BFH 17. Juni 2020
II R 40/17
BGB §§ 1960 Abs. 1 S. 2; AO §§ 119 Abs. 1, 162 Abs. 1; ErbStG §§ 20 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 6, 32 Abs. 2

Erbschaftssteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben

letzte Aktualisierung: 25.11.2020
BFH, Urt. v. 17.6.2020 – II R 40/17

BGB §§ 1960 Abs. 1 S. 2; AO §§ 119 Abs. 1, 162 Abs. 1; ErbStG §§ 20 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 6, 32
Abs. 2
Erbschaftsteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben

1. Die Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit
zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln.
2. Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von
einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und
fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden,
Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festzusetzen.
3. Der Bescheid ist dem Nachlasspfleger bekanntzugeben.

Entscheidungsgründe

II.
Der Senat ist durch die Aufhebung der Nachlasspflegschaft (§§ 1919, 1962 BGB) während des Revisionsverfahrens nicht an einer Entscheidung über die Revision gehindert. Die anstelle der unbekannten Erben i.S. des § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB in das Verfahren eingetretenen Erben des Erblassers sowie die Kinder einer bereits verstorbenen Erbin führen das Verfahren als Kläger ohne Unterbrechung oder Aussetzung fort.

1. Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung wegen Prozessunfähigkeit nach § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 241 Abs. 1 Alternative 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) liegen nicht vor. Mit der Aufhebung der Nachlasspflegschaft endete nicht nur die gesetzliche Vertretung der Kläger durch den Nachlasspfleger (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.03.1982 - VIII R 227/80, BFHE 135, 406, BStBl II 1982, 687), sondern auch die Prozessunfähigkeit der Kläger gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 53 ZPO (vgl. Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17.08.1990 - BReg 1 a Z 36/89, Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht 1991, 230, unter II.1.c; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl., § 1960 Rz 107; Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 1960 Rz 17; Soergel-Stein, BGB, 12. Aufl., § 1960 Rz 58; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 5. Aufl., Rz 875; Zimmermann, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2011, 631, 635).

2. Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung wegen Anwaltsverlusts sind nicht erfüllt. Nach den §§ 62 Abs. 4, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 244 Abs. 1 Alternative 2 ZPO tritt eine Unterbrechung des Verfahrens vor dem BFH ein, wenn der Prozessbevollmächtigte unfähig wird, die Vertretung des Beteiligten fortzuführen. Die Aufhebung der Nachlasspflegschaft hat im Streitfall aber nicht zum Wegfall des Prozessbevollmächtigten geführt. Der Nachlasspfleger hatte die anwaltliche Vertretung der Kläger im Revisionsverfahren nicht --ähnlich dem § 62 Abs. 4 Satz 5 FGO-- selbst übernommen, sondern seine Rechtsanwaltssozietät bevollmächtigt. Diese konnte die Vertretung aufgrund der erteilten Vollmacht fortsetzen. Die Auflösung der Sozietät mit der Folge, dass der vormalige Nachlasspfleger die Kläger als Einzelanwalt vertritt, ist erst nach Aufhebung der Nachlasspflegschaft erfolgt. Der ehemalige Nachlasspfleger hat die Auflösung der Sozietät dem BFH mit Schreiben vom 11.01.2020 ordnungsgemäß mitgeteilt und gleichzeitig angezeigt, dass nunmehr er allein zur Prozessvertretung der Kläger bevollmächtigt sei.

3. Es kann dahinstehen, ob im Falle der Aufhebung einer Nachlasspflegschaft die entsprechende Anwendung des § 239 ZPO (Ziegltrum, Sicherungs- und Prozesspflegschaft, S. 231 f.), des § 243 ZPO (BeckOGKBGB/Heinemann, § 1960 Rz 165) oder ggf. des § 242 ZPO (Staudinger/Mešina (2017), BGB, § 1960 Rz 60) geboten ist. Im Streitfall wurde das Verfahren nicht unterbrochen, da die Kläger durch einen Bevollmächtigten (vgl. § 86 ZPO) vertreten sind und weder dieser noch das FA eine Aussetzung des Verfahrens beantragt hat (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO).

III.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von dem FA gegenüber den unbekannten Erben vorgenommene Festsetzung von Erbschaftsteuer im Wege einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht zu beanstanden ist.

