Kammergericht 01. August 2023
16 UF 49/23
FamFG § 69; BGB § 1684

Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Sorgerechtsverfahren bei Umzug nach Großbritannien

letzte Aktualisierung: 4.1.2024
KG, Beschl. v. 1.8.2023 – 16 UF 49/23

FamFG § 69; BGB § 1684
Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Sorgerechtsverfahren bei Umzug
nach Großbritannien

Zieht der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind vom Inland in einen Nicht-EU-Staat,
ohne dass ein widerrechtliches Verbringen des Kindes in das Ausland vorliegt, ist von einem
sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auszugehen, der im laufenden
Verfahren die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen lässt.

Gründe

I.
Der Vater, ein in London lebender österreichischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den
am 11. April 2023 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem der Mutter - einer
französischen Staatsangehörigen, die zu diesem Zeitpunkt mit den beiden Mädchen, die aus der
mittlerweile geschiedenen Ehe der Eltern hervorgegangen sind und die beide die österreichische
Staatsangehörigkeit besitzen, in B… wohnte - die Befugnis übertragen wurde, allein über einen
Umzug der gemeinsamen Kinder von B… nach London/Vereinigtes Königreich sowie über die
Anmeldung der beiden Mädchen in einer Londoner Schule zu entscheiden.

Zur Begründung, weshalb die Entscheidungsbefugnis über den Umzug nach London und die
dortige Beschulung der Mutter allein zu übertragen sei, verweist das Familiengericht darauf, dass
die Mutter die Hauptbezugsperson der beiden Mädchen sei. Ihr Lebensmittelpunkt befände
sich, seitdem die Eltern sich im Juli 2018 getrennt hätten, bei der Mutter. Mit der Übertragung
der Alleinentscheidungsbefugnis über den Umzug an einen bestimmten, namentlich genannten
Ort werde der Mutter nicht ermöglicht, mit den Kindern an jeden beliebigen Ort der Welt
umzuziehen, sondern allein nach London. Das diene dem Wohl der beiden Kinder, weil der
Vater bereits seit etwa Frühjahr 2021 dauerhaft in London lebe. Die Übersiedlung führe zu einer
deutlichen Erleichterung des Umgangs zwischen ihm und den Töchtern und der zu diesem
Zweck in B… bei einer professionellen Umgangsbegleiterin regelmäßig geführten
Elterngespräche, zu denen der Vater jeweils aus London angereist sei. Die räumliche Nähe
zwischen den Kindern und ihrem Vater eröffne auch neue Perspektiven, um den Umgang mit
dem Vater, den die beiden Mädchen stark ablehnten und der trotz der von beiden Eltern
initiierten Umgangsbegleitung bzw. -anbahnung seit etwa März 2022 praktisch zum Erliegen
gekommen sei, wiederaufzunehmen, zumal die Mutter bereits den Kontakt zu einer Londoner
Familientherapeutin und Umgangsbegleiterin gesucht habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass
die Kinder altersbedingt noch nicht in B… verwurzelt seien und sie durch einen Umzug kaum
von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten würden.

Mit seiner Beschwerde macht der Vater geltend, dass der Aufenthalt der Kinder im Vereinigten
Königreich nicht gesichert sei; zudem verfüge die Mutter nicht über die erforderlichen
finanziellen Mittel, um sich ein Leben in der City von London leisten zu können. Die positive
Entwicklung bei der Wiederanbahnung des Umgangs, die im Zuge der Umgangsbegleitung und
der geführten Gespräche bereits erreicht worden sei, werde gefährdet bzw. zunichtegemacht.
Mutter und Kinder sollten ihren Lebensmittelpunkt deshalb weiter in B... haben. Die
Entscheidungsbefugnis über Umzug und Beschulung der Kinder sei der Mutter nicht zu
übertragen. Der Vater bestreitet, dass Mutter und Kinder nach Erlass der familiengerichtlichen
Entscheidung nach London übergesiedelt seien. Durch ihr Verhalten entziehe sie sich der
inländischen Gerichtsbarkeit und das sei rechtsmissbräuchlich.

Die Mutter verteidigt die ergangene Entscheidung als zutreffend und richtig. Sie trägt vor, nach
Erlass der familiengerichtlichen Entscheidung ihren Haushalt in B... aufgelöst und mit den
beiden Mädchen nach London umgezogen zu sein. Bereits im März 2023 habe sie beim
Londoner Central Family Court einen Antrag nach dem Matrimonial and Family Proceedings
Act angebracht, in England und Wales Rechtsschutz mit dem Ziel einer finanziellen
Unterstützung nach einer außerhalb des Vereinigten Königreichs erfolgten Ehescheidung
suchen zu dürfen („application for permission to apply for financial relief after an overseas divorce“).
Nachdem der zuständige Familienrichter in einer Anhörung vom .. . April 2023 ihr Gesuch
befürwortet habe, sei die Sache an den High Court of Justice in London verwiesen worden.
Der High Court of Justice habe bereits am .. . Juli 2023 eine einstweilige Anordnung erlassen und
Mutter und Kindern einen vorläufigen Unterhaltsbetrag von 15.000 £/Monat zugesprochen und
weiter verfügt, dass der Vater vorläufig die Schulkosten der Kinder in Höhe von 120.000 £ zu
tragen habe und von ihm ein Betrag von 65.000 £ auf die Anwaltskosten der Mutter zu leisten
sei.

