BGH 04. Mai 1990
V ZR 21/89
ErbbauVO § 9; BGB §§ 157, 242, 433

Anspruch auf Erbbauzinserhöhung bei Wechsel des Erbbauberechtigten

Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen, daß die Klägerin
ihren Anspruch auf § 635 BGB stützen kann. Diese Schäden
hängen eng mit der fehlerhaften Bauleistung der Beklagten
zusammen (vgl. Senatsurteil BGHZ 96, 221, 226 m.w. N.). Im
Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichts steht jedoch
einem möglichen Schadensersatzanspruch . der Klägerin
nicht entgegen, daß sie eine Fristsetzung und Ablehnungsandrohung (§§ 635, 634 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht ausgesprochen hat. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ist hier
ein Fall gegeben, in dem eine Fristsetzung von vornherein
nicht nötig war.
Für einen Mangelfolgeschaden nach § 635 BGB kann nicht
nur unter denselben Voraussetzungen Ersatz verlangt werden wie bei denjenigen Schäden, die dem Werk selber
anhaften. Geht es um den Ersatz eines Schadens, der neben
dem schadenstiftenden Mangel des Werkes entstanden ist,
bedarf es keiner Fristsetzung, weil deren Zweck fehlt. Dieser
besteht darin, dem Auftragnehmer eine letzte Gelegenheit
einzuräumen, das noch mit Mängeln behaftete Werk in den
vertragsgemäßen Zustand zu versetzen, ehe an deren Stelle
die finanziell regelmäßig belastendere Gewährleistung nach
§ 635 BGB tritt (im einzelnen vgl. Senatsurteil BGHZ 96, 221,
226 m. w. N.). Demgegenüber haben sich die Mängel an den
Innenwänden und Fußböden des Kellers erst infolge des
fehlerhaften Werkes, der von den Beklagten nicht fachgerecht hergestellten Außenisolierung und Drainage eingestellt, nachdem Anstrich, Tapeten und Teppichböden für
sich genommen zunächst keinen Anlaß für Beanstandungen
gaben. Selbst wenn der Keller trocken gelegt wird, bleiben
die schadhaften Innenbeläge. Diese in Ordnung zu bringen
ist nicht Gegenstand der nötigen Nachbesserung an der
Unterkellerung des Hauses.
bb) Soweit die Klägerin Schadensersatz für 60 qm im Keller
lagernden Teppichboden verlangt, kommt im Gegensatz zur
Ansicht des Berufungsgerichts eine Haftung der Beklagten
aus positiver Vertragsverletzung in Betracht. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist diese Anspruchsgrundlage heranzuziehen, wenn es darum geht, entferntere und deshalb nicht unter § 635 BGB fallende Mangelfolgeschäden auszugleichen (vgl. Senatsurteil NJW 1979,
1651; BGH Urteil vom 12.6.1980 — IV a ZR 3180 = BauR 1980,
572, 573). Um einen solchen entfernteren Schaden handelt
es sich bei dem Vorrat an Teppichboden. Die Beschädigung
des Materials ist ebenso zu beurteilen, wie diejenige beliebiger anderer Gegenstände im Eigentum der Klägerin. Der Teilschaden steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Mangel des Werkes. Das Berufungsgericht hat im einzelnen hierzu keine Feststellungen getroffen. Deutlich ist
immerhin, daß das Material lediglich im Keller aufbewahrt
wurde und nur deshalb in Mitleidenschaft gezogen wurde,
ohne daß ein weiterer Bezug zu dem auslösenden Werkmangel bestand.
Der Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung hat nicht zur Voraussetzung, daß zunächst eine Frist
mit Ablehnungsandrohung gesetzt wird. Vielmehr kann die
Klägerin diesen Schaden ohne weiteres geltend machen.
II. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens, zurückzuverweisen (§§ 564
