BGH 27. Januar 2021
XII ZB 450/20
BGB §§ 164 Abs. 3, 2296 Abs. 2

Erbvertrag; Geschäftsunfähigkeit des Vertragspartners; Rücktritt ggü. Vorsorgebevollmächtigtem

letzte Aktualisierung: 12.3.2021
BGH, Beschl. v. 27.1.2021 – XII ZB 450/20

BGB §§ 164 Abs. 3, 2296 Abs. 2
Erbvertrag; Geschäftsunfähigkeit des Vertragspartners; Rücktritt ggü.
Vorsorgebevollmächtigtem

a) Zur Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung einer Betreuung, der geltend
macht, zur Ausübung eines materiellen Rechts gegenüber dem Betroffenen auf die
Betreuerbestellung angewiesen zu sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 19. Januar 2011 –
XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465).
b) Dass der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich
vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.
c) Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden
jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.

Gründe:

A.
Vor ihrer Heirat schlossen die im Jahre 1940 geborene Betroffene und der
Beteiligte zu 3 im Jahre 2006 einen notariellen Erbvertrag, in dem sie sich durch
vertraglich angeordnete Verfügungen jeweils mit Vermächtnissen bedachten und
den notariell zu beurkundenden Rücktritt vorbehielten. Anfang 2015 erteilte die
Betroffene ihren beiden Kindern, den Beteiligten zu 1 und 2, eine umfassende
Vorsorgevollmacht. In notarieller Urkunde vom 15. April 2020 erklärte der Beteiligte
zu 3 den Rücktritt vom Erbvertrag. Die Urkunde wurde der Betroffenen und
der Beteiligten zu 1 zugestellt.

Wegen Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen hat
der Beteiligte zu 3 beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene
zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung angeregt. Das Amtsgericht
hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil diese mit Blick auf die Vorsorgevollmacht
nicht erforderlich sei. Das Landgericht hat die Beschwerde des
Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.
Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.

B.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.

I.
Das Landgericht hat ausgeführt, die Beschwerde des Beteiligten zu 3 sei
zwar zulässig; es fehle ihm insbesondere nicht an der Beschwerdeberechtigung.
Das Rechtsmittel sei jedoch mangels Erforderlichkeit der Betreuung unbegründet.
Sei die Betroffene geschäftsfähig, so sei die ihr zugestellte Rücktrittserklärung
mit Zugang wirksam. Sei sie dagegen geschäftsunfähig, so entfalte der
Rücktritt seine Wirksamkeit in entsprechender Anwendung von § 131 Abs. 1
BGB mit Zugang an die Beteiligte zu 1. Nach richtiger Auffassung genüge nämlich
der Zugang der Rücktrittserklärung an einen bevollmächtigten Vertreter. Eines
gesetzlichen Vertreters und damit einer Betreuerbestellung bedürfe es hierfür
nicht.

II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Das Landgericht hat den Beteiligten zu 3 mit Recht als beschwerdeberechtigt
angesehen. Die Beschwerdeberechtigung des Ehemanns der Betroffenen
folgt hier unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 303 Abs. 2
Nr. 1 FamFG jedenfalls aus § 59 Abs. 1 FamFG.

a) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Kläger eines Rechtsstreits
hinsichtlich der Entscheidung, mit der das Betreuungsgericht die von ihm
angeregte Bestellung eines Betreuers für den prozessunfähigen Beklagten ablehnt,
grundsätzlich beschwerdebefugt ist. Denn der Grundsatz effektiven
Rechtsschutzes gebietet es, der klagenden Partei die Möglichkeit einzuräumen,
ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen. Um die
ordnungsgemäße Vertretung der prozessunfähigen Partei im Prozess zu gewährleisten,
bedarf es dann grundsätzlich der Bestellung eines Betreuers. Hat
der Kläger mithin ein rechtlich geschütztes Interesse an der Bestellung eines Betreuers,
geht damit im Falle einer abschlägigen Entscheidung des Betreuungsgerichts
seine Beschwerdebefugnis einher (Senatsbeschluss vom 19. Januar
2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 10 ff. mwN).

