Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung mangels vorsätzlicher Straftat von einem Jahr bei Gesamtstrafe oder Summe mehrerer Einzelstrafen in dieser Höhe
letzte Aktualisierung: 4.8.2021
LG Köln, Teilurt. v. 21.10.2020 – 24 O 394/19 – bestätigt durch OLG Köln, Beschl. v. 21.01.2021 – 24 U 144/20
BGB §§ 2314 Abs. 1, 2333 Abs. 1 Nr. 4, 2336 Abs. 2 S. 2
Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung mangels vorsätzlicher Straftat von einem Jahr
bei Gesamtstrafe oder Summe mehrerer Einzelstrafen in dieser Höhe
1. Eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung oder die Addition
mehrerer (Gesamt-)Freiheitsstrafen, die in der Summe zu mindestens einem Jahr führen, ist für
eine Entziehung des Pflichtteils nach
Vorstellungen des Gesetzgebers soll es auf die Schwere des sozialwidrigen Verhaltens des
Pflichtteilsberechtigten ankommen, die in der „einen“ Straftat ihren Niederschlag gefunden hat.
2.
Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Es ist jedoch anerkannt, dass der
Erblasser zumindest einen „Sachverhaltskern“ angeben muss, mithin eine substantiierte
Bezeichnung, die es erlaubt festzustellen, weshalb der konkrete Pflichtteil entzogen worden ist und
auf welchen Lebenssachverhalt sich der Erblasser bezieht.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat hinsichtlich des zur Entscheidung gestellten Klageantrags zu 1)
Erfolg.
I.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus § 2314 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Vorlage
eines notariellen Nachlassverzeichnisses einschließlich der im Klageantrag unter 1.a) bis
1.k) konkretisierten Auskünfte zu. Der Kläger hat zudem Anspruch darauf, dass bei dessen
Aufnahme er selbst sowie sein rechtlicher Beistand hinzugezogen werden.
1.
Die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs gemäß § 2314 Abs. 1 BGB liegen vor.
a)
Der Kläger ist als Sohn des Erblassers Pflichtteilsberechtigter gemäß
Er ist durch Verfügung von Todes wegen nicht Erbe geworden. Alleinerbin ist die Beklagte,
sie ist somit Anspruchsgegnerin.
b)
Die vom Erblasser in Ziffer VI seines notariellen Testaments vom 23.09.2015 geregelte
Pflichtteilsentziehung ist unwirksam.
Der Erblasser hat die in seinem Testament vom 23.09.2015 unter Ziffer VI angeordnete
Pflichtteilsentziehung ausdrücklich auf
Abs. 1 Nr. 4 BGB normierte Entziehungsgrund setzt voraus, dass der Abkömmling wegen
einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne
Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass
deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gemäß
zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung die Tat begangen sein und der Grund für
die Unzumutbarkeit vorliegen.
aa)
Es fehlt an den objektiven Voraussetzungen des Entziehungstatbestandes.
Weder hat die Beklagte aufgezeigt, noch ist sonst ersichtlich, dass der Kläger am
23.09.2015 eine vorsätzliche Straftat begangen hatte, wegen derer er zu einer
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde.
In den von den Beklagten in Bezug genommenen Entscheidungen ist eine solche
Verurteilung nicht erfolgt. Durch Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach –
Aktenzeichen: 46 Ds 707/11 – vom 13.12.2013 ist der Kläger zwar u.a. wegen Betrugs zu
vier Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt wurden. Bereits die gebildeten vier
Gesamtfreiheitsstrafen lagen jedoch jeweils unterhalb eines Jahres. Auch die Verurteilung
des Klägers durch Urteil des Amtsgerichts Bergisch Gladbach – Aktenzeichen: 46 Ds
393/14 – vom 20.05.2015 erfolgte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und
beträgt damit weniger als ein Jahr. Den Verurteilungen liegt damit keine Einzeltat
zugrunde, die eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr nach
sich gezogen hat.
