Kartellbußgeldsache: Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Person nach § 30 Abs. 1 OWiG bei Gesamtrechtsnachfolge
letzte Aktualisierung: 1.7.2021
BGH, Beschl. v. 8.3.2021 – KRB 86/20
OWiG §§ 3, 30 Abs. 1 u. 2a;
Kartellbußgeldsache: Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Person nach § 30 Abs. 1
OWiG bei Gesamtrechtsnachfolge
a) Der zeitliche Anwendungsbereich des
Inkrafttreten am 30. Juni 2013 nicht nur die (partielle) Gesamtrechtsnachfolge nach der gemäß § 30
Abs. 1 OWiG verantwortlichen juristischen Person oder Personenvereinigung, sondern auch die
Beendigung der von ihrer Leitungsperson begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingetreten
ist.
b) Nach
ein rechtskräftig gegen den Rechtsvorgänger festgesetztes Bußgeld, also die Zahlungsverpflichtung
als solche, auf den Rechtsnachfolger übergeht. Steht aufgrund eines teilrechtskräftigen Erkenntnisses
lediglich fest, dass der Rechtsvorgänger für die Tat seiner Leitungsperson bußgeldrechtlich
verantwortlich gewesen ist, bewirkt die Vorschrift keinen Eintritt in diese Verantwortlichkeit.
Gründe:
Mit Urteil vom 29. Oktober 2012 (V-1 Kart 1-6/12 [OWi], WuW/E DE-R
3889) hatte das Oberlandesgericht vier Betroffene, die jeweils in leitender Funktion
für vier nebenbetroffene Gesellschaften tätig waren, zu Geldbußen verurteilt,
weil sie durch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (§ 81 Abs. 2 Nr. 1
i.V.m.
geleiteten Gesellschaften bewirkt hatten. Gegen die Nebenbetroffenen, unter anderem
die hiesige, hatte das Oberlandesgericht wegen der Kartellordnungswidrigkeiten
Bußgelder verhängt. Zu den Nebenbetroffenen gehörte auch die
S. K. GmbH & Co. KG (nachfolgend: S. K. ), die
aufgrund der Ende November 2007 beendeten Tat des Geschäftsführers ihrer
Komplementärin mit einem Bußgeld in Höhe von 200.000 € belegt worden war.
Gegen das Urteil hatten sich sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als
auch die Betroffenen und Nebenbetroffenen mit ihren umfassenden Rechtsbeschwerden
gewandt. Ziel der Generalstaatsanwaltschaft war es, dass sämtliche
Betroffene und Nebenbetroffene wegen einer Kartellordnungswidrigkeit nach
AEUV) zu höheren Bußgeldern verurteilt werden. Auf die Rechtsbeschwerden
der Generalstaatsanwaltschaft hatte der Senat mit Beschluss vom 3. Juni 2014
(KRB 46/13, WuW/E DE-R 4317) das Urteil hinsichtlich der vier Nebenbetroffenen
im jeweiligen Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsmittel aufgehoben und die Sache
in diesem Umfang zurückverwiesen. Alle weiteren Rechtsbeschwerden der Verfahrensbeteiligten
waren insgesamt erfolglos geblieben.
Nachdem die S. K. aufgrund Verschmelzung durch Anwachsung
auf die hiesige Nebenbetroffene zum 1. Januar 2019 erloschen war,
hat das Oberlandesgericht das Verfahren gegen diese auch anstelle der S. -
K. geführt. Es hat nunmehr durch Beschluss (
gegen die Nebenbetroffene wegen der Kartellordnungswidrigkeit der
Leitungsperson der S. K. eine Geldbuße zu verhängen, und sie
insoweit als deren Rechtsnachfolgerin aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
Dagegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte
Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft. Dem vom Generalbundesanwalt
vertretenen Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
I.
1. Das Oberlandesgericht hat festgestellt, dass mit Ablauf des
31. Dezember 2018 die Komplementärin aus der S. K. austrat.
Als zu diesem Zeitpunkt einzige Kommanditistin und damit alleinige Gesellschafterin
der S. K. übernahm die Nebenbetroffene deren Handelsgeschäft
mit allen Aktiva und Passiva ohne Liquidation. Dass die S.
