Russlandsanktionen; Verbot der Erbringung von Rechtsdienstleistungen zugunsten einer in Russland niedergelassenen juristischen Person; notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags
letzte Aktualisierung: 13.9.2024
EuGH, Urt. v. 5.9.2024 – C-109/23
VO (EU) 833/2014 Art. 5n Abs. 2
Russlandsanktionen; Verbot der Erbringung von Rechtsdienstleistungen zugunsten einer in
Russland niedergelassenen juristischen Person; notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags
Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über
restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine
destabilisieren, in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022
geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass
- weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen
Notar dieses Mitgliedstaats,
- noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf
dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen
und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,
- noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten
Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im
Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person
Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung (EU)
Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen
Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2014, L 229, S. 1) in der durch die
Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 (ABl. 2022, L 259 I, S. 3) geänderten
Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 833/2014).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen GM und ON, den Erwerbern einer in Berlin
(Deutschland) belegenen Wohnung, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person
gehört, auf der einen und PR, einem in Deutschland tätigen Notar, auf der anderen Seite wegen
dessen Weigerung, den Kaufvertrag über diese Wohnung zu beurkunden und zu vollziehen, da nicht
ausgeschlossen werden könne, dass diese Beurkundung gegen Art. 5n Abs. 2 der Verordnung
Nr. 833/2014 verstoße, der es verbiete, für in Russland niedergelassene juristische Personen
Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EU) Nr. 269/2014
3 Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive
Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und
Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6) in der durch die
Verordnung (EU) Nr. 476/2014 des Rates vom 12. Mai 2014 (ABl. 2014, L 137, S. 1) geänderten
Fassung sieht vor:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz von in
Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen
oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder
Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.
(2) Den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder
Organisationen oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen,
Einrichtungen oder Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder
wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.“
Verordnung (EU) Nr. 833/2014
In den Erwägungsgründen 1 und 2 der Verordnung Nr. 833/2014 heißt es:
„(1) Mit der Verordnung … Nr. 269/2014 … werden bestimmte im Beschluss 2014/145/GASP
[des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die
die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder
bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16)] vorgesehene Maßnahmen umgesetzt. Zu diesen
Maßnahmen zählen das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen bestimmter
natürlicher und juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen sowie
Beschränkungen bei bestimmten Investitionen als Reaktion auf die unrechtmäßige Annexion
der Krim und Sewastopols.
(2) Am 22. Juli 2014 gelangte der Rat [der Europäischen Union] zu dem Schluss, dass er bereit
wäre, unverzüglich ein Bündel weiterer bedeutender restriktiver Maßnahmen einzuführen,
sollte Russland den Forderungen gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom
27. Juni 2014 sowie den Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Juli nicht nachkommen.
Daher wird es als angemessen erachtet, weitere restriktive Maßnahmen zu ergreifen, um die
Kosten für die Handlungen Russlands zu erhöhen, die die territoriale Unversehrtheit,
Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und um eine friedliche Beilegung
der Krise zu unterstützen. …“
Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 bestimmt:
„Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Geschäfte zu tätigen mit
a) einer in Russland niedergelassenen in Anhang XIX aufgeführten juristischen Person,
Organisation oder Einrichtung, die sich unter öffentlicher Kontrolle oder zu über 50 % in
öffentlicher Inhaberschaft befindet oder bei der Russland und seine Regierung oder
Zentralbank das Recht auf Gewinnbeteiligung hat oder Russland und seine Regierung oder
Zentralbank andere wesentliche wirtschaftliche Beziehungen unterhält,
b) einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die außerhalb der Union
niedergelassen ist und deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der in
Anhang XIX aufgeführten Organisationen gehalten werden, oder
c) einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die im Namen oder auf Anweisung
einer der unter Buchstabe a oder b aufgeführten Organisationen handelt.“
6 Art. 5n Abs. 1, 2 und 6 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen
Wirtschaftsprüfung einschließlich Abschlussprüfung, Buchführung und Steuerberatung sowie
Unternehmens- und Public-Relations-Beratung zu erbringen für
a) die Regierung Russlands oder
b) in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.
(2) Es ist verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und
Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT‑Beratung zu erbringen für
a) die Regierung Russlands oder
b) in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen.