b) Nicht anders verhält es sich im Ergebnis dann, wenn ein Dritter geltend
macht, dem Betroffenen gegenüber eine materiell-rechtliche Willenserklärung
abgeben zu wollen und für die Wirksamkeit dieser Erklärung wegen der krankheitsbedingten
Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen auf die Bestellung eines
gesetzlichen Vertreters angewiesen zu sein. Diese rechtliche Wertung als richtig
unterstellt wäre der Dritte bei Verweigerung einer Betreuerbestellung gegebenenfalls
dauerhaft an der Rechtsausübung gegenüber dem Betroffenen gehindert,
so dass er trotz Drittbetroffenheit ausnahmsweise in der von § 59 Abs. 1
FamFG geforderten Weise in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

c) Der Beteiligte zu 3 beruft sich demnach hier mit Erfolg auf eine solche
Beschwerdeberechtigung. Ob er mit Blick auf die Ausübung eines Rücktrittsrechts
tatsächlich der Bestellung eines Betreuers für die Betroffene bedarf, ist
eine Frage der Begründetheit seines Rechtsmittels.

2. Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die
Einrichtung einer Betreuung mit Blick auf die den Kindern der Betroffenen erteilte
umfassende Vorsorgevollmacht wegen Fehlens der Erforderlichkeit im Sinne des
§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB abgelehnt hat.

a) Gemäß § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgt der - nach § 2296 Abs. 1 BGB
nur höchstpersönlich mögliche - Rücktritt vom Erbvertrag, den sich die Vertragschließenden
vorliegend gemäß § 2293 BGB vorbehalten haben, durch Erklärung
gegenüber dem anderen Vertragschließenden. Sind in dem Erbvertrag - wie
hier - von beiden Teilen vertragsmäßige Verfügungen getroffen, so wird durch
den Rücktritt eines Vertragschließenden der ganze Vertrag aufgehoben; das
Rücktrittsrecht erlischt mit dem Tode des anderen Vertragschließenden (§ 2298
Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB), wenn nicht ein anderer Wille der Vertragschließenden
anzunehmen ist (§ 2298 Abs. 3 BGB). Als empfangsbedürftige Willenserklärung
bedarf der Rücktritt bei Abgabe in Abwesenheit des Erklärungsgegners gemäß
§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB des Zugangs bei diesem, um wirksam zu werden.

b) Dass der andere Vertragschließende geschäftsunfähig geworden ist,
schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber
- und damit auch die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung zur Entgegennahme
der Rücktrittserklärung - nicht aus.

aa) Jedenfalls für den Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen gemäß
§§ 2271 Abs. 1 Satz 1, 2296 BGB wird in der Literatur allerdings vereinzelt vertreten,
er sei gegenüber einem Geschäftsunfähigen nicht möglich. Begründet
wird dies zum einen damit, der testierunfähige Widerrufsgegner habe dann keine
Möglichkeit, auf den Widerruf mit einer neuen Verfügung von Todes wegen zu
reagieren, so dass seine Situation insoweit der in § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz
1 BGB entspreche, wonach das Recht zum Widerruf mit dem Tode des anderen
Ehegatten erlischt. Zum anderen komme die Bestellung eines Betreuers
zur Entgegennahme des Widerrufs für den Testierunfähigen regelmäßig nicht in
Betracht, so dass dem Geschäftsunfähigen der Widerruf nicht zugehen könne
(vgl. Damrau/Bittler ZErb 2004, 77, 80; Grunsky ErbR 2013, 98, 100 ff. und 2014,
120 f.; wohl auch Klessinger in Damrau/Tanck Praxiskommentar Erbrecht 4. Aufl.
§ 2271 BGB Rn. 11; NK-BGB/Horn 5. Aufl. § 2296 Rn. 8a).

