OLG Stuttgart 29. Mai 2019
8 W 160/19
BGB §§ 2112, 2113, 2136, 2222; GBO § 29

Vertretung des Nacherben durch den Vorerben aufgrund transmortaler Vollmacht

letzte Aktualisierung: 9.8.2019
OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.5.2019 – 8 W 160/19

BGB §§ 2112, 2113, 2136, 2222; GBO § 29
Vertretung des Nacherben durch den Vorerben aufgrund transmortaler Vollmacht
Der von dem Erblasser trans- oder postmortal bevollmächtigte Vorerbe kann auch den Nacherben
wirksam vertreten, ohne den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2112, 2113 BGB unterworfen zu
sein.

Gründe

I.

Die am … .2017 verstorbene, im Grundbuch als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes
eingetragene … … hatte ihren Kindern, den Beteiligten, am 14.06.2005 - je einzeln - eine notariell beurkundete
General- und Vorsorgevollmacht erteilt, welche ausdrücklich über den Tod hinaus fortwirken sollte.

Nach dem vorgelegten Erbschein des Amtsgerichts Aalen - Nachlassgericht - vom 19.06.2018 sind die
Beteiligten nicht befreite Vorerben ihrer Mutter zu je 1/4, Nacherben sind nach dem Ableben eines Vorerben
die leiblichen Kinder des jeweiligen Vorerben; sämtliche Nachlassgegenstände mit Ausnahme des
verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes stehen den Vorerben als Vorausvermächtnis zu.

Am 08.02.2019 hat die Beteiligte zu 4 vor Notar … in Schwäbisch Gmünd auch im Namen der übrigen
Beteiligten Grundbuchberichtigung dahingehend beantragt, dass die Beteiligten als Eigentümer des
verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragen werden. Gleichzeitig hat sie namens der Nacherben
den Grundbesitz aus der Nacherbschaft frei gegeben und die Löschung des Nacherbenvermerks im Wege der
Grundbuchberichtigung bewilligt und beantragt. Der Notar hat den Antrag mit Schreiben vom 14.02.2019 bei
dem Grundbuchamt eingereicht.

Mit Beschluss vom 02.04.2019 hat das Grundbuchamt im Wege der Zwischenverfügung beanstandet, dass
dem Vollzug des Antrags vom 08.02.2019 Eintragungshindernisse entgegenstehen. Da die transmortal erteilte
Vollmacht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur zur Vertretung der Vorerben und nicht zur Vertretung der
Nacherben berechtige, bedürfe es der Freigabe durch die Nacherben in der Form des § 29 GBO. Für die noch
unbekannten Nacherben sei ein Pfleger zu bestellen, die Freigabe auch von diesem zu erklären und von dem
Nachlassgericht zu genehmigen. Bezüglich der bekannten Nacherben sei die Stellung als leibliches Kind durch
Vorlage einer Geburtsurkunde nachzuweisen, außerdem sei eine eidesstattliche Versicherung des jeweiligen
Vorerben vorzulegen, aus welcher sich ergebe, dass derzeit keine weiteren leiblichen Kinder bekannt seien.
Zur Erledigung hat das Grundbuchamt Frist gesetzt bis zum 06.05.2019.

Gegen diese Entscheidung hat der vertretungsbefugte Notar mit Schriftsatz vom 06.05.2019 Beschwerde
eingelegt, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 15.05.2019 nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach §§ 71 ff. GBO zulässige Beschwerde der Beteiligten hat auch in der Sache Erfolg.

Die von dem Grundbuchamt in der angegriffenen Entscheidung aufgezeigten Eintragungshindernisse liegen
nicht vor. Aufgrund der von der Beteiligten zu 4 in Vollmacht auch für die Nacherben erklärten Freigabe des
verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und Bewilligung der Löschung des
Nacherbenvermerks sind die Voraussetzungen für die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der
Beteiligten als Eigentümer ohne Nacherbenvermerk gegeben.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine über den Tod hinaus wirkende Vollmacht des
Erblassers nach dessen Ableben bis zum Eintritt des Nacherbfalls den Bevollmächtigten auch zur Vertretung
des Nacherben legitimiert.