…
(6) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die zur
Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem
Mitgliedstaat oder für die Anerkennung oder Vollstreckung eines Gerichtsurteils oder eines
Schiedsspruchs aus einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind, sofern … die Erbringung dieser
Dienstleistungen mit den Zielen dieser Verordnung und der Verordnung … Nr. 269/2014 … im
Einklang steht.“
Beschluss (GASP) 2022/1909
In den Erwägungsgründen 5 und 8 bis 10 des Beschlusses (GASP) 2022/1909 des Rates vom
6. Oktober 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen
angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2022,
L 259 I, S. 122), heißt es:
„(5) In seinen Schlussfolgerungen vom 23./24. Juni 2022 hat der Europäische Rat erklärt, dass
die Arbeit an Sanktionen fortgeführt wird, unter anderem um die Durchführung der
Sanktionen zu stärken und deren Umgehung zu verhindern.
…
(8) Am 30. September 2022 haben die Mitglieder des Europäischen Rates eine Erklärung
angenommen, in der sie die illegale Annexion der ukrainischen Regionen Cherson, Donezk,
Luhansk und Saporischschja entschieden ablehnen und sie unmissverständlich verurteilen. …
Die Mitglieder des Europäischen Rates erklärten, dass sie die restriktiven Maßnahmen der
[Europäischen] Union gegen die illegalen Handlungen Russlands verschärfen und den Druck
auf Russland, seinen Angriffskrieg zu beenden, weiter verstärken werden.
(9) Angesichts des Ernstes der Lage ist es angezeigt, neue restriktive Maßnahmen einzuführen.
(10) Insbesondere ist es angezeigt, dass das Verbot von Transaktionen mit bestimmten russischen
staatseigenen oder staatlich kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder
Einrichtungen auszuweiten, indem ein Verbot für Staatsangehörige der Union, Posten in den
Leitungsgremien dieser juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu
bekleiden, aufgenommen wird. Darüber hinaus ist es angezeigt, das russische
Seeschiffsregister – eine zu 100 % staatseigene Einrichtung, die Tätigkeiten im
Zusammenhang mit der Klassifizierung und Überprüfung russischer und nichtrussischer
Schiffe und Fahrzeuge, auch im Bereich der Sicherheit, ausübt – in die Liste der russischen
staatseigenen oder staatlich kontrollierten Einrichtungen, die einem Transaktionsverbot
unterliegen, aufzunehmen. …“
Verordnung 2022/1904
In den Erwägungsgründen 2, 19 und 22 der Verordnung 2022/1904 heißt es:
„(2) Mit der Verordnung … Nr. 833/2014 werden bestimmte im Beschluss 2014/512 …
vorgesehene Maßnahmen umgesetzt.
…
(19) … mit dem Beschluss … 2022/1909 [wird] das bestehende Verbot der Erbringung
bestimmter Dienstleistungen für die Russische Föderation ausgeweitet, indem die Erbringung
von Dienstleistungen in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen sowie IT‑Beratung
und Rechtsberatung verboten wird. … ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfassen die
Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschließlich
Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften
geht; die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften,
Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten; die Ausarbeitung, Ausfertigung und
Überprüfung von Rechtsdokumenten. ‚Rechtsberatungsdienstleistungen‘ umfasst nicht die
Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im
Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder
Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten, anderen ordnungsgemäß eingerichteten
offiziellen Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren.
…
(22) Die Verordnung … Nr. 833/2014 sollte daher entsprechend geändert werden“.
Deutsches Recht
BGB
§ 311b Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit
anwendbaren Fassung (im Folgenden: BGB) sieht vor, dass ein Kaufvertrag über ein Grundstück der
notariellen Beurkundung bedarf.
Nach
beider Seiten über den Eigentumsübergang und die Eintragung dieser Übertragung im Grundbuch
erforderlich.
Aus
erklären ist.
Gemäß
die Kaufvertragsurkunde vorgelegt wird.
Beurkundungsgesetz
Gemäß § 4 des Beurkundungsgesetzes vom 28. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1513) in der durch
das Gesetz vom 15. Juli 2022 (BGBl. 2022 I S. 1146) geänderten Fassung soll der Notar die
Beurkundung eines Rechtsgeschäfts ablehnen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar
wäre, insbesondere wenn seine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen erkennbar
unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden.
Nach § 17 Abs. 1 des Beurkundungsgesetzes in der durch das Gesetz vom 15. Juli 2022 geänderten
Fassung soll der Notar die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des betreffenden Geschäfts
belehren.
