BGH 02. Juni 2003
II ZR 102/02
HGB §§ 161 Abs. 2, 146, 157; AktG § 273 Abs. 4

Nachtragsliquidator als Abwickler für Nachtragsliquidation einer Publikums-KG erforderlich

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 2zr102_02
letzte Aktualisierung: 22.07.2003
2zr102_02
BGH
II ZR 102/02
02.06.2003
HGB §§ 161 Abs. 2, 146, 157; AktG § 273 Abs. 4
Nachtragsliquidator als Abwickler für Nachtragsliquidation einer Publikums-KG erforderlich
Bei einer Publikumskommanditgesellschaft ist die
Durchführung einer Nachtragsliquidation davon abhängig, daß in
entsprechender Anwendung von § 273 Abs. 4 AktG ein Nachtragsliquidator gerichtlich bestellt wird.
Tatbestand:
Die Klägerin zu 1 ist als Publikumskommanditgesellschaft Anfang 1981 gegründet
worden; ihr sind später mehr als 425 Kommanditisten mit Einlagepflichten von insgesamt über 67 Mio. DM beigetreten. Die Gesellschaft ist 1986 aufgelöst und auf Grund
der Anmeldung der Beendigung der Liquidation (12. Oktober 1987) durch ihre nach
dem Gesellschaftsvertrag als Liquidatorin tätige frühere Komplementär-GmbH, die
Klägerin zu 2, im Jahr 1988 im Handelsregister gelöscht worden. Die Klägerin zu 2
wurde im April 1997 nach § 2 LöschG von Amts wegen im Handelsregister gelöscht;
etwa ein Jahr später wurde unter Löschung dieser Eintragung ihre Nachtragsliquidation
angeordnet.
Mit der Behauptung, die Beklagte habe den Kommanditanteil des früheren Kommanditisten Dr. D. in Höhe von 500.000,00 DM übernommen, hat die Klägerin zu 2 einen
Teilbetrag von 100.000,00 DM der angeblich in voller Höhe ausstehenden Einlageforderung eingeklagt und sich dabei darauf berufen, sie sei nach dem Gesellschaftsvertrag
die Nachtragsliquidatorin der Klägerin zu 1 und als solche berechtigt, auch deren offene
Einlageansprüche geltend zu machen; zudem könne sie als Gesellschafterin der Klägerin zu 1 auf dem Wege der actio pro socio die Forderung geltend machen; hilfsweise hat
sie beantragt festzustellen, daß die genannte Forderung bestehe und im Rahmen einer
Abfindungsrechnung zu berücksichtigen sei. Die Beklagte hält die Klage für unzulässig
und macht hilfsweise u.a. geltend, die Klägerin zu 1 habe schon im Liquidationsverfahren ihre sämtlichen Aktiva und Passiva auf die M. P.
A. GmbH übertragen und sei deswegen gar nicht Inhaberin der eingeklagten Forderung.
Das Landgericht hat die Klagen als unzulässig abgewiesen, die Berufung der Klägerinnen blieb erfolglos. Der Senat hat den Nichtzulassungsbeschwerden der Klägerinnen
stattgegeben. Die Klägerinnen verfolgen ihr Klagebegehren mit ihren Revisionen weiter.


