Anfechtbarkeit von Beschlüssen einer Wohnungseigentümerversammlung
letzte Aktualisierung: 15.7.2022
AG Kassel, Urt. v. 7.4.2022 – 800 C 4204/19
WEG §§ 21 Abs. 1 u. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 u. 5, 22 Abs. 3
Anfechtbarkeit von Beschlüssen einer Wohnungseigentümerversammlung
Noch unter Geltung des WEG in der bis zum 30.11.2020 gültigen Fassung sind Beschlüsse nicht
deswegen anfechtbar, weil darin die Kosten einer auf Antrag einzelner Eigentümer beschlossenen
baulichen Veränderung den antragstellenden Eigentümern auferlegt werden.
Entscheidungsgründe
Die fristgerecht erhobene und mit einer Begründung versehene Klage bleibt ohne Erfolg.
Der Rechtsstreit ist gemäß
des WEG in seiner bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung zu entscheiden, da er bereits vor
der Rechtsänderung des Jahres 2020 anhängig war. Dies führt auch dazu, dass die Vertretungsverhältnisse
bzw. Parteiverhältnisse in diesem Rechtsstreit ungeachtet der zum
01.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des WEG fortbestehen bleiben. Darüber hinaus
ist hinsichtlich der Beschlussanfechtungsanträge ebenfalls der bis zum 30.11.2020 vorhandene
Gesetzeszustand maßgeblich, da die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse nur
nach dem zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Rechtszustand möglich ist, weil die
Eigentümerversammlung gehalten war, sich bei der Beschlussfassung an das geltende Recht
zu halten. Denn die Eigentümer waren gar nicht in der Lage, bei der Beschlussfassung eine
noch nicht verkündete geschweige denn in Kraft getretene Gesetzeslage zu antizipieren.
Die im Protokoll vom 31.10.2019 festgehaltene Beschlussverkündung zu TOP 3.1, der Beschluss
sei nicht zu Stande gekommen, ist zutreffend. Zwar ist als unstreitiges Abstimmungsergebnis
vermerkt, dass 646,66/1000 MEA (bzw. 12 Köpfe) dem Beschluss zugestimmt hatten.
Dies hatte zwar zur Folge, dass mehrheitlich dem Beschlussantrag zugestimmt wurde.
Diese einfache Mehrheit genügt jedoch nicht, um vom Zu-Stande-Kommen des Beschlusses
ausgehen zu können. Denn der Beschluss betrifft nicht lediglich eine einfache Instandsetzungsmaßnahme,
so dass zur Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse weder die Regelung des
§ 6 Nr. 4 der Gemeinschaftsordnung noch diejenige der §§ 22 Abs. 3, 21 Abs. 3 WEG a.F. Anwendung
finden kann. Nach diesen Vorschriften genügt nur für eine gewöhnliche
Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahme die einfache Mehrheit in der Eigentümerversammlung,
um ein Beschluss treffen zu können.
Eine Instandhaltung im Sinne des § 21 Abs. 5 Nummer 2 WEG a.F. liegt dann vor, wenn der
bestehende Zustand erhalten werden soll und hier für pflegende, erhaltende und für vorsorgende
Maßnahmen zu Beschlussfassung anstehen; Instandsetzung im Sinne dieser Vorschrift
bedeutet die Wiederherstellung des ursprünglichen ordnungsmäßigen Zustandes des gemeinschaftlichen
Eigentums mittels Reparatur oder Ersatzbeschaffung unter Einschluss von Maßnahmen
aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen (zur Begrifflichkeit des Gesetzes in
seinem alten Bestand s. Niedenführ/Vandenhouten, WEG-Kommentar, 13. Auflage,
Rn. 71, 72 m. w. N.). Die Begrifflichkeit in § 6 Nr. 4 der Gemeinschaftsordnung entspricht dabei
diesem gesetzlichen Befund, da nicht erkennbar ist, dass bei der Errichtung der Gemeinschaftsordnung
insoweit etwas anderes gewollt war, als vom Gesetzgeber beabsichtigt. Daran
fehlt es hier. Die beschluss- und streitgegenständliche Maßnahme geht über diesen Rahmen
eindeutig hinaus.
Bereits aus dem Beschlusstext selbst ergibt sich, dass eine neue Aufzugsanlage in die beiden
Häuser eingebaut werden soll. Der zur Abstimmung gestellte Beschluss intendiert also nicht
Erhaltungsmaßnahmen in Bezug auf die zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung vom
21.10.2019 Anlage in ihrem damaligen Bestand, sondern zielt auf eine neue Herstellung. Diese
war auch nicht durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen geboten. Insbesondere vermag
das Gericht nicht festzustellen, dass Sicherheitskontrollen durch den TÜV Hessen zu einer erforderlichen
Neuerstellung der Aufzugsanlagen geführt hätten, weil anderenfalls der weitere
Betrieb der Fahrstühle nicht mehr möglich bzw. öffentlich-rechtlich zulässig gewesen wäre.
