Verlängerung eines Erbbaurechts vor Ablauf der Laufzeit; Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer; kapitalisierter Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum
letzte Aktualisierung: 12.12.2024
BFH, Urt. v. 10.7.2024 – II R 36/23
GrEStG § 8 Abs. 1; BewG §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 1
Verlängerung eines Erbbaurechts vor Ablauf der Laufzeit; Bemessungsgrundlage der
Grunderwerbsteuer; kapitalisierter Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum
Wird ein Erbbaurecht vor Ablauf der Laufzeit gegen Vereinbarung eines Erbbauzinses verlängert, ist
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer der kapitalisierte Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum.
Eine Abzinsung des Kapitalwerts auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung
über die Verlängerung des Erbbaurechts ist nicht vorzunehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das angefochtene Urteil des FG lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der notariell beurkundete Vertrag vom 19.04.2021 über die Verlängerung des Erbbaurechts der Klägerin der Grunderwerbsteuer unterliegt.
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) unterliegen der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet, soweit es sich auf inländische Grundstücke bezieht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Rechtsgeschäft, das einen Anspruch auf Verlängerung eines Erbbaurechts begründet, ebenfalls nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG stellt die Erbbaurechte ausdrücklich den Grundstücken gleich. Die Vereinbarung der Verlängerung eines Erbbaurechts unterliegt als Rechtsgeschäft im Sinne des
2. Das FG ist auch ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der notarielle Vertrag vom 19.04.2021 über die Laufzeitverlängerung zivilrechtlich wirksam ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt die Nichtausübung des ihr insoweit eingeräumten Widerspruchsrechts keine aufschiebende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dar.
a) Die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift die Begründung eines Anspruchs auf Übereignung voraus. Der Anspruch muss im Regelfall zivilrechtlich wirksam und durchsetzbar sein (BFH-Urteil vom 27.11.2013 - II R 11/12, BFH/NV 2014, 579, Rz 11). Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des
b) Eine aufschiebende Bedingung ist eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung, nach der die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts von dem Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses abhängen. Eine auflösende Bedingung liegt dagegen vor, wenn die sofort eintretenden Wirkungen des Geschäfts mit dem Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses wegfallen (
Die Abgrenzung zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung erfordert eine Auslegung des Vereinbarten unter Berücksichtigung des jeweils verfolgten Zwecks. Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH als Revisionsgericht gemäß
c) Nach diesen Grundsätzen ist die Auslegung des notariellen Vertrags vom 19.04.2021 für Zwecke der Grunderwerbsteuerbesteuerung durch das FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Das FG hat ausgeführt, das der Klägerin als Erbbauberechtigte eingeräumte Recht der Laufzeitverlängerung zu widersprechen, begründe keine aufschiebende, sondern eine auflösende Bedingung, weil es der Klägerin aufgrund dieser Klausel lediglich freigestanden habe, den automatischen Eintritt der Laufzeitverlängerung des Erbbaurechts durch eine solche Erklärung zu verhindern und die Wirksamkeit der Abrede über die Verlängerung des Erbbaurechts wieder zu beseitigen. Auf den Hinweis des Notars, dass für den dinglichen Vollzug nach Eintritt der jeweiligen Verlängerung eine Grundbuchberichtigung notwendig sei, hätten die Vertragsparteien bereits entsprechende Bewilligungsanträge abgegeben, was als Begleitumstand ebenfalls darauf hinweise, dass die schuldrechtliche Einigung bindend gewesen sei. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass hierin die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung in Form der Duldung bezweckt gewesen wäre, da die Beteiligten ausdrücklich vereinbart hätten, dass sich das Erbbaurecht ohne Widerspruch der Erbbauberechtigten "automatisch" verlängere.