1. Eine Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig. Der Änderungsbescheid vom 24.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.01.2016 verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des § 119 Abs. 1 AO.

a) Ein Verwaltungsakt muss gemäß § 119 Abs. 1 AO inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Er ist nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO). Ein solcher Mangel liegt vor, wenn dem Verwaltungsakt nicht hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird. Konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts ist daher die Angabe des Inhaltsadressaten, d.h. desjenigen, demgegenüber der Einzelfall geregelt werden soll (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 25.07.2019 - IV R 61/16, BFHE 265, 285, Rz 25, m.w.N.).

b) Bei einem Erbschaftsteuerbescheid ist Inhaltsadressat der Steuerschuldner. Schuldner der Erbschaftsteuer ist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 ErbStG der Erwerber. Beim Erwerber handelt es sich um die Person, die durch den Erbanfall bereichert wurde (vgl. BFH-Urteil vom 14.09.1994 - II R 95/92, BFHE 176, 44, BStBl II 1995, 81). Dies ist in der Regel der Erbe (vgl. § 1922 Abs. 1 BGB).

c) Sind die Erben noch nicht bekannt und besteht eine Nachlasspflegschaft (§ 1960 Abs. 2, § 1961, § 1962 BGB), kann Erbschaftsteuer gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben i.S. des § 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB ist als zunächst abstraktes Subjekt, das sich später als eine Person oder --wenn der Nachlasspfleger nicht von vornherein als Pfleger für eine Einzelperson bestellt worden ist-- als eine Mehrheit konkreter Personen erweisen kann, ein Steuerschuldner vorhanden, der Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein kann (BFH-Beschluss vom 21.12.2004 - II B 110/04, BFH/NV 2005, 704).

aa) Diese Vorstellung liegt den Regelungen in § 31 Abs. 6 und § 32 Abs. 2 ErbStG zugrunde. Gemäß § 31 Abs. 6 ErbStG ist ein Nachlasspfleger zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist der Erbschaftsteuerbescheid dem Nachlasspfleger bekanntzugeben. Jener hat auch für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Diese Bestimmungen erfassen nicht nur Sachverhalte, bei denen die Erben bereits bekannt sind, die Nachlasspflegschaft aber noch nicht aufgehoben worden ist (dazu BFH-Urteil in BFHE 135, 406, BStBl II 1982, 687), oder Fälle, in denen die Annahme der Erbschaft noch nicht erfolgt oder ungewiss ist. Der Gesetzgeber wollte vielmehr Regelungen für den gesamten Anwendungsbereich der Nachlasspflegschaft und damit auch für die bedeutende Fallgruppe der unbekannten Erben treffen. Nach seiner Vorstellung sollte die Festsetzung von Erbschaftsteuer während der Nachlasspflegschaft daher auch gegenüber unbekannten Erben als Inhaltsadressaten möglich sein (vgl. Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes, BTDrucks VI/3418, S. 76, zu § 30 ErbStG a.F.; vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 704, unter II.2.a, m.w.N.).

bb) § 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 ErbStG erfordert keine andere Auslegung. Danach hat der Nachlasspfleger auf Verlangen der Finanzbehörde aus dem Nachlass Sicherheit zu leisten. Die Vorschrift wird entgegen der Ansicht der Kläger nicht dadurch obsolet, dass Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festgesetzt werden kann. Solange die Steuer nicht vollständig entrichtet ist, können vielerlei Gründe vorliegen, vom Nachlasspfleger Sicherheiten (§§ 241 ff. AO) zu fordern. Fehlen etwa liquide Mittel zur Steuerzahlung oder ist zu befürchten, dass Nachlassgegenstände an vorhandene Erben herausgegeben werden, kann die Finanzbehörde von dieser Befugnis Gebrauch machen. Einer Steuerfestsetzung steht die Möglichkeit, nach § 32 Abs. 1 Satz 3 ErbStG Sicherheiten zu verlangen, nicht entgegen.

cc) Der Erlass nur eines Bescheids gegen eine Mehrzahl unbekannter Erben missachtet nicht den Grundsatz, dass jeder Erwerber lediglich die Steuer für seinen eigenen Erwerb schuldet (§ 10 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Dieses Prinzip hat zur Folge, dass jedem Erwerber ein gesonderter Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO) zu erteilen ist (vgl. BFH-Urteil vom 27.03.1968 - II 98/62, BFHE 91, 434, BStBl II 1968, 376, unter IV.3.a). Dem widerspricht die Steuerfestsetzung gegen mehrere unbekannte Erben nicht. Bei der Rechtsfigur der unbekannten Erben handelt es sich nicht um eine Erbengemeinschaft, d.h. eine Mehrheit von Steuerschuldnern, sondern um ein abstraktes Subjekt, dem der Gesetzgeber die Qualität eines Steuerschuldners beigemessen hat (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 704, unter II.2.b). Der Erlass nur eines Bescheids gegen dieses Subjekt ist folgerichtig.