K. aufgelöst und ihre Firma erloschen ist, wurde am 29. Januar 2019 im
Handelsregister eingetragen.
2. Das Oberlandesgericht hat eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit
der Nebenbetroffenen als Rechtsnachfolgerin der S. K. für
die von deren Leitungsperson begangene Kartellordnungswidrigkeit verneint.
Zwischen den Vermögen der beiden Gesellschaften liege bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise
keine Nahezu-Identität vor.
Rechtsgrundlage für den Übergang der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit in
Betracht, könne aber nicht rückwirkend auf die vor seinem Inkrafttreten beendete
Anknüpfungstat angewendet werden; darauf, dass der "Schuldspruch" gegen die
S. K. vor Abschluss der Rechtsnachfolge gleichsam in Rechtskraft
erwachsen sei, komme es dabei nicht an.
II.
Der Teilfreispruch der Nebenbetroffenen als Rechtsnachfolgerin der
S. K. hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Der Erörterung
bedürfen der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung über die Rechtsnachfolge
in
S. K. gerichteten Rechtsbeschwerde der Generalstaatsanwaltschaft
für die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Nebenbetroffenen:
1. Der Anwendung des
(
a) Zutreffend hat das Oberlandesgericht allein
Rechtsgrundlage für die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Nebenbetroffenen
wegen der von der Leitungsperson der S. K. begangenen
Kartellordnungswidrigkeit in Betracht gezogen. Der Senat vermag dem Generalbundesanwalt
nicht darin beizutreten, dass es für eine Haftungserstreckung vorrangig
auf
Abs. 2 GWB) als lex specialis des Kartellordnungswidrigkeitenrechts ankäme.
Die Vorschrift regelt in den Sätzen 1 bis 3 die Festsetzung einer Geldbuße im
Sinne des
Rechtsnachfolger der Konzerngesellschaft, welche die juristische Person oder
Personenvereinigung nach
Rechtsnachfolger des Verbands selbst verbleibt es indes bei einer etwaigen Verantwortlichkeit
gemäß
GWB 2017 in Satz 4 i.V.m. Satz 3 lediglich, dass die in
vorgesehene zweifache Begrenzung der Bußgeldhöhe wegfällt (s. Biermann in
Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., Bd. 2,
mwN; MüKoWettbR/Vollmer, 3. Aufl., Bd. 2,
b) Ebenso zutreffend hat das Oberlandesgericht angenommen, dass
die mit der 8. GWB-Novelle (BGBl. 2013 I S. 1738) zum 30. Juni 2013 eingefügte
Vorschrift des
ihrem Inkrafttreten nicht nur die Rechtsnachfolge, sondern auch - anders als
hier - die Beendigung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingetreten ist.
Anderenfalls läge ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor (ebenso
G. Dannecker/C. Dannecker/Müller, ZWeR 2013, 417, 428; Gürtler/Thoma in
Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 30 Rn. 38c; Haus,
ZVertriebsR 2014, 90, 96 f.; Werner,
2014, 102, 105 f.; Ost in Bien [Hrsg.], Das deutsche Kartellrecht nach der
8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 311; Niesler in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und
Steuerstrafrecht, 2. Aufl.,
13. Aufl., Bd. 1,
["durchaus erwägenswert", falls "die Tat dem Rechtsnachfolger positiv bekannt"]).
aa) Der Senat hat bereits darüber entschieden, ob
die Fallkonstellation erfasst, in der sowohl die Ordnungswidrigkeit als auch die
Rechtsnachfolge vor dem Inkrafttreten datieren. Er hat insoweit eine rückwirkende
Anwendung der Neuregelung ausgeschlossen, dabei allerdings auf die
Tatbeendigung ("die hier zu beurteilende Tat") abgestellt (s. BGH, Beschluss vom
16. Dezember 2014 - KRB 47/13,
Die Formulierung entspricht einem Verständnis, wonach sachlicher
Anknüpfungspunkt für das Rückwirkungsverbot die Ordnungswidrigkeit
und nicht allein die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung ist, die zum Erlöschen
des an sich bußgeldrechtlich verantwortlichen Verbands geführt hat (vgl.
