BGH 21. Juli 2023
V ZR 215/21
WEG a. F. §§ 23, 26, 28, 46

WEG: Anfechtung eines sog. „Aufforderungsbeschlusses“

letzte Aktualisierung: 16.10.2023
BGH, Urt. v. 21.7.2023 – V ZR 215/21

WEG a. F. §§ 23, 26, 28, 46
WEG: Anfechtung eines sog. „Aufforderungsbeschlusses“

1. Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts
verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen; das gilt auch dann, wenn der
fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung (hier:
fehlerhafte Angabe der Zustellanschrift) vorausgegangen ist.
2. Zur Frage der Majorisierung, wenn sich ein Mehrheitseigentümer, der nicht professioneller
Verwalter ist, gegen den Willen der Minderheit selbst zum Verwalter bestellt.
3. Es ist den Wohnungseigentümern gestattet, durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, ob
sie bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen für unzulässig halten; dabei dürfen sie
einzelne Wohnungseigentümer zu einem dem Beschluss entsprechenden Verhalten auffordern. Wird
dies dem Wortlaut nach als Ge- oder Verbot beschlossen, ist darin nächstliegend ein solcher
Aufforderungsbeschluss zu sehen (insoweit Aufgabe von Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR
72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 10).
4. Im Rahmen einer gegen einen Aufforderungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage sind nur
formelle Beschlussmängel zu prüfen. Ob ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht, ist
in einem gegebenenfalls anzustrengenden Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren zu klären. In
dem Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren ist das Gericht an die in dem
Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht
gebunden.

Entscheidungsgründe:

I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage unbegründet, weil die
Klägerin die einmonatige Klagefrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF nicht gewahrt
hat. Die Zustellung wirke auch nicht gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt des
Eingangs der Klage zurück. Aufgrund der fehlerhaften Angabe der Anschrift sei
die Zustellung mit einer nicht mehr geringfügigen Verzögerung von mehr als
14 Tagen erfolgt. Denn bei Angabe der richtigen Anschrift wäre vor dem 23. November
2020 zugestellt worden. Dass die Zustellung erst am 11. Dezember 2020
erfolgt sei, müsse der Klägerin zugerechnet werden; hätte das Gericht, wozu es
nicht verpflichtet gewesen sei, nicht selbst die korrekte Anschrift ermittelt, sondern
der Klägerin zunächst eine Rückbriefnachricht zukommen lassen, wäre
noch später zugestellt worden. Die angegriffenen Beschlüsse seien auch nicht
nichtig. Insbesondere seien sie weder zu unbestimmt noch fehle es an der Beschlusskompetenz.

II.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt gemäß §§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache
an das Berufungsgericht.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin die
materielle Klagefrist des hier gemäß § 48 Abs. 5 WEG noch anwendbaren § 46
Abs. 1 Satz 2 WEG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung gewahrt.
Denn die Klage ist zwar erst am 11. Dezember 2020 und damit nicht innerhalb
eines Monats nach Beschlussfassung zugestellt worden. Die Zustellung
wirkt aber gemäß § 167 ZPO auf den Tag des Eingangs der Klage, an dem die
Klagefrist noch nicht abgelaufen war, zurück.

a) Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an,
der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten.
Dabei wird eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis
zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen. Bei der Berechnung der noch hinnehmbaren
Verzögerung von 14 Tagen wird darauf abgestellt, um wie viele Tage sich
der ohnehin für die Zustellung erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit
der Partei verzögert hat (vgl. nur Senat, Urteil vom 29. September 2017
- V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 5 mwN). Beruht die Verzögerung auf der
fehlerhaften Angabe der Zustellanschrift durch den Zustellungsbetreiber, berechnet
sie sich ab dem Zeitpunkt des gescheiterten Zustellungsversuchs (vgl. BGH,
Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1154, 1156). Verzögerungen
im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des
Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber dagegen nicht zuzurechnen
(vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2022 - V ZR 165/21, NJW-RR 2022, 512
Rn. 6); das gilt auch dann, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts
eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist.

