Auslegung einer Erklärung des GmbH-Geschäftsführers auf dem Geschäftspapier der GmbH; Handeln für die GmbH
letzte Aktualisierung: 24.4.2025
BGH, Urt. v. 18.3.2025 – II ZR 77/24
BGB §§ 133, 157;
Auslegung einer Erklärung des GmbH-Geschäftsführers auf dem Geschäftspapier der
GmbH; Handeln für die GmbH
Gibt ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier
eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten soll, geht der
objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der
Gesellschaft abgegeben werden soll.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung der Geschäftsführervergütung
zu, weil die mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 ausgesprochene außerordentliche
Kündigung wegen Nichteinhaltung der nach § 9 Nr. 3 der Satzung der
Schuldnerin für diesen Fall angeordneten gemeinsamen Vertretung durch Gesellschafter
und Geschäftsführung unwirksam sei. Zwar könne unterstellt werden,
dass der Geschäftsführer T. F. durch die Gesellschafter mit der
Erklärung und Bekanntgabe der Kündigung gegenüber dem Kläger beauftragt
worden sei. Es fehle jedoch die erforderliche Vertretung der Gesellschaft bei der
Kündigungserklärung auch durch den Geschäftsführer T. F. . Dieser
habe lediglich allgemeines Briefpapier der Schuldnerin verwandt, welches entsprechend
den gesetzlichen Vorgaben am Seitenende vorgedruckt
T. F. als Geschäftsführer aufgeführt habe, und ohne den Zusatz "Geschäftsführer"
unterschrieben. Ein sonstiger, vor allem individueller Hinweis auf
eine Erklärung (auch) als Geschäftsführer, beispielsweise unter seiner Unterschrift,
finde sich hingegen nicht. Die Kündigung durch T. F. zumindest
auch als Geschäftsführer sei keineswegs selbsterklärend. Er habe, im Gegenteil,
einzig und in ausdrücklicher und wiederholter "Erfüllung des Auftrags der
Gesellschafterversammlung" vom 23. Dezember 2019 die Kündigung gegenüber
dem Kläger erklärt, mithin ausdrücklich auf den Auftrag zur Erklärung der Kündigung
im Namen des Mitgesellschafters Bezug genommen. Eine rein botenmäßige
Übermittlung der Willenserklärung der Gesellschafterversammlung genüge
aber nicht. Aus der Stimmabgabe des T. F. als Gesellschafter der
Schuldnerin für die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags
mit dem Kläger könne, ungeachtet des der Kündigungserklärung
angehängten Protokolls der Gesellschafterversammlung vom 23. Dezember
2019, nicht auf seine entsprechende Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung
als Geschäftsführer geschlossen werden.
Infolgedessen sei der Kläger der Schuldnerin bzw. dem Beklagten gegenüber
auch nicht zur Rückzahlung der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung
bereits erhaltenen Zahlung verpflichtet.
II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Verfahren ist durch den beklagten Insolvenzverwalter wirksam
nach
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Abwendung der Zwangsvollstreckung
die durch das Landgericht zugesprochene Geschäftsführervergütung gezahlt hat,
handelt es sich um einen Rechtsstreit über das zur Insolvenzmasse gehörende
Vermögen.
Die Frage, ob ein Aktivprozess im Sinne des
ein nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallender Passivprozess vorliegt,
ist nicht nach der formellen Parteirolle zu beantworten, sondern danach, ob in
dem anhängigen Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird,
die in die Masse zu gelangen hat (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017
VII ZR 101/14,
kommt es darauf an, ob ein Vermögensrecht für den Schuldner und damit
zu Gunsten der späteren Teilungsmasse in Anspruch genommen wird (BGH,
Urteil vom 27. März 1995 - II ZR 140/93,
2016 - XI ZR 46/14,
- II ZR 120/24, Rn. 7). Hat der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
auf die Forderung geleistet, wandelt sich der Passivprozess bei Wiederaufnahme
des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter in einen Aktivprozess, weil es in
dem wiederaufgenommenen Rechtsstreit nur noch darum geht, ob der Prozessgegner
die an ihn gezahlten Beträge behalten darf oder ob er sie zur Insolvenzmasse
zurückgewähren muss (BGH, Urteil vom 27. März 1995 - II ZR 140/93,
1114, 1115).