Zwar ist dem vom Kläger vorgelegten Bescheinigung des TÜV Hessen aufgrund der Kontrolle
am 15.11.2018 zu entnehmen, dass die beiden Aufzugsanlagen mangelbehaftet sind. Die
festgestellten Mängel wurden jedoch in der Kategorie „1" bewertet, also als geringfügige
Mängel eingeordnet. Der Betrieb der Anlage wurde weder untersagt noch befristet. Auch für
die Beseitigung der drei erwähnten Mängel wurde keine konkrete Frist bestimmt, die Prüfbescheinigung
spricht insoweit nur von einer unverzüglichen Behebung, die zu erfolgen habe.
Die genannten Mängel - austretendes Getriebeöl, Hörbarkeit der Notrufklingel, unzureichend
dimensionierte Fahrkorbschütze unterhalb der Fahrkorbschwelle - sind auch nicht hergestellt,
dass eine Neuerrichtung der Aufzugsanlagen geboten ist. Diese sind nach dem Stand der
mündlichen Verhandlung vom 03.03.2022 auch nicht mehr vorhanden. Denn dort wurde eine
jüngere Prüfbescheinigung des TÜV Hessen präsentiert, die als Prüfungstag den 08.10.2021
ausweist und einen ordnungsgemäßen Zustand vermerkt, der den Betrieb der Aufzugsanlage
bis zur nächsten wiederkehrenden Prüfung erlaubt (s. BI. 97 ff. der beigezogenen Akte 800 C
3797/21). Dies bedeutet, dass die noch im Jahre 2018 festgestellten geringfügigen Mängel
für die Prüforganisation nicht mehr gegeben waren, ohne dass die alten Anlagen durch eine
Neuerrichtung ersetzt worden wären.
Somit liegt entweder eine Modernisierungsmaßnahme im Sinne des
oder eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 WEG a.F. vor. Es bedarf im vorliegenden
Rechtsstreit keiner Entscheidung, in welcher der beiden Kategorien sich die Maßnahme
befindet, die mit dem Beschlussantrag zum TOP 3.1 der Versammlung vom 21.10.2019
gemeint war. Denn in beiden Fällen hätte es qualifizierten Mehrheiten bedurft, die bei der Beschlussfassung
nicht erreicht worden ist.
Im Hinblick auf die Kostentragungspflicht durch alle Miteigentümer und damit durch ihre Betroffenheit
(Beeinträchtigung) im Sinne von
als bauliche Veränderung einstimmig zu beschließen gewesen, im anderen Fall als Modernisierung
mit einer doppelt qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln aller stimmberechtigten
Wohnungseigentümer und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile. Ausweislich des Protokolls
gab es Gegenstimmen (drei Köpfe bzw. 147,50/1000 MEA), so dass die Einstimmigkeit
eindeutig nicht vorlag. Auch die doppelt qualifizierte Mehrheit war nicht erreicht, weil dafür
die Zustimmung von wenigstens 750/1000 MEA oder 15 Köpfen der 19 Mitglieder der Eigentümergemeinschaft
erforderlich gewesen wäre. Beides ist nicht der Fall gewesen.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich somit, dass die Beschlussablehnung und entsprechende
Verkündung gesetzeskonform erfolgten. Das Gericht kann somit nicht die im
Hauptantrag begehrte Ungültigerklärung des Negativbeschlusses sowie die begehrte Feststellung
aussprechen, der Beschluss sei gefasst worden.
Gleiches gilt im Ergebnis auch für den hilfsweise gestellten Beschlussersetzungsantrag. Unabhängig
davon, dass für die gerichtliche Beschlussersetzung die zum Zeitpunkt Beschlusses
der mündlichen Verhandlung geltende Gesetzeslage maßgeblich ist (mithin die seit dem
01.12.2020 geltende Fassung des WEG), kann das Gericht nur dann insoweit tätig werden,
wenn die Eigentümergemeinschaft pflichtwidrig über eine notwendige bzw. erforderliche Ver-
waltungsmaßnahme nicht beschlossen hat. Dies ist hier aber der Fall, weil in derselben Versammlung
vom 21.10.2019 die den Sachverhalt hinreichend regelnde Beschlüsse zu den TOP
3.2 und 3.3 gefasst wurden, die auch Bestand haben, wie nachfolgend auszuführen sein
wird. Deswegen kommt es auch nicht mehr darauf an, ob dem Gericht eine Entscheidungskompetenz
überhaupt zusteht, weil sich der Ermessensspielraum für die Wohnungseigentümer
nicht auf „Null" im Sinne der begehrten Beschlussersetzung reduziert hat, wie aus den
eben genannten Beschlüssen unschwer zu entnehmen ist.
