OLG Saarbrücken 25. Januar 2023
5 W 87/22
BGB § 1365 Abs. 1; GBO § 19

Verfügung über Vermögen im Ganzen; Nachforschungen durch das Grundbuchamt nur bei konkreten Anhaltspunkten

letzte Aktualisierung: 22.3.2023
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.1.2023 – 5 W 87/22

BGB § 1365 Abs. 1; GBO § 19
Verfügung über Vermögen im Ganzen; Nachforschungen durch das Grundbuchamt nur bei
konkreten Anhaltspunkten

Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen sowohl der objektiven als auch der subjektiven
Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB gegeben sind, darf das Grundbuchamt die Zustimmung
des anderen Ehegatten oder den Nachweis weiteren Vermögens verlangen. Demgegenüber
begründen bloße Zweifel oder abstrakte Vermutungen hinsichtlich des Umfanges des Vermögens
und/oder der Kenntnis des Vertragspartners kein Recht und keine Pflicht des Grundbuchamtes zu
Nachforschungen von Amts wegen oder zur „vorbeugenden“ Anforderung einer Zustimmung des
Ehegatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist als Eigentümerin des unbebauten Grundstücks Flur ..., Nr. .../1 in das
Grundbuch von N. eingetragen. Sie ist im gesetzlichen Güterstand mit Herrn M. verheiratet.
Durch notarielle Urkunde vom 6. Juli 2022 des Notariats J. und B. (Urk-Nr. xxx) bestellte die
Antragstellerin zur Absicherung eines Darlehens eine Grundschuld nebst Übernahme der
persönlichen Haftung in Höhe von 74.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 12 v.H. jährlich
zugunsten der S. Saarbrücken.

Mit Antrag vom 7. Juli 2022 begehrte die Antragstellerin u.a. die Eintragung des
Grundpfandrechts in das Grundbuch. Das Grundbuchamt ermittelte den Wert des Grundstücks
anhand des Bodenrichtwerts mit ca. 58.045 EUR. Da nach den Ermittlungen des
Grundbuchamtes im Grundbuch des Saarlandes kein weiteres Grundeigentum der
Antragstellerin eingetragen ist, ging das Grundbuchamt davon aus, dass die Antragstellerin über
ihr wesentliches Vermögen verfüge und die Grundschuldbestellung daher einer Genehmigung
des Ehegatten bedürfe. Mit Verfügung vom 28. Juli 2022 sowie angegangener
Zwischenverfügung vom 5. August 2022 wurde die Eintragung der Grundschuld daher von der
Vorlage einer Einwilligungserklärung des Ehemannes oder der Erklärung abhängig gemacht,
dass die Antragstellerin über weiteres Vermögen verfüge.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hat dagegen mit Schriftsatz vom
7. September 2022 (Bl. 23 d.A.) bei dem Grundbuchamt Beschwerde eingelegt.
Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen und hat die Sache dem Saarländischen
Oberlandesgericht vorgelegt.

II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1.
Das Saarländische Oberlandesgericht ist gemäß § 72 GBO für die Entscheidung über die
Beschwerde zuständig. Die Beschwerde gegen eine auf den Eintragungsantrag hin ergangene
Zwischenverfügung ist zulässig (§§ 71 Abs. 1, 18 Abs. 1 GBO). Die Beschwerde ist im Namen
der Antragstellerin eingelegt. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildet allein das vom
Grundbuchamt angenommene Eintragungshindernis, auf das sich die angefochtene Verfügung
bezieht.