Heinichen,
bb) Dass sich der zeitliche Anwendungsbereich des
auf Fälle beschränkt, in denen die Anknüpfungstat am 30. Juni 2013 noch nicht
beendet war, beruht auf folgenden Erwägungen:
(1) Wie sich aus
Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden (s.
Verfassungsnorm des
Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich
bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Das Rückwirkungsverbot
erfasst zum einen die rückwirkende Inkraftsetzung eines Bußgeldtatbestands
(s. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12,
Rn. 46 - Grauzementkartell I). Zum anderen unterliegen ihm aber auch die in
einer juristischen Person oder Personenvereinigung, welche die Grundlage
dafür bilden, eine Organtat durch Verhängung einer Verbandsgeldbuße zu ahnden
(vgl. - für das ebenfalls in
zu
Rn. 10 - Transportbeton II).
(2) Nicht nur
eine solche Regelung über die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit von
juristischen Personen oder Personenvereinigungen; beide Absätze stellen sanktionsbegründende
Normen dar.
Sinne eines schlichten Einstehenmüssens für eine fremde Bußgeldschuld. Vielmehr
statuiert die Vorschrift eine eigene bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des
Verbands für Taten seiner Leitungspersonen als Voraussetzung der Ahndung
(s. Achenbach, FS I. Roxin, 2012, S. 3, 8; ferner
- Versicherungsfusion; BGH,
der Rechtsnachfolger in die Verantwortlichkeit des Verbands eintritt, so dass
ihm die Taten der Leitungspersonen dieses Verbands bußgeldrechtlich zuzurechnen
sind. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut und der systematischen
Stellung der Vorschrift; vor allem folgt sie aber aus der Konzeption, die der Gesetzgeber
sämtlichen mit der 8. und der 9. GWB-Novelle (BGBl. 2017 I S. 1416)
eingefügten Neuregelungen zu unternehmensbezogenen Rechtsfolgen im Ordnungswidrigkeitenrecht
zugrunde gelegt hat. Im Einzelnen:
(a) Der Wortlaut des
nach Absatz 1 und 2", die im Fall einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer
partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung auch "gegen den ... Rechtsnachfolger
festgesetzt werden" kann. Die Vorschrift nimmt somit auf die in § 30
Abs. 1 und 2 OWiG normierten Voraussetzungen Bezug und ordnet dieselbe
Rechtsfolge an. Hiernach bestimmt sie nicht ein gleichsam haftungsrechtliches
Einstehenmüssen des Rechtsnachfolgers für eine fremde Bußgeldschuld, sondern
schafft die Möglichkeit dessen individueller Ahndung (vgl. Görner, ZWeR
2014, 102, 105; Mäger/von Schreitter,
176, 180). Folgerichtig ist die Vorschrift gesetzessystematisch innerhalb der Regelungen
über die Verbandsgeldbuße verortet (a.A. KK-Rogall, OWiG, 5. Aufl.,
§ 30 Rn. 54, der das Wesen des
der Haftungsfolge 'Geldbuße'" versteht und daraus - konsequent - folgert, "die
Platzierung des Absatzes 2a ... in § 30 [OWiG sei] ... unter systematischen Gesichtspunkten
fragwürdig").