BNotO
Gemäß § 1 der Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 (BGBl. 1961 I S. 97) in der durch das
Gesetz vom 15. Juli 2022 (BGBl. 2022 I S. 1146) geänderten Fassung (im Folgenden: BNotO) wird
der Notar als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von
Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt.
Nach
unabhängiger und unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Nach
seine Amtstätigkeit zu versagen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre.
ausreichenden Grund verweigern darf, und in Abs. 2, dass gegen die Verweigerung der
Urkundstätigkeit des Notars die Beschwerde stattfindet.
Grundbuchordnung
Nach § 29 Abs. 1 der Grundbuchordnung vom 26. Mai 1994 (BGBl. 1994 I S. 1114) in ihrer auf
das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung soll eine Eintragung im Grundbuch nur
vorgenommen werden, wenn die zur Eintragung erforderlichen Erklärungen durch öffentliche oder
öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die deutschen Staatsangehörigen GM und ON waren im Begriff, eine Wohnung in einer einer
Eigentümergemeinschaft gehörenden Immobilie in Berlin zu erwerben. Das fragliche
Wohnungseigentum ist im Grundbuch des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg (Deutschland)
verzeichnet. Diesem Grundbuch zufolge ist die Gesellschaft Visit-Moscow Ltd., die in Russland
registriert ist und ihren Sitz in Moskau (Russland) hat, seit 2013 Eigentümerin dieser Wohnung.
Für die Zwecke dieses Geschäfts richteten GM, ON und Visit-Moscow an PR, einen in Berlin
tätigen Notar, das Ansuchen, einen Kaufvertrag nach ihren Angaben zu Kaufgegenstand, Kaufpreis
und sonstigen vertraglichen Regelungen zu beurkunden. Sie ersuchten ihn auch, den so
beurkundeten Vertrag zu vollziehen, was u. a. erfordert, im Grundbuch das fragliche
Wohnungseigentum auf GM und ON umzuschreiben, die auf dieser Wohnung ruhenden Belastungen
löschen zu lassen sowie den Kaufpreis auf einem Treuhandkonto zu verwahren und ihn an Visit-
Moscow auszuzahlen.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2022 wurden GM, ON und Visit-Moscow von PR informiert,
dass er die Beurkundung dieses Vertrags vorläufig verweigert habe, weil er nicht ausschließen
könne, dass dessen Beurkundung gegen das Verbot in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung
Nr. 833/2014 verstoße, für in Russland niedergelassene juristische Personen
Rechtsberatungsdienstleistungen zu erbringen.
PR half der von GM, ON und Visit-Moscow gegen diese Weigerung eingelegten Beschwerde nicht
ab und legte sie gemäß den geltenden Vorschriften dem Landgericht Berlin (Deutschland), dem
vorlegenden Gericht, vor.
Als Erstes hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, zu prüfen, ob die notarielle Beurkundung
eines Immobilienkaufvertrags gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014
vorgesehene Verbot verstößt, wenn die Verkäuferin eine in Russland niedergelassene juristische
Person ist.
Hierzu führt das vorlegende Gericht erstens aus, dass mehrere Erwägungen dem entgegenstünden,
dass eine solche Beurkundung unter dieses Verbot falle.
Insbesondere erbringe ein Notar keine Dienstleistung, sondern übe eine Amtstätigkeit aus. Er sei als
unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und
andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt. Bei der Ausübung seiner
Aufgaben sei der Notar nicht Vertreter einer bestimmten Seite, sondern unabhängiger und
unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Er versehe öffentliche Aufgaben, die ihm der Staat
übertragen habe und die der Staat ohne diese Übertragung durch seine Behörden erledigen müsste.
Dementsprechend sei der Notar kein Dienstleistungserbringer, der seine Dienstleistungen auf der
Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags erbringe, sondern ein Träger eines öffentlichen Amtes, der
auf Gesuch der Parteien Aufgaben wie die unparteiische Belehrung der Vertragsparteien über die
rechtliche Tragweite des fraglichen Rechtsgeschäfts ausübe, die ihre Grundlage im öffentlichen
Recht hätten. Die hoheitliche Funktion des Notars komme zum Tragen, wenn er die Beurkundung
eines Vertrags aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund verweigere.