bb) Demgegenüber sind die Rechtsprechung und der weit überwiegende
Teil der Literatur der Meinung, dass die Geschäftsunfähigkeit bzw. Testierunfähigkeit
des anderen Ehegatten bzw. Vertragschließenden weder einem Widerruf
wechselbezüglicher Verfügungen noch dem Rücktritt vom Erbvertrag entgegenstehen.
Dies ergebe sich vor allem aus dem Rechtsunsicherheiten vermeidenden
Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, sich zu Lebzeiten des anderen von
der erbrechtlichen Bindung lösen und die Testierfreiheit so zurückerlangen zu
können. Außerdem werde diese Bindung erst durch den mit dem Tod des anderen
eintretenden erbrechtlichen Erwerb gerechtfertigt. Jeder Testierende müsse
von vorneherein mit einem Widerruf und damit rechnen, dass dadurch seine eigenen
wechselbezüglichen Verfügungen unwirksam werden. Das Fehlen einer
Möglichkeit, erneut von Todes wegen zu verfügen, sei schlicht Ausdruck des allgemeinen
Risikos der Testierunfähigkeit (vgl. OLG Hamm FamRZ 2014, 1484,
1485; OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1842, 1843 f. mwN; LG Leipzig FamRZ 2010,
403, 404; LG Hamburg Beschluss vom 17. Februar 2000 - 301 T 264/99 - juris
Rn. 20; BeckOK BGB/Litzenburger [Stand: 1. November 2020] § 2271 Rn. 17;
BeckOGK/Braun [Stand: 15. Juli 2020] § 2271 Rn. 45; Burandt/Rojahn/Braun
Erbrecht 2. Aufl. § 2271 BGB Rn. 17, 19; Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB
16. Aufl. § 2296 Rn. 3; jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020] § 2271
Rn. 22; MünchKommBGB/Musielak 8. Aufl. § 2296 Rn. 5; Jauernig/Stürner BGB
18. Aufl. § 2271 Rn. 2; NK-BGB/Müßig 5. Aufl. § 2271 Rn. 15; Reimann/Bengel/
Dietz/J. Mayer/Sammet Testament und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 BGB
Rn. 18 ff.; Reimann/Bengel/Dietz/J. Mayer/Röhl Testament und Erbvertrag
7. Aufl. § 2296 BGB Rn. 6; Staudinger/Kanzleiter BGB [2019] § 2271 Rn. 14;
Müller/Renner Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl.
Rn. 187; R. Kössinger/Zintl in Nieder/Kössinger Handbuch der Testamentsgestaltung
6. Aufl. § 11 Rn. 34b; Hausmann Notar 2014, 58, 59; Keim ErbR 2014,
118 f. und ZEV 2010, 358 f.; Helms DNotZ 2003, 104, 105 f.; Lange jurisPRFamR
12/2010 Anm. 2; Palandt/Weidlich BGB 80. Aufl. § 2271 Rn. 6; Vollmer
ZErb 2007, 235, 236; Zimmer ZEV 2013, 307, 309 und 2007, 159, 160).

cc) Jedenfalls für die hier maßgebliche Frage, ob das in einem Erbvertrag
vorbehaltene Rücktrittsrecht schon mit Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des anderen
Vertragschließenden erlischt, ist die letztgenannte Auffassung zutreffend.

(1) Der Gesetzgeber hat in § 2298 Abs. 2 Satz 2 BGB den Tod des anderen
Vertragschließenden als eindeutige und unschwer zu bestimmende zeitliche
Zäsur festgelegt, bis zu der das Rücktrittsrecht auszuüben ist (vgl. etwa OLG
Nürnberg FamRZ 2013, 1842, 1844; Hausmann Notar 2014, 58, 60; Zimmer ZEV
2007, 159, 160). Tatsächliche Unsicherheiten, wie sie bei der Anknüpfung etwa
an die Testier- oder Geschäftsunfähigkeit unvermeidbar wären, sind auf diese
Weise ausgeschlossen.

(2) Es ist zwar zutreffend, dass dem testierunfähig gewordenen anderen
Vertragschließenden wegen § 2229 Abs. 4 BGB die Möglichkeit genommen ist,
auf die mit dem Rücktritt veränderte erbrechtliche Lage mittels letztwilliger Verfügungen
zu reagieren, obwohl ihm diese Möglichkeit eröffnet sein soll (vgl. dazu
etwa BGHZ 48, 374 = NJW 1968, 496, 498 f. mwN). Diese Konsequenz ist dem
Gesetz andererseits aber auch nicht fremd, wie § 2298 Abs. 2 Satz 3 BGB belegt,
wonach der Überlebende selbst nach dem Tod des anderen Vertragschließenden
seine Verfügung durch Testament aufheben kann, wenn er das ihm durch
den Erbvertrag Zugewendete ausschlägt. Auch dann geht die erbvertragliche Regelung
vollständig ins Leere, ohne dass derjenige Vertragschließende, der an ihr
festgehalten hat, diesem Umstand noch Rechnung tragen kann.

