BGB § 138 Abs. 1 Nichtigkeit eines Schenkungsvertrags wegen Sittenwidrigkeit
letzte Aktualisierung: 25.1.2023
BGH, Urt. v. 15.11.2022 – X ZR 40/20
Nichtigkeit eines Schenkungsvertrags wegen Sittenwidrigkeit
Ist der Schenker aufgrund einer objektiven oder subjektiven Zwangslage zur Schenkung veranlasst
worden, kann der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht nur solche Personen treffen, die diese
Zwangslage herbeigeführt haben. Vielmehr kann es ausreichen, wenn der Zuwendungsempfänger
sich eine bestehende Zwangslage bewusst zu Nutze macht.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Der Schenkungsvertrag sei nicht aufgrund der Anfechtung nichtig. Der
Kläger zeige nicht auf, dass und welches Übel ihm in Aussicht gestellt worden
sei, um ihn zu einer Schenkung zu veranlassen. Das Verhalten des Vaters der
Beklagten sei insofern ohne Relevanz.
Der Schenkungsvertrag sei auch nicht wegen der Ausnutzung einer erheblichen
Willensschwäche des Klägers sittenwidrig. Die Rechtsordnung billige
jedem geschäftsfähigen Menschen die Entscheidung zu, Teile seines Vermögens
zu verschenken. Dies gelte auch dann, wenn der Begünstigte derartige Zuwendungen
an sich wünsche. Für die Frage, ob ein solches Geschäft im Einzelfall
dennoch dem Unwerturteil des
die Motive des Begünstigten bzw. die von ihm verfolgten Zwecke und die Art und
Weise seines Vorgehens maßgeblich sowie etwa die Persönlichkeitsstruktur des
Zuwendenden, soweit dieser nicht oder kaum in der Lage sei, sich bedrängenden
Wünschen der Zuwendungsempfänger zu entziehen. Hierfür seien im Streitfall
keine belastbaren Anhaltspunkte vorgetragen.
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden
Punkt nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht die Voraussetzungen
für eine Anfechtung des Schenkungsvertrags verneint.
a) Dem Vortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagten
oder deren Vater den Abschluss der Schenkungsverträge durch Drohung mit
einem empfindlichen Übel im Sinne von
b) Die Voraussetzungen eines Inhaltsirrtums im Sinne von § 119
Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt.
Für einen Inhaltsirrtum in diesem Sinne reicht es nicht aus, wenn eine Willenserklärung
abgegeben wird, deren Inhalt der Erklärende nicht kennt oder nicht
versteht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Erklärende eine bestimmte, vom tatsächlichen
Inhalt abweichende Vorstellung hatte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom
30. Oktober 2013 - V ZB 9/13,
1994 - IX ZR 168/93,
Rn. 22).
Letzteres ist dem Klagevortrag nicht zu entnehmen.
2. Eine Nichtigkeit des Schenkungsvertrags wegen Sittenwidrigkeit
lässt sich mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung hingegen nicht
verneinen.
a) Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne von
wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl
aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die
grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches
Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht
werden kann (BGH, Urteil vom 16. Juli 2019 - II ZR 426/17, NJW 2019,
3635 Rn. 24). Hierbei ist der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und
Beweggrund zu entnehmende Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich
(BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12,
nach Einzelfall kann sich die Sittenwidrigkeit bereits aus einem dieser Elemente
oder aus einer Kombination mehrerer Elemente und deren Summenwirkung ergeben
(BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - III ZR 60/11,
Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20,
Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1
BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch
und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers. So kann
es sich um einen Fall handeln, in dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger
Weise Vorteile gezogen werden. Hierfür kann von Bedeutung sein, ob der Schenker
sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur
nicht oder kaum hätte entziehen können, ob der Beschenkte dies wusste oder
sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss und ob er die fehlende
oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt
oder es sogar darauf angelegt hat (BGH, Urteil vom 4. Juli 1990 - IV ZR 121/89,
Abs. 2 BGB besonders hervorgehobenen Gesichtspunkte insbesondere im Hinblick
auf das Verhalten des Zuwendungsempfängers auch im Rahmen des § 138
Abs. 1 BGB von Bedeutung sein (BGH, Urteil vom 26. April 2022 - X ZR 3/20,
auch die (bloße) Anfechtbarkeit nach
weil nicht die Drohung mit einem künftigen Übel, sondern die Ausnutzung der
vorhandenen Zwangslage im Vordergrund steht oder hinzutritt (BGH, Urteil vom
22. Januar 1991 - VI ZR 107/90,
Ist der Schenker aufgrund einer objektiven oder subjektiven Zwangslage
zur Schenkung veranlasst worden, kann der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht
nur solche Personen treffen, die diese Zwangslage herbeigeführt haben. Vielmehr
kann es ausreichen, wenn der Zuwendungsempfänger sich eine bestehende
Zwangslage bewusst zu Nutze macht. Diese Voraussetzungen können
auch dann gegeben sein, wenn der Zuwendungsempfänger den Schenkungsvertrag
abschließt, obwohl er weiß, dass der Schenker aufgrund einer solchen
Zwangslage handelt. Hat eine der Vertragsparteien die Verhandlungsführung
und den Vertragsschluss vollständig einer mit der Sachlage allein vertrauten
Hilfsperson überlassen, muss er sich deren Wissen auch im Rahmen des § 138
Abs. 1 BGB entsprechend
BGH, Urteil vom 8. November 1991 - V ZR 260/90,
b) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte,
die für die Beurteilung dieser Frage von Bedeutung sind, nicht vollständig
berücksichtigt.