-2Entscheidungsgründe:
Die Revisionen sind - auch soweit es um die Klägerin zu 1 geht, deren Prozeßfähigkeit
das Berufungsgericht verneint hat - zulässig, weil nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs die Partei, die sich mit der Revision dagegen wendet, als prozeßunfähig angesehen worden zu sein, für das Rechtsmittelverfahren als prozeßfähig behandelt wird (vgl. BGHZ 110, 294, 295 f.; BGHZ 143, 122, 123 m.w.N.). Die Rechtsmittel sind jedoch nicht begründet.
I. Die Klägerin zu 1 kann den nach der Behauptung der Klägerin zu 2 angeblich bestehenden Einlageanspruch in dem vorliegenden Rechtsstreit schon deswegen nicht geltend machen, weil sie mangels Vorhandensein eines Nachtragsliquidators nicht prozeßfähig ist. Die Klägerin zu 2 geht fehl, wenn sie annimmt, daß ihre frühere Stellung als
Liquidatorin ohne weiteres wieder auflebe, sobald sich - was die Klägerin zu 2 geltend
macht, für die Entscheidung des Revisionsverfahrens jedoch ohne Belang ist - das Erfordernis einer Nachtragsliquidation ergebe.
Die Klägerin zu 2 verkennt nämlich, daß für eine Publikumskommanditgesellschaft, wie
sie hier unstreitig vorliegt, anders als bei einer OHG oder einer typischen KG (BGH,
Urt. v. 21. Juni 1979 – IX ZR 69/75, NJW 1979, 1987) die Vorschriften des HGB über
die Liquidation (§§ 146 ff., 157 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) nicht gelten können. Die
Durchführung einer Nachtragsliquidation setzt hier vielmehr in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 AktG voraus, daß ein Nachtragsliquidator gerichtlich bestellt
worden ist (vgl. OLG Hamm OLGZ 1991, 13, 15 und NJW-RR 1997, 32 f.; BayObLG
ZIP 1993, 1086, 1088; Staub/Habersack, HGB 4. Aufl. § 146 Rdn. 14; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB § 146 Rdn. 3 und Henze ebd. § 177 a Anh. B Rdn. 122;
Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB 2. Aufl. § 146 Rdn. 17; kritisch Grziwotz,
DStR 1993, 362 ff.). Mit dieser entsprechenden Heranziehung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Bestimmung über die Einleitung einer Nachtragsliquidation wird dem Umstand Rechnung getragen, daß die Publikumskommanditgesellschaft, der regelmäßig
eine unüberschaubare Zahl einander unbekannter, nicht am Ort des Gesellschaftssitzes
lebender Kommanditisten angehören und deren Funktion als Kapitalsammelstelle im
Vordergrund steht, nicht wie das dem Gesetzgeber des HGB vor Augen stehende Modell der Handelsgesellschaft personalistisch, sondern körperschaftlich strukturiert ist.
Wegen dieser besonderen Struktur der Publikumsgesellschaft wendet die höchstrichterliche Rechtsprechung weithin die Regeln des Personengesellschaftsrechts auf diese Organisationsform nicht an, sondern ersetzt sie, wie das Berufungsgericht mit Recht herausgestellt hat, durch kapitalgesellschaftsrechtliche Prinzipien (vgl. zuletzt Sen.Urt. v.
30. März 1998 – II ZR 20/97, ZIP 1998, 859; v. 24. März 2003 – II ZR 4/01, ZIP 2003,
843; ferner Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG 8. Aufl. § 13; Henze aaO § 177 a Anh. B
Rdn. 17 ff.). Entsprechend sind auch die auf andere Verhältnisse zugeschnittenen handelsrechtlichen Liquidationsbestimmungen ungeeignet, bei einer Publikumskommanditgesellschaft eine sachgerechte und den Interessen aller Beteiligten gerecht werdende
Nachtragsabwicklung zu gewährleisten.
Das zeigt sich in exemplarischer Weise an dem vorliegenden Fall: Der Gesellschaftsvertrag enthält nicht nur in vielfältiger Weise kapitalgesellschaftsrechtliche Regelungen,
der mit den Befugnissen eines Aufsichtsrates i.S.d. AktG ausgestattete Verwaltungsrat
der Klägerin zu 1 bleibt aufgrund ausdrücklicher gesellschaftsvertraglicher Anordnung
Tätigkeit zu überwachen. Dieser Kontrolle entzöge sich die Klägerin zu 2, wenn sie
der Beendigung der Liquidation der Kommanditgesellschaft - und obendrein nach ihrer
eigenen Löschung im Handelsregister - ohne weiteres wieder als Liquidatorin tätig werden könnte. Außerdem besteht ohne die entsprechend § 273 Abs. 4 AktG vorzunehmende gerichtliche Bestellung, in deren Rahmen zunächst die Notwendigkeit dieser Maßnahme zu prüfen und sodann die durch den Gesellschaftsvertrag nicht präjudizierbare
Auswahl des geeigneten und unbefangenen Nachtragsliquidators zu treffen ist, die naheliegende Gefahr, daß der frühere Liquidator im eigenen Interesse tätig wird.
II. Soweit die Klägerin zu 2 den Einlageanspruch im eigenen Namen verfolgt, fehlt ihr
der Klage aus dem fehlenden Feststellungsinteresse ergibt.
1. a) Zu Unrecht glaubt die Klägerin zu 2, sie sei als Mitgesellschafterin befugt, den
auch nach ihrer Ansicht allein der Klägerin zu 1 - angeblich noch - zustehenden Einlageanspruch auf dem Wege der actio pro socio geltend zu machen.
Der Senat braucht dabei nicht zu der nicht einheitlich beantworteten Frage Stellung zu
nehmen, ob bei Personengesellschaften schlechthin allein die Liquidatoren zur Verfolgung von Einlageansprüchen befugt sind, weil es allein in ihre Kompetenz fällt darüber
