OLG Oldenburg 26. September 2022
3 W 55/22
BGB §§ 133, 2084, 2078 Abs. 2

Auslegung eines Testaments; Demenzerkrankung; Lebenspartnerschaft

letzte Aktualisierung: 4.1.2023
OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.9.2022 – 3 W 55/22

BGB §§ 133, 2084, 2078 Abs. 2
Auslegung eines Testaments; Demenzerkrankung; Lebenspartnerschaft

Es kann im Einzelfall dem hypothetischen Willen eines Erblassers entsprechen, dass, wenn er bei
bestehender Lebenspartnerschaft an Demenz erkrankt und er infolgedessen stationär untergebracht
werden muss, so dass die gelebte Partnerschaft in der bisherigen Form faktisch nicht mehr
fortgeführt werden kann, er weiterhin den Lebenspartner mit seinem hälftigen Erbe auch für den
Fall bedenken will, dass dieser sich nach Ausbruch der Demenzerkrankung einem neuen
Lebenspartner zuwendet und diesen heiratet.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 30. August 2022 Bezug.

Dieser lautete wie folgt:

„Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des am TT.MM.2021 verstorbenen AA (Erblasser).
Der Erblasser war verheiratet. Aus der mittlerweile geschiedenen Ehe ist die Beteiligte zu 1.
hervorgegangen.

Der Erblasser hat mit Testament vom 05.06.2005 den Antragsteller und seine Tochter zu Erben eingesetzt.
Unter dem 28.04.2016 bestellte der Erblasser dem Antragsteller ein Mitwohnungsrecht an seinem
Wohnhaus in Ort2. Zudem erteilte er ihm eine Vorsorgevollmacht. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser
aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in die DD Klinik in Ort3 eingeliefert und sodann ab dem 15.11.2016
stationär in der Pflegeeinrichtung EE betreut.

Am 15.08.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner.

Die Beteiligte zu 1. hat die am 05.06.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers form- und
fristgerecht aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist.
Zur Begründung ihrer Anfechtung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass
der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament
geändert hätte.

Das Amtsgericht hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen
Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Erbenstellung des Antragstellers und der Beteiligten zu 1. ergäben
sich aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom 05.06.2005. Danach seien die Beteiligte zu 1. und
der Erblasser zu Erben bestimmt worden. Eine wirksame Anfechtung der Beteiligten zu 1. läge nicht vor.
Diese sei zwar anfechtungsberechtigt, aber es läge kein Anfechtungsgrund vor. Es sei nicht davon
auszugehen, dass der Erblasser seine letztwillige Verfügung geändert hätte, wenn ihm bekannt geworden
wäre, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebenspartner zuwendet und diesen auch heiratet.
Maßgeblich sei letztendlich, dass die Beziehung des Erblassers mit dem Antragsteller an der
Demenzerkrankung des Erblassers scheiterte und nicht aufgrund eines Fehlverhaltens des Antragstellers.
Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrer form- und fristgerecht erhobenen Beschwerde. Eine
Auslegung des Testaments vom 05.06.2005 ergebe bereits, dass eine Erbenstellung des Antragstellers
nicht vorliege. Es sei der wirkliche Wille des Erblassers, dass sein Lebenspartner erbe. Zum Zeitpunkt des
Erbfalls sei der Antragsteller aber nicht mehr der Lebenspartner des Erblassers gewesen. Auf die
Anfechtung käme es daher gar nicht mehr an.

Soweit das Amtsgericht darauf abstelle, dass es sich nicht um eine willentliche Beendigung der
Lebenspartnerschaft gehandelt habe, könne dem nicht gefolgt werden. Der Erblasser habe immer deutlich
zum Ausdruck gebracht, dass er von einer dauerhaft bestehenden Lebenspartnerschaft ausgehe. Zudem
habe der Antragsteller auch zugesichert, dass er den Erblasser pflegen wolle. Der Antragsteller habe aber
die Erwartungen des Erblassers nicht erfüllt. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass der
Antragsteller schon 6 Monate vor dem Tod des Erblassers seinen neuen Lebenspartner ehelichte. Hätte
der Erblasser von diesem Umstand gewusst, hätte er sein Testament geändert. Er hätte das Bestehen
einer ehelichen Partnerschaft neben der nichtehelichen Partnerschaft in gesunden Zeiten unter keinen
Umständen akzeptiert. Aus dem Umstand, dass der Erblasser infolge seiner Erkrankung zur Änderung des
Testaments nicht mehr in der Lage war, kann nichts Anderes folgen. Der Beschluss sei daher aufzuheben.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Amtsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die für die Erteilung des Erbscheins
erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Der Antragsteller ist zu gleichen Teilen mit der Beteiligten zu 1. Erbe des am TT.MM.2021 verstorbenen
Erblassers AA geworden.