Zweitens müssten, selbst wenn die notariellen Tätigkeiten als „Dienstleistungen“ im Sinne von
Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 anzusehen wären, unter diesen Tätigkeiten diejenigen,
die für eine Grundbucheintragung erforderlich seien, gemäß Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung, der
für die Erbringung von Dienstleistungen gelte, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts‑,
Verwaltungs‑ oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich seien, von dem
Verbot ausgenommen werden, in Russland niedergelassenen juristischen Personen
Rechtsberatungsdienstleistungen zu erbringen. Nach deutschem Recht sei die Eintragung im
Grundbuch für Begründung und Erwerb eines Rechts an einem Grundstück nämlich konstitutiv. Die
Führung des Grundbuchs, die besonderen Abteilungen der Amtsgerichte anvertraut und durch eine
gerichtliche Verfahrensordnung reguliert sei, sei ein Gerichts- oder zumindest ein
Verwaltungsverfahren, in dem die Notare eine zentrale Rolle spielten. Denn ein Antrag auf
Eintragung im Grundbuch sei nur zulässig, wenn das betreffende Rechtsgeschäft durch öffentliche
oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werde. Daher bedürfe es für die Eintragung in
das Grundbuch in der Regel der Mitwirkung eines Notars.
Da den in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 genannten Personen die Verfügung über
Grundstücke und deren wirtschaftliche Verwertung nicht verboten seien, liefe es dem Zweck dieser
Bestimmung auch nicht zuwider, wenn der Zugang zum Grundbuchverfahren diesen Personen
weiterhin erhalten bliebe.
Selbst wenn, drittens, die notarielle Tätigkeit als eine unter das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der
Verordnung Nr. 833/2014 fallende Rechtsberatung betrachtet werden sollte, ohne von diesem Verbot
nach Art. 5n Abs. 6 dieser Verordnung ausgenommen werden zu können, bestünden erhebliche
Anhaltspunkte, nach denen sich dieses Verbot nicht auf die Mitwirkung eines Notars bei
Immobilienkaufverträgen erstrecke.
Zum Übergang des Eigentums an einer in Deutschland belegenen Immobilie sei nämlich nach
deutschem Recht zusätzlich zur Eintragung des Erwerbers in das Grundbuch die Einigung beider
Seiten über den Eigentumsübergang erforderlich, die im Regelfall vor einem Notar zu erklären sei.
Ein Kaufvertrag über ein Grundstück müsse wiederum von einem Notar beurkundet werden. Sollte
daher das Verbot in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 für die Beurkundung eines
Immobilienkaufvertrags gelten, würde in Russland niedergelassenen juristischen Personen rechtlich
und tatsächlich jede Möglichkeit zur Verfügung über ihr Vermögen genommen, da die Mitwirkung
eines Notars bei der Veräußerung einer Immobilie erforderlich sei. Dies stelle einen
schwerwiegenden Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dieser Personen dar.
Die Dienststellen der Europäischen Kommission hätten allerdings ein Dokument mit dem Titel
„Provision of Services – Frequently asked questions concerning sanctions adopted following
Russia’s military aggression against Ukraine and Belarus’ involvement in it“ („Erbringung von
Dienstleistungen – Häufig gestellte Fragen zu Sanktionen, die nach der militärischen Aggression
Russlands gegen die Ukraine und der Beteiligung von Belarus daran verhängt wurden“) in seiner
Fassung vom 21. Dezember 2022 veröffentlicht. Darin hätten diese Dienststellen die Auffassung
vertreten, dass Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 auf die notarielle Tätigkeit für in
Russland niedergelassene juristische Personen anwendbar sei. Obwohl dieses Dokument nicht
bindend sei, schaffe es doch einen Zustand der Ungewissheit über die zutreffende Auslegung dieser
Bestimmung.
Als Zweites möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass davon auszugehen sei, dass die
notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland
niedergelassenen juristischen Person gehöre, nicht gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der
Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot verstoße, wissen, ob die Leistungen eines
Dolmetschers, der kraft Gesetzes für eine der deutschen Sprache nicht kundige Partei die
Übersetzung ins Deutsche zu gewährleisten habe, bei dieser Beurkundung gegen das in dieser
Bestimmung vorgesehene Verbot verstießen, wenn diese Leistungen den Vertretern einer solchen
juristischen Person erbracht würden.
