Rückwirkender Wegfall der GrESt-Befreiung infolge verminderter Beteiligung am Vermögen einer KG
letzte Aktualisierung: 25.8.2022
BFH, Urt. v. 12.1.2022 – II R 4/20
GrEStG §§ 3 Nr. 2 u. 6, 6 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3 S. 1 u. 2, 17 Abs. 2; FGO §§ 100 Abs. 2 S. 1, 118
Abs. 2
Rückwirkender Wegfall der GrESt-Befreiung infolge verminderter Beteiligung am Vermögen einer KG
Eine Anteilsminderung i. S. des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG liegt vor, wenn die Beteiligung am
Vermögen der Gesamthand gemindert wird. Das kann durch Veräußerung des Gesellschaftsanteils
selbst bewirkt werden oder auch durch anderweitige Vereinbarungen erfolgen, wenn es dadurch bei
im Übrigen unveränderter bürgerlich-rechtlicher Beteiligung am Gesamthandsvermögen
wirtschaftlich zu einer Beschränkung oder Aufgabe der Beteiligung am wirtschaftlichen Wert des
Gesellschaftsanteils und somit an der Teilhabe am Wert des eingebrachten Grundstücks kommt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Änderung des angefochtenen Bescheids. Gegenstand der Revision ist allein die Feststellung des Umfangs der Steuervergünstigung. Anders als vom FG entschieden ist die Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG nicht vollständig, sondern nur in Höhe von 94 % der Bemessungsgrundlage des streitgegenständlichen Erwerbs rückwirkend nicht zu gewähren.
1. In Fällen, in denen sich ein Rechtsvorgang auf mehrere Grundstücke bezieht, die in den Bezirken verschiedener Finanzämter liegen, stellt das Finanzamt, in dessen Bezirk der wertvollste Grundstücksteil oder das wertvollste Grundstück oder der wertvollste Bestand an Grundstücksteilen oder Grundstücken liegt, die Besteuerungsgrundlagen gesondert fest (§ 17 Abs. 2 Alternative 2 GrEStG).
a) Zu den Besteuerungsgrundlagen gehören u.a. die verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht des jeweiligen Erwerbsvorgangs dem Grunde nach (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 04.03.2020 - II R 35/17,
Beim Übergang von Grundstücken von einer Gesamthand auf eine andere ist Gegenstand der gesonderten Feststellung auch, ob und in welcher Höhe für den Rechtsvorgang nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG keine Steuer erhoben wird oder ob und in welchem Umfang diese Steuervergünstigung rückwirkend aufgrund der Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG entfallen ist.
b) Alle Feststellungen sind jeweils eigenständig einer Überprüfung im Einspruchs- und Klageverfahren zugänglich (vgl. BFH-Urteil vom 05.09.2018 - II R 57/15,
2. Beim Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand wird nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG die Steuer nicht erhoben, soweit die Anteile der Gesamthänder am Vermögen der erwerbenden Gesamthand ihren Anteilen am Vermögen der übertragenden Gesamthand entsprechen (BFH-Beschluss vom 05.06.2019 - II B 21/18, BFH/NV 2019, 1253, Rz 8).
a) Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung ist § 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG insoweit nicht entsprechend anzuwenden, als sich der Anteil des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks von der einen auf die andere Gesamthand vermindert, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Steuer gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG rückwirkend i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 der Abgabenordnung entfallen (vgl. BFH-Urteil vom 25.09.2013 - II R 17/12,
b) Als "Anteil am Vermögen der Gesamthand" i.S. der
aa) Soweit der BFH auch nach dem Wandel der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Teilrechtsfähigkeit einer GbR und der Beteiligung eines Gesamthänders über die Gesamthandschaft an deren Vermögen (z.B. BGH-Urteile vom 29.01.2001 - II ZR 331/00,
bb) Das Grunderwerbsteuerrecht sieht die Personengesellschaft seit jeher als selbständigen Rechtsträger an (Viskorf/Meßbacher-Hönsch, 20. Aufl. 2021, GrEStG § 1 Rz 16). Die grunderwerbsteuerrechtlichen Befreiungsvorschriften in
c) Eine Anteilsminderung i.S. des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG liegt vor, wenn die Beteiligung am Vermögen der Gesamthand gemindert wird. Das kann durch Veräußerung des Gesellschaftsanteils selbst bewirkt werden. Die Anteilsminderung kann aber auch durch anderweitige Vereinbarungen erfolgen, wenn es dadurch bei im Übrigen unveränderter bürgerlich-rechtlicher Beteiligung am Gesamthandsvermögen wirtschaftlich zu einer Beschränkung oder Aufgabe der Beteiligung am wirtschaftlichen Wert des Gesellschaftsanteils und somit an der Teilhabe am Wert des eingebrachten Grundstücks kommt.
