Beginn der Verjährung bei Pflichtverletzung des Rechtsberaters
letzte Aktualisierung: 21.4.2021
BGH, Beschl. v. 29.10.2020 – IX ZR 10/20
ZPO §§ 67 S. 1, 138 Abs. 4;
Beginn der Verjährung bei Pflichtverletzung des Rechtsberaters
1. Eine Erklärung des Streithelfers mit Nichtwissen ist unzulässig, wenn sie eine Tatsache betrifft, die
entweder eine eigene Handlung der unterstützten Hauptpartei oder Gegenstand von deren
Wahrnehmung gewesen ist.
2. Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von
den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen liegt vor, wenn der Mandant aus den
ihm bekannten Umständen den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten
Schadensersatzanspruch gezogen hat (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 –
IX ZR 245/12,
Entscheidungsgründe:
Die unbeschränkt zugelassene Revision hat Erfolg. Auch die Anschlussrevision
ist begründet. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagte habe die ihr gegenüber
der Klägerin obliegenden Pflichten fahrlässig verletzt, indem sie die dem Versorgungsausgleich
zugrundeliegende Auskunft des L.
nicht ausreichend sorgfältig überprüft habe. Als Schaden sei der Betrag
zu ersetzen, um den die Klägerin infolge des fehlerhaften Versorgungsausgleichs
zu geringe Versorgungsbezüge erhalte. Der Versorgungsausgleich wirke
unmittelbar rechtsgestaltend und gehe der materiellen Rechtslage vor. Die Entscheidung
über die Höhe des Schadensersatzanspruchs bedürfe noch weiterer
Aufklärung. Die Beklagte habe die Schadenshöhe bestritten, so dass im Betragsverfahren
der vom Streithelfer angebotene Sachverständigenbeweis zu erheben
sei.
Die Ersatzpflicht der Beklagten sei nicht aufgrund eines Mitverschuldensanteils
der Klägerin zu kürzen. Auch eine Kürzung der Schadensersatzpflicht
nach den Grundsätzen über den gestörten Gesamtschuldnerausgleich
komme nicht in Betracht. Es fehle schon an einem Gesamtschuldverhältnis zwischen
der Beklagten und dem Streithelfer. Das aus
folgende Haftungsprivileg des Streithelfers stehe der Annahme einer haftungsrechtlichen
Gesamtschuld entgegen.
Gegenüber den ursprünglich geltend gemachten Ansprüchen könne sich
die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf Verjährung berufen. Die Klägerin habe die
für den Beginn der Verjährungsfrist nötige Kenntnis der anspruchsbegründenden
Tatsachen nicht schon im Laufe des Jahres 2013 erlangt. Die Verjährung sei erst
mit Ablauf des Jahres 2014 in Lauf gesetzt worden. Das Landgericht sei zu Unrecht
davon ausgegangen, dass die Klägerin die Beklagte schon im Dezember
2013 aufgefordert habe, deren Haftpflichtversicherung einzuschalten, weil ihr ein
Schaden entstanden sei. Die für den Lauf der Verjährungsfrist notwendige Kenntnis
oder grob fahrlässige Unkenntnis sei aber auch dann nicht anzunehmen,
wenn man von der Aufforderung zur Einschaltung der Haftpflichtversicherung im
Jahr 2013 ausgehe. Die Beklagte (richtig: der Streithelfer) habe zunächst versucht,
beim Familiengericht im Wege der Abänderung und Berichtigung eine Korrektur
der Entscheidung über den Versorgungsausgleich zu erreichen. Dass dieser
Versuch erfolglos geblieben sei, habe die Klägerin erst im Laufe des Jahres
2014 erfahren. Die Erhebung der Einrede der Verjährung wäre überdies auch
treuwidrig. Durch ihren Versuch (richtig: den des Streithelfers), den Fehler des
L. zu korrigieren, und die Geltendmachung von Regressansprüchen
gegenüber dem Streithelfer habe die Beklagte ihre Pflichtverletzung vertuscht
und die Klägerin von der rechtzeitigen Geltendmachung des gegen sie gerichteten
Schadensersatzanspruchs abgehalten.
Gegenüber den in der Berufungsinstanz klagerweiternd geltend gemachten
Ansprüchen für die Zeit ab dem 1. Januar 2018 greife die von der Beklagten
erhobene Einrede der Verjährung hingegen durch. Die Verjährung der nachgeschobenen
Erhöhungsbeträge sowie der mit dem Feststellungsantrag erstmals
geltend gemachten Ansprüche sei selbständig zu beurteilen. Insoweit sei Verjährung
eingetreten, weil der Lauf der Verjährungsfrist bereits mit Ablauf des Jahres
2014 in Gang gesetzt worden sei.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision
nicht stand.