Das Testament vom 05.06.2005 ist nicht dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller nur Erbe sein
sollte, wenn er zum Zeitpunkt der Erbfolge noch der Lebenspartner des Erblassers ist. Ein entsprechender
ausdrücklicher Wille diesbezüglich findet sich nicht im Testament. Ein entsprechender Wille kann auch
nicht aus der Verwendung des Begriffs „Lebenspartner“ vor dem Namen des Antragstellers abgeleitet
werden. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Zusatz, um die Person des Erben näher zu
kennzeichnen. Gleichermaßen ist der Erblasser bei der Beteiligten zu 1. verfahren. Auch hier hat er die
Person der Beteiligten zu 1. durch den Zusatz „Tochter“ näher gekennzeichnet.

Das Testament vom 05.06.2005 ist auch nicht aufgrund der von der Beteiligten zu 1. erklärten Anfechtung
wegen eines Motivirrtums nichtig. Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, fehlt es an einem
Anfechtungsgrund. Ein Motivirrtum des Erblassers im Sinne des § 2078 Absatz 2 BGB kann nicht
festgestellt werden. Etwaige Zweifel gehen zu Lasten der Beteiligten zu 1., die bezüglich der
Voraussetzung der Anfechtung die Feststellungslast trägt.

Gemäß § 2078 Abs. 2 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, soweit der Erblasser zu
der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands
bestimmt worden ist. Darunter fällt jeder Motivirrtum, auch der durch arglistige Täuschung herbeigeführte.
Es ist gleichgültig, ob sich der Irrtum auf die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft bezieht (Bayerisches
Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. August 2002 – 1Z BR 58/02 –, Rn. 18 - 19, juris). Die
Anfechtung kann nur auf solche irrigen Vorstellungen und Erwartungen gestützt werden, die der Erblasser
bei der Errichtung der Verfügung tatsächlich gehabt hat; dazu gehören auch Vorstellungen und
Erwartungen, die er zwar nicht in sein Bewusstsein aufgenommen, aber als selbstverständlich seiner
Verfügung zugrunde gelegt hat (BGH NJW 1963, 246/247; BayObLG FamRZ 1984, 1270/1271 m.w.N.)
Mit der Beschwerde ist vorliegend davon auszugehen, dass jedenfalls die Vorstellung des Erblassers
seiner letztwilligen Verfügung als selbstverständlich zugrunde lag, dass der Antragsteller und der Erblasser
fortdauernd Lebenspartner sind. Dies gilt auch, obwohl eine eingetragene Lebenspartnerschaft zwischen
dem Antragsteller und dem Erblasser nicht bestand. Soweit die Beschwerdeführerin auch auf die
Zusicherung der fortwährenden Pflege abstellt, lag diese Vorstellung zum Zeitpunkt der Errichtung des
Testaments ersichtlich noch nicht vor. Jedenfalls vermochte die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde
keine Umstände vorzutragen, dass ein entsprechendes Pflegemotiv des Erblassers bereits bei
Testamentserrichtung vorlag.

Weiter erfordert aber die Anfechtung wegen eines Motivirrtums auch, dass der Irrtum für die Verfügung
bestimmend oder zumindest derartig mitbestimmend gewesen ist, dass der Erblasser diese ohne die irrige
Vorstellung nicht getroffen hätte. Danach ist eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser
(u.a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, zwar dann grundsätzlich unwirksam, wenn die
Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn anzunehmen ist, dass der
Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den
hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an (vgl.
BGH, Urteil vom 3. Mai 1961 – V ZR 154/59 –, juris).

Vorliegend ist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles von einer derartigen Ausnahme
auszugehen.

Mit dem Amtsgericht ist der Senat davon überzeugt, dass es dem hypothetischen Willen des Erblassers
zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments entsprach, dass, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte, dass
er bei bestehender Lebenspartnerschaft an Demenz erkrankt und er infolgedessen stationär untergebracht
werden muss, so dass im Ergebnis die bis zur Demenzerkrankung gelebte Partnerschaft in ihrer bisherigen
Form faktisch nicht mehr fortgeführt werden kann, er weiterhin den Antragsteller mit seinem hälftigen Erbe
bedacht und das Testament nicht geändert hätte. Insoweit reicht es nicht aus, allein auf das Bestehen oder
Nichtbestehen der Lebenspartnerschaft als (mit-) bestimmendes Motiv für die Errichtung des Testaments
abzustellen. Erforderlich ist auch, auf die weiteren tatsächlichen Umstände abzustellen. Das Amtsgericht
führt insoweit zu Recht aus, dass die Beziehung des Erblassers mit dem Antragsteller nicht daran
scheiterte oder beendet wurde, weil beide sich auseinandergelebt hatten oder sich der Antragsteller
während laufender Lebenspartnerschaft einem neuen Lebenspartner in schuldhafter Weise zugewandt
hatte, sondern dass die Beziehung letztlich aufgrund der Demenz des Erblassers faktisch nicht mehr
gelebt werden konnte und damit nicht willentlich vom Erblasser oder Antragsteller beendet wurde. Dieser
Umstand ist bei der Erforschung des hypothetischen Willens des Erblassers miteinzubeziehen. Im
Ergebnis gelangt auch die Beschwerdeführerin zu diesem Ergebnis, indem sie anführt, dass der Erblasser
das Bestehen einer ehelichen Partnerschaft zu dem heutigen Ehegatten neben der nichtehelichen
Partnerschaft zum Antragsteller in gesunden Zeiten unter keinen Umständen akzeptiert hätte. Dem vermag
der Senat vollumfänglich zu folgen. Nur berücksichtigt diese Aussage nicht, dass der Erblasser seit 2016
eben nicht mehr gesund, sondern an Demenz erkrankt war und in der Folge nicht mehr handlungsfähig
war und stationär gepflegt werden musste. Dieser Umstand ist mit zu berücksichtigen. Bis zur Einweisung
haben der Erblasser und der Antragsteller die Lebenspartnerschaft ohne Einschränkung gelebt und
geführt. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt Bestand. Gegenteiliges wird auch von der Beschwerdeführerin
nicht vorgetragen.