b) Dies zugrunde gelegt, ist für die Berechnung der auf der fehlerhaften
Angabe der Zustellanschrift beruhenden Verzögerung der Zeitpunkt des gescheiterten
Zustellungsversuchs von Bedeutung. Dieser ist zwar - wohl mangels entsprechenden
Vermerks des Zustellers auf der Zustellungsurkunde - nicht festgestellt.
Bei Zugrundelegung üblicher Bearbeitungszeiten durch die Post ist aber
davon auszugehen, dass die am 12. November 2020 (Donnerstag) von der Geschäftsstelle
veranlasste Zustellung bei richtiger Adressangabe am 16. November
2020 (Montag) erfolgt wäre. Damit ergibt sich angesichts der tatsächlich erst
am 11. Dezember 2020 erfolgten Zustellung eine Verzögerung von 25 Tagen.

c) Diese Verzögerung ist der Klägerin indes nicht vollumfänglich zuzurechnen.
Denn die Verfügung der Zustellung an die richtige Anschrift durch den Abteilungsrichter
vom 24. November 2020 wurde erst am 9. Dezember 2020 ausgeführt
statt am 27. November 2020, was den insoweit üblicherweise für die Bearbeitung
durch die Geschäftsstelle anzusetzenden drei Werktagen entsprochen
hätte. Damit ergibt sich eine auf fehlerhafter Sachbehandlung des Gerichts beruhende
Verzögerung von 12 Tagen, die sich die Klägerin nicht zurechnen lassen
muss. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts folgt nichts anderes daraus,
dass der Abteilungsrichter selbst - insoweit zugunsten der Klägerin - die
richtige Anschrift aus einer parallelen Akte entnommen hat, anstatt eine womöglich
mehr Zeit beanspruchende Rückbriefnachricht zu veranlassen; das überobligatorische
Tätigwerden des Abteilungsrichters kompensiert nämlich, anders als
das Berufungsgericht offenbar meint, nicht die anschließende verzögerte Bearbeitung
durch die Geschäftsstelle. Bringt man nach alledem 12 Tage von der ab
der fehlgeschlagenen Zustellung zu berechnenden absoluten Verzögerung von
25 Tagen in Abzug, verbleibt eine auf der fehlerhaften Adressangabe durch die
Klägerin beruhende - hinnehmbare - Verzögerung von 13 Tagen. Weitere der
Klägerin zuzurechnende Verzögerungen, etwa mit Blick auf die Anforderung und
Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, sind nicht zu verzeichnen (vgl. zur
Berechnung Senat, Urteil vom 17. Mai 2019 - V ZR 34/18, NJW-RR 2019, 976
Rn. 9; Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 14).

2. Die zugunsten des Beklagten ergangene Entscheidung stellt sich weder
aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO) noch ist die Sache im Sinne
der Klägerin zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Denn nach den in der
Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Feststellungen (§ 559 ZPO) können hinsichtlich
der gefassten Beschlüsse Anfechtungs- beziehungsweise Nichtigkeitsgründe,
die Teile eines einheitlichen Streitgegenstands sind (vgl. Senat, Urteil
vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22, WuM 2023, 243 Rn. 10 mwN), abschließend
weder verneint noch bejaht werden. Hierbei beurteilen sich die Beschlussmängel
mangels abweichender Übergangsvorschriften nach dem Wohnungseigentumsgesetz
in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung als dem zur Zeit
der Beschlussfassung geltenden Recht (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2021
- V ZR 33/20, NJW-RR 2021, 664 Rn. 6).