1. Die Revision der Beklagten ist aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht
(
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom
29. Januar 2004 V
ZR 244/03,
ZB 25/16,
hat das Berufungsgericht nicht wirksam vorgenommen. Das hat
zur Folge, dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (BGH, Urteil vom
20. Mai 2003 XI ZR 248/02,
a) Die Zulassung der Revision kann auf einen tatsächlich und rechtlich
selbständigen Teil des Streitstoffs beschränkt werden, welcher Gegenstand eines
Teilurteils sein kann oder auf den der Revisionskläger seine Revision beschränken
könnte (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003, aaO; vom 14. April 2010
VIII ZR 123/09,
der Revisionszulassung auf einzelne rechtliche oder tatsächliche
Gesichtspunkte, bestimmte Rechtsfragen oder einzelne Urteilselemente unzulässig
(BGH, Urteil vom 8. März 2006 IV
ZR 263/04,
b) Das Berufungsgericht hat die Revision nicht im Urteilsausspruch der
angefochtenen Entscheidung zugelassen. Die Zulassung der Revision findet sich
erst am Ende der Urteilsgründe. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die Frage, ob
die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs auch im Fall des Haftungsprivilegs
gemäß
Frage, ob sich die Pflicht des Rechtsberaters zur Überprüfung der Versorgungsauskunft
auf offenbare Unstimmigkeiten und Fehler auch auf Auskünfte über den
eigenen Mandanten bezieht. Dabei handelt es sich um bestimmte Rechtsfragen,
die sich auf einzelne Voraussetzungen des mit der Klage verfolgten Schadensersatzanspruchs
beziehen. Eine derart vorgenommene Beschränkung der Zulassung
der Revision ist unzulässig.
2. Die Revision ist begründet. Nach den vom Berufungsgericht bisher getroffenen
Feststellungen hat die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung
Erfolg.
a) Die Verjährung des (hier unterstellten) Schadensersatzanspruchs der
Klägerin gegen die Beklagte richtet sich nach den §§ 194 ff BGB. Danach beträgt
die Verjährungsfrist drei Jahre (
bestimmt ist, wurde die Verjährungsfrist in Lauf gesetzt mit dem Schluss des Jahres,
in dem der Anspruch entstanden war und die Klägerin von den den Anspruch
begründenden Umständen und der Person der Beklagten als Anspruchsschuldnerin
Kenntnis erlangt hatte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen
(§ 199 Abs. 1 BGB).
aa) Der Schadensersatzanspruch war bereits im Jahr 2013 entstanden.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsteht der
Schaden dann, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung
des Rechtsberaters im Vergleich zu seinem früheren Vermögensstand
objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt es, dass der Schaden wenigstens
dem Grunde nach erwachsen ist, mag auch seine Höhe noch nicht beziffert werden
können. Es muss nicht feststehen, dass die Vermögenseinbuße bestehen
bleibt und damit endgültig wird. In der Regel verschlechtert sich die Vermögenslage
des Mandanten bereits mit der ersten nachteiligen Gerichtsentscheidung infolge
anwaltlichen Fehlverhaltens in einem Verfahren. Seine frühere Auffassung,
dass ein Schaden infolge eines Anwaltsfehlers im Prozess regelmäßig noch nicht
eingetreten sei, solange nicht auszuschließen sei, dass die Entscheidung in einem
weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten geändert werde, hat der Senat
ausdrücklich aufgegeben (BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 IX
ZR 104/18,
(2) Im Streitfall ist danach der Schaden der Klägerin bereits mit dem Beschluss
des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich vom 23. Januar
2013 eingetreten, mit dem im Blick auf die von der Klägerin während der Ehezeit
erworbenen Anwartschaften zu deren Lasten ein um nahezu das Doppelte übersetzter
Ausgleichswert berücksichtigt worden ist. Zu diesem Zeitpunkt verschlechterte
sich die Vermögenslage der Klägerin infolge der Pflichtverletzung
der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2019, aaO Rn. 18).
bb) Die Klägerin hat bereits im Laufe des Jahres 2013 Kenntnis von den
die Schadensersatzforderung begründenden Umständen und der Person der Beklagten
als Anspruchsschuldnerin erlangt. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung
des im landgerichtlichen Tatbestand als unstreitig festgestellten Umstands,
die Klägerin habe die Beklagte am 10. Dezember 2013 persönlich aufgefordert,
den Haftpflichtversicherer zu informieren, weil ihr ein Schaden entstanden sei.