Hierzu wird einerseits die Auffassung vertreten, eine vom Erblasser dem Vorerben oder einem Dritten erteilte
Vollmacht berechtige bis zum Nacherbfall nur zur Vertretung des Vorerben, so dass auch ein Bevollmächtigter
dessen Verfügungsbeschränkungen unterliege (Grunsky in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, §
2112, Rn. 10; Hoeren in Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 2112, Rn. 12; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer, BGB
Erbrecht, 5. Aufl. 2018, § 2112, Rn. 20; Schmidt in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 5; Hamdan in
jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 17; Avenarius in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 2112, Rn.
33 f.; § 2100, Rn. 47; Edenhofer in Palandt, BGB, 67. Aufl., § 2112, Rn. 7; Böttcher, NotBZ 2011, 269, 276).
Das Rechtsverhältnis, auf dem die Fortdauer der Vollmacht gemäß § 168 BGB beruhe, bestehe nach Ableben
des Vollmachtgebers nur zwischen dem Vollmachtnehmer und dem Vorerben, der Nacherbe sei vor Eintritt des
Nacherbfalls an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligt. Ein Widerruf der Vollmacht durch den Nacherben sei
daher nicht möglich (Grunsky a.a.O.). Überdies könne es zu einem Widerruf häufig allein aus tatsächlichen
Gründen nicht kommen, weil der Nacherbe von der Vollmacht nichts erfahre oder noch nicht lebe und kein
Pfleger bestellt wurde (Avenarius a.a.O.). Eine Vertretung des Nacherben würde dessen Schutzrechte
gegenüber dem Vorerben aushöhlen, weil dadurch die aus § 2136 BGB folgende Grenze der
Befreiungskompetenz des Erblassers überschritten wäre. Der Bevollmächtigte könnte ansonsten über den
Kopf des Nacherben ohne dessen Eingriffsmöglichkeit auch unentgeltliche Verfügungen vornehmen. Teilweise
wird vertreten, dass die dem Vorerben erteilte Vollmacht mit dem Ableben des Erblassers durch Konsolidation
erlösche, niemand könne sich selbst vertreten (Müller-Christmann in BeckOGK, Stand 1.3.2019, BGB § 2112
Rn. 67; Hamdan a.a.O.; Avenarius a.a.O., § 2112, Rn. 33; Gierl a.a.O.; Munzig in KEHE Grundbuchrecht, 8.
Aufl. 2019, § 51 GBO, Rn. 12; Keim, DNotZ 2008, 175, 181 zu III 1; Böhringer in Meikel, GBO, 11. Aufl., § 51,
Rn. 64).