Die Verfahrensbeiständin, um Stellungnahme gebeten, hat erklärt, dass eine
Kindeswohlgefährdung durch den Umzug nicht ersichtlich sei; die finanziellen Konflikte der
Eltern seien an anderer Stelle zu klären. Das Jugendamt erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Senat hat den Beteiligten unter dem 11. Juli 2023 einen umfangreichen Hinweis erteilt, der
in die Empfehlung an den Vater mündete, das Rechtsmittel zurückzunehmen, da es an der
internationalen Zuständigkeit mangelt. Nach Ablauf der gesetzten Frist sei beabsichtigt, im
schriftlichen Verfahren zu entscheiden.

II.
1. Die Beschwerde des Vaters gegen Beschluss des Familiengerichts wurde zwar fristgerecht und
auch sonst ordnungsgemäß angebracht und begründet (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG).
Gleichwohl erweist sich das Rechtsmittel, worauf der Vater hingewiesen wurde, als unzulässig,
weil dem Senat die internationale Zuständigkeit fehlt:

a) In dem Schreiben des Senats an die Beteiligten vom 11. Juli 2023 heißt es:

„Die vorliegende Sache ist vom Senat mittlerweile umfassend beraten worden:
1. Die wesentlichen „Eckpunkte“ des Sachverhalts darf ich wie folgt zusammenfassen:
Die Eltern waren miteinander verheiratet. Die Ehefrau ist französische Staatsangehörige, der
Ehemann besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Ehe wurde am .. . Juni 2012 in
Österreich geschlossen. Seit Januar 2017 lebten beide Ehegatten in B.... Im Juli 2018 trennten sie
sich. Am .. . Juli 2019 haben sie in Berlin eine notariell beurkundete Trennungs- und
Scheidungsfolgenvereinbarung abgeschlossen (III/15), in der u.a. vereinbart wurde, dass eine
einvernehmliche Scheidung erfolgen soll. Weiter haben sie umfangreiche Regelungen zu
vermögensrechtlichen Fragen sowie zum Kindes- und Ehegattenunterhalt getroffen. Die Ehe
wurde im Dezember 2019 vom Amtsgericht Pankow (202 F 6596/19) rechtskräftig geschieden.
Aus der Ehe sind zwei Mädchen hervorgegangen; die heute etwa achtjährige, am … . 2015
geborene Lo... und die heute fast siebenjährige, am … 2016 geborene Li.... Beide Kinder leben
im Haushalt der Mutter, die ihre Hauptbetreuungsperson ist. Die elterliche Sorge für beide
Kinder steht Mutter und Vater gemeinsam zu.

Die Mutter ist beruflich in einem nicht näher bekannten Umfang im Bereich
Innenarchitektur/Design tätig, wobei sie sich derzeit allerdings der Betreuung der beiden
Mädchen widmet. Die Mutter leidet an einer seltenen, nicht heilbaren Bindegewebserkrankung,
die bei ihr 2017 diagnostiziert wurde. Durch Vermittlung des Ehemannes hat die Ehefrau
seinerzeit in London kompetente Ärzte gefunden, von denen sie im Wesentlichen seit
Feststellung der Erkrankung behandelt wird. Sie trägt vor, aufgrund dieser Erkrankung nicht
länger erwerbstätig sein zu können.

Der Vater war während der Ehe in verschiedenen leitenden Management-Positionen großer,
multinationaler Konzerne wie u.a. G…, A… oder M… tätig. Seit etwa April/Mai 2021 lebt er
dauerhaft in London und ist dort erneut verheiratet. Aus der zweiten Ehe sind seine (dritte)
Tochter M… sowie ein weiteres, Anfang Sommer 2023 geborenes Kind (II/74; III/40)
hervorgegangen.

Über den Umgang des Vaters mit den beiden Töchtern - zu dem der Vater bislang, bis etwa
März/April 2023, im Wesentlichen regelmäßig per Flugzeug aus London angereist ist - waren
bzw. sind am Familiengericht Pankow mehrere Verfahren anhängig. Nachdem beide Mädchen
ab etwa März 2022 den Umgang mit dem Vater verweigert haben, haben die Eltern sich
gemeinsam an Frau L… - eine professionelle Umgangsbegleiterin - gewandt mit der Bitte, den
Umgang Vater/Töchter wieder anzubahnen. Die ersten Termine um den Jahreswechsel 2022/23
verliefen erfolgversprechend. Die Termine ab April 2023 soll der Vater - so der Vortrag der
Mutter - abgesagt haben (III/10).