bb) An diese Auslegung durch das FG ist der Senat gebunden. Sie entspricht den Grundsätzen der
Das FG hat seine Auslegung sowohl auf den Wortlaut als auch den Zweck der Vereinbarung gestützt, der darin bestanden hat, dass die Beteiligten bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses alles rechtlich Regelbare bindend regeln wollten. Es hat die getroffene Vereinbarung unter Berücksichtigung der aus der notariellen Urkunde erkennbaren Begleitumstände vertretbar dahin gewürdigt, dass erst die Erklärung eines Widerspruchs gegen die Laufzeitverlängerung durch die Klägerin dazu führen sollte, dass die schuldrechtliche Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts wieder entfällt. Dabei hat es den Auslegungsgrundsatz beachtet, dass ein Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit nach der Vereinbarung der Beteiligten davon abhängt, dass ein bestimmtes Ereignis ‑‑hier in Gestalt eines fristgerechten Widerspruchs gegen die Laufzeitverlängerung‑‑ nicht eintritt, in der Regel als auflösend und nicht als aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft anzusehen ist (BFH-Urteil vom 25.02.1972 - III R 16/71,
cc) Etwas anderes folgt für den Streitfall nicht daraus, dass die automatische Verlängerung eines Erbbaurechts für den Fall, dass kein Widerspruch erfolgt, in dinglicher Hinsicht als zulässige aufschiebende Bedingung angesehen wird (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 14.07.1969 - V ZR 122/66,
3. Ebenfalls zu Recht hat das FG entschieden, dass das FA die Grunderwerbsteuer auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt hat. Es ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass sich die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage im Sinne des § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Kapitalwert der für den Verlängerungszeitraum zu zahlenden Erbbauzinsen bestimmt.
a) Die Grunderwerbsteuer bemisst sich gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs ein Erbbaurecht im Sinne des § 1 Abs. 1 ErbbauRG, dem eine Erbbauzinsverpflichtung im Sinne des § 9 Abs. 1 ErbbauRG gegenübersteht, so ist Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG die auf die vereinbarte Laufzeit des Erbbaurechts kapitalisierte Erbbauzinsverpflichtung (BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 8). Bei dem Anspruch des Erbbauverpflichteten auf Zahlung des Erbbauzinses handelt es sich um ein auf bestimmte Zeit beschränktes Recht auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG, das mit seinem Kapitalwert anzusetzen ist (BFH-Urteile vom 26.06.1959 - III 349/58 U,
b) Ausgehend hiervon hat das FG die Bemessungsgrundlage für die Verlängerung des Erbbaurechts der Höhe nach zutreffend ermittelt. Der vertraglich vereinbarte jährliche Erbbauzins betrug 69.076 €. Aufgrund der im notariellen Vertrag vom 19.04.2021 vereinbarten automatischen sechsmaligen Verlängerung der Laufzeit des Erbbaurechts um jeweils zehn Jahre ergibt sich auf der Grundlage der Anlage 9a zum BewG ein Vervielfältiger von 17,930. Bei Anwendung dieses Vervielfältigers beträgt der kapitalisierte Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum danach 1.238.533 €.
4. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der kapitalisierte Erbbauzins nicht nach
a)
b) Diese Grundsätze sind auf die Verlängerung eines Erbbaurechts zu übertragen. Da das Erbbaurecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG einem Grundstück gleichsteht, kann hinsichtlich der vereinbarten Gegenleistung für die (erstmalige) Bestellung oder Verlängerung eines Erbbaurechts nichts anderes gelten als hinsichtlich der Gegenleistung für die Übereignung eines Grundstücks (BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 10). Dabei ist bei Abschluss einer Verlängerungsvereinbarung zu berücksichtigen, dass für diejenige Zeit, auf die sich die Verlängerung des Erbbaurechts bezieht, auch bürgerlich-rechtlich die Abspaltung des Erbbaurechts von dem Eigentum nicht anders stattfindet, als dies bei einer Neubestellung des Erbbaurechts der Fall gewesen wäre, denn ohne die Verlängerung endet das Erbbaurecht gemäß § 12 Abs. 3 ErbbauRG ohne Zutun der Beteiligten (vgl. BFH-Beschluss vom 23.04.2020 - II B 80/19, BFH/NV 2020, 925, Rz 11). Demzufolge ist nicht auf den Zeitpunkt der Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts, sondern den Beginn des Verlängerungszeitraums abzustellen, wenn es darum geht, ob Leistungspflichten hinausgeschoben werden.