Dass eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung oder gar die
Addition mehrerer (Gesamt-)Freiheitsstrafen, die in der Summe zu mindestens einem Jahr
führen, für
dieser Norm entnehmen noch mit deren Zweck vereinbaren. Nach den Vorstellungen des
Gesetzgebers soll es auf die Schwere des sozialwidrigen Verhaltens des
Pflichtteilsberechtigten ankommen, die in der „einen“ Straftat ihren Niederschlag gefunden
hat (vgl. LG Bonn, Teilurteil vom 18.12.2019, 2 O 66/19,
juris, Rn. 34). Der Gesetzgeber stellt auf den Unrechtsgehalt der Tat ab, der durch die
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zum
Ausdruck kommt. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist daher auf die jeweiligen
Einzelstrafen abzustellen (vgl. LG Bonn, a.a.O., Rn. 34Lange in: Münchener Kommentar
zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2333 Rn. 44). Eine andere Betrachtung würde der
gesetzgeberischen Intention nicht gerecht. Der Testierfreiheit des Erblassers werden durch
die Regelungen über das Pflichtteilsrecht Grenzen gesetzt. Dies ist nach der Vorstellung
des Gesetzgebers gerechtfertigt durch die engen familienrechtlichen Beziehungen
zwischen Erblasser und Berechtigtem und soll eine gesetzliche Mindestteilhabe
gewährleisten. Die Entziehung des Pflichtteils ist der schwerste Eingriff in die
verfassungsrechtlich geschützte Position des Pflichtteilsberechtigten (BT-Drs.16/8954, S.
22). Daher können nur schwere schuldhafte Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten die
grundsätzlich gesetzlich abgesicherte Mindestteilhabe am Erblasservermögen in Frage
stellen. Bei deren Beurteilung auf die Einzelstrafe abzustellen ist gerechtfertigt, weil der
konkreten Straftat dieses Gewicht zukommen muss. Dies wird auch daran deutlich, dass in
den Gesetzesmaterialien ausgeführt ist, dass der Gesetzgeber (deshalb) darauf verzichtet
hat, die Regelung an ein Verbrechen anzuknüpfen, damit vor allem schwere Vergehen aus
dem Sexualstrafrecht erfasst werden (BT-Drs.16/8954, S. 24). Daraus lässt sich erkennen,
dass das schwere sozialwidrige Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten sich gerade in
der konkreten (Einzel-)Tat niedergeschlagen haben muss. Andernfalls führte dies dazu,
dass unter Umständen auch die Verwirklichung von weniger schwerwiegenden Vergehen –
wie beispielsweise „Schwarzfahren“ – die gesetzlich grundsätzlich vorgesehene
Mindestteilhabe des Pflichtteilsberechtigten verhindern könnte, sofern der
Pflichtteilsberechtigte diesen Straftatbestand nur hinreichend häufig verwirklicht, um hierfür
schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung
verurteilt zu werden. Für ein solch weites Verständnis der gesetzlichen Regelung, das im
Wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, bleibt mit Blick auf die Schwere des Eingriffs
in eine Position des Pflichtteilsberechtigten kein Raum.
bb)
Darüber hinaus bestehen durchgreifende Bedenken daran, dass die Pflichtteilsentziehung
im Testament vom 23.09.2015 den in § 2336 BGB normierten Formerfordernissen genügt.
Gemäß § 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB muss für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4
BGB die Tat zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung begangen sein sowie der
Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen und beides muss in der Verfügung angegeben
werden. Dabei muss die Angabe hinreichend konkret erfolgen, sodass später geklärt
werden kann, auf welchen konkreten Umstand sich die Entziehung gründet und ob sie
gerechtfertigt ist. Zwar schreibt die Norm nicht vor, auf welche Weise und in welchem
Umfang der Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Es ist jedoch
anerkannt, dass der Erblasser zumindest einen „Sachverhaltskerns“ angeben muss, mithin
eine substantiierte Bezeichnung, die es erlaubt festzustellen, weshalb konkrete Pflichtteil
entzogen worden ist und auf welchen Lebenssachverhalt sich der Erblasser bezieht (vgl.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.2019, 7 U 134/18,
Rn. 29; Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2336 Rn. 11).
Die in Ziffer VI. des notariellen Testaments vom 23.09.2015 enthaltene Formulierung
„mehrfach strafbare Handlungen begangen, wegen derer er zum Teil auch bereits
strafrechtlich verurteilt worden ist“, lässt nicht erkennen, welche konkreten Sachverhalte
dem Erblasser vor Auge standen. Selbst wenn die Auffassung der Beklagten zuträfe, dass
insoweit auf die erfolgten Verurteilen zur Auslegung zurückgegriffen werden könnte, was
bereits nicht frei von Bedenken ist, so lässt die Formulierung jedoch erkennen, dass die
Verurteilungen nur ein Ausschnitt der strafbaren Handlungen sind („zum Teil“), die der
Erblasser meinte. Ob ihn bereits die abgeurteilten Taten oder nur deren Zusammenschau
mit weiteren, nicht näher konkretisierte Taten zu der Einschätzung geführt haben, die
Teilhabe des Klägers an seinem Nachlass sei ihm unzumutbar, lässt sich der Formulierung
in Ziffer VI des Testaments nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnehmen.
cc)
Ob die Pflichtteilsentziehung wirksam wäre, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen
einer der in § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB geregelten Entziehungsgründe vorläge, oder
ob dem entgegen stünde, dass der Erblasser die Pflichtteilsentziehung ausdrücklich auf §
2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB gestützt hat, kann offen bleiben. Denn Gründe, die eine Entziehung
gemäß § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB rechtfertigen könnten, sind in Ziffer VI des
notariellen Testaments vom 23.09.2015 nicht – wie dies § 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB
erfordert – angegeben.