Im November 2022 hat die Mutter das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und beantragt,
die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das
Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten (I/128) für beide Mädchen ihr allein zu
übertragen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sich bereits seit längerem mit dem Gedanken
zu tragen, zusammen mit den beiden Kindern nach London übersiedeln zu wollen. Maßgeblich
hierfür sei einerseits der Wunsch, den Kontakt der beiden Mädchen zum Vater zu verbessern
mit dem (Fern-) Ziel, möglicherweise sogar zu der von ihr angestrebten Betreuung der Kinder
im Wechselmodell zurückzufinden. Auf jeden Fall soll der Vater - ihrer Meinung zufolge - die
Möglichkeit bekommen, mehr und intensiver am Leben seiner beiden Töchter teilzuhaben und
nicht gezwungen zu sein, zu Umgangsterminen per Flugzeug anzureisen. Der Umzug soll für die
beiden Kinder eine Art von „Signal“ für einen Neuanfang bilden. Vor diesem Hintergrund habe
sie bereits Kontakte zu einschlägigen Londoner Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen im
Trennungskonflikt geknüpft. Der zweite Umzugsgrund seien medizinische Erwägungen: Die
Spezialisten, die ihre Erkrankung kompetent behandeln könnten, hätten ihren Sitz durchweg in
London und dort sei sie seit der Stellung der Diagnose bereits in Behandlung.

Der Vater tritt dem Umzugswunsch der Mutter vehement entgegen. Er meint, es handele sich
hierbei um eine „spontane Idee“, die sich nicht umsetzen lasse und für die es letztlich keinen
nachvollziehbaren Grund gebe. Die ersten Erfolge, die Frau L… bei der Wiederanbahnung des
Umgangs - unstreitig - habe erzielen können, würden auf diese Weise zunichtegemacht. Hiervon
abgesehen, könne sich die Mutter das Leben in England, zumal in der Londoner Innenstadt, in
wirtschaftlicher Hinsicht weder leisten noch dieses aus eigener Kraft finanzieren.

Das Familiengericht hat beide Mädchen im März 2023 angehört (I/231): Die etwas ältere Lo...
hat erklärt, den Vater nicht sehen zu wollen; sie freue sich auf London. Li... soll sinngemäß
ebenfalls zum Ausdruck gebracht haben, den Vater nicht sehen zu wollen und mit einem
Umzug nach London einverstanden zu sein. Mit dem am 11. April 2023 erlassenen Beschluss
(Ia/273) hat das Familiengericht - unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags - der
Mutter die Befugnis übertragen, allein über den Umzug der beiden Mädchen nach London und
der Anmeldung an einer dortigen Schule zu entscheiden. Zur Begründung, weshalb der Mutter
nicht das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht, die Schulangelegenheiten
insgesamt zu regeln, zu übertragen sei, hat das Familiengericht darauf verwiesen, dass die Mutter
gerade nicht in die Lage versetzt werden soll, mit den beiden Kindern an jeden Punkt der Welt
umzuziehen, sondern ihr lediglich gestattet werden soll, mit den Kindern nach London, dem
aktuellen Wohnsitz des Vaters, überzusiedeln. Die auf der Grundlage von § 1628 BGB
getroffene Entscheidung diene dem Kindeswohl, weil mit dem Umzug die Möglichkeit
geschaffen wird, die Kontakte Vater/Kinder wieder zu intensivieren und aufgrund der damit
geschaffenen räumlichen Nähe ggf. sogar das ursprünglich praktizierte Wechselmodell wieder
„aufleben“ lassen zu können. Nachdem der Aufenthalt im Vereinigten Königreich rechtlich
abgesichert sei und auch Wohnsituation sowie Beschulung im Wesentlichen sichergestellt seien,
sei das Kindeswohl gewahrt, zumal die Mutter die Hauptbezugsperson der beiden Mädchen sei.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde, die er mit einem Antrag
nach § 64 Abs. 3 FamFG auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung
kombiniert (II/1). Er macht geltend, die getroffene Entscheidung missachte das Kindeswohl
schon deshalb, weil die Mutter mit dem ihr nach der Trennungs- und
Scheidungsfolgenvereinbarung von Juli 2019 zukommenden nachehelichen Unterhalt in Höhe
von 2.100 €/Monat und dem zusätzlich geleisteten Kindesunterhalt (160% des jeweiligen
gesetzlichen Mindestunterhalts unter Verzicht auf die Kindergeldanrechnung nach § 1612b
Abs. 1 BGB; Zahlbetrag in 2023 für beide Mädchen damit 1.608 €/Monat) nicht in der Lage sei,
die Lebenshaltungskosten in London zu finanzieren. Er bestreitet, dass Mutter und Kinder nach
London übergesiedelt seien; er meint, sie entzögen sich in rechtsmissbräuchlicher Weise der
inländischen Gerichtsbarkeit (III/2).