d) Ob aufgrund derartiger schuldrechtlicher Vereinbarungen einem Gesamthänder sein Anteil am wirtschaftlichen Wert des Gesamthandsvermögens nicht mehr zuzurechnen ist, ergibt sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall (vgl. BFH-Urteile vom 09.07.2014 - II R 49/12,
e) Die Feststellung und Auslegung der maßgebenden Vereinbarungen ist Teil der Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG und als solche für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (
3. Die Fünfjahresfrist nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in der im Streitfall noch anwendbaren Fassung beginnt mit der Verwirklichung des begünstigten Erwerbsvorgangs (BFH-Urteile in
4. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Unrecht entschieden, dass die Steuervergünstigung des
Die Steuervergünstigung des
a) Die vom FG festgestellten Tatsachen tragen nicht die Schlussfolgerung, Z habe durch die Vereinbarungen mit D und E auch über seine restliche Beteiligung in Höhe von 6 % verfügt, so dass auch insoweit sein Anteil am Gesamthandsvermögen i.S. des § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG vermindert sei.
Weder das (für eine gewisse Zeit unwiderrufliche) Kaufangebot an D noch die Abtretung der Gewinn- und Verlustbeteiligung an E noch beide Maßnahmen in einer Gesamtschau haben zu einer Änderung der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen geführt. Durch das Kaufangebot ist das Risiko einer Wertminderung nicht auf D übergegangen. Die Abtretung der Gewinn- und Verlustbeteiligung hatte nach dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin keine Auswirkung auf die Verteilung des Abwicklungsgewinns und des Reinvermögens. Auch nach Verschiebung der Gewinn- und Verlustzurechnung von Z an E betrug der Anteil des Z am Gesamthandsvermögen der Klägerin weiterhin 6 %.
b) Hingegen ist die Steuervergünstigung durch die Veräußerung vom xx.12.2008 an E zu 94 % rückwirkend entfallen. In diesem Umfang wurde der Anteil des Z am Gesellschaftsvermögen der Klägerin vermindert. Der Zeitpunkt der Weiterveräußerung lag innerhalb der Haltefrist. In diese Frist ist die vorherige Beteiligung der Kinder des Z nicht einzurechnen.
c) Die in der Rechtsprechung des BFH anerkannten Voraussetzungen zur teleologischen Reduktion der Missbrauchsverhinderungsvorschriften
d) Der Senat kann den angefochtenen Bescheid dahingehend ändern, dass die Steuervergünstigung rückwirkend in einem anderen Umfang entfallen ist als in dem ursprünglichen Bescheid festgestellt. Dass die Klägerin mit ihrem weitergehenden Klagebegehren die Aufhebung der Vorentscheidung begehrt, steht einer Entscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht entgegen, da das Gericht von der darin eingeräumten Befugnis, eine betragsmäßige Feststellung selbst zu treffen, grundsätzlich Gebrauch machen muss (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.2000 - III R 17/97, BFH/NV 2001, 914, unter II.2., m.w.N.).
e) Dementsprechend ist der angefochtene Feststellungsbescheid hinsichtlich des Umfangs der Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG dahingehend zu ändern, dass die Steuervergünstigung im Streitfall nur in Höhe von 94 % rückwirkend versagt wird.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:12.01.2022
Aktenzeichen:II R 4/20
Rechtsgebiete:Grunderwerbsteuer
Normen in Titel:GrEStG §§ 3 Nr. 2 u. 6, 6 Abs. 1 S. 1, 6 Abs. 3 S. 1 u. 2, 17 Abs. 2; FGO §§ 100 Abs. 2 S. 1, 118 Abs. 2