a) So kann der Senat über eine mögliche Anfechtbarkeit einzelner oder
aller gefassten Beschlüsse aufgrund der Teilnahme der Ehefrau des Beklagten
an der Eigentümerversammlung nicht selbst entscheiden. Die Versammlung der
Wohnungseigentümer ist nicht öffentlich (Senat, Beschluss vom 29. Januar 1993
- V ZB 24/92, BGHZ 121, 236, 241); die gegen den Willen der Klägerin erfolgte
Teilnahme der Ehefrau des Beklagten stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz
der Nichtöffentlichkeit dar. Es kommt demnach, wie regelmäßig im Falle formeller
Mängel, darauf an, ob sich dieser Verstoß jeweils auf das Abstimmungsergebnis
ausgewirkt hat (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juli 2011 - V ZR 2/11, NJW 2011, 3026
Rn. 11, insoweit in BGHZ 190, 236 nicht abgedruckt; Urteil vom 27. März 2009
- V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 29; KG, NJW-RR 1997, 1171, 1172). Hierzu
ist indes nichts festgestellt.

b) Über die außerdem unter dem Gesichtspunkt der Majorisierung in den
Blick zu nehmende Anfechtbarkeit des zu TOP 1 gefassten Beschlusses (Verwalterbestellung)
kann der Senat ebenfalls nicht abschließend entscheiden.

aa) Zutreffend verneint das Berufungsgerichts allerdings einen Verstoß
gegen § 26 Abs. 1 Satz 2 WEG aF. Die in dieser Vorschrift vorgesehene - verkürzte
- Höchstfrist von drei Jahren dient nämlich, was die Revision übersieht,
dem besonderen Schutzbedürfnis der Sondereigentümer in der Aufteilungsphase
und gilt daher (nur) für die erste Bestellung eines Verwalters nach der Begründung
von Wohnungseigentum, um der Gefahr von Interessenkollisionen im Hinblick
auf die Verjährung von Gewährleistungsrechten zu begegnen (vgl. Senat,
Urteil vom 20. November 2020 - V ZR 196/19, BGHZ 227, 289 Rn. 30).

bb) Nicht auszuschließen ist indes eine Anfechtbarkeit des Beschlusses
unter dem Gesichtspunkt der Majorisierung (vgl. Senat, Urteil vom 14. Juli 2017
- V ZR 290/16, NJW 2018, 552 Rn. 12). Zwar war das Stimmrecht des Beklagten
bei der Beschlussfassung über seine Bestellung zum Verwalter nicht ausgeschlossen.
Die Belange der Klägerin sind in diesem Fall aber unter anderem
durch den stets zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben und den Anspruch
auf ordnungsmäßige Verwaltung zu wahren (vgl. Senat, Beschluss vom
19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 59). Es versteht sich in diesem
Zusammenhang jedenfalls nicht von selbst, dass sich ein Mehrheitseigentümer,
der nicht professioneller Verwalter ist, gegen den Willen der Minderheit selbst
zum Verwalter bestellen darf. Dies wird ordnungsmäßiger Verwaltung in der Regel
dann nicht entsprechen, wenn ein professioneller Verwalter zur Verfügung
steht. Im Übrigen wird es auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. Dabei ist
insbesondere zu prüfen, ob der Mehrheitseigentümer persönlich und fachlich geeignet
ist; letzteres zieht die Revision, nicht zuletzt mit Blick auf die Jahresabrechnung
2019 (TOP 5), in Zweifel. Auch erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob
es ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, den Mehrheitseigentümer gegen
den Willen der Minderheit für den höchstmöglichen Bestellungszeitraum (§ 26
Abs. 1 Satz 2 WEG aF) zum Verwalter zu bestellen; hierfür müsste es besondere
Gründe geben.

c) Hinsichtlich materieller Mängel der zu TOP 3 und 5 gefassten Beschlüsse
genügen die für die Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Feststellungen
(§ 559 ZPO) ebenfalls nicht für eine eigene Entscheidung des Senats.
Solche Mängel der zu TOP 3 und TOP 5 gefassten Beschlüsse können aber jedenfalls
mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint
werden.