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe Geschäftsführergehalt
zu, weil die außerordentliche Kündigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrags
unwirksam sei, beruht auf einem Rechtsfehler. Die Auslegung des
Berufungsgerichts, bei der mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 erklärten
außerordentlichen Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags des Klägers
sei die Schuldnerin nicht, wie § 9 Nr. 3 ihrer Satzung es verlange, durch die
Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten worden, verstößt
gegen anerkannte Auslegungsregeln.
a) Die Auslegung einer Individualerklärung, wie hier der Kündigungserklärung,
ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und kann revisionsrechtlich nur
daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte
Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat oder
ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff
unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen
worden ist (BGH, Urteil vom 8. November 2004 - II ZR 300/02,
Urteil vom 11. Oktober 2011 - II ZR 242/09,
vom 9. November 2022- VIII ZR 272/20, juris Rn. 71; Urteil vom 17. Januar 2023
- II ZR 76/21,
72 Rn. 14). Leidet die tatrichterliche Auslegung an solchen revisionsrechtlich beachtlichen
Rechtsfehlern, bindet sie das Revisionsgericht nicht (BGH, Urteil vom
14. März 2023 - II ZR 152/21,
2024 - II ZR 222/21,
b) Einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Auslegung
des Kündigungsschreibens vom 23. Dezember 2019 durch das Berufungsgericht
nicht stand. Die Auslegung des Berufungsgerichts, dem Schreiben lasse sich
nicht entnehmen, dass T. F. die Kündigungserklärung zugleich als
Geschäftsführer der Schuldnerin, mithin in fremdem Namen für diese, ausgesprochen
habe, verstößt gegen anerkannte Auslegungsregeln.
aa) Der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der
diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille bildet den Ausgangspunkt
einer nach
21. Oktober 2014 - II ZR 84/13,
2018 - VIII ZR 109/18,
- II ZR 222/21,
des Bundesgerichtshofs, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeuti-
ger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände
bildet (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2018 - XII ZR 76/17, NZM 2018,
601 Rn. 36 mwN; Urteil vom 15. Oktober 2014 - XII ZR 111/12, GmbHR 2015,
200 Rn. 50 mwN; Beschluss vom 10. September 2020 - I ZR 237/19, K&R 2021,
61 Rn. 13; Urteil vom 3. März 2021 - XII ZR 92/19,
vom 29. Oktober 2024 - II ZR 222/21,
insbesondere auch den mit der Erklärung verfolgten Zweck und die Interessenlage
der Parteien zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003
IX ZR 199/00,
XII ZR 114/10,
auf
wie der Erklärung einer Kündigung (BGH, Urteil vom 10. April 2024
VIII ZR 286/22,
§ 157 Rn. 1).
bb) Diesen Auslegungsgrundsätzen werden die Erwägungen des Berufungsgerichts
nicht gerecht. Die Kündigungserklärung im Schreiben vom
23. Dezember 2019 wurde nicht nur für die Schuldnerin vertreten durch die Gesellschafter
abgegeben, wovon das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeht,
sondern zugleich durch T. F. als Geschäftsführer der Schuldnerin.
Das Revisionsgericht kann die Auslegung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter
eine Erklärung nicht oder unter Verletzung anerkannter Auslegungsgrundsätze
ausgelegt hat und weitere, für die Auslegung maßgebliche tatsächliche Feststellungen
nicht zu erwarten sind, und zwar auch dann, wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten
bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 - II ZR 84/13,
1376 Rn. 24; Urteil vom 5. November 2024 – II ZR 35/23,
Die Annahme des Berufungsgerichts, das von T. F. verfasste
Kündigungsschreiben vom 23. Dezember 2019 enthalte keine individuellen Anhaltspunkte
dafür, dass die Kündigungserklärung auch durch die Geschäftsführung
in Vertretung der Schuldnerin erklärt worden sei, ist nicht haltbar. Gibt ein
Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier
eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der
Gesellschaft entfalten soll, geht der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung
grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben
werden soll. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Geschäftsführer ausdrücklich
"in Vertretung" oder als "Geschäftsführer" zeichnet, wenn sich seine Stellung,
wie hier, für den Erklärungsempfänger erkennbar, durch seine gemäß § 35a
Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorgeschriebene Namhaftmachung auf dem Geschäftsbrief
ergibt (
erklärt werden sollte, lässt sich dem Schreiben vom 23. Dezember 2019 nicht
entnehmen und wurde vom Berufungsgericht auch nicht festgestellt, da es den
vorstehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt hat.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung der
Erklärung der weitere Inhalt des Schreibens nicht unberücksichtigt bleiben darf.
In diesem wird dem Kläger ein Hausverbot erteilt, wobei der Ausspruch des
Hausverbots grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung
fällt und im vorliegenden Fall auch nicht vom Auftrag der Gesellschafterversammlung
umfasst war. Der Ausspruch des Hausverbots und der Kündigungserklärung
in einem Schreiben sprechen ebenfalls dafür, dass die Kündigung auch durch die
Geschäftsführung im Namen der Schuldnerin erklärt werden sollte.
III. Das Berufungsurteil ist danach insgesamt aufzuheben (§ 562 Abs. 1
ZPO). Die Sache ist gemäß
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die
noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:18.03.2025
Aktenzeichen:II ZR 77/24
Rechtsgebiete:
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
GmbH
Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 133, 157; GmbHG § 35 Abs. 1