dd) Fragen der Steuererhebung und -vollstreckung sowie der Verwirkung von Säumniszuschlägen lassen sich entgegen dem Einwand der Kläger ohne Systemverstoß beantworten. Als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben hat der Nachlasspfleger deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO). Er hat die festgesetzte Erbschaftsteuer aus dem Nachlass zu entrichten (§ 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 ErbStG, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO) und die Vollstreckung in diesen zu dulden (§ 77 Abs. 1 AO). Ein Duldungsbescheid ergeht gegen den Nachlasspfleger, nicht gegen die unbekannten Erben. Ist aus dem Nachlass zu Unrecht Erbschaftsteuer bezahlt worden, sind die unbekannten Erben Inhaber des Erstattungsanspruchs. Verfügungsberechtigt und daher empfangszuständig für die Erstattung ist der Nachlasspfleger (vgl. BFH-Urteil vom 18.06.1986 - II R 38/84, BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704, zum Testamentsvollstrecker). Säumniszuschläge (§ 240 AO) schulden primär die unbekannten Erben. Der Nachlasspfleger kommt insoweit nur als Haftungsschuldner in Frage (§ 69 Satz 2 AO).

2. Sind die Erben noch nicht ermittelt und benannt, sind die Besteuerungsgrundlagen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO zu schätzen.

a) Zu den zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen gehören die Anzahl der Erben und die Größe der Erbteile, d.h. die jeweilige Erbquote. Auch bei den tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einteilung der Erben in Steuerklassen (§ 15 ErbStG) und für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge (§§ 16, 17 ErbStG) handelt es sich um Besteuerungsgrundlagen, die einer Schätzung zugänglich sind (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 704).

b) Eine Befugnis zur Schätzung besteht erst, wenn der Nachlasspfleger ausreichend Zeit hatte, seine Pflicht zur Erbenermittlung und seine Mitwirkungspflichten aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 90 AO zu erfüllen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 704). Welcher Zeitraum hierfür angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Beispielsweise sind Verzögerungen bei der Bestellung des Nachlasspflegers in die Beurteilung einzubeziehen. In der Regel ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, angemessen (gleicher Ansicht Jochum in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 32 ErbStG Rz 15, Stand 01.11.2018). Besondere Schwierigkeiten bei der Erbenermittlung, wie genealogische Recherchen im Ausland oder fehlende Urkunden bei Sachverhalten der Auswanderung, des Krieges, der Flucht oder der Vertreibung, können in dem zu beurteilenden Einzelfall den Zeitraum angemessen verlängern.

c) Die Schätzungsbefugnis steht im Verwaltungsverfahren der Finanzbehörde zu. Sie hat das Recht zur Schätzung sowohl im Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren (§ 162 Abs. 1 AO) als auch im Einspruchsverfahren (§ 365 Abs. 1 i.V.m. § 162 Abs. 1 AO). Zu berücksichtigen sind alle Tatsachen, die bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung der Finanzbehörde bekannt werden. Ist bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung mehr als ein Jahr seit dem Tod des Erblassers vergangen und konnten die Erben in diesem Zeitraum nicht ermittelt und der Finanzbehörde bekanntgegeben werden, hat diese in der Regel die Befugnis, die Besteuerungsgrundlagen --wie unter III.2.a angeführt-- zu schätzen.

Die Schätzung der Finanzbehörde ist im Klageverfahren durch das FG vollumfänglich nachprüfbar (vgl. BFH-Urteile vom 17.10.2001 - I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171, unter III.2.b, und vom 19.09.2018 - II R 20/15, BFH/NV 2019, 193, Rz 24). Das FG hat überdies eine eigene Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 AO. Seiner Verpflichtung kommt das Gericht bereits nach, wenn es die Schätzung der Finanzbehörde überprüft und als eigene übernimmt. Insoweit macht das FG von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch (vgl. BFH-Beschluss vom 12.10.2005 - VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326). Die Pflicht zur vollumfänglichen Prüfung der von der Finanzbehörde vorgenommenen Schätzung durch das FG führt dazu, dass die Schätzung der Finanzbehörde noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zutreffend sein muss oder anderenfalls zu ändern ist (Oellerich in Gosch, AO § 162 Rz 72; Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz 60). Das FG muss klären, ob dem Grunde nach weiterhin eine Schätzung geboten ist und in welcher Höhe die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind (Oellerich in Gosch, AO § 162 Rz 72). Werden die --zunächst unbekannten-- Erben bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG ermittelt, ist eine Schätzungsbefugnis nicht mehr gegeben.