aa) Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht den Vortrag, die Beklagte
zu 1 und deren Vater hätten den Kläger vor der Beurkundung des Schenkungsvertrags
mehrere Monate lang intensiv überwacht und weitgehend isoliert,
für sich gesehen als nicht ausreichend angesehen.
bb) Das Berufungsgericht hätte in diesem Zusammenhang jedoch zusätzlich
den Vortrag berücksichtigen müssen, der Vater der Beklagten habe den
Kläger am Abend vor der Beurkundung des Schenkungsvertrags über längere
Zeit hinweg "bearbeitet" und am nächsten Morgen in Begleitung der Beklagten
zum Notar gefahren, wo ihm erstmals der Inhalt der abzuschließenden Verträge
mitgeteilt worden sei.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dieser Vortrag nicht
ohne weiteres als inhaltsleer zu bewerten. Er lässt es vielmehr als möglich erscheinen,
dass der Kläger den Schenkungsvertrag zugunsten der Beklagten abgeschlossen
hat, um der zuvor bestehenden, von ihm als Überwachung und Isolation
empfundenen Situation, die aufgrund vermeintlichen Entscheidungszwangs
in dem zuvor nicht angekündigten Notartermin eine akute Zuspitzung gefunden
hatte, zu entkommen.
cc) In diesem Zusammenhang kann ferner das vom Kläger behauptete
Geschehen unmittelbar nach der notariellen Beurkundung als Indiz von Bedeutung
sein.
Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags sind unmittelbar
zwar nur die Umstände relevant, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorlagen
(vgl. nur BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20,
Rn. 31). Gleichwohl können im Zeitablauf nachfolgende Umstände eine indizielle
Bedeutung gewinnen.
Dem Vortrag des Klägers, er habe sich unmittelbar nach dem Notartermin
gegenüber dem Mitarbeiter der die Wertpapiere verwahrenden Bank in einer
Weise verhalten, dass dieser den seitens der Beklagten angestrebten Vollzug
der Übertragung verhindert habe, kann eine solche Indizwirkung zukommen. Das
vorgetragene Verhalten könnte darauf hindeuten, dass der Kläger den Schenkungsvertrag
nur deshalb abgeschlossen hat, weil er die Situation im Notartermin
als besonders bedrängend empfunden und anders als im nachfolgenden Banktermin
keinen Ausweg mehr gesehen hat, um sich dieser subjektiven Zwangslage
entziehen zu können.
dd) Angesichts dessen hätte das Berufungsgericht sich mit dem aufgezeigten
Vortrag im Zusammenhang befassen und auf dieser Grundlage in tatrichterlicher
Würdigung entscheiden müssen, ob die Schenkungsverträge mit den
Beklagten auf einer vom Kläger als bedrohlich empfundenen Zwangslage beru-
hen und ob die Beklagten dies wussten oder sich diesbezügliche Kenntnisse ihres
Vaters hätten zurechnen lassen müssen. Hierbei hätte das Berufungsgericht
sich auch mit der Frage befassen müssen, ob der Kläger aufgrund seines hohen
Alters die Situation als besonders belastend empfunden hat.
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (
Sie ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:15.11.2022
Aktenzeichen:X ZR 40/20
Rechtsgebiete:
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 138 Abs. 1