(b) Die gesetzliche Konzeption der unternehmensbezogenen Rechtsfolgen
im Ordnungswidrigkeitenrecht ist insbesondere in den Gesetzesmaterialien
zu den - mit der 9. GWB-Novelle zum 9. Juni 2017 eingefügten - kartellbußgeldrechtlichen
Regelungen des § 81 Abs. 3a bis 3c GWB 2017 einerseits sowie
des
Abs. 1 bis 3 und
des GWB-Digitalisierungsgesetzes (BGBl. 2021 I S. 2), ohne dass hiermit eine
inhaltliche Änderung verbunden war (s. Entwurf der Bundesregierung,
BT-Drucks. 19/23492 S. 123, 127). Diese Konzeption stellt sich wie folgt dar:
Die Regelungen des § 81 Abs. 3a bis 3c GWB 2017 definieren den Kreis
der möglichen Adressaten der Bußgeldentscheidung ausgehend von einem dem
Gesellschaftsrecht vorgelagerten Unternehmensbegriff, der unter bestimmten
Voraussetzungen lenkende Konzerngesellschaften, Gesamtrechtsnachfolger sowie
wirtschaftliche Nachfolger umfasst (Entwurf der Bundesregierung,
BT-Drucks. 18/10207 S. 86). Die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit von
Rechtsträgern, welche die wirtschaftliche Einheit Unternehmen zur Zeit der Begehung
der Ordnungswidrigkeit bilden oder es als deren Gesamtrechtsnachfolger
oder neuer Betreiber fortsetzen, stellt keine Haftung für "fremdes Verschulden"
dar, sondern folgt aus ihrer Eigenschaft als Bestandteil oder Repräsentanten
der materiell verantwortlichen Gesamtheit (BT-Drucks. 18/10207 S. 87 f.). Im
Fall der Gesamtrechtsnachfolge ergibt sich der Übergang sämtlicher Aktiva und
Passiva einschließlich der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit daraus, dass
der Rechtsnachfolger den ursprünglich haftenden Rechtsträger verkörpert und
das verantwortliche Unternehmen weiter repräsentiert (BT-Drucks. 18/10207
S. 88, 91). Demgegenüber ordnet die Vorschrift des
Übergangszeitraum - eine Ausfallhaftung an, mit der, anders als bei § 81 Abs. 3a
bis 3c GWB 2017, kein ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorwurf verbunden ist,
die vielmehr ein rein haftungsrechtliches Einstehenmüssen für eine fremde Bußgeldschuld
bewirkt. Rechtsgrund für die Festsetzung des Haftungsbetrags ist
nicht die Kartellordnungswidrigkeit als solche, sondern ein der Tat nachgelagertes
Ereignis, namentlich das Erlöschen des bußgeldrechtlich verantwortlichen
Verbands oder das vollstreckungsvereitelnde Verschieben von Vermögen
(BT-Drucks. 18/10207 S. 95).
Für den Rechtscharakter der Vorschrift des
dies, dass sie nach dem gesetzgeberischen Willen ebenfalls die unternehmensbezogene
bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit regelt (für eine Anlehnung an den
Unternehmensbegriff bereits G. Dannecker/C. Dannecker/Müller, ZWeR 2013,
417, 428). Denn was gemäß
der den Verband lenkenden Konzerngesellschaft gilt, hat erst
recht für den das Unternehmen fortsetzenden (partiellen) Gesamtrechtsnachfolger
des Verbands selbst zu gelten.
Die Materialien zur 9. GWB-Novelle nehmen insofern auf diejenigen zu
der Eintritt in sämtliche Rechtspositionen des Rechtsvorgängers sei im Wesen
der Gesamtrechtsnachfolge angelegt (s. Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie, BT-Drucks. 17/11053 S. 22). Soweit
der Gesetzesbegründung an
Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerverhältnis
auf den Rechtsnachfolger" übergehen (BT-Drucks. 17/11053 S. 22), ist
daraus nicht zu schließen, die Vorschrift trüge einen rein haftungsrechtlichen
Charakter (so aber Ost in Bien [Hrsg.], Das deutsche Kartellrecht nach der
8. GWB-Novelle, 2013, S. 305, 311 Fn. 11; KK-Rogall, OWiG, 5. Aufl., § 30
Rn. 54). Denn auch für
anerkannt, dass der Gesamtrechtsnachfolger - über den Gesetzeswortlaut
hinaus - in einem umfassenden Sinne materiell- und verfahrensrechtlich in die
abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers eintritt (s. BFH, Urteil vom
15. Juni 2011 - XI R 10/11, juris Rn. 18; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
AO/FGO, 260. Lfg.,
(3) Regelt - wie dargelegt -
Verantwortlichkeit von juristischen Personen oder Personenvereinigungen, kann
er nicht rückwirkend auf Fälle angewendet werden, in denen die Straftat oder
Ordnungswidrigkeit bereits vor seinem Inkrafttreten beendet war (a.A. Görner,
ZWeR 2014, 102, 105 f.). Denn die mit der 8. GWB-Novelle eingefügte sanktionsbegründende
Norm enthält für die (partielle) Gesamtrechtsnachfolge die
Neudefinition der Person eines zu ahndenden Verbands. Der Rechtsnachfolger
kann indes nur in diejenige Rechtslage eintreten, die bei Begehung der nach § 30
Abs. 1 und 2 OWiG zu bebußenden Tat bestand. Vor dem 30. Juni 2013 war die
Möglichkeit der Ahndung des Rechtsnachfolgers - jenseits der Rechtsprechung
zur Nahezu-Identität (vgl.