(3) Zudem ist bei Testierunfähigkeit des anderen Vertragschließenden
- anders als bei dessen Tod - der Erbfall noch nicht eingetreten. Der erbrechtliche
Erwerb des jeweils Bedachten aufgrund der im Erbvertrag getroffenen vertragsmäßigen
Verfügungen ist jedoch ein wesentlicher Grund dafür, dass das Rücktrittsrecht
mit dem Tod des anderen Vertragschließenden erlischt und der Überlebende
gebunden ist (vgl. Keim ErbR 2014, 118, 119). Letztlich verwirklicht sich
für den Rücktrittsgegner das allgemeine Risiko, einer veränderten Situation aufgrund
zwischenzeitlich eingetretener Testierunfähigkeit erbrechtlich nicht mehr
Rechnung tragen zu können (vgl. jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020]
§ 2271 Rn. 22). Ist der Rücktritt im Erbvertrag - wie hier - vorbehalten, ist er auf
die Gefahr, dass sich sein Vertragspartner durch einseitige Erklärung von den
getroffenen Regelungen lösen kann, zudem ausdrücklich hingewiesen worden;
jener wiederum darf darauf vertrauen, dass diese Rücktrittsmöglichkeit - der gesetzlichen
Regelung entsprechend - bis zum Tod des anderen besteht.

(4) Nichts Abweichendes ergibt sich schließlich aus verfahrensrechtlichen
Erwägungen (aA Damrau/Bittler ZErb 2004, 77, 80). Insbesondere kommt - wie
bereits zur Zulässigkeit der Beschwerde des Beteiligten zu 3 dargelegt - die Bestellung
eines Betreuers in Betracht, dem gegenüber die Rücktrittserklärung abgegeben
werden kann, obwohl dies gegebenenfalls nicht im rechtlichen Interesse
des Betroffenen liegt.

c) Der Rücktritt des Beteiligten zu 3 vom Erbvertrag kann vorliegend - wie
das Landgericht zutreffend annimmt - wirksam gegenüber der Beteiligten zu 1 als
Vorsorgebevollmächtigter erklärt werden, so dass es keiner Betreuerbestellung
bedarf.

aa) Ob und inwieweit der Rücktritt vom Erbvertrag bei Geschäftsunfähigkeit
des Erklärungsgegners auch einem von diesem wirksam rechtsgeschäftlich
Bevollmächtigten zugehen kann, ist allerdings höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Vereinzelt wird die Möglichkeit einer Bevollmächtigung für die insoweit parallele
Fragestellung des Widerrufs von wechselbezüglichen Verfügungen, für
dessen Vornahme § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB auf § 2296 BGB verweist, abgelehnt
(vgl. Eickelberg ZEV 2019, 557, 562 f.; Zimmer ZEV 2013, 307, 309 f. und
2007, 159, 162).

Die weit überwiegende Auffassung nimmt hingegen an, dass der Rücktritt
vom Erbvertrag - bzw. der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen - bei Geschäftsunfähigkeit
des anderen Vertragschließenden - bzw. anderen Ehegatten -
gegenüber einem von diesem wirksam Bevollmächtigten erfolgen kann (vgl. LG
Leipzig FamRZ 2010, 403, 405; BeckOK BGB/Litzenburger [Stand: 1. November
2020] § 2271 Rn. 19 iVm § 2296 Rn. 5; BeckOGK/Braun [Stand: 15. Juli 2020]
§ 2271 Rn. 50; BeckOGK/Müller-Engels [Stand: 1. Januar 2021] § 2296 Rn. 10;
Burandt/Rojahn/Braun Erbrecht 2. Aufl. § 2271 BGB Rn. 17; Erman/S. Kappler/
T. Kappler BGB 16. Aufl. § 2296 Rn. 3; Jauernig/Stürner BGB 18. Aufl. § 2271
Rn. 2 und § 2296 Rn. 1; jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020] § 2271
Rn. 27 f.; jurisPK-BGB/B. Hamdan/R. Hamdan [Stand: 18. Mai 2020] § 2296
Rn. 9; MünchKommBGB/Musielak 8. Aufl. § 2296 Rn. 5 iVm § 2271 Rn. 8; Palandt/
Weidlich BGB 80. Aufl. § 2296 Rn. 3 iVm § 2271 Rn. 6; Reimann/Bengel/
Dietz/J. Mayer/Sammet Testament und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 BGB
Rn. 20; Reimann/Bengel/Dietz/J. Mayer/Röhl Testament und Erbvertrag 7. Aufl.
§ 2296 BGB Rn. 6; Staudinger/Kanzleiter BGB [2019] § 2271 Rn. 14; Müller/Renner
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194;
R. Kössinger/Zintl in Nieder/Kössinger Handbuch der Testamentsgestaltung
6. Aufl. § 11 Rn. 34a; Hausmann Notar 2014, 58, 61 f.; Keim ZEV 2010, 358, 360;
Lange jurisPR-FamR 12/2010 Anm. 2; wohl auch Soergel/Wolf BGB 13. Aufl.
§ 2296 Rn. 3; Keim ErbR 2014, 118, 120).

