und als
offenkundig nicht einschlägig angesehen. Der Klage hat es aber aus abgetretenem
Recht der Verkäuferin stattgegeben, und dagegen richtet sich die Berufung.
Maßgeblich ist deshalb, ob im Verhältnis zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien,
aus denen sich die Wohnungseigentümergemeinschaft jedenfalls zunächst
zusammensetzte, die Anforderungen des § 43 Nr. 1 WEG erfüllt sind.
Das ist nicht der Fall. Der Einordnung als Wohnungseigentumssache steht
zwar für sich genommen nicht entgegen, dass die Verkäuferin bereits vor Rechtshängigkeit
aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschieden ist (vgl.
Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 313/16, aaO Rn. 8 mwN). Wie das
Berufungsgericht richtig sieht, entspricht es aber einhelliger Ansicht, dass Ansprüche
aus einem Vertrag über den Erwerb von Wohnungseigentum nicht zu
den in § 43 Nr. 1 WEG genannten Streitigkeiten zählen (vgl. LG Frankfurt, ZWE
2014, 141 f.; Bärmann/Roth, WEG, 14. Aufl., § 43 Rn. 67; BeckOK WEG/Elzer
[1.8.2020], § 43 Rn. 139; Then in Spielbauer/Then, WEG, 3. Aufl., § 43 Rn. 10;
Niedenführ in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl., § 43
Rn. 21; so bereits für das vor dem 1. Juli 2007 geltende Recht Senat, Urteil vom
21. Juli 1974 - V ZR 164/72, BGHZ 62, 388, 389 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1983,
320; OLG Stuttgart, ZMR 1990, 190, 191); das gilt auch dann, wenn sie - wie
hier - auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet sind und die Wohnungseigentümergemeinschaft
weiterhin (nur) aus den Vertragsparteien besteht.

Der fehlende innere Zusammenhang mit einer Angelegenheit, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis
der Wohnungseigentümer erwachsen ist, liegt bei kaufvertraglichen
Übereignungs- oder Zahlungsansprüchen sowie hinsichtlich der Sachmängelhaftung
auf der Hand. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn ein Anspruch
auf Änderung der Teilungserklärung aus dem Kaufvertrag oder im Zusammenhang
damit - wie es das Amtsgericht hier angenommen hat - aus allgemeinen
Rechtsgrundlagen wie § 812 BGB abgeleitet wird; der Beklagte wird auch
dann nicht als Wohnungseigentümer, sondern als Vertragspartei in Anspruch genommen.
Eine Differenzierung - wie sie die Rechtsbeschwerde für angezeigt
hält - zwischen verschiedenen vertraglichen Ansprüchen oder danach, ob die
Vertragsparteien zugleich die Wohnungseigentümer sind, verbietet sich schon
wegen der aus Gründen der Rechtsmittelklarheit gebotenen Typisierung.

2. Ohne Erfolg beantragt die Rechtsbeschwerde eine Verweisung an das
zuständige Landgericht Tübingen in analoger Anwendung von § 281 ZPO. Die
Voraussetzungen für eine solche Verweisung sind nur dann gegeben, wenn die
Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte
Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren
Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann (vgl.
Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818
Rn. 11). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es entspricht - wie gezeigt -
einhelliger und zutreffender Ansicht, dass Ansprüche aus Erwerbsverträgen über
Wohnungseigentum keine Wohnungseigentumssachen sind.

3. Den Vortrag der Beklagten, wonach die zuständige Amtsrichterin auf
telefonische Nachfrage im Widerspruch zu der zutreffenden schriftlichen Rechtsmittelbelehrung
mitgeteilt habe, dass das Landgericht Stuttgart zuständig sei, hat
das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei als unerheblich angesehen. Denn den Hinweis
des Landgerichts Stuttgart auf die Unzuständigkeit hat die Beklagte nicht
zum Anlass genommen, Berufung bei dem zuständigen Landgericht Tübingen
einzulegen und dort Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
der Berufungsfrist zu beantragen. Nur im Rahmen eines solchen Wiedereinsetzungsantrags
vor dem zuständigen Berufungsgericht käme es darauf an,
ob Fehler des Gerichts kausal für die Versäumung der Frist waren und ob ein
unverschuldeter Rechtsirrtum anzunehmen ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom
9. März 2017 - V ZB 18/16, NZM 2017, 481 Rn. 13 ff.; Beschluss vom 28. September
2017 - V ZB 109/16, ZMR 2018, 233 Rn. 14 f.).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert
hat der Senat gemäß § 3 ZPO in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts
festgesetzt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

24.09.2020

Aktenzeichen:

V ZB 90/19

Rechtsgebiete:

WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

ZWE 2021, 53-55

Normen in Titel:

WEG a. F. § 43 Nr. 1