zu befinden, ob diese Leistungen für Liquidationszwecke noch benötigt werden (so z.B.
RGZ 100, 165; BGH, Urt. v. 30. November 1959 - II ZR 145/58, NJW 1960, 433;
RGRK/v.Gamm, BGB 12. Aufl. § 730 Rdn. 10; Koller/Roth/Morck, HGB 2. Aufl.
§ 149 Rdn. 2) oder ob auch hier der einzelne Gesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft klagen kann, dann aber die Notwendigkeit der Geltendmachung der Forderung
für Zwecke der Liquidation darzutun hat (so z.B. Staub/Habersack aaO § 149 Rdn. 18;
Schlegelberger/K.Schmidt, HGB 5. Aufl. § 146 Rdn. 55; Münch.Komm.z.BGB/Ulmer,
3. Aufl. § 730 Rdn. 26). Denn im Rahmen der Liquidation einer Publikumsgesellschaft,
wie sie hier vorhanden ist, geht es nicht - wie sonst bei der allgemein anerkannten
Rechtsfigur der actio pro socio - darum, daß ein im Gesellschaftsvertrag bestellter oder
sonst berufener Liquidator seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt und an seiner
Stelle einer der Mitgesellschafter die der Gesellschaft zustehende Forderung geltend
macht; vielmehr unterscheidet sich die Lage wesentlich dadurch, daß die Publikumsgesellschaft, für die ein Nachtragsliquidator gerichtlich noch nicht bestellt ist, kein Vertretungsorgan hat, welches in erster Linie berufen wäre, die Forderung geltend zu machen
und später die Einlagezahlung entgegenzunehmen. Wollte man hier die Verfolgung der
Einlageforderung auf dem Wege der actio pro socio zulassen, hätte das zur Folge, daß
das - wie oben ausgeführt - notwendige Verfahren der gerichtlichen Bestellung des
Nachtragsliquidators unterlaufen und obendrein die Gefahr heraufbeschworen würde,
daß der klagende Mitgesellschafter mit den aufgrund eines erwirkten Titels erlangten
Leistungen nicht im Interesse der Gesellschaftergesamtheit verführe.
Es ist auch nicht anzuerkennen, daß ein Mitgesellschafter wie die Klägerin zu 2 auf die
Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs auf dem genannten Wege angewiesen
wäre; vielmehr besteht für jedes Mitglied der Publikumskommanditgesellschaft die
Möglichkeit, entsprechend § 273 Abs. 4 AktG die Bestellung eines Nachtragsliquidators
b) Die Klägerin zu 2 kann von der Beklagten auch nicht Leistung an die Klägerin zu 1
aus dem Gesichtspunkt der Befreiung von einer gesamtschuldnerischen Verbindlichkeit
(§ 426 BGB; vgl. dazu BGHZ 59, 97, 102), für welche die Beklagte im Innenverhältnis
allein aufzukommen hätte, verlangen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob
substantiierten Form vorgetragen hat, daß die Beklagte Rechtsnachfolgerin des früheren
Kommanditisten Dr. D.
geworden ist und daß dessen Einlageforderung noch mindestens in Höhe des eingeklagten Betrages von 100.000,00 DM offen steht. Der Sache
nach würde die Klägerin zu 2 nämlich auf dem von ihr beschrittenen Weg erreichen,
daß sie an Stelle des nach § 273 Abs. 4 AktG allein zuständigen, gerichtlich zu bestellenden Nachtragsliquidators Abwicklungshandlungen durchführte. Eine derartige Umgehung der auf die Klägerin zu 1 anwendbaren Liquidationsvorschriften hat das Berufungsgericht mit Recht für unzulässig gehalten. Es bedarf deswegen keiner Entscheidung, ob sich die Klägerin zu 2 überhaupt darauf berufen kann, im Innenverhältnis zwischen ihr und der Beklagten habe letztere - die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 426
BGB zugunsten der Klägerin zu 2 unterstellt - der Klägerin zu 1 gegenüber allein zu
haften.
2. Für den hilfsweise erhobenen Feststellungsantrag der Klägerin zu 2 fehlt schon das
nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin zu 1 ist deren frühere Komplementärin und ehemalige
Liquidatorin an der Publikumsgesellschaft nicht mit einer eigenen Einlage beteiligt.
Von einer etwa durchzuführenden vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Klägerin zu 1 ist sie deswegen - anders als die Kommanditisten - nicht in eigenen Rechten
betroffen. Auf dem Wege der Feststellungklage will sie unzulässigerweise nicht nur
eine abstrakte Rechtsfrage statt eines konkreten Rechtsverhältnisses geklärt wissen, mit
ihrem Vorgehen nimmt sie obendrein Befugnisse wahr, die bei einer Publikumsgesellschaft ausschließlich dem gerichtlich bestellten Nachtragsliquidator zukommen, soweit
dieser die Auseinandersetzung betreibt und nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urt. v. 15. Mai 2000 – II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208; v. 2. Oktober 2000
– II ZR 54/99, WM 2000, 2427; v. 24. September 2001 – II ZR 69/00, DStR 2002, 228)
vor Erstellung einer Schlußabrechnung zwecks Vermeidung von Hin- und Herzahlungen gehindert ist, Leistung an die Gesellschaft zu verlangen, sondern sich mit der Feststellung des Postens für die Gesamtabrechnung bescheiden muß.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

02.06.2003

Aktenzeichen:

II ZR 102/02

Rechtsgebiete:

OHG
Aktiengesellschaft (AG)

Erschienen in:

BGHZ 115, 121-127
NJW 2003, 2676-2677
Rpfleger 2003, 508-509

Normen in Titel:

HGB §§ 161 Abs. 2, 146, 157; AktG § 273 Abs. 4