Abs. 1, 565. Abs. 1 ZPO). Auf die weiteren Angriffe der Revision gegen die Ablehnung deliktischer Ansprüche kommt es
nicht mehr an. Sollte jedoch der Gewährleistungsausschluß
wirksam sein, wird das Berufungsgericht zu klären haben,
ob die Beklagten die Mängel arglistig verschwiegen haben
(§ 637 BGB) oder ob der Klägerin deliktische Ansprüche
zustehen. In diesem Fall wird der Klägerin Gelegenheit zu
geben sein, ihre Einwände gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung hinsichtlich einer Kenntnis der Beklagten von
den Mängeln dem Berufungsgericht vorzutragen.
3. ErbbauVO § 9; BGB §§ 157, 242, 433 (Anspruch auf Erbbauzinserhöhung bei Wechsel des Erbbauberechtigten)
1. Die Veräußerung des Erbbaurechts berührt den Anspruch des Bestellers gegen den Veräußerer auf Erhöhung des Erbbauzinses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht. Dies gilt auch dann, wenn das
Geschäft des Veräußerers mit dem Dritten nicht auf die
2. Verkauft der Erbbauberechtigte sein Erbbaurecht und
wird er von dem Besteller wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf eine Erhöhung des Erbbauzinses in Anspruch genommen, so kann ihm aufgrund ergänzender
Auslegung des Kaufvertrages gegen den Käufer ein Anspruch auf Freistellung von dem erhöhten Zins zustehen.
BGH, Urteil vom 4.5.1990 — V ZR 21/89 — mitgeteilt von
D. Bundschuh, Vorsitzender Richter am BGH
Aus dem Tatbestand:
Hermann P., dessen alleinige Vorerbin die Klägerin ist, bestellte der
Rechtsvorgängerin der Beklagten am 30.4.1953 an einer Reihe ihm gehöriger Grundstücke Erbbaurechte gegen Einräumung eines Erbbauzinses. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten bebaute die Grundstücke und verkaufte die Erbbaurechte an Dritte. Die Verkäufe zogen
sich über eine Reihe von Jahren, bis in die Zeit nach 1960, hin. Die
ausgewiesenen Kaufpreise entfallen auf die Baulichkeiten und, zu
einem symbolischen Wert von 1 DM, auf. das Zubehör.
Zum Ausgleich des Geldwertschwundes hat die Klägerin für die einzelnen Erbbaurechte eine Erhöhung des Erbbauzinses um 434 v. H.
des bisherigen Betrages verlangt. Mit der Klage hat sie die Erhöhung
ab 11.9.1987 geltend gemacht. Die Beklagte hat unter anderem die
Auffassung vertreten, die Klägerin könne allenfalls von den Käufern
der Erbbaurechte Anpassung des Erbbauzinses verlangen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht
hat sie abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Das
Rechtsmittel hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß im
Verhältnis der Parteien ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses nach den Grundsätzen des Fortfalls der Geschäftsgrundlage grundsätzlich bestehen kann. Ein solcher
Anspruch kann sich allerdings nur aus dem schuldrechtlichen Bestellungsvertrag ergeben (vgl. BGHZ 96, 371, 375 ff.;
97, 171, 177; BGB-RGRK/Räf/e, 12. Aufl. §9 ErbbauVO,
Rdnr.63) und setzt daher den Fortbestand dieser schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den , Parteien voraus.
Diese Voraussetzung ist jedoch gegeben, da die Erwerber
der Erbbaurechte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mit schuldbefreiender Wirkung in die schuldrechtlichen Bestellungsverträge eingetreten sind.
Eine Äquivalenzstörung infolge des Geldwertschwundes ist
dann nicht mehr hinzunehmen, wenn das im Vertrag vorausgesetzte Gleichgewicht zwischen Leistung und GegenMittBayNot 1990 Heft 5 303