Die Mutter tritt der Beschwerde sowie dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
entgegen (II/72). Sie rügt die internationale Zuständigkeit des Senats. Hierzu trägt sie vor, dass
der letzte Schultag der Kinder in B... der ... . April 2023 gewesen sei (II/60). Sie und die beiden
Kinder hätten sich zum .. . Mai 2013 in B... abgemeldet und seien am gleichen Abend mit
einem one-way-Ticket nach London-Stansted geflogen (II/138ff., 152). Ein gewöhnlicher
Aufenthalt im Inland bestünde nicht mehr. Richtig sei, dass sie in England ein entsprechendes
Verfahren auf Zuerkennung einer financial relief after an overseas divorce eingeleitet habe. Der
Einzelrichter des Central Family Court in London habe ihr Gesuch, in England ein Verfahren
anhängig machen zu dürfen (II/40), befürwortet und die Sache bereits im April 2023 an
den High Court of Justice verwiesen. Termin sei am .. . Juli 2023 (III/7). Die Erfolgsaussichten
seien gut, weil die Beteiligten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in England und Wales hätten, die
englischen Gerichte ein geeignetes Forum seien, um über die Ansprüche der Mutter zu
entscheiden und weil aufgrund des Anwesens des Vaters in H… Park, London, ggf. auch
ausreichende Möglichkeiten bestünden, eine zu erlassende gerichtliche Entscheidung in England
erfolgreich zu vollstrecken (II/77, 133f.). Zum Ergebnis des Anhörungstermins vor dem High
Court of Justice hat die Mutter mitgeteilt, ihr sei im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ein
finanzieller Beitrag für sie und die Kinder in Höhe von 15.000 £/Monat zugesprochen worden;
zusätzlich sei der Vater vorläufig verpflichtet worden, auf die Schulkosten der Kinder 120.000 £
und auf die Kosten ihres englischen Anwaltsteams 65.000 £ zu zahlen.

2. Der Senat ist zum Ergebnis gekommen, dass die Beschwerde des Vaters offensichtlich keine
Aussicht auf Erfolg bietet:

a) Das Rechtsmittel des Vaters erweist sich als unzulässig, weil dem Senat die internationale
Zuständigkeit fehlt:

(aa) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist in jeder Lage des Verfahrens
von Amts wegen zu prüfen. Die Bestimmung des § 65 Abs. 4 FamFG, wonach die (örtliche)
Zuständigkeit mit der Beschwerde nicht gerügt werden kann, ist hinsichtlich der internationalen
Zuständigkeit nicht analog anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2010 - XII ZB
68/09, BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 [Rz. 8]; sowie Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO [44.
Aufl. 2023], Vor § 1 ZPO Rz. 7).

(bb) Mit dem Umzug von Mutter und Kindern nach London ist die internationale Zuständigkeit
der deutschen Gerichte entfallen:

(i) Das vorliegende Verfahren wurde von der Mutter am 30. November 2022 beim
Familiengericht anhängig gemacht. Damit bestimmt sich die deutsche internationale
Zuständigkeit grundsätzlich nach Maßgabe der Brüssel IIb-VO, weil das verfahrenseinleitende
Schriftstück, der Antrag der Mutter, nach dem „Stichtag“ 1. August 2022 beim Familiengericht
eingegangen ist (Art. 100 Abs. 1, 17 lit. a Brüssel IIb-VO).

(ii) Am 30. November 2022 - und im Übrigen auch am 11. April 2023, dem Tag, an dem das
Familiengericht die angegriffene Entscheidung erlassen hat - befand sich der Lebensmittelpunkt
von beiden Kindern unstreitig in B.... Für das vorliegende Verfahren, in dem es mit der Frage,
welcher Elternteil über den Umzug der Kinder nach London und deren dortige Beschulung
entscheiden darf, um die elterliche Verantwortung geht (Art. 2 Abs. 2 Nr. 7 Brüssel IIb-VO),
sind daher an und für sich die Gerichte desjenigen EU-Mitgliedstaates zuständig, in dem das
Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung - am 30. November 2022 - seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat (Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIb-VO). Eine danach gegebene internationale
Zuständigkeit bleibt dem Erwägungsgrund Nr. 21 zur Brüssel IIb-VO zufolge und nach dem
Grundsatz der perpetuatio fori auch dann erhalten, wenn das Kind im Verlauf des Verfahrens
seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt (vgl. beispielsweise
OLG Köln, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - 25 UF 109/16, FamRZ 2017, 1514 [Rz. 13]).
(cc) (i) Der Grundsatz der perpetuatio fori, der Fortbestand einer einmal begründeten
internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel
IIb-VO gilt, wie sich aus Art. 97 Abs. 1 lit. a Brüssel IIb-VO ergibt, indessen ausschließlich im
Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten. Wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im
Verlauf des Verfahrens in einen Staat außerhalb der Europäischen Union verlegt wird, muss die
internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts dagegen zwingend unverändert noch in
dem Zeitpunkt gegeben sein, zu dem in der jeweiligen Instanz die Sachentscheidung ergeht. Das
ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 KSÜ, dem Haager Kinderschutzübereinkommen 1996: Danach sind
bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen KSÜ-
Vertragsstaat im Verlauf des familiengerichtlichen Verfahrens die Behörden und Gerichte des
neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig. Art. 97 Abs. 1 lit. a Brüssel IIb-VO stellt dabei klar,
dass die allgemeine Zuständigkeitsregelung nach dem KSÜ ausschließlich im Verhältnis der EUMitgliedstaaten
untereinander verdrängt wird (durch Art. 7 Brüssel IIb-VO); im Verhältnis
zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem Mitgliedstaat des KSÜ verbleibt es dagegen bei
Art. 5 Abs. 2 KSÜ. Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt daher nicht mit der Folge, dass sich ein
Wegzug des Kindes in einen anderen KSÜ-Vertragsstaat unmittelbar auf die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte auswirkt (vgl. KG, Beschluss vom 2. März 2015 - 3 UF
156/14, FamRZ 2015, 1214 [Rz. 8]; OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 5. November 2019 - 8
UF 152/19, FamRZ 2020, 1119 [Rz. 13] sowie Winter, Internationales Familienrecht in Fällen
mit Auslandsbezug [1. Aufl. 2023], Rn. 401; Völker/Clausius, Sorge- und Umgangsrecht [8.
Aufl. 2021], § 11 Rn. 35; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [3. Aufl. 2022],
Rn. 8.73; Praxishandbuch für die Anwendung des Haager Übereinkommens 1996 [2018], Rn.
4.8ff. [einsehbar auf der Homepage der Haager Konferenz www.hcch.net in der ‚Child Protection
Section‘]). Wenn das Kind mit dem hauptbetreuenden Elternteil in das Nicht-EU-Ausland
wegzieht, ist daher von einem sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes
auszugehen, der die Zuständigkeit am bisherigen Gerichtsort selbst bei einem anhängigen
Verfahren entfallen lässt.