Als Drittes und Letztes hegt das vorlegende Gericht in der in der vorstehenden Randnummer
genannten Fallgestaltung Zweifel, ob Aufgaben, die der Notar regelmäßig als Annex zu seiner
Tätigkeit zur Sicherstellung des Vollzugs eines solchen Kaufvertrags nach dessen Beurkundung
wahrnehme, gegen das in Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene
Verbot verstießen, wenn die Verkäuferin eine in Russland niedergelassene juristische Person sei.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht Berlin (Deutschland) beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Verstößt ein deutscher Notar gegen das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im
Bereich der Rechtsberatung für eine in Russland niedergelassene juristische Person zu
erbringen, wenn er einen Kaufvertrag über ein Wohnungseigentum zwischen dieser Person als
Verkäuferin und einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Union beurkundet?
2. Handelt ein Dolmetscher gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung
im Bereich der Rechtsberatung, wenn er sich von dem Notar zur Beurkundung des
Kaufvertrags hinzuziehen lässt, damit er dem der deutschen Sprache nicht ausreichend
kundigen Vertreter der in Russland niedergelassenen juristischen Person den Inhalt der
Beurkundungsverhandlung übersetzt?
3. Verletzt der Notar das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der
Rechtsberatung, wenn er gesetzlich vorgesehene notarielle Tätigkeiten zum Vollzug des
Kaufvertrags (z. B. Abwicklung der Kaufpreiszahlung über ein vom Notar geführtes
Treuhandkonto, Anforderung von Dokumenten zur Löschung von Hypotheken und anderen
Belastungen der Kaufsache, Vorlage der zur Eigentumsumschreibung notwendigen
Dokumente bei der das Grundbuch führenden Stelle) übernimmt und ausführt?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen
wissen, ob Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 833/2014 dahin auszulegen ist, dass
– die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene
Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen
Notar dieses Mitgliedstaats,
– die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf
dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer
auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben, und/oder
– die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten
Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im
Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person
Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
Was als Erstes die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen
Notar dieses Mitgliedstaats anbelangt, so ist es dem Wortlaut von Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der
Verordnung Nr. 833/2014 zufolge „verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen [im
Bereich der] Rechtsberatung … für … in Russland niedergelassene juristische Personen,
Organisationen oder Einrichtungen [zu erbringen]“.
Was erstens insbesondere den Begriff „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne
dieser Bestimmung betrifft, so wird dieser weder in dieser Bestimmung noch in einer anderen
Bestimmung der Verordnung Nr. 833/2014 definiert.
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das
Unionsrecht nicht definiert, entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden,
und der mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 30. April 2024, Trade Express-L und DEVNIA TSIMENT, C‑395/22 und C‑428/22,
EU:C:2024:374, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff
„Rechtsberatung“ im Allgemeinen eine Stellungnahme zu einer Rechtsfrage. Der in Art. 5n Abs. 2
der Verordnung Nr. 833/2014 in Verbindung mit dem Begriff „Dienstleistungen“ verwendete Begriff
„Rechtsberatung“ verweist auf die auf einer Beziehung zwischen einem Dienstleistungserbringer
und seinem Mandanten beruhende Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die die Erteilung von
Rechtsauskünften zum Gegenstand hat, durch die ein Dienstleistungserbringer Personen, die darum
ersuchen, Stellungnahmen zu Rechtsfragen erteilt.
Dieses Verständnis des Begriffs „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ wird durch
den 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 bestätigt, in dem es heißt, dass diese
Dienstleistungen „die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten,
einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von
Rechtsvorschriften geht“, „die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an
Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten“ sowie „die Ausarbeitung,
Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten“ umfassen.
Die beiden in diesem Erwägungsgrund erstgenannten Arten von Tätigkeiten verweisen nämlich auf
eine Beziehung zwischen einem Dienstleistungserbringer und seinem „Mandanten“ und beschreiben
die Rolle dieses Dienstleistungserbringers dahin gehend, dass er diesem Mandanten in dessen
Interesse Unterstützung und Beratung, was die rechtlichen Aspekte seiner Geschäfte mit Dritten
anbelangt, angedeihen lässt. Die dritte Art der in diesem Erwägungsgrund genannten Tätigkeiten,
die in der „Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten“ besteht, betrifft
ihrerseits Annextätigkeiten zu den ersten beiden Arten von Tätigkeiten.
