Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung der Erbschaftsteuer bei Erwerb nach italienischem Erbrecht
letzte Aktualisierung: 18.5.2022
BFH, Urt. v. 17.11.2021 – II R 39/19
ErbStG §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1a; CC ITA Art. 456, 457, 459; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung der Erbschaftsteuer bei Erwerb nach italienischem Erbrecht
Erwirbt ein inländischer Erbe nach italienischem Erbrecht, entsteht inländische Erbschaftsteuer mit
dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers und nicht erst mit der nach italienischem Recht
notwendigen Annahme der Erbschaft durch den Erben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht erkannt, dass der Erwerb der Klägerin als Erbin nach ihrem Vater der Erbschaftsteuer nach dem ErbStG unterliegt. Die Steuer ist auf den Todestag des Vaters entstanden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin wenigstens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erbschaftsteuer der Erwerb von Todes wegen. Dazu gehört gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG u.a. der Erwerb durch Erbanfall i.S. von § 1922 BGB.
a) Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tode einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Der Erbfall kann auf gesetzlicher (§§ 1924 bis 1936 BGB) oder gewillkürter Erbfolge (
b) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG tritt Steuerpflicht für den gesamten Vermögensanfall (unbeschränkte Steuerpflicht) in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ErbStG ein, wenn u.a. der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) ein Inländer ist. Als Inländer gelten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG u.a. natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
c) Die Steuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bei Erwerben von Todes wegen grundsätzlich mit dem Tode des Erblassers, jedoch für den Erwerb des unter einer aufschiebenden Bedingung Bedachten nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 ErbStG mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung.
aa) Der Begriff der "Bedingung" in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 ErbStG knüpft an den zivilrechtlichen Begriff der Bedingung in § 158 Abs. 1 BGB an (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22.01.2020 - II R 41/17,
bb) Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, tritt nach § 158 Abs. 1 BGB die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung ex nunc ein. Der Eintritt der Bedingung hat keine rückwirkende Kraft ex tunc (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.05.1953 - IV ZR 192/52,
2. Vollzieht sich ein Erwerb von Todes wegen nach ausländischem Zivilrecht, kann er im Inland der Erbschaftsteuer unterliegen, soweit der Vermögensanfall in seiner wirtschaftlichen Bedeutung einem durch das ErbStG erfassten Erwerb gleichkommt (vgl. BFH-Urteil vom 04.07.2012 - II R 38/10,
a) Soweit das ErbStG auf Rechtsfiguren des Erbrechts Bezug nimmt, ist im Falle eines ausländischen Erbstatuts dessen Bedeutungsgehalt maßgebend. Entsprechen die Institutionen des ausländischen Erbrechts nicht denen des deutschen Erbrechts, ist anhand des deutschen Rechts zu prüfen, ob und welche Bedeutung den ausländischen Rechtsvorgängen bei der deutschen Besteuerung beizulegen ist. Maßgebend ist nicht die formale Gestaltung des ausländischen Rechts. Vielmehr müssen sowohl die Rechtsfolgen als auch das wirtschaftliche Ergebnis dem inländischen Tatbestand entsprechen. Stellt das deutsche bürgerliche Recht für das wirtschaftliche Ergebnis des nach ausländischem Recht verwirklichten Sachverhalts mehrere Strukturen zur Verfügung, greift die mildere Besteuerung (vgl. RFH-Urteil in RStBl 1931, 122; BFH-Urteil in
b) In die rechtsvergleichende Qualifikation sind die Rechtsfolgen von Vorschriften einzubeziehen. Diese bestimmen den rechtlichen und wirtschaftlichen Gehalt eines Rechtsinstituts. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rechtsvorschrift allein sagen über Inhalt und Bedeutung der Vorschrift nichts aus (vgl. bereits BFH-Urteile vom 15.05.1964 - II 177/61 U,
c) Diese allgemeinen rechtsvergleichenden Grundsätze gelten nicht nur für den Erwerbstatbestand selbst, sondern auch für die Bestimmung des Steuerentstehungszeitpunkts und die Beantwortung der damit zusammenhängenden Frage, ob ein Rechtsinstitut des ausländischen Rechts einer aufschiebenden Bedingung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 ErbStG entspricht. Entscheidend ist demnach, ob die Rechtsfolgen und das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsinstituts denen der aufschiebenden Bedingung nach deutschem Recht entsprechen. Die rechtsvergleichende Betrachtung kann damit nicht auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bedingung nach § 158 Abs. 1 BGB beschränkt werden.
d) Revisionsrechtlich ist für die rechtsvergleichende Qualifikation zu differenzieren. Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. etwa BFH-Urteile vom 22.03.2018 - X R 5/16,
3. Für den Erwerb eines Erben nach italienischem Erbrecht entsteht inländische Erbschaftsteuer mit dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers und nicht erst mit der Annahme durch den Erben. Der Senat kann für diese Beurteilung Text und Inhalt der maßgebenden Vorschriften des CC zugrunde legen. Die diesbezüglichen Feststellungen des FG reichen aus und sind für sich genommen auch nicht angegriffen.