(1) Die Revision rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe die Behauptung
der Beklagten, die Klägerin habe sie am 10. Dezember 2013 persönlich aufgefordert,
den Haftpflichtversicherer zu informieren, weil ihr ein Schaden entstanden
sei, als unstreitig behandeln müssen.
(a) Dies folgt schon aus § 314 und § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Nach § 314
ZPO liefert der Tatbestand des Urteils Beweis für das mündliche Vorbringen. Dieser
Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Eine etwaige
Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen kann nur im Berichtigungsverfahren
nach
ZR 334/04,
ZR 233/05,
ZR 75/08,
vom 17. Januar 2012 XI
ZR 457/10,
im ersten Rechtszug getroffener Feststellungen nicht beantragt, sind
sie für das Berufungsverfahren bindend zu Grunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO; BGH, Urteil vom 18. September 2009, aaO; vom 17. Januar 2012, aaO).
Danach war das Berufungsgericht an die tatbestandliche Feststellung des
Landgerichts gebunden. Das Landgericht hatte die Aufforderung der Beklagten
durch die Klägerin vom 10. Dezember 2013 zur Einschaltung des Haftpflichtversicherers
im unstreitigen Tatbestand geschildert und in den Entscheidungsgründen
ausdrücklich als unstreitig bezeichnet. Einen Tatbestandsberichtigungsantrag
nach
(b) Auch ohne die aus
hätte das Berufungsgericht die Aufforderung zur Einschaltung des Haftpflichtversicherers
nicht als streitig behandeln dürfen. Zu der seitens der Beklagten
behaupteten Aufforderung hat sich lediglich der Streithelfer und dies auch nur
mit Nichtwissen (
nicht zulässig, was zur Folge hat, dass die Behauptung als zugestanden gilt
(BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 II
ZR 139/17,
Nach
zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer
eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist
aus der Sicht der unterstützten Hauptpartei zu beurteilen. Die Erklärung ihres
Streithelfers mit Nichtwissen ist daher unzulässig, wenn sie eine Tatsache betrifft,
die (ihre Wahrheit unterstellt) eine eigene Handlung der Hauptpartei oder Gegenstand
von deren Wahrnehmung gewesen ist.
Die aus
als die der unterstützten Hauptpartei (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 1985
VII ZR 317/84,
Rn. 4; Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 67 Rn. 10; Musielak/Voit/Weth,
17. Aufl., § 67 Rn. 4; BeckOK-ZPO/Dressler, 2020, § 67 Rn. 10). Ist demnach die
unterstützte Hauptpartei nicht zu einer Erklärung mit Nichtwissen berechtigt,
muss auch ihr Streithelfer (zumindest) einfach bestreiten. Ob die Voraussetzungen
des
einheitlich aus Sicht der Parteien zu beurteilen. Daran ändert nichts, dass
eine der an dem Verhältnis beteiligten Parteien durch einen Streithelfer unterstützt
wird. Entsprechendes gilt, wenn der unterstützten Hauptpartei qualifizierter
Gegenvortrag obliegt, weil ihr Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs
steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen
besitzt, während die Hauptpartei sie hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind
(vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1990 II
ZR 159/89,
prozessualen Obliegenheit kann sich die Hauptpartei nicht dadurch entziehen,
dass sie schweigt und ihr Streithelfer einfach bestreitet.
(2) Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin die Beklagte
am 10. Dezember 2013 persönlich aufgefordert hat, den Haftpflichtversicherer zu
informieren, weil ihr ein Schaden entstanden sei, ist davon auszugehen, dass sie
bereits im Jahr 2013 Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen
und der Person der Beklagten als Anspruchsschuldnerin hatte.
(a) Allerdings machen es die Besonderheiten der Rechtsberaterhaftung
erforderlich, nicht schon dann von einer Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2
BGB auszugehen, wenn dem Mandanten nur die tatsächlichen Umstände bekannt
sind, aus denen der Schadensersatzanspruch gegen den Berater folgt.
Hinzukommen muss die Kenntnis von solchen Tatsachen, aus denen sich für den
Mandanten zumal
wenn er juristischer Laie ist ergibt,
dass der Rechtsberater
von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht
eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich
waren (BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 IX
ZR 245/12,
fachkundig ist, seine rechtlichen Belange dem dazu berufenen Fachmann anvertraut
und dessen etwaige Fehlleistungen eben
wegen seiner Rechtsunkenntnis
häufig nicht zu erkennen vermag. Die Fachkunde des Rechtsanwalts und
das Vertrauen seines Auftraggebers begründen typischerweise im Rahmen eines
Anwaltsvertrags eine Überlegenheit des Anwalts gegenüber seinem regelmäßig
rechtsunkundigen Mandanten (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2014, aaO).