Soweit dort angegeben ist, die Straftaten hätten sich zum Teil auch gegen
Familienangehörige gerichtet, ist dies für die Angabe von Umständen, die einen der
Entziehungstatbestände in § 2333 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB begründen würden, nicht
ausreichend.
2.
Nach § 2314 Abs.1 Satz 1 BGB hat der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten Auskunft über
den Bestand des Nachlasses zu erteilen. In zeitlicher Hinsicht kommt es dabei auf den
Stand beim Erbfall an. In gegenständlicher Hinsicht erfordert der Zweck des
Auskunftsanspruchs, der Beweisnot des Pflichtteilsberechtigten abzuhelfen, nicht eine
enge, sondern eine weite Grenzziehung: Zum auskunftspflichtigen Bestand des
Nachlasses gehören daher nicht nur die (beim Erbfall) tatsächlich vorhandenen
Nachlassgegenstände (reale Nachlassaktiva), sondern auch die sonstigen
Berechnungsfaktoren, die der Berechnung des Pflichtteils einschließlich des
Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu Grunde zu legen sind, nämlich einerseits – als fiktive
Nachlassaktiva – die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers und seine
Schenkungen, andererseits die Nachlassverbindlichkeiten (vgl. BGH, Urteil vom
02.11.1960, V ZR 124/59,
Der Auskunftsanspruch im vorgenannten Umfang ist grundsätzlich nach § 260 BGB
dadurch zu erfüllen, dass der Erbe dem Pflichtteilsberechtigten ein geordnetes Verzeichnis
des Bestandes vorlegt. Dieses Verzeichnis hat sowohl den realen als auch den fiktiven
Nachlassbestand zu enthalten (BGH, Urteil vom 02.11.1960, V ZR 124/59,
f., zitiert nach: juris, Rn. 12). Daher ist auch über die ausgleichungspflichtigen
Zuwendungen des Erblassers gemäß §§ 2050 ff. BGB sowie
pflichtteilsergänzungspflichtigen Schenkungen im Sinne von
erteilen (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 10).
Letztere Auskunftspflicht umfasst nicht nur die konkrete Angabe der in den letzten zehn
Jahren vor dem Tod erfolgten Schenkungen des Erblassers. Wegen der Regelung in
zeitlich unbegrenzt über die Schenkungen und unbenannten Zuwendungen zugunsten des
überlebenden Ehegatten Auskunft zu erteilen und über solche Schenkungen, die
außerhalb der Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB erfolgt sind, sofern Umstände
vorliegen, aufgrund derer die Frist infolge (fristschädlichen) Vorbehalts eines
Nutzungsrechts nicht mit Eigentumsübergang angelaufen ist. Bei gemischten
Schenkungen ist der Wert der ausgetauschten Leistungen anzugeben.
Zudem ist der Erbe verpflichtet, auch darüber Auskunft zu geben, in welchem Güterstand
der Erblasser gelebt hat (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, §
2314 Rn. 16).
Der dem Pflichtteilsberechtigten zur Auskunft verpflichtete Erbe darf sich nicht darauf
beschränken, sein eigenes Wissen an den Berechtigten weiterzuleiten. Er ist auch
verpflichtet, sich ggf. fremdes Wissen zu verschaffen und Auskunftsrechte und
Informationsansprüche gegenüber Dritten zu nutzen, um sich die erforderlichen
Kenntnisse zu verschaffen (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020,
§ 2314 Rn. 13).
Gemäß
durch einen Notar aufgenommen wird.
Nach
notariellen Verzeichnisses zugezogen wird. Dieses Anwesenheitsrecht umfasst auch die
Zuziehung eines Vertreters oder Beistandes (Lange in: Münchener Kommentar zum BGB,
8. Auflage 2020, § 2314 Rn. 42).
II.
Die Kostenentscheidung war der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Streitwert: 1.000,00 €
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Köln
Erscheinungsdatum:21.10.2020
Aktenzeichen:24 O 394/19
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Vorweggenommene Erbfolge (Ausgleichung, Anrechnung)
Pflichtteil
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB §§ 2314 Abs. 1, 2333 Abs. 1 Nr. 4, 2336 Abs. 2 S. 2