bb) Nach richtiger Ansicht kann der Rücktritt vom Erbvertrag gemäß
§ 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden
jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem
erfolgen.

(1) Gesetzliche Vorgaben stehen einer wirksamen Entgegennahme des
Rücktritts vom Erbvertrag durch einen rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter
des anderen, zwischenzeitlich geschäftsunfähig gewordenen Vertragschließenden
nicht entgegen (vgl. BeckOGK/Braun [Stand: 15. Juli 2020] § 2271
Rn. 50).

Ein entsprechender Ausschluss folgt zum einen nicht aus § 131 Abs. 1
BGB. Zwar wird nach dieser Bestimmung eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen
gegenüber abgegeben wird, nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen
Vertreter zugeht. Mit dieser Regelung ist jedoch nicht die gesetzgeberische
Anordnung verbunden, dass Willenserklärungen, die rechtlich einem Geschäftsunfähigen
gelten, nicht auch an dessen rechtsgeschäftlichen Vertreter gerichtet
werden können. Vielmehr gilt insoweit § 164 Abs. 3 BGB, wonach eine
gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung, die dessen Vertreter
gegenüber erfolgt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt (vgl.
BeckOK BGB/Litzenburger [Stand: 1. November 2020] § 2271 Rn. 19 iVm
§ 2296 Rn. 5; jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020] § 2271 Rn. 28; Staudinger/
Singer/Benedict BGB [2017] § 131 Rn. 3; Müller/Renner Betreuungsrecht
und Vorsorgeverfügungen in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194; Keim ZEV 2010, 358,
359 f.; Lange jurisPR-FamR 12/2010 Anm. 2; aA Eickelberg ZEV 2019, 557,
563).

Zum anderen wird eine rechtsgeschäftliche Stellvertretung bei der Entgegennahme
des Rücktritts vom Erbvertrag nicht dadurch gehindert, dass dieser
nach § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragschließenden
zu erfolgen hat. Denn anders als bei der Abgabe der Rücktrittserklärung,
die gemäß § 2296 Abs. 1 BGB nicht durch einen Vertreter erfolgen
kann, handelt es sich bei der Entgegennahme nicht um eine höchstpersönliche
Angelegenheit (vgl. auch Reimann/Bengel/Dietz/J. Mayer/Sammet Testament
und Erbvertrag 7. Aufl. § 2271 BGB Rn. 20; aA Eickelberg ZEV 2019, 557, 563).
Der Vertragschließende ist insoweit rein passiver Empfänger der Willenserklärung
eines anderen, die mit dem Zugang bei ihm ohne weiteres ihre Wirksamkeit
entfaltet. Mangels Höchstpersönlichkeit ist daher im Rahmen des § 2296 Abs. 2
Satz 1 BGB nach allgemeinen Grundsätzen eine Vertretung zulässig.
Dem kann auch nicht mit Erfolg die prozessuale Regelung des § 51 Abs. 3
ZPO entgegengehalten werden, die den Vorsorgebevollmächtigten eines prozessunfähigen
Volljährigen einem gesetzlichen Vertreter gleichstellt. Auch wenn
es an einer vergleichbaren Bestimmung im materiellen Recht fehlt, erlaubt das
ersichtlich nicht den Gegenschluss, dass es dort eines gesetzlichen Vertreters
bedarf. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 51 Abs. 3 ZPO allein die streitige
Frage klären, ob derjenige, der eine wirksame Vorsorgevollmacht erteilt hat, dennoch
nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit für das gerichtliche Verfahren mit
Blick auf § 1902 BGB einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter benötigt, und
auch die prozessuale Anerkennung der Vorsorgevollmacht sicherstellen (vgl. BT-
Drucks. 15/2494 S. 39 f.; jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020] § 2271
Rn. 28; Hausmann Notar 2014, 58, 62). Für das materielle Recht bleibt es für die
gewillkürte Stellvertretung bei den §§ 164 ff. BGB.