aa) Dem durch das Berufungsgericht in Bezug genommenen amtsgerichtlichen
Urteil lässt sich der Wortlaut der Beschlüsse nicht entnehmen. Auch ist
eine grundsätzlich zulässige konkrete Inbezugnahme des Protokolls der Eigentümerversammlung
nicht erfolgt, sondern lediglich eine unzulässige (vgl. Senat,
Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 204/13, ZWE 2015, 97 Rn. 5) pauschale
Verweisung auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.

bb) Aus der sinngemäßen Wiedergabe des zu TOP 3 gefassten Beschlusses
ergibt sich aber
monatliche I
das Berufungsgericht hält außerdem fest, dass eine Auflistung der voraussichtlichen
Einnahmen und Ausgaben fehlt. Die Revision meint deshalb, dass mangels
Wirtschaftsplans im Sinne von § 28 WEG aF keine Beschlusskompetenz bestehe.
Daran ist richtig, dass die Wohnungseigentümer gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2
WEG aF (nur) aufgrund eines die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben,
die anteilsmäßige Verpflichtung zur Lasten- und Kostentragung und die Beitragsleistungen
zur Instandhaltungsrückstellung enthaltenden Wirtschaftsplans, über
den gemäß § 28 Abs. 5 WEG aF durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden war,
zur Zahlung verpflichtet werden können. Sollte generell eine Vorschusspflicht
und damit einhergehend ein dauerhafter Verzicht auf einen Wirtschaftsplan beschlossen
werden, wäre der Beschluss nichtig (vgl. Senat, Beschluss vom
2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 179; Urteil vom 22. Juli 2011
- V ZR 245/09, NJW-RR 2011, 1383 Rn. 52). Ob hier bei gebotener objektiver
Auslegung, bei der es maßgebend darauf ankommt, wie ein Beschluss nach seinem
Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen
ist (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 2012 - V ZR 251/11, BGHZ 195,
22 Rn. 14 mwN), allerdings tatsächlich eine generelle Regelung im Sinne eines
dauerhaften Verzichts auf einen Wirtschaftsplan getroffen werden sollte, vermag
der Senat aus den eingangs genannten Gründen nicht selbst zu beurteilen; dies
liegt nach den Ausführungen der Revision aber zumindest nicht gänzlich fern.

cc) Mit Blick auf die zu TOP 5 genehmigte, als solche bezeichnete Jahresabrechnung
2019 führt die Revision aus, dass diese lediglich eine Aufstellung der
von dem Mehrheitseigentümer geleisteten Vorauszahlungen enthalte. Dies wäre
keine Jahresabrechnung im Sinne von § 28 Abs. 3 WEG aF (vgl. zu den darauf
bezogenen Anforderungen Senat, Urteil vom 4. Dezember 2009 - V ZR 44/09,
NJW 2010, 2127 Rn. 10). Wie auch das Berufungsgericht zutreffend erkennt, besteht
- auch in einer zerstrittenen Zweiergemeinschaft - kein Direktanspruch gegen
einen Wohnungseigentümer auf Erstattung der Aufwendungen eines anderen
Wohnungseigentümers (vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2020
- V ZR 288/19, WuM 2021, 55 Rn. 5, 15 ff.). Eine Aufstellung von eigenen Aufwendungen
des Mehrheitseigentümers wird - anders, als das Berufungsgericht
offenbar meint - nicht dadurch zu einer Jahresabrechnung, dass sie als solche
bezeichnet wird; ein auf eine solche Aufstellung bezogener Genehmigungsbeschluss
wäre mangels Beschlusskompetenz (vgl. § 28 Abs. 5 WEG aF) nichtig.
Insoweit fehlt es aber ebenfalls an Feststellungen für eine abschließende Beurteilung
durch den Senat; insbesondere steht der genaue Inhalt der Abrechnung
nicht fest.

d) Rechtsfehlerfrei verneint das Berufungsgericht dagegen Nichtigkeitsgründe
hinsichtlich TOP 4 (Reparatur des Außengeländers), TOP 6 (Nutzung der
Garage und der Terrasse) und TOP 7 (Rückbau baulicher Veränderungen). Insoweit
wird jedoch der Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit zu prüfen sein (vgl.
oben Rn. 10).