- nicht vorgesehen. Eine derartige gesetzliche Ahndungsmöglichkeit
für bereits abgeschlossene Sachverhalte hat nicht rückwirkend geschaffen werden
können (ebenso Mäger/von Schreitter,
2015, 176, 180; ferner G. Dannecker/C. Dannecker/Müller, ZWeR 2013, 417,
428; Haus
Diese Beurteilung steht im Einklang mit dem Verständnis des Gesetzgebers,
das der - mit der 9. GWB-Novelle geschaffenen und nach dem GWB-Digitalisierungsgesetz
unverändert fortgeltenden - Übergangsbestimmung des § 186
Abs. 5 GWB für die Vorschriften der § 81 Abs. 3a bis 3e,
liegt. Hiernach findet
des bußgeldrechtlich verantwortlichen Verbands (
von Vermögen nach dem 9. Juni 2017 erfolgt; war allerdings zu diesem Zeitpunkt
die Tatbeendigung noch nicht eingetreten, gehen die Regelungen in § 81
Abs. 3a bis 3e GWB 2017 vor. Der Reformgesetzgeber ist davon ausgegangen,
dass deren Anwendung auf vor dem Inkrafttreten beendete Taten gegen das
Rückwirkungsverbot verstößt (vgl. BT-Drucks. 18/10207 S. 94 f.). Um unionsrechtlichen
Vorgaben zu genügen, hat er sich deshalb gehalten gesehen, für
einen Übergangszeitraum eine Ausfallhaftung zu konzipieren (s. BT-Drucks.
18/10207 S. 95, 107).
2. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, das Oberlandesgericht
habe die horizontale Teilrechtskraft missachtet, die durch den Senatsbeschluss
vom 3. Juni 2014 eingetreten sei, weil die zu Lasten der S. K.
eingelegte Rechtsbeschwerde nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs
im Urteil vom 29. Oktober 2012 geführt habe und im Übrigen verworfen worden
sei. Was die von der Leitungsperson der S. K. begangene Kartellordnungswidrigkeit
betrifft, ist das vom Oberlandesgericht im ersten Rechtsgang
verkündete Urteil gegen die Nebenbetroffene nicht in Teilrechtskraft erwachsen.
a) Die Reichweite der Rechtskraft ist grundsätzlich auf die Betroffenen
und Nebenbetroffenen des konkreten Bußgeldverfahrens beschränkt. Soweit an
demselben Verfahren mehrere Nebenbetroffene beteiligt sind, ist eine gesonderte
Betrachtung für jeden von ihnen geboten. Ein verurteilendes Erkenntnis
kann, soweit es sich gegen einen Beteiligten richtet, rechtskräftig werden, soweit
es sich gegen einen anderen richtet, dagegen nicht (vertikale Teilrechtskraft).
Steht - wie hier - aufgrund einer insoweit nicht mehr anfechtbaren bußgeldrechtlichen
Entscheidung fest, dass die Leitungsperson eines nebenbetroffenen Verbands
eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die sie Pflichten verletzt hat,
die den Verband trafen, muss aber die gegen diesen zu verhängende Geldbuße
neu bemessen werden (horizontale Teilrechtskraft), wirkt die teilrechtskräftige
Entscheidung gegen den Verband selbst, indes nicht ohne Weiteres gegen dessen
Rechtsnachfolger (zu den Begriffen der vertikalen und horizontalen Teilrechtskraft
vgl. LR/Kühne, StPO, 27. Aufl., Einl. K Rn. 68; ferner BGH, Beschluss
vom 23. Februar 2017 - 3 StR 546/16, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Antragstellung
10 Rn. 5); dies gilt auch dann, wenn der Rechtsnachfolger am bisherigen
Verfahren als weiterer Nebenbetroffener wegen einer Ordnungswidrigkeit seiner
eigenen Leitungsperson beteiligt war. Vielmehr bedarf es für die Rechtskrafterstreckung
auf einen anderen - nicht wirtschaftlich nahezu identischen - Verband
einer gesetzlichen Anordnung, die hier nicht besteht.