(2) Die rechtliche Situation, in die der Geschäftsunfähige durch den gegenüber
seinem rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter erklärten Rücktritt
vom Erbvertrag gebracht wird, unterscheidet sich strukturell nicht von derjenigen,
die sich bei einem gegenüber einem Betreuer als gesetzlichem Vertreter erfolgten
Rücktritt ergibt (vgl. Müller/Renner Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
in der Praxis 3. Aufl. Rn. 194). In beiden Fällen sind die letztwilligen Verfügungen
der Vertragschließenden, soweit sie nach §§ 2298, 2299 BGB vom Rücktritt
erfasst werden, mit Zugang der Erklärung unwirksam. Zu einer Reaktion hierauf
mittels letztwilliger Verfügung ist der Geschäftsunfähige dann mit Blick auf
§ 2229 Abs. 4 BGB jedenfalls bis zur Wiedererlangung seiner Testierfähigkeit
nicht in der Lage, ohne dass Bedeutung erlangt, durch wen er bei Entgegennahme
der Willenserklärung vertreten worden ist. Insofern liegt es auch anders
als etwa bei der Anfechtungserklärung des § 2282 Abs. 2 BGB, die für den Geschäftsunfähigen
nur ein Betreuer vornehmen kann, oder dem Abschluss eines
Erbverzichtsvertrags für den geschäftsunfähigen Erblasser, bei dem nach § 2347
Abs. 2 Satz 2 BGB der gesetzliche Vertreter tätig werden muss. Denn dort geht
es auch um die Abgabe eigener und nicht nur die Entgegennahme fremder Willenserklärungen
(vgl. etwa BeckOGK/Braun [Stand: 15. Juli 2020] BGB § 2271
Rn. 50; Keim ZEV 2010, 358, 359).

Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass mit der gewillkürten Stellvertretung
im Rahmen des § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB allgemein ein höheres Risiko
für einen noch testierfähigen Vertretenen verbunden sein kann als mit einer
gesetzlichen Vertretung durch einen Betreuer. Denkbar sind dann nämlich insbe-
sondere die Fälle, in denen gerade der zurücktretende andere Vertragschließende
zugleich vom Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Bevollmächtigter
ist, der Vertretene keine Kenntnis vom Rücktritt erhält und so vereitelt wird, dass
er etwa durch letztwillige Verfügungen auf den Rücktritt reagiert (vgl. Eickelberg
ZEV 2019, 557, 563; Zimmer ZEV 2007, 159, 162). Unabhängig davon, ob die
Vollmacht den Vertreter dann tatsächlich zur wirksamen Entgegennahme der Erklärung
ermächtigt (vgl. dazu etwa NK-BGB/Horn 5. Aufl. § 2296 Rn. 8c; Keim
ZEV 2010, 358, 360) und der Vertreter unter anderem das Risiko eingeht, dass
es an einer wirksamen Erklärung des Rücktritts fehlt, steht ein solcher Fall vorliegend
nicht in Rede. Vielmehr geht es um eine Vorsorgevollmacht, die nicht
dem Zurücktretenden, sondern einem Dritten erteilt worden ist, und für die eine
Missbrauchsgefahr oder Interessenkollision (vgl. dazu Hausmann Notar 2014,
58, 61) im Zusammenhang mit der Entgegennahme des Rücktritts vom Erbvertrag
weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich ist. Wäre dies anders, so
müsste das Betreuungsgericht im Übrigen hinterfragen, ob die Angelegenheiten
des Betroffenen durch den Bevollmächtigten insoweit ebenso gut wie durch einen
Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB).