2.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das in der angefochtenen Zwischenverfügung vom
Amtsgericht Saarbrücken – Grundbuchamt – angenommene Eintragungshindernis besteht
nicht. Das Grundbuchamt durfte deshalb den Eintragungsantrag der Antragstellerin nicht aus
den Gründen der aufgehobenen Zwischenverfügung ablehnen.

a)
Nach dem im Grundbuchverfahren geltenden formellen Konsensprinzip (§ 19 GBO) erfolgt
eine Eintragung, wenn derjenige sie bewilligt, dessen Recht von ihr betroffen wird. Andererseits
darf das Grundbuchamt nicht bewusst dabei mitwirken, das Grundbuch unrichtig zu machen.
Wenn es auf Grund feststehender Tatsachen weiß, dass durch die bewilligte Eintragung das
Grundbuch unrichtig würde, darf es die Eintragung nicht vornehmen. Da sich die
verfahrensrechtliche Bewilligungsbefugnis von der Befugnis zur sachenrechtlichen Verfügung
über das Recht bzw. über das Eigentum ableitet (vgl. Demharter, GBO, 31. Aufl., § 19 Rn. 56),
hat das Grundbuchamt von Amts wegen zu prüfen, ob der Bewilligende
Verfügungsbeschränkungen unterliegt (BGH, Beschluss vom 28. April 1961 - V ZB 17/60,
NJW 1961, 1301). Eine solche Beschränkung enthält die Vorschrift des § 1365 Abs. 1 BGB (vgl.
BGH, Urteil vom 13. November 1963 – V ZR 56/62, BGHZ 40, 218). In derartigen Fällen
kommt es also trotz § 19 GBO ausnahmsweise zu einem Durchgriff auf das materielle Recht.

b)
Nach § 1365 Abs. 1 BGB kann sich ein im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebender
Ehegatte nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten verpflichten, über sein Vermögen im
Ganzen zu verfügen; hat er sich ohne Zustimmung des anderen Ehegatten verpflichtet, so kann
er diese Verpflichtung nur erfüllen, wenn der andere Ehegatte einwilligt. Zustimmungsbedürftig
sind nicht nur Rechtsgeschäfte über das Gesamtvermögen als solches. Vielmehr können auch
Rechtsgeschäfte über einen einzelnen Gegenstand § 1365 BGB unterfallen, wenn dieser
Gegenstand das ganze oder nahezu das ganze Vermögen ausmacht. Letzteres ist bei größeren
Vermögen in der Regel anzunehmen, wenn dem verfügenden Ehegatten Werte von weniger als
10% seines ursprünglichen Gesamtvermögens verbleiben (BGH, Beschluss vom 21. Februar
2013 – V ZB 15/12, MDR 2013, 701; Urteil vom 7. Oktober 2011 - V ZR 78/11, DNotZ 2012,
195; BGH, Urteil vom 13. März 1991 - XII ZR 79/90, NJW 1991, 1739; Senat, Beschluss vom
1. August 2017 – 5 W 58/17). Bei kleineren Vermögen (ca. bis 250.000 EUR) ist der Tatbestand
des § 1365 BGB grundsätzlich nicht erfüllt, wenn dem verfügenden Ehegatten Werte von 15 %
seines ursprünglichen Gesamtvermögens verbleiben (BGH, Urteil vom 16. Januar 2013 – XII
ZR 141/10, BGHZ 196, 95-101; Senat, a.a.O; Demharter, GBO, 31. Aufl., § 33 Rn. 8). Weitere
Voraussetzung für die Zustimmungsbedürftigkeit ist, dass der Vertragspartner positiv weiß, dass
es sich bei dem in Frage stehenden Gegenstand um das ganze oder nahezu ganze Vermögen des
Ehegatten handelt, oder wenn der Erwerber zumindest die Verhältnisse kennt, aus denen sich
dies ergibt (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 – V ZB 15/12, MDR 2013, 701; BGH,
Urteil vom 25. Juni 1993 – V ZR 7/92, BGHZ 123, 93-96; BGH, Urteil vom 26. Februar 1965 –
V ZR 227/62, BGHZ 43, 174; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Februar 2017 – 20 W
320/16).