Die Anfechtung der Beschlüsse zu den TOP 3.2 und 3.3. bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Beschlüsse
widersprechen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.
Die Klage richtet sich nicht gegen die Maßnahme der Neuerrichtung der beiden Fahrstuhlanlagen
in den beiden Gebäuden der Eigentümergemeinschaft. Sie wendet sich lediglich dagegen,
dass den insoweit antragstellenden mit Eigentümern die Mehrkosten dafür auferlegt
werden, die durch die Ausführung in der nahezu barrierefreien Variante der Fahrstühle entstehen.
Ein solches Vorgehen — Auferlegung der Mehrkosten an diejenigen Eigentümer, die die Mehrkosten
verursachenden Varianten der Ausführung einer Modernisierung bzw. baulichen Veränderung
begehren - ist nicht zu beanstanden. Denn dadurch wird verhindert, dass mit Eigentümern
mit Kosten belastet werden, die für sie und ihren Gebrauch des gemeinschaftlichen
Eigentums nicht notwendig sind. Andererseits wird durch eine Beschlussfassung der
vorliegenden Art dem Begehren der antragstellenden Eigentümer Rechnung getragen, indem
die Gemeinschaft die Maßnahme antragsgemäß beschließt, durchführt und die Durchführung
organisiert. Somit wird das beiderseitige Interesse (einerseits freihalten von übermäßigem
Kostenbelastung, andererseits Erstellung eines den Antragstellern zuträglichen Zustandes)
letztlich konform behandelt.
Auf diese Art und Weise haben die Eigentümer in den angefochtenen Beschlussfassungen die
Intention des Gesetzgebers bei der Neufassung des WEG bereits vor dessen Inkrafttreten berücksichtigt.
Denn nach
bauliche Veränderung verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen
dient. Die Errichtung eines nahezu barrierefreien Fahrstuhles gehört zweifelsfrei dazu. Allerdings
sieht die Neufassung des Gesetzes vor, dass insoweit die Kosten nur unter den engen
Voraussetzungen des
werden können. Liegen diese nicht vor, so sind die Kosten entweder den antragstellenden
Miteigentümern aufzuerlegen oder unter denjenigen Miteigentümern zu verteilen, die der
baulichen Maßnahme zugestimmt haben. Auch vor dem Hintergrund dieser neuen Gesetzeslage
vermag das Gericht nicht festzustellen, dass eine Kostentragungsregelung der hier angegriffenen
Art den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung widerspräche. Das Gegenteil
ist der Fall. Eine derartige dem Interessenausgleich dienende Kompromisslage, wie
sie den beiden angegriffenen Beschlüssen innewohnt, ist eine taugliche und damit ordnungsgemäße
Verwaltungsmaßnahme.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg gegen die genannten Beschlüsse mit dem Argument
wehren, sie seien zu unbestimmt. So hat er schon nicht dargetan, woraus sich eine etwaige
Unbestimmtheit der genannten Mehrkostensumme ergeben könnte. Bereits aus dem
Beschlusstext ergibt sich, dass sich die darin genannten Beträge aus der Auswertung von
Ausschreibungsunterlagen ergeben, wobei konkrete Maßnahmenvarianten genannt sind, die
diese Mehrkosten verursachen. Folglich hätte es dem Kläger nach dem entsprechenden Hinweis
der beklagten Partei oblegen, seinen Angriff im Rahmen der Beschlussanfechtung näher
zu konkretisieren. Dies hatte jedoch nicht getan. Das Gericht vermag auch keinerlei Anhaltspunkte
zu erkennen, warum der Beschlusstext insoweit unbestimmt sein soll, da er konkreti-
sierende Elemente enthält, die jedenfalls eine hinreichend eindeutige Auslegung des Beschlusses
ermöglichen.
Da die Klage aufgrund der vorstehenden Erwägungen insgesamt erfolglos bleibt, kommt es
auch nicht mehr auf eine Entscheidung über den beklagtenseits erhobenen Vorwurf an, der
Kläger habe Teile der Antragstellung und Begründung seines Klagebegehrens außerhalb der
Anfechtungs- bzw. Begründungsfrist des
Frage kann dahingestellt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf
auf § 709 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 111.300,00 € festgesetzt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:AG Kassel
Erscheinungsdatum:07.04.2022
Aktenzeichen:800 C 4204/19
Rechtsgebiete:
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
WEG §§ 21 Abs. 1 u. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 u. 5, 22 Abs. 3