Schenkungsteuer bei nachrangigem Nießbrauch
letzte Aktualisierung: 11.2.2021
BFH, Urt. v. 6.5.2020 – II R 11/19
ErbStG §§ 12 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1, 2 u. 3; BewG §§ 6 Abs. 1, 14;
Schenkungsteuer bei nachrangigem Nießbrauch
1. Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten
auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten
besteht. Der Nießbrauch des Schenkers erhält einen Rang nach dem Nießbrauch des Dritten. § 6
Abs. 1 BewG gilt nicht für einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch.
2. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind der vorrangige und der nachrangige lebenslange
Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal mit dem höheren Vervielfältiger gemäß § 14 BewG zu
berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils und zur Änderung des angefochtenen Schenkungsteuerbescheids dahingehend, dass die begehrte Steuerstundung gewährt wird. Das FG hat § 6 Abs. 1 BewG zu Unrecht angewandt.
1. Bei einer Schenkung gilt als steuerpflichtiger Erwerb grundsätzlich die Bereicherung des Bedachten (§ 1 Abs. 2 i.V.m.
2. Gemäß
a) § 6 Abs. 1 BewG untersagt den Abzug von Verpflichtungen, die am Bewertungsstichtag zivilrechtlich (noch) nicht entstanden sind (vgl. BFH-Urteil vom 29.07.1998 - II R 84/96, BFH/NV 1999, 293, unter II.1.b). Die Norm stellt ihrem Wortlaut nach auf die rechtliche "Entstehung" der Verpflichtungen, nicht auf die Möglichkeit ihrer Geltendmachung oder zwangsweisen Durchsetzung durch den Berechtigten ab.
b) Mit dem Ausdruck "Bedingung" knüpft § 6 Abs. 1 BewG an das bürgerliche Recht an (BFH-Urteil vom 11.01.1961 - II 272/58 U,
c) Behält sich ein Schenker den Nießbrauch vor, obwohl der Zuwendungsgegenstand bereits mit dem Nießbrauch eines Dritten belastet ist, hängt die Entstehung des Nießbrauchs des Schenkers nicht vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung i.S. der §§ 158 Abs. 1 BGB, 6 Abs. 1 BewG ab. Der Nießbrauch des Schenkers entsteht vielmehr mit der Schenkung und erhält einen Rang nach dem älteren Nießbrauch. Die Nachrangigkeit hat zur Folge, dass der Nießbrauch des Schenkers zunächst nicht geltend gemacht oder zwangsweise durchgesetzt werden kann. Seine zivilrechtliche Entstehung wird durch die Existenz des älteren Nießbrauchs aber nicht verhindert (vgl. zum Rangrücktritt BFH-Urteil vom 25.02.1983 - III R 21/82, juris, unter 3.; zum Rangverhältnis dinglicher Rechte z.B. Staudinger/S Heinze, BGB, 2018, § 879 Rz 1 bis 3, 5; MünchKommBGB/Kohler, 8. Aufl., § 879 Rz 1 bis 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 879 Rz 1; Erman/Artz, BGB, 15. Aufl., § 879 Rz 1 f.).
d) Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen bei einer Schenkung mehreren Berechtigten ein Nießbrauch in der Weise eingeräumt wird, dass der Nießbrauch des einen erst mit dem Ableben des anderen entstehen soll (sog. Sukzessivnießbrauch). Bei der Schenkungsteuerfestsetzung ist der für die Zeit nach dem Ableben des zunächst Berechtigten vereinbarte Nießbrauch gemäß
e) Für eine entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 1 BewG auf einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch besteht kein Anlass. Eine Abweichung von den Regeln des Zivilrechts ist insbesondere nicht wegen einer fehlenden "wirtschaftlichen Belastung" des Bedachten geboten. Bürgerlich-rechtlich geprägte Begriffe, wie der der aufschiebenden Bedingung in § 6 Abs. 1 BewG, können nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgelegt werden. Ob eine Last aufschiebend bedingt ist, weil sie erst bei Eintritt eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses entsteht, hängt nicht davon ab, ob der Eintritt des Ereignisses mehr oder weniger wahrscheinlich ist (vgl. BFH-Urteile in
f) Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten danach grundsätzlich auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten besteht. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind die Nutzungsrechte in der Weise zu berücksichtigen, dass der vorrangige und der nachrangige Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal, aber mit dem höheren Vervielfältiger (§ 14 BewG) abgezogen werden. Die Mehrheit von Nutzungsberechtigten bedeutet keine zusätzliche Last, sondern allenfalls eine Verlängerung der Belastungsdauer.
3. Die bis zum 31.12.2008 geltende Regelung des § 25 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ErbStG a.F. untersagt den Abzug des vom Schenker vorbehaltenen, nachrangigen Nießbrauchs. Die auf diesen Nießbrauch entfallende Schenkungsteuer ist aber zu stunden.
a) Gemäß
b) Die Stundung der Steuer ist untrennbarer Bestandteil der Steuerfestsetzung (BFH-Urteile in
4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
Auf die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge kommt es wegen der Aufhebung des Urteils nicht mehr an.
5. Die Sache ist spruchreif. Die Klage hat Erfolg, die begehrte Stundung ist zu gewähren.
Der Anwendungsbereich des
6. Die Berechnung der zu stundenden Schenkungsteuer und des Ablösebetrags wird nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:06.05.2020
Aktenzeichen:II R 11/19
Rechtsgebiete:
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Sonstiges Steuerrecht
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
ErbStG §§ 12 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1, 2 u. 3; BewG §§ 6 Abs. 1, 14; BGB § 158 Abs. 1