(ii) Das Vereinigte Königreich ist seit dem 31. Januar 2020, dem „Brexit“, kein EU-Mitgliedstaat
mehr. Das Vereinigte Königreich ist jedoch seit dem 1. November 2012 (vgl. BGBl. 2013.II.155)
Mitgliedstaat des KSÜ, das für Deutschland bereits seit dem 1. Januar 2011 gilt (BGBl.
2010.II.1527). Gemäß Art. 5 Abs. 2 KSÜ kommt es für die internationale Zuständigkeit des
Senats daher entscheidend darauf an, wo sich im Zeitpunkt der zu erlassenden Entscheidung der
gewöhnliche Aufenthalt der beiden Kinder befand: Nach der festen Überzeugung des Senats
befindet sich dieser inzwischen im Vereinigten Königreich.

(iii) Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 5 KSÜ wird im KSÜ nicht
definiert, sondern vorausgesetzt. Er ist grundsätzlich autonom, im Hinblick auf die Ziele des
KSÜ, auszulegen und im Einklang mit der Auslegung des Begriffs in den übrigen Haager
Übereinkommen sowie im europäischen Verfahrens- und Kollisionsrecht zu verstehen (vgl. KG,
a.a.O., FamRZ 2015, 1214 [Rz. 11] sowie Benicke, in Nomos-KommentarBGB AT [4. Aufl.
2021], Art. 5 KSÜ Rn. 7; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht [2. Aufl.
2018], Rn. F 421; Praxishandbuch für die Anwendung des Haager Übereinkommens 1996
[2018], Rn. 13.83). Danach kommt es auf die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des
Aufenthalts sowie die Gründe dafür und für den Umzug der Familie in dieses Land an. Weiter
sind die Staatsangehörigkeit des Kindes, der Ort und die Umstände der Einschulung, die
Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden
Staat zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - C-497/10 PPU in der
Sache Mercredi ./. Chaffe, FamRZ 2011, 617 [Rz. 56] sowie Senat, Beschluss vom 12. August
2013 - 16 UF 122/13, FamRZ 2014, 495 [Rz. 24f.]; OLG Frankfurt/M., a.a.O., FamRZ 2020,
1119 [Rz. 10]); England and Wales Court of Appeal, Civil division, Judgement of 17 march 2011
- „Mercredi ./. Chaffe“, [2011] EWCA Civ 272 [per Thorpe LJ, Rz. 88]; Völker/Clausius, Sorgeund
Umgangsrecht [8. Aufl. 2021], § 11 Rn. 93). Die Intention der Eltern, sich dauerhaft in
einem Staat niederzulassen, ist ebenfalls zu berücksichtigen: Die Anmietung einer Wohnung
oder der Antrag eines Elternteils an die zuständige Behörde auf Zuweisung einer Sozialwohnung
stellen hierfür ein gewichtiges Indiz dar (vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2009 - C-523/07,
FamRZ 2009, 843 [Rz. 40] sowie Hanke, FamRB 2015, 227ff.). Die Auslegung des Begriffs hat
sich dabei auch am Wohl des Kindes zu orientieren sowie am Ziel des KSÜ, die
Zuständigkeitsvorschriften insbesondere am Kriterium der räumlichen Nähe auszurichten (vgl.
EuGH, Urteil vom 2. April 2009, a.a.O., FamRZ 2009, 843 [Rz. 35] sowie Benicke, in Nomos-
KommentarBGB AT [4. Aufl. 2021], Art. 5 KSÜ Rn. 7).

(iv) An diesem Maßstab gemessen, liegt offensichtlich auf der Hand, dass die beiden Kinder im
Inland (in B...) keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr haben:

- Die Mädchen haben ihren Schulbesuch in B... eingestellt; ihr letzter Schultag war bereits am .. .
April 2013. Von der B... School, die sie bislang besucht haben, sind sie endgültig abgemeldet
(II/60).