a) Der Erbschaftserwerb nach Art. 456 ff. CC ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG steuerbar. Er ist als Erbanfall i.S. des § 1922 BGB zu qualifizieren.
aa) Der Erwerb aufgrund eines ausländischen Erbstatuts kann dem Anfall der Erbschaft nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB entsprechen, wenn nach dem maßgebenden ausländischen Recht der Tod einer Person unmittelbar kraft Gesetzes zu einer Gesamtrechtsnachfolge in ihr Vermögen führt. Auf Unterschiede im Detail kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil in
bb) Nach diesen Maßstäben tritt bei einem Erbfall nach italienischem Erbrecht mit der Annahme ein Erwerb durch Erbanfall i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG ein. Es handelt sich um eine vergleichbare Vermögensnachfolge. Gemäß Art. 456 CC wird die Erbfolge im Zeitpunkt des Todes am Ort des letzten Domizils des Verstorbenen eröffnet. Nach Art. 457 CC erfolgt die Berufung zur Erbschaft durch Gesetz oder durch Testament, nach Art. 459 CC der Erwerb der Erbschaft durch Annahme. Zwar kann wegen der Annahmebedürftigkeit der Erwerb im italienischen Erbrecht nicht allein kraft Gesetzes stattfinden. Die Annahme bewirkt jedoch auch keinen Erwerb allein kraft Rechtsgeschäfts, sondern stellt nur ein neben andere Erwerbsvoraussetzungen tretendes rechtsgeschäftliches Element dar.
b) Entstehungszeitpunkt der Steuer ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Tod des Erblassers. Die Annahme der Erbschaft nach italienischem Recht ist nicht als aufschiebende Bedingung entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 ErbStG i.V.m. § 158 Abs. 1 BGB zu qualifizieren, sondern als rückwirkendes Ereignis entsprechend § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung.
aa) Es ist rechtliches und wirtschaftliches Wesensmerkmal der Bedingung, dass das bedingte Rechtsgeschäft seine Wirkung erst mit Eintritt der Bedingung ex nunc entfaltet. Im Falle der aufschiebend bedingten Erbeinsetzung wird der Erbe erst mit Eintritt der Bedingung ex nunc Eigentümer des Nachlasses. Hierin liegt der innere Grund für den Aufschub der Steuerentstehung in
bb) Die Erbschaftsannahme nach Art. 459 CC ist der Bedingung rechtlich und wirtschaftlich nicht vergleichbar. Die Erbschaft wird zwar erst mit der Annahmeerklärung erworben, sie wirkt aber nach Art. 459 Satz 2 CC ex tunc auf den Zeitpunkt der Eröffnung der Erbfolge zurück. Materiell-rechtlich fällt die Erbschaft daher mit dem Zeitpunkt des Erbfalls an.
cc) Dieses Ergebnis lässt keine Wertungswidersprüche erkennen.
Allein der Umstand, dass wie im Falle der Bedingung ein Schwebezustand existiert, bewirkt keine Vergleichbarkeit. Entscheidend ist, dass die Beendigung des Schwebezustands unterschiedliche Rechtswirkungen zeitigt - im Falle der Bedingung allein für die Zukunft, im Falle der Annahmeerklärung rückwirkend auch für die Schwebephase.
Unerheblich ist, dass eine zivilrechtliche Rückwirkung an einem tatsächlichen Geschehensablauf nichts ändert und deshalb für eine an den realen Sachverhalt anknüpfende Besteuerung keine Bedeutung hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27.04.2005 - II R 52/02,
Für den Streitfall ist schließlich die Frage nicht entscheidend, ob nach italienischem Erbrecht eine Annahme mit Wirkung für einen bereits Verstorbenen erklärt werden könnte. Auch nach deutschem Recht kann im Übrigen der Erbe nach
dd) Der Grundsatz, dass bei mehreren zur Verfügung stehenden Strukturen des deutschen Rechts die mildere Besteuerung gelten müsse, ändert an dieser Beurteilung nichts. Der Erbschaftserwerb durch Annahme nach italienischem Recht lässt sich nicht wahlweise als bedingter oder unbedingter Erwerb qualifizieren, sondern ist eindeutig kein bedingter Erwerb.
4. Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht erkannt, dass die Annahmeerklärungen der Klägerin bezüglich des Nachlasses ihres Vaters auf dessen Todestag, den 24.08.2015, zurückwirkten und die Erbschaftsteuer an jenem Tage entstanden ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin noch unbeschränkt steuerpflichtig, da sie zumindest ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Die Bewertung des Nachlasses sowie die weiteren Parameter der Besteuerung stehen nicht im Streit.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:17.11.2021
Aktenzeichen:II R 39/19
Rechtsgebiete:
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Gesetzliche Erbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
ErbStG §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1a; CC ITA Art. 456, 457, 459; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2