Für ein fehlerhaftes Verhalten des Beraters ist aus der Sicht des Mandanten
regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben,
wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird
und der Berater gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach
außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Mandant
darf sich darauf verlassen, dass der von ihm beauftragte Berater die anstehenden
Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend
ist. Dem Mandanten obliegt es nicht, den Anwalt zu überwachen oder dessen
Rechtsansichten durch einen weiteren Rechtsberater überprüfen zu lassen. Rät
der Berater zur Fortsetzung des Rechtsstreits, hat der Mandant in der Regel sogar
dann keine Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit des Beraters, wenn das Gericht
oder der Gegner zuvor auf eine Fristversäumung hingewiesen hat (BGH, Urteil
vom 6. Februar 2014, aaO Rn. 17; vom 25. Oktober 2018 IX
ZR 168/17,
(b) Anders liegt allerdings der Fall, wenn der Mandant aus den ihm bekannten
Umständen selbst den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten
Schadensersatzanspruch gezogen hat. Mit dem Schadensersatzverlangen gibt
der Mandant zu erkennen, dass er dem Berater nicht mehr (uneingeschränkt)
vertraut. Im Blick auf den Beginn der Verjährungsfrist ist der Mandant nun nicht
mehr schutzwürdig. Er hat zumindest drei Jahre Zeit, den erkannten Schadensersatzanspruch
durchzusetzen oder jedenfalls den Lauf der Verjährungsfrist zu
hemmen. Gelingt es dem Rechtsberater, das Vertrauen des Mandanten zurückzugewinnen,
führt dies weder zu einer Hemmung noch zu einem Neubeginn der
Verjährungsfrist. Allerdings kann die vom Rechtsberater erhobene Einrede der
Verjährung rechtsmissbräuchlich sein, wenn er seinen Mandanten davon abhält,
die Verjährung rechtzeitig zu hemmen. Es gelten die vom Bundesgerichtshof
hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 29. Februar 1996 IX
ZR 180/95,
ZR 145/06,
ZR 215/12, WM
2014, 854 Rn. 15).
(c) Danach begann der Lauf der Verjährung mit Ablauf des Jahres 2013.
Die Klägerin kannte nicht nur die den Schadensersatzanspruch begründenden
tatsächlichen Umstände. Sie hatte darüber hinaus aus den Umständen den
Schluss auf eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gezogen und dies durch
die Aufforderung zum Ausdruck gebracht, die Beklagte möge den Haftpflichtversicherer
einschalten, weil ihr ein Schaden entstanden sei.
cc) Die Ende 2013 in Lauf gesetzte Verjährungsfrist endete mit Ablauf des
31. Dezember 2016. Die im Februar 2017 anhängig gemachte Klage konnte den
Ablauf der Verjährung nicht mehr hemmen, wenn die Frist nicht schon zuvor gehemmt
war oder neu begonnen hatte. Feststellungen zu einem Neubeginn oder
einer vorangegangenen Hemmung der Verjährung hat das Berufungsgericht bisher
nicht getroffen. Die von ihm getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch
nicht die Annahme, die Verjährungseinrede der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich.
(1) Der Arglisteinwand kann der Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1
BGB) indes nicht nur dann entgegengesetzt werden, wenn der Schuldner den
Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat. Es reicht aus,
dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv sei
es auch unabsichtlich bewirkt,
dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die spätere Verjährungseinrede
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot
von Treu und Glauben unvereinbar wäre. Insoweit ist ein strenger Maßstab
anzulegen (BGH, Urteil vom 14. November 2013, aaO). Ist der Arglisteinwand
begründet, macht es der Zweck der bereits eingetretenen Verjährung erforderlich,
dass der Gläubiger seinen Anspruch binnen einer nach Treu und Glauben
zu bestimmenden Frist gerichtlich geltend macht (BGH, Urteil vom 14. November
2013, aaO Rn. 18 f).
(2) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, welche die
von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede als rechtsmissbräuchlich erscheinen
lassen könnten. Die mit dem Schluss des Jahres 2013 angelaufene
Verjährung endete erst mit Ablauf des 31. Dezember 2016. Es ist nicht ersichtlich,
wodurch die Beklagte die Klägerin von der rechtzeitigen Hemmung der Verjährung
abgehalten haben sollte. Nicht die Beklagte, sondern der Streithelfer hat
versucht, eine Berichtigung oder Abänderung der Entscheidung über den Wertausgleich
zu erreichen. Dieser Versuch scheiterte. Die Beschwerde des Streithelfers
wurde durch das Oberlandesgericht im September 2014 zurückgewiesen.