Die entsprechende Sachleistungspflicht in Gestalt der Vermittlung der weiteren Sachherrschaft über die Grundstücksfläche kann durch den Grundstückseigentümer bei der Erbbaurechtsverlängerung erst mit dem Beginn des Verlängerungszeitraums erfüllt werden. Erst ab diesem Zeitpunkt wird das aus § 1 Abs. 1 ErbbauRG folgende Recht des Erbbauberechtigten, weiterhin das Eigentum an dem auf dem fremden Grundstück errichteten Bauwerk zu haben, verlängert und damit für den Verlängerungszeitraum (erstmals) begründet, sodass die mit der Verlängerung des Erbbaurechts korrespondierende Leistungspflicht des Grundstückseigentümers auch erst zu diesem Zeitpunkt erfüllt wird. Erst mit Beginn des Verlängerungszeitraums sind auch die jährlichen Erbbauzinszahlungen für das verlängerte Erbbaurecht zu zahlen. Der dann als wiederkehrende Leistung zu zahlende Erbbauzins und das verlängerte Erbbaurecht stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Somit erfüllen sowohl der Grundstückseigentümer als auch der Erbbauberechtigte die beiderseitigen Leistungen Zug um Zug erst in der Zukunft, sodass der Grundstückseigentümer nicht vorleistungspflichtig ist. Für eine Abzinsung des kapitalisierten Erbbauzinses auf den Zeitpunkt der Verlängerungsvereinbarung ist daher kein Raum (gleicher Ansicht Viskorf/Viskorf,
c) Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass sich die Steuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG (ausschließlich) nach dem Wert der Gegenleistung richte, der im Besteuerungszeitpunkt geringer als der Nominalwert der Erbbauzinsverpflichtung sei, folgt daraus nichts anderes. Das Grunderwerbsteuerrecht besteuert den Umsatz von Grundstücken beziehungsweise den diesen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG gleichgestellten Erbbaurechten. Dementsprechend kann die Gegenleistung des Erbbauberechtigten nur unter Berücksichtigung dieses Grundstücksumsatzes und damit der Leistung des Erbbauverpflichteten bewertet werden, die im Streitfall ebenfalls erst im Verlängerungszeitraum erbracht wird (vgl. BFH-Urteile vom 18.01.1989 - II R 103/85,
d) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 24.02.1982 - II R 4/81 (
e) Etwas anderes ergibt sich auch nicht auf das BFH-Urteil vom 23.10.2002 - II R 81/00 (
5. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der kapitalisierte Erbbauzins auch nicht nach § 13 Abs. 1 oder 3 BewG auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung vom 19.04.2021 abzuzinsen.
a) Die Klägerin berücksichtigt nicht, dass die in § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG geregelte Ermittlung des Kapitalwerts ebenfalls auf einer "Abzinsung" beruht, indem von der Summe der einzelnen Jahreswerte Zwischenzinsen unter Berücksichtigung von Zinseszinsen abgezogen werden. Die mit der Revision begehrte (weitere) Abzinsung des nach § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG gebildeten Kapitalwerts der Erbbauzinsen für den Verlängerungszeitraum auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung ist in § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a zum BewG gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Abzinsung in dem Zeitraum bis zur Verlängerung des Erbbaurechts erfolgt lediglich durch die Kapitalisierung der Erbbauzinsverpflichtung für die erstmalige Bestellung des Erbbaurechts.
b) Eine weitere Abzinsung ergibt sich, wie das FG zu Recht angenommen hat, auch nicht aus § 13 Abs. 3 BewG.
Nach dieser Vorschrift sind wiederkehrende Nutzungen und Leistungen mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen, wenn dieser nachweislich geringer oder höher ist als der nach § 13 Abs. 1 BewG ermittelte Kapitalwert. Ein geringerer gemeiner Wert kann sich zwar grundsätzlich auch aus einem zeitlichen Aufschub einer Zahlungsverpflichtung ergeben (z.B. BFH-Urteil vom 19.05.1972 - III R 21/71,
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:10.07.2024
Aktenzeichen:II R 36/23
Rechtsgebiete:
Grunderwerbsteuer
Allgemeines Schuldrecht
Erbbaurecht
GrEStG § 8 Abs. 1; BewG §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 1