leistung in so erheblichem Maße gestört wird, daß die hiervon betroffene Vertragspartei in der Erbbauzinsvereinbarung
ihre Interessen nicht einmal mehr annähernd gewahrt sehen
kann (BGHZ 77,194, 198 f. [= DNotZ 1981, 253]). Das ist bei
Wohnungserbbaurechten grundsätzlich schon bei einem
Kaufkraftschwund des ursprünglich vereinbarten Erbbauzinses um mehr als 60% der Fall (BGHZ 90, 227, 229 [= DNotZ
1985, 368]). Wird diese Grenze überschritten, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, daß der Erbbaurechtsbesteller das
Risiko auch eines derartigen Anstiegs vorausgesehen und
übernommen hat (BGHZ 91, 32, 34f.; 94, 257, 259 f. [= DNotZ
1985, 21]). Daß diese Voraussetzungen hier an sich gegeben
sind, stellf das Berufungsgericht ausdrücklich fest.
2. Die vom Berufungsgericht angeführten besonderen Umstände rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.
a) Die Weiterveräußerung der Erbbaurechte ändert nichts an
der typischen Risikoverteilung des schuldrechtlichen Vertrages über die Bestellung der Erbbaurechte. Mit den Erbbaurechten wurde der Rechtsvorgängerin der Beklagten das
dingliche Recht eingeräumt, auf oder unter der Oberfläche
der Grundstücke ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 ErbbauVO). Ob und in welcher Weise sie von diesem Recht Gebrauch machte, unterlag ihrer freien Entscheidung. Allein
ihre Sache war es, darüber zu befinden, ob sie auf den belasteten Grundstücken jeweils ein Bauwerk errichtete, ob sie
hiervon absah oder die Erbbaurechte mit oder ohne Gebäude an Dritte veräußerte. Diese Entscheidungen lagen
ausschließlich im Risikobereich der Beklagten oder ihrer
Rechtsvorgängerin und berührten die der Klägerin oder
ihrem Rechtsvorgänger gebührende Gegenleistung nicht.
b) Das gleiche gilt für den vom Berufungsgericht weiter herangezogenen Gesichtspunkt, daß die Beklagte oder ihre
Rechtsvorgängerin sich bei der Veräußerung der Erbbaurechte nicht von der Absicht habe leiten lassen, Gewinn zu
erzielen. Auch die Motive und Modalitäten der Weiterveräußerung liegen allein im Verantwortungs- und Risikobereich der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin.
c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts entspricht
es nicht der Billigkeit, die Klägerin darauf zu verweisen, daß
sie sich von der Beklagten deren — vermeintliche — Ansprüche gegen ihre Käufer abtreten lassen -könne. Weder die Veräußerung der Erbbaurechte als solche noch ein Verzicht auf
Gewinn aus dem Veräußerungsgeschäft stellen einen sachlichen Grund dafür dar, der Klägerin das Risiko der Bonität
der Käufer, auf deren Auswahl sie und ihre Rechtsvorgänger
keinen Einfluß hatten, zuzuschieben und sie überdies auf
die- Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Schuldnern
zu verweisen.
Im übrigen bestehen die vom Berufungsgericht unterstellten
Ansprüche nicht. Der Erbbauzins ist die im Kausalgeschäft
über die Bestellung des Erbbaurechts vereinbarte Gegenleistung des Erbbauberechtigten an den Eigentümer für die Befugnis, auf dem fremden Grundstück ein Bauwerk zu haben
(§ 9 Abs. 1 ErbbauVÖ). Der Beklagten oder ihrer Rechtsvorgängerin als Erbbauberechtigter stand gegenüber den Erwerbern zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erbbauzins
zu. Sie waren vielmehr Gläubiger von Kaufpreisansprüchen
aufgrund der Veräußerung des Erbbaurechts (Rechtskauf;
§ 433 Abs. 1 Satz 2, Abs.2 BGB).
d) Als Kontrollüberlegung dafür, ob der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin eine Anpassung des Erbbauzinses an die
veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse zuzumuten ist,
kann die Frage Bedeutung gewinnen, ob die Beklagte im
Verhältnis zu den Käufern der Erbbaurechte Freistellung von
dem Anspruch der Klägerin auf erhöhten Erbbauzins verlangen kann. Ein solcher Freistellungsanspruch ist den Kaufverträgen über die Veräußerung der Erbbaurechte im Wege
ergänzender Vertragsauslegung zu entnehmen. Der Senat
kann diese Auslegung selbst vornehmen, denn das Berufungsgericht hat, wenngleich unter dem unzutreffenden
rechtlichen Gesichtspunkt des Erbbauzinses, die erforderlichen Feststellungen bereits getroffen, und weitere Aufklärung ist nicht zu erwarten (vgl. BGHZ 65, 107, 112; BGH Urt.
v. 24.6.1988, V ZR 49/87, WM 1988, 1599 [= DNotZ 1989, 308]).
Die Kaufverträge weisen eine Lücke für den Fall auf, daß der
Eigentümer, obgleich ihm eine Zinsanpassung vertraglich
nicht eingeräumt war, eine solche rechtlich durchsetzen
könnte. Die Vertragsparteien haben diesen Fall nicht bedacht und auch nicht bedenken können, denn die Rechtsprechung des Senats zur Anpassung des Erbbauzinses auch
ohne Anpassungsklausel nach den Grundsätzen des Fortfalls der Geschäftsgrundlage (grundlegend BGHZ 77, 194,
197 ff.) ist erst lange Zeit nach dem Abschluß der Verträge
über die Veräußerung der. Erbbaurechte begründet worden.
Bei der erforderlichen Ergänzung des Vertragsinhalts ist darauf abzustellen, was die Vertragsparteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie
die Möglichkeit einer nachträglichen Erhöhung des Erbbauzinses -bedacht hätten (vgl. BGHZ 84, 1, 7 m. w. N.). Für
diesen Fall hätten sich die Erwerber der Erbbaurechte auf
eine Erfüllungsübernahme einlassen müssen und im Zweifel
auch eingelassen. Denn sonst hätte die Beklagte oder ihre
Rechtsvorgängerin das Risiko einer späteren Inanspruchnahme auf Zahlung erhöhten Erbbauzinses in anderer
Weise, z. B. durch eine Erhöhung des Kaufpreises, auf die
Käufer abwälzen müssen. Das wirtschaftliche Ergebnis
einer Erfüllungsübernahme wird durch einen entsprechenden Freistellungsanspruch erreicht. Durch diese Freistellungsverpflichtung werden die Käufer nicht unzumutbar belastet, weil der von ihnen insgesamt aufzubringende Erbbauzins (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauVO i. V. m. § 1108 BGB)
auch nach dessen nomineller Erhöhung nur dem wirtschaftlichen Wert des ursprünglich vereinbarten Erbbauzinses entspricht. (Wird-ausgeführt.)
4. WEG § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 4 (Kraftloserklärung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung)
1. Ohne Abgeschlossenheitsbescheinigung darf das Grund•
buchamt in keinem Fall Wohnungseigentum im Grundbuch eintragen.
2. Hat die Baubehörde eine Abgeschlossenheitsbescheinigung nach § 7 Abs. 4 WEG für „kraftlos erklärt`, so ist
diese Erklärung für das Grundbucheintragungsverfahren
nur dann zu beachten, wenn sich aus ihr in Verbindung
mit den übrigen Eintragungsunterlagen ergibt, daß eine
Abgeschlossenheit im räumlichen Sinn nach § 3 Abs.2
WEG nicht gegeben ist (Ergänzung zu BayObLGZ 1989,
447 [= MittBayNot 1990, 109 = DNotZ 1990, 260])
BayObLG, Beschluß vom 20.6.1990 — BReg. 2 Z 37/90 —
mitgeteilt von Johann Demharter, Richter am BayObLG
MittBayNot 1990 Heft 5

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

04.05.1990

Aktenzeichen:

V ZR 21/89

Erschienen in:

MittBayNot 1990, 303-304

Normen in Titel:

ErbbauVO § 9; BGB §§ 157, 242, 433