Soweit die Beschwerdeführerin einen Vergleich zur Rechtskrafterstreckung
im Zivilprozess zieht, nimmt sie nicht Bedacht darauf, dass
diese Rechtsfolge - wie etwa auch
und finanzgerichtlichen Verfahren - ausdrücklich vorsieht. Ebenso erfolglos beruft
sie sich auf das Umwandlungsrecht. Zwar führt nach
die Eintragung der Verschmelzung im Register dazu, dass ein rechtskräftig gegen
den Rechtsvorgänger festgesetztes Bußgeld, also die Zahlungsverpflichtung
als solche, wie jede andere Verbindlichkeit auf den Rechtsnachfolger übergeht
(s. OLG Düsseldorf, NZKart 2013, 254 Rn. 3; Grunewald in Lutter, UmwG,
6. Aufl., § 20 Rn. 43). Die Vorschrift kann jedoch nicht die Zurechnung der kartellrechtswidrigen
Handlung oder den Eintritt in die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit
bewirken, weil es sich hierbei nicht um Vermögensbestandteile handelt
(s. Löbbe, ZHR 177 [2013], 518, 523 ff.; ferner Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,
5. Aufl.,
vom 29. Oktober 2012 könnte allenfalls nach
Nebenbetroffene erstreckt worden sein; allerdings ist - wie ausgeführt (vgl.
Rn. 9 ff.) - dessen zeitlicher Anwendungsbereich nicht eröffnet.
Mit dem Senatsbeschluss vom 3. Juni 2014 stand lediglich fest, dass die
S. K. für die Kartelltat ihrer Leitungsperson bußgeldrechtlich
verantwortlich war (
Nr. 1 UmwG lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass - mit der Rechtsbeschwerdebegründung
- diese Verantwortlichkeit als nur "noch höhenmäßig zu bemessende
Bußgeldpflicht" bezeichnet wird. Denn erst durch den richterlichen Gestaltungsakt
der Verhängung der Geldbuße entsteht die Zahlungsverpflichtung.
b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin erweist sich der Teilfreispruch
der Nebenbetroffenen auch nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil das
Oberlandesgericht die Bindungswirkung der Feststellungen zum teilrechtskräftigen
"Schuldspruch" verkannt hätte. Die Bindungswirkung hindert das neue Tatgericht
nicht, weitere den bindenden nicht widersprechende Feststellungen zu
treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16,
Rn. 22 mwN), schon gar nicht zu solchen Umständen, die nach der Hauptverhandlung
im ersten Rechtsgang eingetreten sind (s. BeckOK StPO/Wiedner,
38. Ed., § 353 Rn. 60). Im Einzelfall kann dies sogar geboten sein, nicht nur unter
Aufklärungsgesichtspunkten, sondern auch sachlichrechtlich. So liegt es bei den
vom Oberlandesgericht zum Erlöschen der S. K. getroffenen
Feststellungen.
3. Dahinstehen kann, ob gegen die Nebenbetroffene nach
ein Haftungsbetrag aus Anlass der von der Leitungsperson der S.
K. begangenen Kartellordnungswidrigkeit festgesetzt werden kann. Wie
das Bundeskartellamt mit Schriftsatz vom 1. April 2020 zutreffend ausgeführt hat,
ist im vorliegenden Bußgeldverfahren hierüber nicht zu befinden; vielmehr hat
das Bundeskartellamt als nach § 81e Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 Nr. 3,
Verfahren einen entsprechenden Haftungsbescheid erlässt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:08.03.2021
Aktenzeichen:KRB 86/20
Rechtsgebiete:
Umwandlungsrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
OWiG §§ 3, 30 Abs. 1 u. 2a; UmwG § 20 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 103 Abs. 2