- Die Kinder wurden im B... Einwohnermelderegister mit Wirkung zum ... . Mai 2023
abgemeldet und als künftiger Wohnsitz eine Anschrift in London angegeben (II/82): Zwar ist
richtig, dass die bloße melderechtliche Abmeldung grundsätzlich noch keine Aussage über eine
Aufhebung des Wohnsitzes zulässt (vgl. nur Grüneberg/Ellenberger, BGB [82. Aufl. 2023], § 7
Rn. 12). Aber die Abmeldung stellt - in der Zusammenschau mit weiteren Aspekten - ein
gewichtiges Indiz für den Willen dar, den Wohnsitz und damit den gewöhnlichen Aufenthalt
aufzugeben (§§ 11 Satz 3, 7 Abs. 3 BGB).

- Beide Kinder sind am Abend des .. . Mai 2023 vom Flughafen Berlin-Brandenburg mit
einem one-way-Ticket und größerem Gepäck nach London-Stansted geflogen (II/156). Dafür,
dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder nach B... zurückgekehrt wären, ist weder etwas
ersichtlich noch wird das behauptet.

- Die Versorgungsverträge (Strom, Gas, Telefon) für die von der Mutter bislang in B...
innegehabte Wohnung sind von ihr allesamt gekündigt worden (II/137). Die von ihr ebenfalls
beabsichtigte Kündigung des Untermietvertrages für die von ihr und den Kindern in B... bislang
benutzte Wohnung - Hauptmieter ist der Vater - soll, soweit ersichtlich, bislang an der
Weigerung des Vaters gescheitert sein, die Kündigung entgegenzunehmen bzw. sie an den
Vermieter weiterzureichen: Dass daher - soweit ersichtlich - derzeit möglicherweise noch ein
gültiger Mietvertrag über eine in B... belegene Wohnung existiert, kann auf der Basis der
Rechtsgedanken nach §§ 162 Abs. 1, 242, 226 BGB deshalb den Kindern nicht entgegengehalten
werden.

- Im Inland hält sich keine Person mehr auf, bei der die Kinder unterkommen könnten oder die
in der Lage wäre, sie zu betreuen, sie zu pflegen oder sie zu versorgen. Zwar ist es richtig, dass
der Vater im Verlauf des Verfahrens angeboten hat, seinen Wohnsitz in London aufgeben und
unverzüglich nach B... übersiedeln zu wollen, um die Kinder hier zu betreuen. Aber das ist nicht
mehr als eine bloße Ankündigung ohne Substanz. Denn der Vater hat zu keinem Zeitpunkt
Anstalten gemacht, in B... einen Wohnsitz zu begründen. Hinzukommt, dass die Kinder den
Kontakt zu ihm seit März 2022 nachdrücklich ablehnen. Seither hat es allenfalls einige kurze,
von Frau L… begleitete „Wiederanbahnungsversuche“ gegeben, die der Vater etwa im
März/April 2023 vollständig abgesagt hat - möglicherweise, weil in London die Geburt seines
vierten Kindes unmittelbar bevorstand. Von daher kann die Ankündigung des Vaters nicht als
ernsthaftes Angebot gewertet werden.

(v) Dagegen haben die Kinder inzwischen einen gewöhnlichen Aufenthalt in England begründet:
- Der Aufenthalt beider Kinder im Vereinigten Königreich ist rechtmäßig: Beide Kinder
verfügen mittlerweile über das notwendige Visum, um sich im Vereinigten Königreich aufhalten
zu dürfen (bzw. das Home Office, die für Ausländerangelegenheiten zuständige Behörde, hat
angekündigt, den Kindern einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu erteilen; Ia/235). Aufgrund
der familiengerichtliche Entscheidung vom 11. April 2023 (Ia/273) war die Mutter berechtigt,
mit den Kindern nach London überzusiedeln. Diese Entscheidung ist trotz erfolgter Einlegung
eines Rechtsmittels wirksam (§ 40 Abs. 1 FamFG).

- Beide Kinder verfügen über eine Schulanmeldung in England; ab September 2023 sollen sie
das private B... College Prep K..., … …, London, besuchen (II/98). Zusätzlich besuchen sie auch
die private, französischsprachige Sommerschule … école (II/186). Schließlich hat die Mutter
bereits schon Termine bei einem Kinderarzt und einem Zahnarzt für sie ausgemacht (II/137).
Richtig ist zwar, dass ein Kind im Fall eines Umzugs im Allgemeinen erst dann einen neuen
gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt, wenn es am neuen Aufenthaltsort in einem gewissen Umfang
sozial integriert ist; hierfür wird vielfach ein mehrmonatiger Zeitraum veranschlagt (vgl. etwa
Hausmann, a.a.O., Rn. F 424).