Die somit vom Begriff „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 5n
Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 erfassten Tätigkeiten unterscheiden sich jedoch deutlich von
denen, die Behörden oder andere Einrichtungen ausüben können, die vom Staat unter behördlicher
Überwachung mit der Wahrnehmung einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe betraut und zu
diesem Zweck mit bestimmten, den Bürgern gegenüber verbindlichen Befugnissen ausgestattet
wurden. Es ist nämlich nicht Aufgabe dieser Behörden, Dienstleistungen zu erbringen, die darin
bestehen, Stellungnahmen zu Rechtsfragen gegenüber Personen abzugeben, um deren eigene
Interessen zu fördern oder zu verteidigen.
Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass nach deutschem Recht bei
einem Kaufvertrag über eine in Deutschland belegene Immobilie, damit er zu einer öffentlichen
Urkunde wird, zwingend die Mitwirkung eines Notars als unabhängigen Träger eines öffentlichen
Amtes erforderlich ist. Der Notar bestätigt mit dieser Beurkundung die Rechtmäßigkeit des Vertrags
dadurch, dass er ihn mit einem Amtssiegel mit dem Wappen des Bundeslandes versieht, das ihn
bestellt hat. Eine solche Mitwirkung auf Gesuch der Vertragspartner gehört zu den im
Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die der Staat den Notaren übertragen hat und die der Staat
ohne diese Übertragung durch seine Behörden erledigen müsste. Im Rahmen der Erfüllung dieser
Aufgabe werden den Notaren verbindliche Befugnisse verliehen, da sie die Beurkundung eines
solchen Kaufvertrags aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund verweigern können.
Außerdem scheint sich, wie auch die Generalanwältin in den Nrn. 43 und 44 ihrer Schlussanträge
ausgeführt hat, die Mitwirkung des Notars auf eine Beurkundung des betreffenden Kaufvertrags
oder gegebenenfalls auf die Verweigerung der Beurkundung dieses Vertrags zu beschränken, um in
völliger Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einer ihm obliegenden rechtlichen Verpflichtung
nachzukommen, ohne über diese Beurkundung hinaus Rechtsberatung zur Förderung der
spezifischen Interessen der Parteien zu erteilen.
Folglich scheint der Notar im Rahmen einer solchen Beurkundung nicht mit dem Ziel der
Förderung der spezifischen Interessen einer der betroffenen Partei oder beider betroffenen Parteien,
sondern unter Wahrung gleicher Distanz zu diesen Parteien und ihren jeweiligen Interessen
ausschließlich im Interesse des Gesetzes und der Rechtssicherheit unparteiisch zu handeln. In
Anbetracht der in den Rn. 42 und 43 des vorliegenden Urteils genannten besonderen Modalitäten
des Verfahrens der notariellen Beurkundung von Rechtsvorgängen und der Rechtswirkungen, die an
die beurkundeten Rechtsvorgänge in der deutschen Rechtsordnung geknüpft sind, scheint diese
Beurkundung nicht den in Rn. 38 des vorliegenden Urteils genannten Tätigkeiten zu entsprechen.
Daraus folgt, wie die Generalanwältin in den Nrn. 35, 37 bis 39, 41 bis 43 und 47 ihrer
Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, und vorbehaltlich einer Überprüfung durch das
vorlegende Gericht, dass eine notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags über eine Immobilie, die
einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, wie in den Rn. 42 und 43 des
vorliegenden Urteils dargestellt, nicht unter den Begriff „Dienstleistung [im Bereich der]
Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 und folglich nicht in den
Anwendungsbereich des in Buchst. b dieser Bestimmung vorgesehenen Verbots, einer solchen
juristischen Person solche Dienstleistungen zu erbringen, fällt.
Zweitens wird eine solche am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung
Nr. 833/2014 durch den normativen Kontext bestätigt, in den sich diese Bestimmung und diese
Verordnung einfügen.
Wie die Generalanwältin in den Nrn. 53 bis 55 und 60 bis 64 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat,
enthält Art. 5aa Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 zum einen nämlich das Verbot, unmittelbar
oder mittelbar Geschäfte mit juristischen Personen zu tätigen, die bestimmte Kriterien erfüllen, etwa
dass sie in Russland oder außerhalb der Union niedergelassen sind, in der Liste der russischen
staatlichen Unternehmen in Anhang XIX dieser Verordnung aufgeführt sind, sich unter der
Kontrolle oder zu über 50 % in der Inhaberschaft des russischen Staates befinden oder enge
Verbindungen zu diesem Staat oder zu den in diesem Anhang aufgeführten Einrichtungen
aufweisen. Allerdings sehen weder diese Bestimmung noch irgendeine andere Bestimmung dieser
Verordnung ein allgemeines Verbot der Beteiligung an einem Geschäft mit einer juristischen Person
allein deshalb vor, weil diese in Russland niedergelassen ist, oder ein Verbot der Veräußerung von
im Gebiet der Union belegenen Immobilien, die einer solchen Person gehören.