Zu diesem Zeitpunkt lief die Verjährungsfrist noch mehr als zwei Jahre. Es kann
auch nicht angenommen werden, dass die Beklagte die Klägerin durch die Geltendmachung
von Regressansprüchen gegen den Streithelfer von der rechtzeitigen
Hemmung der Verjährung des gegen sie gerichteten Schadensersatzanspruchs
abgehalten hat. Ersichtlich hat der Streithelfer Regressansprüche von
Anfang an abgelehnt. Wodurch es die Beklagte in Anbetracht dessen bewirkt haben
könnte, dass die Klägerin von einer die Verjährungsfrist hemmenden Geltendmachung
des Schadensersatzanspruchs absah, ist nicht erkennbar.
III.
Die zulässige Anschlussrevision ist begründet. Die vom Berufungsgericht
getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, die im Mai 2019 für
die Zeit ab dem 1. Januar 2018 geltend gemachten, die ursprüngliche Klage
übersteigenden Anspruchsteile seien verjährt.
1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Klägerin
im Februar 2017 anhängig gemachte Klage die Verjährung gehemmt hat. Davon
ist bei der Prüfung der Begründetheit der Anschlussrevision auszugehen.
2. Anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich
nicht beurteilen, ob die im Mai 2019 geltend gemachten Anspruchsteile verjährt
sind.
a) Zwar erstreckt sich die Hemmung bei einer "verdeckten Teilklage", das
heißt einer solchen, bei der weder für die Beklagtenseite noch für das Gericht
erkennbar ist, dass die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt,
grundsätzlich nur auf den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang.
Etwas anderes gilt für die Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf Schadensersatzansprüche
aber, wenn mit der Klage von Anfang an ein bestimmter Anspruch
in vollem Umfang geltend gemacht wird und sich dann Umfang und Ausprägung
des Klageanspruchs ändern, nicht aber der Anspruchsgrund. Der Schadensersatzkläger
klagt dann nicht eine Geldsumme, sondern den Schaden ein
und hemmt damit die Verjährung der Ersatzforderung in ihrem betragsmäßig
wechselnden Bestand. Für die endgültige Bemessung des Schadens ist der Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, auf Grund derer das Urteil
ergeht, so dass dem Umfang der Verjährungswirkung daher durch den ursprünglich
bezifferten Leistungsantrag keine Grenzen gezogen werden (BGH,
Urteil vom 8. Januar 2014 XII
ZR 12/13,
vom 2. Mai 2002 III
ZR 135/01,
b) Nach diesen Grundsätzen kann die vom Berufungsgericht angenommene
Hemmung der Verjährung durch die im Februar 2017 anhängig gemachte
Klage auch die im Mai 2019 geltend gemachten Anspruchsteile erfasst haben.
Schon im Zeitpunkt der Klageerhebung im Februar 2017 war erkennbar, dass der
auf Zahlung eines monatlichen Betrags von 478,62 € ab dem 1. Februar 2017
gerichtete Antrag nur den nach den seinerzeit gegebenen wirtschaftlichen Umständen
anzunehmenden Schaden abbilden sollte. Die Geltendmachung künftiger
Änderungen des monatlichen Schadensbetrags etwa aufgrund von Anpassungen
der Versorgungsbezüge sollte ersichtlich nicht ausgeschlossen sein. Insoweit
bezog sich die Klage auf eine Ersatzforderung in ihrem wechselnden Bestand.
Soweit demnach die Anpassung der Anträge einer Veränderung des monatlichen
Schadensbetrags infolge zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen
der wirtschaftlichen Umstände (Anpassung der Versorgungsbezüge pp.) geschuldet
war, wäre die Verjährung schon durch die Erhebung der Klage im Februar
2017 gehemmt worden. Anders läge der Fall, wenn die im Jahr 2019 bezifferten
Beträge schon zur Zeit der Klageerhebung feststanden und die Klägerin
diese nur nicht hinreichend überschaute (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 2002, aaO
S. 4 f).
IV.
Das Urteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung
kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung
reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird die Frage der Verjährung
unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats (§ 563 Abs. 2 ZPO)
neu zu prüfen haben. Den Parteien wird Gelegenheit zu geben sein, hierzu ergänzend
vorzutragen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:29.10.2020
Aktenzeichen:IX ZR 10/20
Rechtsgebiete:Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Normen in Titel:ZPO §§ 67 S. 1, 138 Abs. 4; BGB § 199 Abs. 1