Dieser Gesichtspunkt steht indessen der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts
hier nicht entgegen: Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Ansatz allenfalls um eine
erste, grobe „Faustregel“ handelt, von der im Einzelfall nach unten abgewichen werden kann
(vgl. Hausmann, a.a.O., Rn. F 424). Das ist hier angezeigt: Einmal ist mit der Schulanmeldung,
der Wohnsitznahme und der Kontaktierung von Ärzten, aber auch mit der Beherrschung der
englischen Sprache durch beide Mädchen - sie haben in B... eine englischsprachige Schule
besucht - bereits ein hohes - hinreichendes - Maß an sozialer Integration erreicht. Zum anderen
ist zu berücksichtigen, dass in Fällen, in denen der Aufenthalt von vornherein auf längere Dauer
angelegt ist, anerkannt ist, dass der neue Aufenthalt unmittelbar zum gewöhnlichen Aufenthalt
erstarken kann (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 182/08, BGHZ 188,
207 = FamRZ 2011, 542 [Rz. 35]; Senat, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 16 UF 50/17, IPRax
2018, 529 [Rz. 11] sowie Völker/Clausius, a.a.O., § 11 Rn. 93; Benicke, in Nomos-
KommentarBGB AT, a.a.O. Art. 5 KSÜ Rn. 11). Das ist hier der Fall; die Mutter hat im
Verfahren durchweg erklärt, zusammen mit den Kindern auf Dauer in England leben zu wollen,
da hier auch der Vater der Kinder lebe und ihre schwere, seltene Erkrankung in England
optimal behandelt werden könne (und schon immer dort behandelt worden sei). Der
entscheidende Aspekt, der für die Annahme der unmittelbaren (sofortigen) Begründung eines
neuen gewöhnlichen Aufenthalts beider Mädchen in England spricht, ist freilich der Umstand,
dass beide Elternteile - Mutter und Vater - in England leben: Ein anderer Ort, an dem die
beiden Mädchen sich aufhalten und von ihrer Hauptbezugsperson betreut werden könnten, ist
nicht ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die englischen Gerichte sich „näher“
bei den Kindern befinden und damit besser geeignet sind, um über eventuelle Maßnahmen zum
Schutz der Kinder - beispielsweise über den Umgang - entscheiden zu können: Auch das ist ein
gewichtiger, für die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 KSÜ heranzuziehender Gesichtspunkt (vgl.
EuGH, Urteil vom 2. April 2009, a.a.O., FamRZ 2009, 843 [Rz. 35]).

- Der Umstand, dass die Kinder, wie die Mutter in ihrer Berliner Abmeldebestätigung angegeben
hat, zunächst - angeblich - in …, O… - also in der Londoner Innenstadt nahe der St. Paul’s
Cathedral - wohnen sollten (II/82), sie nun aber im Londoner Nordosten, in B..., …, … …,
wohnen und den erklärten Wünschen der Mutter zufolge es anstreben, künftig in K… in der
Nähe des Hyde Park wohnen zu wollen, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts
beider Kinder im Vereinigten Königreich nicht entgegen: Denn Art. 5 KSÜ stellt lediglich eine
Regelung der internationalen Zuständigkeit dar. Aus dem Wortlaut der Bestimmung geht klar
hervor, dass mit Art. 5 KSÜ nur der Vertragsstaat bestimmt wird, dessen Gerichte zuständig
sind, nicht aber der genaue Ort (bzw. das zuständige Gericht) innerhalb des betreffenden
Vertragsstaates bezeichnet wird. Vielmehr ist die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit Sache
des jeweils zuständigen Vertragsstaates des KSÜ (vgl. nur Hausmann, a.a.O., Rn. F 417). Daher
ist es für die vorliegende Frage völlig unerheblich, ob die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt
in einem Londoner Innenstadtbezirk begründen oder in einem Außenbezirk oder an einem
beliebigen anderen Ort in England und Wales.

- Aus dem gleichen Grund entbehrt der Vortrag des Vaters, Mutter und Kinder seien überhaupt
nicht in der Lage, sich das Leben in London in finanzieller Hinsicht leisten zu können sowie
weiter, dass Zweck des Umzugs nur gewesen sei, sich einen englischen Gerichtsstand zu
„erschleichen“, um von den wirtschaftlichen Vorteilen einer Scheidungsfolgenregelung durch
ein englisches Gericht profitieren zu können, jeglicher Grundlage: Die Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthalts - zumal der Kinder! - ist eine rein faktische Frage, die nicht davon
abhängig ist, ob die Mutter mit der von ihr beabsichtigten Rechtsverfolgung Erfolg hat oder der
erhoffte Erfolg ihr versagt bleibt.

- Ein weiteres Indiz dafür, dass die beiden Mädchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt inzwischen
in England haben, sind schließlich die Ausführungen, die nach dem von den englischen
Anwälten der Mutter verfassten Terminsbericht (II/133f.) zufolge District Judge Jenkins im
Anhörungstermin vom .. . April 2023 vor dem Central Family Court über das Gesuch auf
Gewährung von Rechtsschutz für einen Antrag auf financial relief after an overseas divorce nach sect.
13 Matrimonial and Family Proceedings Act 1984 (= MFPA 1984) gemacht haben soll: Danach sei
davon auszugehen, dass Mutter und Vater in England „habitually resident“ sein; beide sollen
Beziehungen zu England haben und während der Ehe zeitweilig dort gelebt haben; beide sollen
„hier“ [gemeint: London] leben und England und Wales sei ein angemessenes Forum für die
beabsichtigte Rechtsverfolgung (II/134).