Im Ergebnis ist damit nicht davon auszugehen, dass der Erblasser bei Kenntnis von seiner
schwerwiegenden Demenzerkrankung anders testiert hätte. Es fehlt damit an der erforderlichen Kausalität
für eine wirksame Anfechtung. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.“

Die Ausführungen der Beteiligten zu 1. im Schriftsatz vom 20.09.2022 geben zu einer anderen
Betrachtungsweise keine Veranlassung.

Im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs „Lebenspartner“ bleibt es bei der bisherigen Wertung durch
den Senat. Aus der Bewilligungsurkunde vom 28.04.2016 folgt nichts anderes, zumal diese 11 Jahre nach
dem Testament errichtet wurde und somit nur bedingte Aussagekraft zum damaligen Willen des Erblassers
hat. Die konkrete Ausgestaltung des eingeräumten Wohnrechts kann nicht mit den Voraussetzungen für
die Erbeinsetzung und der damit verbundenen Absicherung des Antragstellers gleichgesetzt werden. Beim
Wohnrecht geht es um das konkrete Zusammenleben, das bei einem Streit faktisch den Beteiligten und
insbesondere dem Erblasser nicht mehr zumutbar ist.

Im Übrigen verbleibt es bei der vom Senat vorgenommenen Auslegung des hypothetischen Willens des
Erblassers. Die Beteiligte zu 1. berücksichtigt im Rahmen ihrer Auslegung nicht hinreichend den
maßgeblichen Umstand der Demenzerkrankung des Erblassers. Dieser Umstand ist mit zu
berücksichtigen. Insoweit hatte der Senat bereits ausgeführt, dass bis zur Einweisung der Erblasser und
der Antragsteller die Lebenspartnerschaft ohne Einschränkung gelebt und geführt hatten. Sie hatte bis zu
diesem Zeitpunkt Bestand. Auch danach besuchte der Antragsteller den Erblasser regelmäßig einmal
wöchentlich an seinem freien Tag und hat damit auch nach der Demenzerkrankung seine Verbundenheit
zum Erblasser zum Ausdruck gebracht. Insoweit reicht es nicht aus, allein auf das Bestehen oder
Nichtbestehen der Lebenspartnerschaft als (mit-) bestimmendes Motiv für die Errichtung des Testaments
abzustellen. Erforderlich ist auch, auf die weiteren tatsächlichen Umstände abzustellen. Das Amtsgericht
hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass die Beziehung des Erblassers mit dem Antragsteller nicht daran
scheiterte oder beendet wurde, weil beide sich auseinandergelebt hatten oder sich der Antragsteller
während laufender Lebenspartnerschaft einem neuen Lebenspartner in schuldhafter Weise zugewandt
hatte, sondern dass die Beziehung letztlich aufgrund der Demenz des Erblassers faktisch nicht mehr
gelebt werden konnte und damit nicht willentlich vom Erblasser oder Antragsteller beendet wurde. Hätte
der Erblasser Kenntnis davon gehabt, dass er bei bestehender Lebenspartnerschaft an Demenz erkrankt,
er infolgedessen stationär untergebracht werden muss, so dass im Ergebnis die bis zur
Demenzerkrankung gelebte Partnerschaft in ihrer bisherigen Form faktisch nicht mehr fortgeführt werden
kann und sich sein Partner auch nach der Unterbringung in einem Pflegeheim sich weiterhin um ihn
kümmert und sich nicht von ihm abwendet, hätte er zur Überzeugung des Senats weiterhin den
Antragsteller auch für den Fall der Heirat des Partners mit einem neuen Lebenspartner mit seinem
hälftigen Erbe bedacht und das Testament nicht geändert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 S. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG, wobei der Senat
von einem Gesamtnachlass ausweislich der im Verfahren getätigten Angaben zum Nachlass von bis zu
400.000 € ausgeht.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Die Sache hat weder eine grundsätzliche Bedeutung noch
erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Entsprechende Gründe wurde auch von der
Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Oldenburg

Erscheinungsdatum:

26.09.2022

Aktenzeichen:

3 W 55/22

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 133, 2084, 2078 Abs. 2