d) Hat das FG die Schätzung der Finanzbehörde nach vollumfänglicher Prüfung übernommen und insoweit eine eigene Schätzung vorgenommen (vgl. unter III.2.c), ist diese Schätzung Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, an die der BFH gebunden ist. Er kann sie daher nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war, ob sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d.h., ob das Ergebnis der Schätzung schlüssig und plausibel ist (vgl. BFH-Urteile vom 09.11.2017 - III R 20/16, BFHE 260, 113, BStBl II 2018, 278, Rz 19, und vom 13.12.2018 - V R 65/16, BFH/NV 2019, 303, Rz 31, beide m.w.N.).

3. Nach diesen Maßgaben ist die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden. Das FG hat nicht selbst geschätzt, sondern sich die Schätzung des FA in dem Änderungsbescheid vom 24.09.2015 ohne Rechtsfehler zu eigen gemacht.

a) Wie durch das FG ausgeführt, war das FA zur Schätzung der Zahl der Erben, der Erbquoten und des persönlichen Verhältnisses des jeweiligen Erben zum Erblasser nach § 15 Abs. 1 sowie § 16 Abs. 1 ErbStG befugt, da es diese Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln konnte (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Schätzungsbefugnis lag noch am Tag der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des FG, an dem die Erben nach wie vor nicht bekannt waren, vor. Die Schätzung erfolgte aus der Sicht des FG auch nicht verfrüht. Die mündliche Verhandlung vor dem FG, auf deren Grundlage das Gericht entschieden hat, fand ca. drei Jahre und fünf Monate nach dem Tod des Erblassers statt. Nach Ablauf dieser Zeit ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen angemessen, Erbschaftsteuer ohne Kenntnis der Erben festzusetzen. Deren Interessen werden --wie im Streitfall-- durch die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks hinsichtlich der Zahl der Erben, deren Erbquoten und der tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Einteilung in Steuerklassen sowie für die Bestimmung persönlicher Freibeträge in den Bescheid (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO) gewahrt.

b) Die mit 30 geschätzte Zahl der Erben entspricht der Erklärung des Nachlasspflegers. Die Annahme, keiner der Erben werde die Erbschaft ausschlagen, ist nachvollziehbar, da der Erblasser umfangreiches Vermögen hinterlassen hat. Die Einordnung der Erben in die Steuerklasse III nach deren persönlichem Verhältnis zum Erblasser (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse III ErbStG) begegnet keinen Bedenken; sie wurde auch nicht mit der Revision angegriffen. Die weiteren Annahmen sind nachvollziehbar und wirken sich im Ergebnis sämtlich steuermindernd aus. Das betrifft insbesondere die Annahme gleicher Erbquoten. Die in dieser Vereinfachung liegende Ungenauigkeit ist hinzunehmen, weil sie notwendig mit einer Schätzung, die in Unkenntnis der Erben erfolgt, verbunden ist. Dem Einwand der Kläger, das FA habe nicht davon ausgehen dürfen, der Erwerb jedes Erben übersteige den für Personen der Steuerklasse III vorgesehenen Freibetrag, hat das FG zu Recht entgegengehalten, dass sich diese Schätzung zugunsten der unbekannten Erben auswirkt. Sie hat zur Folge, dass ein größtmöglicher Teil des Gesamterwerbs gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG steuerfrei bleibt. Entsprechendes gilt für die angesichts des Umfangs des Nachlasses naheliegende Annahme, keiner der Erben werde die Erbschaft ausschlagen. Der insgesamt zu gewährende Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG steigt mit der Anzahl der Erben. Auf die Steuerlast des einzelnen Erben kommt es insoweit nicht an, denn die Festsetzung richtet sich nicht gegen diesen, sondern gegen die Rechtsfigur der unbekannten Erben als abstraktes Steuersubjekt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BFH

Erscheinungsdatum:

17.06.2020

Aktenzeichen:

II R 40/17

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Sonstiges Steuerrecht
Gesetzliche Erbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

NJW 2020, 3806-3808

Normen in Titel:

BGB §§ 1960 Abs. 1 S. 2; AO §§ 119 Abs. 1, 162 Abs. 1; ErbStG §§ 20 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 6, 32 Abs. 2