Der Senat schließt sich indes der Gegenauffassung an, wonach der von dem Erblasser trans- oder postmortal
Bevollmächtigte auch den Nacherben wirksam vertreten kann und in seiner vom Erblasser abgeleiteten
Verfügungsmacht nur den Beschränkungen unterliegt, die ihm vom Erblasser selbst direkt auferlegt wurden (so
auch KG, Beschluss vom 30.03.1908, OLGE 18, 338; OLG Stuttgart/Senat, Beschluss vom 30.01.1973 - 8 W
211/72 [obiter dictum]; Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 2112, Rn. 4; Weidlich, ZEV 2016, 57, 64;
Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 168, Rn. 52; Schilken in Staudinger, BGB,
Neubearbeitung 2014, § 168, Rn. 33; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3488). Seine
Rechtsmacht, die Erben zu binden, entspricht der Rechtsmacht des prämortal Bevollmächtigten. Durch nach
dem Tod des Vollmachtgebers seitens des Bevollmächtigten vorgenommene Rechtsgeschäfte werden
sämtliche Erben einschließlich etwaiger Nacherben berechtigt und verpflichtet (Amann, MittBayNot 2013, 367).
An die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB ist der Bevollmächtigte
auch dann nicht gebunden, wenn er gleichzeitig Vorerbe ist (Weidlich in Palandt a.a.O.; differenziert: Keim,
a.a.O., S. 181 zu III 1 und Böhringer a.a.O., wonach die Verfügungsbeschränkungen für den bevollmächtigten
Vorerben nicht aber für einen bevollmächtigten Dritten gelten). Zwar tritt in das der Vollmacht
zugrundeliegende Rechtsverhältnis nur der Vorerbe und nicht auch der Nacherbe ein. Der Nacherbe kann
jedoch als Erbanwärter kraft seines künftigen Erbrechts über Nachlassgegenstände, für welche der Vorerbe
allein den Beschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB unterliegt, in Gemeinschaft mit dem Vorerben wirksam
verfügen. Insoweit er Verfügungen des Vorerben durch seine Zustimmung wirksam werden lassen kann, ist
auch seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten zulässig. Die von dem Erblasser für sich und seine Erben
erteilte Vollmacht berechtigt den Bevollmächtigten mithin auch, vor Eintritt der Nacherbfolge insoweit im
Namen des Nacherben zu handeln, als der Nacherbe selbst vor Eintritt der Nacherbfolge in seiner Eigenschaft
als Nacherbe handeln kann. Der Bevollmächtigte kann somit gleichzeitig im Namen des Vorerben und des
Nacherben handeln. Erweist sich die Verfügung des Bevollmächtigten für den Nacherben als nachteilig, so
kann daraus möglicherweise ein Anspruch des Nacherben gegen den Bevollmächtigten erwachsen, ohne dass
deswegen die Gültigkeit der Verfügung des Bevollmächtigten in Frage gestellt wird (KG a.a.O.). Sind
Vollmachtnehmer und Vorerbe identisch, mag mit dem Tod des Erblassers die Vollmacht, für den Vorerben zu
handeln, durch Konsolidation erloschen sein, die Vertretungsmacht, für den Nacherben zu handeln, bleibt
jedoch bestehen. Dass der Nacherbe noch nicht in das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis für
den Erblasser eingetreten ist, hindert die Wirksamkeit der Vollmacht, auch für den Nacherben zu handeln,
nicht, weil das Abstraktionsprinzip eine wirksame Vollmacht auch ohne Grundverhältnis ermöglicht (Keim
a.a.O., S. 179). Der Nacherbe kann eine solche isolierte Vollmacht auch frei widerrufen. Der Einwand, das
Widerrufsrecht des Nacherben sei aus tatsächlichen Gründen kaum zu realisieren, mag zutreffen, spricht aber
nicht gegen die vom Erblasser abgeleitete und von den Erben hinzunehmende Befugnis des Bevollmächtigten,
auch den Nacherben zu vertreten. Der Erblasser könnte dem Nacherben ebenso mittels eines
Nacherbenvollstreckers gemäß § 2222 BGB während der Vorerbschaft seine Befugnisse völlig entziehen,
ohne dass der Nacherbe die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen (Keim a.a.O., S. 179). Hielte man eine
Stellvertretung für den Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls prinzipiell für unzulässig, könnte eine
Vertretungsmacht auch nicht über den Rechtsschein des § 172 BGB fingiert werden (Keim a.a.aO. S. 180).
Das Grundbuchamt wäre in allen Fällen, in denen ein trans- oder postmortal Bevollmächtigter Verfügungen für
den Nachlass vornimmt, gezwungen, sich in der Form des § 29 GBO nachweisen zu lassen, dass der
Erblasser keine Nacherben eingesetzt hat oder dass die eingesetzten Nacherben der Verfügung zugestimmt
haben. Die trans- oder postmortale Vollmacht wäre damit für den Grundbuchverkehr erheblich entwertet.

Da die Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und die Bewilligung
der Löschung des Nacherbenvermerks durch die Beteiligte zu 4 den Nacherben gegenüber wirksam ist, ist das
Grundbuch dahin zu berichtigen, dass die Beteiligten entsprechend ihrem Antrag ohne Nacherbenvermerk als
Eigentümer in das Grundbuch einzutragen sind (Demharter, GBO, 31. Aufl., § 51, Rn. 15; Haegele, Rpfleger
1971, 121, 129), soweit keine anderen Eintragungshindernisse entgegenstehen.

Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde ist weder eine Entscheidung bezüglich der Gerichtskosten und der
Wertfestsetzung noch zur Zulassung einer Rechtsbeschwerde veranlasst.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Stuttgart

Erscheinungsdatum:

29.05.2019

Aktenzeichen:

8 W 160/19

Rechtsgebiete:

Testamentsvollstreckung
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Grundbuchrecht

Erschienen in:

ZEV 2019, 530-533

Normen in Titel:

BGB §§ 2112, 2113, 2136, 2222; GBO § 29