aa) Ohne Erfolg zweifelt die Revision die Bestimmtheit des zu TOP 4 gefassten
Beschlusses an. Nach den durch das Berufungsgericht in Bezug genommenen
erstinstanzlichen Feststellungen, die den zu TOP 4 gefassten Beschluss
wörtlich wiedergeben, ist das (einzige) Außengeländer zum ersten Obergeschoss
verrostet, und es sollen für dessen Reparatur drei Angebote eingeholt
werden, wobei der günstigste Anbieter beauftragt werden soll. Bei gebotener objektiver
Auslegung, bei der es maßgebend darauf ankommt, wie ein Beschluss
nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend
zu verstehen ist, enthält dieser Beschluss durchführbare Regelungen und
weist keine inneren Widersprüche auf (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014
- V ZR 315/13, NJW 2015, 549 Rn. 8 mwN). Festgelegt wird, welches Geländer
aus welchem Grund und - abstrakt - auf der Grundlage welchen Angebots repariert
werden soll. Ob eine solche Reparatur durch Instandsetzung des vorhandenen
Geländers erfolgen kann oder ein - gleichartiges - Ersatzgeländer beschafft
werden muss, wovon wohl die Revision ausgeht, kann vor der Einholung der drei
Angebote noch nicht feststehen; das Fehlen einer mit Blick auf ein eventuelles
Ersatzgeländer genaueren Regelung macht den Beschluss daher nicht nichtig.

bb) Im Ergebnis ebenso zutreffend verneint das Berufungsgericht die
Nichtigkeit der zu TOP 6 und TOP 7 gefassten Beschlüsse, die der Klägerin unter
anderem die Wohnnutzung der Garage untersagen und ihr die Beseitigung verschiedener
baulicher Veränderungen aufgeben.