Zum anderen sieht die Verordnung Nr. 269/2014 zwar restriktive Maßnahmen gegen Personen, die
für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und
Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, und gegen die mit ihnen verbundenen
Personen und Einrichtungen vor, doch gilt das in ihrem Art. 2 vorgeschriebene Einfrieren von
Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen sowie das Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern
und wirtschaftlichen Ressourcen nur für bestimmte in Anhang I dieser Verordnung abschließend
aufgeführte natürliche und juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen.
Wäre Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 dahin auszulegen, dass das in dieser
Bestimmung vorgesehene Verbot für eine Beurkundungshandlung wie die im Ausgangsverfahren in
Rede stehende gilt, würde dies, wie die Generalanwältin in den Nrn. 59 und 64 ihrer Schlussanträge
ausgeführt hat, einerseits zu Inkohärenzen bei der Anwendung dieser Verordnung und andererseits
zu Inkohärenzen zwischen dieser Verordnung und der Verordnung Nr. 269/2014 führen.
Während nämlich Geschäfte mit in der Union belegenen Immobilien, die in Russland
niedergelassenen juristischen Personen gehören, nach der Verordnung Nr. 833/2014 erlaubt bleiben,
könnten diese Geschäfte in der Praxis in bestimmten Mitgliedstaaten wie der Bundesrepublik
Deutschland, in denen die notarielle Beurkundung des Immobilienkaufvertrags eine wesentliche
Voraussetzung für die Veräußerung eines solchen Wirtschaftsguts ist – unabhängig davon, ob diesen
juristischen Personen die Verfügung über ihre Vermögenswerte gemäß der Verordnung Nr. 269/2014
untersagt ist –, behindert werden.
Eine solche sich je nach anwendbarem Notariatssystem ergebende Wirkungsvielfalt des Verbots
gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 in den einzelnen Mitgliedstaaten konnte vom
Unionsgesetzgeber nicht gewollt gewesen sein.
Drittens widerspricht die in Rn. 45 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung, anders als
die estnische, die niederländische und die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen
oder in der mündlichen Verhandlung angedeutet haben mögen, weder dem Zweck der Verordnung
Nr. 833/2014 noch dem der Verordnung Nr. 269/2014.
Zunächst wurden, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 und dem
zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 833/2014 ergibt, neue restriktive Maßnahmen, zu
denen das Verbot der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung gehört,
„gegen die illegalen Handlungen Russlands“ eingeführt, um „den Druck auf Russland, seinen
Angriffskrieg zu beenden, weiter [zu] verstärken“, und „um die Kosten für die Handlungen
Russlands zu erhöhen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der
Ukraine untergraben, und um eine friedliche Beilegung der Krise zu unterstützen“. Indessen ergibt
sich weder aus diesem Beschluss noch aus dieser Verordnung noch aus der Verordnung 2022/1904,
dass mit diesem Verbot der Rat, der diese Rechtsakte erlassen hat, beabsichtigt hätte, dass infolge
dieses Verbots in Russland niedergelassene juristische Personen in einigen Mitgliedstaaten der
Möglichkeit benommen sein könnten, über ihr unbewegliches Vermögen zu verfügen.
Sodann hat der Rat in der mündlichen Verhandlung nicht nur widerlegt, dass er beabsichtigt habe,
den in Russland niedergelassenen juristischen Personen die Veräußerung ihrer im Gebiet der Union
belegenen Immobilien zu verbieten, sondern auf eine Frage des Gerichtshofs klargestellt, dass das
Ziel, das dem in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbot der Erbringung
von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zugrunde liege, darin bestehe, russischen
juristischen Personen, die im Gebiet der Union tätig seien, die Fortsetzung ihrer
Geschäftstätigkeiten in diesem Gebiet zu erschweren und auf diesem Wege die russische Wirtschaft
zu treffen. Eine notarielle Beurkundung – wie die im deutschen Recht geregelte – eines
Kaufvertrags über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person
gehört, kann jedoch nicht als diesem Ziel widersprechend angesehen werden.