(3) Trotz des mit einer Bevollmächtigung allgemein einhergehenden Missbrauchsrisikos
(vgl. Keim ZEV 2010, 358, 360) ist es der Wille des Gesetzgebers,
durch die rechtliche Anerkennung der Vorsorgevollmacht das Selbstbestimmungsrecht
des Betroffenen zu stärken (vgl. etwa BT-Drucks. 11/4528 S. 122;
Senatsbeschluss BGHZ 211, 67 = FamRZ 2016, 1671 Rn. 42). Dieser soll in eigener
Verantwortung Vorsorge für die Zeit treffen können, in der er nicht mehr in
der Lage ist, seine rechtlichen Angelegenheiten selbst wahrnehmen zu können.
Deshalb ist die Rechtsposition des Vorsorgebevollmächtigten derjenigen des Betreuers
stark angenähert, wie etwa die Bestimmungen in §§ 1901 a Abs. 6,
1901 b Abs. 3, 1904 Abs. 5, 1906 Abs. 5 oder 1906 a Abs. 5 BGB belegen. Die
Vorsorgevollmacht eröffnet mithin die Möglichkeit, mit einer Betreuung nach
§§ 1896 ff. BGB verbundene staatliche Eingriffe zu vermeiden. Damit korrespondiert
auch die ausdrückliche Anordnung in § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach
eine Vorsorgevollmacht die Erforderlichkeit der Betreuung entfallen lassen kann.
Aus diesen Grundsätzen folgt, dass ein Vorsorgebevollmächtigter grundsätzlich
auch ermächtigt werden kann, für den Betroffenen den Rücktritt vom Erbvertrag
als Willenserklärung entgegenzunehmen. Hierfür gilt nichts anderes als
für andere gegenüber dem Betroffenen abzugebende empfangsbedürftige Willenserklärungen,
die - wie etwa die Kündigung eines Mietvertrags - rechtlich
nachteilige Folgen für den Betroffenen bewirken können. Würde man die Möglichkeit
der passiven gewillkürten Stellvertretung insoweit beschränken, so wäre
damit eine der gesetzlichen Grundkonzeption widersprechende Entwertung der
Vorsorgevollmacht verbunden (vgl. jurisPK-BGB/Reymann [Stand: 3. April 2020]
§ 2271 Rn. 28; Hausmann Notar 2014, 58, 61 f.).

(4) Schließlich gibt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung Anlass, dass
der vom Erbvertrag Zurücktretende das Risiko der Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht
trägt. Ist etwa zweifelhaft, ob der andere Vertragschließende bereits
bei Vollmachterteilung geschäftsunfähig war, kann er beim Betreuungsgericht die
Bestellung eines Betreuers für den Rücktrittsgegner anregen, die eine gerichtliche
Überprüfung von dessen Geschäftsfähigkeit bei Vollmachterteilung nach sich
ziehen wird. Davon abgesehen handelt es sich insoweit um ein Problem, das im
Zusammenhang mit jeder empfangsbedürftigen Willenserklärung auftreten kann,
die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abzugeben ist. Der Schutz des Erklärenden
rechtfertigt es nicht, dem Erklärungsgegner insoweit die sein Selbstbestimmungsrecht
verwirklichende rechtsgeschäftliche Regelung mittels Vorsorgevollmacht
zu versagen.

d) Danach ist eine Betreuerbestellung im vorliegenden Fall nicht erforderlich
im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB. Die Beteiligte zu 1 ist als umfassend
Vorsorgebevollmächtigte rechtlich befugt, den Rücktritt des Beteiligten zu 3 vom
Erbvertrag entgegenzunehmen. Gründe, die trotz dieser Bevollmächtigung ausnahmsweise
zur Bestellung eines Betreuers zwingen würden, liegen nach den
getroffenen Feststellungen nicht vor.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

27.01.2021

Aktenzeichen:

XII ZB 450/20

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Erbverzicht
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testierfähigkeit

Erschienen in:

NJW 2021, 1455-1458

Normen in Titel:

BGB §§ 164 Abs. 3, 2296 Abs. 2