(1) Richtig weist die Revision zwar darauf hin, dass der Senat in ständiger
Rechtsprechung eine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für die Begründung
von Leistungspflichten außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und
Lasten verneint (vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2012 - V ZR 161/11, NJW 2012,
1724 Rn. 11; Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 10 f.).
Es ist den Wohnungseigentümern aber gestattet, durch Beschluss ihren Willen
darüber zu bilden, ob sie bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen für
unzulässig halten; dabei dürfen sie einzelne Wohnungseigentümer zu einem dem
Beschluss entsprechenden Verhalten, also etwa - wie hier - zu einer Unterlassung
der Wohnnutzung einer Garage oder zu einem Rückbau einer Terrasse,
auffordern. Dies entspricht nächstliegender Auslegung eines solchen Beschlusses.
Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass die Wohnungseigentümer
eine nicht ihrer Beschlusskompetenz unterliegende Unterlassungs- oder
Leistungspflicht eines anderen Wohnungseigentümers mit konstitutiver Wirkung
begründen und auf diese Weise einen nach der Rechtsprechung des Senats
nichtigen Beschluss fassen wollen (vgl. Senat, Urteil vom 17. April 2015
- V ZR 12/14, ZWE 2015, 335 Rn. 28), dessen Inhalt mit Blick auf die Durchsetzung
der Unterlassungs- oder Leistungs- bzw. Beseitigungspflicht mangels Titulierung
nicht einmal vollstreckbar wäre (vgl. Hogenschurz in Jennißen, WEG,
7. Aufl., § 20 Rn. 108). Sie können einzelnen Wohnungseigentümern dabei nicht
nur rechtlich unbedenklich eine Frist zur Herbeiführung des als rechtmäßig erachteten
Zustands setzen (vgl. Senat, Urteil vom 18. Februar 2011 - V ZR 82/10,
NJW 2011, 1221 Rn. 17), sondern auch allgemein eine Aufforderung zur Unterlassung
oder Beseitigung aussprechen. Wird dies dem Wortlaut nach als Geoder
Verbot beschlossen, ist darin nächstliegend ein solcher Aufforderungsbeschluss
zu sehen; daraus kann bei objektiv-normativer Auslegung nicht auf die
Intention geschlossen werden, Unterlassungs- oder Leistungsverpflichtungen
konstitutiv zu begründen und auf diese Weise einen nichtigen Beschluss zu fassen
(vgl. KG, ZWE 2010, 186, 187; Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20
Rn. 436). Soweit die Entscheidung des Senats vom 15. Januar 2010 (V ZR 72/09,
NJW 2010, 3093 Rn. 10) anders zu verstehen ist, wird daran nicht festgehalten.
(2) Im Rahmen einer gegen einen solchen Aufforderungsbeschluss gerichteten
Anfechtungsklage sind nur formelle Beschlussmängel (wie hier der gerügte
Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit) zu prüfen. Ob ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch
besteht, ist in einem gegebenenfalls anzustrengenden Unterlassungs-
oder Beseitigungsverfahren zu klären, sollte sich der von der Aufforderung
betroffene Wohnungseigentümer weiterhin entgegen der Mehrheitsauffassung
verhalten oder die bauliche Veränderung nicht beseitigen (vgl.
Schmidt-Räntsch in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl.
2020, § 15 Rn. 40; KG, ZWE 2010, 186, 187; LG Berlin, ZMR 2019, 537 Rn. 29).
In einem solchen Verfahren ist diesem Wohnungseigentümer infolge der vorangegangenen
Aufforderung aber der Einwand, er habe keine Veranlassung zur
Klage gegeben, abgeschnitten (ebenso LG Stuttgart, ZMR 2015, 340 Rn. 14).
Anders als aus einem die Anfechtungsklage gegen den Aufforderungsbeschluss
abweisenden Urteil können die in einem gerichtlichen Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren
ausgeurteilten Unterlassungs- oder Beseitigungspflichten
auch gemäß §§ 887 ff. ZPO vollstreckt werden (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15.
Aufl., § 20 Rn. 444). In dem Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren ist das
Gericht an eine in dem Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der
Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht gebunden (vgl. Senat, Urteil vom
18. Juni 2010 - V ZR 193/09, NJW 2010, 2801 Rn. 12; Urteil vom 2. Oktober 2015
- V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 12).

(3) Den für die Revision gemäß § 559 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen
des Berufungsgerichts lässt sich zwar der genaue Wortlaut der zu
TOP 6 und 7 gefassten Beschlüsse nicht entnehmen; auch ist das Protokoll der
Eigentümerversammlung nicht in Bezug genommen worden (vgl. oben Rn. 15).
Die Wiedergabe des Beschlussinhalts in dem amtsgerichtlichen Urteil, auf das
das Berufungsgericht verweist, genügt aber, um die Nichtigkeit der zu TOP 6 und
7 gefassten Beschlüsse abschließend zu beurteilen. Danach darf die Klägerin die
Garage nicht zu Wohnzwecken und den Garten nicht als Terrasse nutzen; die
mit einem Fundament versehene Terrasse soll entfernt und die zuvor vorhandene
Rasenfläche ebenso wiederhergestellt werden wie die gegen Fenster ausgetauschten
Glassteine oberhalb des Treppenabgangs zum Untergeschoss. Hierin
kommt - zulässigerweise - die Mehrheitsmeinung zum Ausdruck, dass die Klägerin
ihr Sondereigentum zweckwidrig nutze beziehungsweise unzulässige bauliche
Veränderungen vorgenommen habe. Eine Verpflichtung zur Unterlassung
bzw. Beseitigung wird dadurch bei nächstliegender Auslegung nicht begründet.
Ob der Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht, ist, wie ausgeführt,
keine im Rahmen der Anfechtungsklage zu prüfende Frage.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

21.07.2023

Aktenzeichen:

V ZR 215/21

Rechtsgebiete:

WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

WEG a. F. §§ 23, 26, 28, 46