Zwar ist es richtig, dass es in diesem Gerichtsverfahren um keine kindbezogenen Fragen geht
(ging), sondern ausschließlich um vermögensrechtliche Ansprüche, die die Mutter vor
englischen Gerichten geltend machen will (bzw. mittlerweile auch anhängig gemacht hat,
III/55). Weiter ist es richtig, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht vom
sorgeberechtigten Elternteil abgeleitet wird, sondern eigenständig für das Kind festzustellen ist
(vgl. nur Hausmann, a.a.O., Rn. F 423).

Gleichwohl ist hier aber zu berücksichtigen, dass der Central Family Court, bevor es der Mutter
für die von ihr erhobenen Ansprüche den Zugang zu den englischen Gerichten eröffnet hat,
zunächst prüfen musste, ob 'es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
angemessen erscheint, dass die Sache durch die Gerichte in England und Wales entschieden
wird' (sect. 16 (1) MFPA 1984: „... in all the circumstances of the case it would be appropriate for such an
order to be made by a court in England and Wales“). Die Erwägungen, die das Gericht gemäß sect. 16
(2) (a) bis (i) MFPA 1984 anstellen muss, um feststellen zu können, dass die englischen Gerichte
ein „forum convenient“ sind, decken sich im Ergebnis weitgehend mit den Gesichtspunkten,
anhand derer der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder zu bestimmen ist. Es ist denn auch
schlechterdings nicht vorstellbar, wie man der Mutter zugestehen kann, einen gewöhnlichen
Aufenthalt in England zu haben, diesen Status den Kindern aber versagen will.

Eine weitere Verstärkung erfährt diese Überlegung vor dem Hintergrund des von der Mutter
vorgetragenen Ergebnisses des ersten Termins vor dem High Court of Justice am ... . Juli 2023
(III/71): Voraussetzung für die ihr dort zugesprochenen Summen ist, dass das englische Gericht
„jurisdiction“ hat. Diese wiederum ergibt sich nur, wenn davon ausgegangen wird, dass die Mutter
in England und Wales entweder ihre habituel residence oder ein domicile (of choice) begründet hat (vgl.
auch Mercredi ./. Chaffe, a.a.O. [2011] EWCA Civ 272 [per Thorpe LJ, Rz. 67]).
(dd) Im Ergebnis fehlt daher die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte. Die
Beschwerde erweist sich damit als unzulässig (§ 68 Abs. 2 FamFG).

b) Nachdem das Rechtsmittel unzulässig und offensichtlich ohne jegliche Erfolgsaussicht ist,
kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 64 Abs. 3 FamFG (Schriftsatz vom 9.
Mai 2023; II/12) nicht in Betracht: Das ist ausgeschlossen.

c) Auf die wiederholte Bitte um Mitteilung, ob beabsichtigt sei, die Akten an die
Staatsanwaltschaft abzugeben (zuletzt etwa Schriftsatz vom 8. Juni 2023, dort S. 4; III/13), ist
klarzustellen, dass dies nicht beabsichtigt ist.

3. Es wird Gelegenheit gegeben, zu diesem Hinweis innerhalb von zehn Tagen Stellung zu
nehmen. Es wird höflich angeregt, dass vom Vater sehr sorgfältig geprüft wird, ob er die
Beschwerde innerhalb dieser Frist nicht durch einfache, schriftliche Erklärung zurücknehmen
möchte: Nach der festen Überzeugung des Senats ist das Rechtsmittel des Vaters bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig; in der Sache selbst weist es auch unter
Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens keinerlei Aussicht auf Erfolg auf.
Höchstvorsorglich, für den Fall, dass eine Rücknahme nicht in Betracht kommen sollte, weist
der Senat weiter daraufhin, dass dann im schriftlichen Verfahren, ohne erneute Anhörung,
entschieden werden soll; das Rechtsmittel ist unzulässig (§ 68 Abs. 2 FamFG). Nach dem
derzeitigen Stand dürfte die Beschwerde des Vaters daher als unzulässig zu verwerfen sein.“
b) Zu diesem Hinweis haben die Beteiligten nicht weiter Stellung genommen. Nachdem der
Vater sein Rechtsmittel nicht zurückgenommen hat, ist hierüber der Ankündigung entsprechend
im schriftlichen Verfahren zu entscheiden: Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde
mangels internationaler Zuständigkeit des Senats als unzulässig zu verwerfen (§ 68 Abs. 2 Satz 2
FamFG).

2. Nachdem das Rechtsmittel des Vaters keinen Erfolg hat, entspricht es der Billigkeit, wenn die
Kosten des Beschwerdeverfahrens von ihm getragen werden (§ 84 FamFG). Der
Beschwerdewert beträgt 4.000 € (§ 45 Abs. 1 FamGKG). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde
ist nicht veranlasst, weil es sich um die Entscheidung eines Einzelfalles in dem durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung sowohl in Deutschland, aber beispielsweise auch derjenigen
des schweizerischen Bundesgerichts in Lausanne - ebenfalls einem Mitgliedstaat des KSÜ - (vgl.
BGer, Entscheid vom 12. Dezember 2022 - 5A_591/2021, FamPra.ch 2023, 549), gezogenen
Rahmen handelt (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

Kammergericht

Erscheinungsdatum:

01.08.2023

Aktenzeichen:

16 UF 49/23

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)
Kindes- und Verwandtenunterhalt

Normen in Titel:

FamFG § 69; BGB § 1684