Da schließlich das in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehene Verbot so zu
verstehen ist, dass es das im fünften Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/1909 genannte Ziel
verfolgt, die Umgehung der erlassenen Sanktionen zu verhindern, ist in Übereinstimmung mit den
Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 74 ihrer Schlussanträge festzustellen, dass – da
geschäftliche Transaktionen mit in Russland niedergelassenen juristischen Personen nicht
Gegenstand eines generellen Verbots nach dieser Verordnung sind – es nicht ersichtlich ist,
inwiefern eine notarielle Beurkundung – wie die im deutschen Recht geregelte – eines Kaufvertrags
über eine Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, von
vornherein und generell dazu beitragen könnte, die erlassenen restriktiven Maßnahmen zu umgehen.
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine in
Deutschland belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört,
durch einen deutschen Notar in den Anwendungsbereich des in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung
Nr. 833/2014 vorgesehenen Verbots der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der
Rechtsberatung fällt.
Als Zweites betreffen die Zweifel des vorlegenden Gerichts die Frage, ob die im deutschen Recht
vorgesehenen Aufgaben, die der Notar zur Sicherstellung des Vollzugs eines beurkundeten
Kaufvertrags über eine in Deutschland belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen
juristischen Person gehört, wahrnimmt, unter dieses Verbot fallen.
Der Vorlageentscheidung zufolge bestehen diese Aufgaben u. a. darin, den Kaufpreis auf einem
Treuhandkonto zu verwahren und ihn an den Verkäufer auszuzahlen, die auf dieser Immobilie
ruhenden Belastungen zu löschen und im Grundbuch das Eigentum an dieser umzuschreiben.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, für jede dieser Aufgaben zu beurteilen, ob sie die Erteilung
einer Rechtsberatung für die Parteien durch den Notar im Sinne der in Rn. 38 des vorliegenden
Urteils vorgenommenen Auslegung des Begriffs „Dienstleistungen [im Bereich der]
Rechtsberatung“ implizieren.
Insoweit ist, ebenfalls vorbehaltlich der abschließenden Beurteilung durch das vorlegende Gericht,
nicht ersichtlich, dass die fraglichen Aufgaben die Erteilung irgendeiner Rechtsberatung für die
Parteien des Immobilienkaufvertrags durch den Notar implizieren.
Als Drittes und Letztes betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts die Übersetzungsleistungen
eines Dolmetschers bei der Beurkundung eines Kaufvertrags über eine in Deutschland belegene
Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, um den Vertreter
dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
zu unterstützen.
Da der Beruf des Dolmetschers seiner Art nach nicht juristisch ist, können die von einem
Dolmetscher bei der Beurkundung eines Rechtsgeschäfts erbrachten Übersetzungsleistungen selbst
dann kein Element der „Rechtsberatung“ entsprechend dem in Rn. 38 des vorliegenden Urteils
dargelegten üblichen Sinn dieses Begriffs aufweisen, wenn die betreffenden Dienstleistungen darin
bestehen, einen auf einem Rechtsgebiet tätigen Juristen zu unterstützen. Im Übrigen ist, wie sich aus
Rn. 56 des vorliegenden Urteils ergibt, nicht ersichtlich, dass die Beurkundung eines
Immobilienkaufvertrags, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, durch einen deutschen Notar
in den Anwendungsbereich des in Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 vorgesehenen
Verbots der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung fällt. Folglich erbringt
der Dolmetscher dadurch, dass er im Rahmen der notariellen Beurkundungsverhandlung eines
solchen Rechtsgeschäfts Übersetzungsleistungen erbringt, um den Vertreter einer solchen
juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht, zu
unterstützen, dieser juristischen Person keine „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“
im Sinne dieser Bestimmung. Daher fallen diese letztgenannten Leistungen nicht unter das in dieser
Bestimmung vorgesehene Verbot.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung
Nr. 833/2014 dahin auszulegen ist, dass
– weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch
einen Notar dieses Mitgliedstaats,
– noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die
auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer
auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,
– noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten
Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im
Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person
Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht
anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen
anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über
restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine
destabilisieren, in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022
geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
– weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen
Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,
– noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags,
um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den
Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,
– noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten
Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der
die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person
Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:EuGH
Erscheinungsdatum:05.09.2024
Aktenzeichen:C-109/23
Rechtsgebiete:
Notarielles Berufsrecht
Sachenrecht allgemein
VO (EU) 833/2014 Art. 5n Abs. 2