c)
Da das Zustimmungserfordernis eine Ausnahme von der freien Verfügungsbefugnis des
Ehegatten (§ 1364 BGB) darstellt, kann das Grundbuchamt grundsätzlich davon ausgehen, dass
ein Rechtsgeschäft über ein Grundstück auch bei im gesetzlichen Güterstand lebenden
Eheleuten nicht eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen darstellt, dass also der
Ausnahmefall des § 1365 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. In solchen Fällen ist von der (Allein-)
Verfügungsbefugnis des Rechtsinhabers auszugehen, es sei denn, das Grundbuchamt hat
Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB – dass also die in Rede
stehende Verfügung und die darauf bezogene Bewilligung sich auf das gesamte Vermögen
beziehen, und dass der andere Teil hiervon zum maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis hat – oder
aus den Eintragungsunterlagen oder aufgrund bekannter bzw. nach der Lebenserfahrung
naheliegender Umstände besteht begründeter Anlass zu einer solchen Annahme. Nur wenn
konkrete Anhaltspunkte sowohl für das Vorliegen des objektiven als auch für das Vorliegen des
subjektiven Tatbestandes des § 1365 Abs. 1 BGB gegeben sind, darf das Grundbuchamt die
Zustimmung des anderen Ehegatten oder den Nachweis weiteren Vermögens verlangen (vgl.
BGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 – V ZB 15/12, MDR 2013, 701; Beschluss vom
28. April 1961 - V ZB 17/60, NJW 1961, 1301; Senat, Beschluss vom 1. August 2017 – 5 W
58/17; BayObLGZ 67, 87, 90 f.; BayOblG, MittBayNot 2000, 439; OLG Celle, NJW-RR 2000,
384; OLG Zweibrücken, FGPrax 2003, 249; OLG Schleswig, MittBayNot 2006, 38).
Demgegenüber begründen bloße Zweifel oder abstrakte Vermutungen hinsichtlich des Umfangs
des Vermögens und/oder der Kenntnis des Vertragspartners kein Recht und keine Pflicht des
Grundbuchamts zu Nachforschungen von Amts wegen oder zur „vorbeugenden“ Anforderung
einer Zustimmung des Ehegatten (vgl. Kössinger in Baur/Schaub, GBO, 4. Aufl. 2018, § 19
Rn. 190).

d)
Solche konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 1365 Abs. 1
BGB, auf Grund derer das Grundbuchamt von der Antragstellerin durch Zwischenverfügung
die Vorlage einer Genehmigung des Ehegatten oder einen Nachweis über weiteres Vermögen in
der Form des § 29 GBO fordern durfte, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Weder die
dem Grundbuchamt vorgelegte notarielle Urkunde über die Grundbuchbestellung vom 6. Juli
2022 noch sonstige Umstände gaben begründeten Anlass, die Verfügungsbefugnis der
Antragstellerin in Zweifel zu ziehen und von Amts wegen Nachforschungen über weiteren
Grundbesitz im Saarland anzustellen.

Der vorgelegten notariellen Urkunde lassen sich Anhaltspunkte für das Vorliegen der –
objektiven und subjektiven - Voraussetzungen des § 1365 Abs. 1 BGB nicht entnehmen.
Vielmehr beruhen die von dem Grundbuchamt geäußerten Zweifel auf den Ergebnissen der von
dort angestellten Ermittlungen. Insoweit hat das Grundbuchamt auf Basis des Bodenrichtwertes
den Wert des nicht bebauten Grundstücks mit ca. 58.045 EUR ermittelt und ist danach zu der
Auffassung gelangt, die Belastung mit dem Grundpfandrecht über 74.000 EUR übersteige den
Verkehrswert des Grundstücks. Dies ist für sich genommen allerdings nicht geeignet, Zweifel an
der Verfügungsbefugnis der Antragstellerin zu begründen. Nichts anderes ergibt sich, wenn man
das Ergebnis der – hier nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht gebotenen (vgl.
Kössinger in Baur/Schaub, GBO, 4. Aufl. 2018, § 19 Rn. 190; Meikel/Böttcher, GBO, 12. Aufl.,
§ 18 Rn. 9; Köther, der Umfang der Prüfungspflicht im Grundbuchrecht, S. 98 ff.; OLG Hamm,
Beschluss vom 9. Juli 1971 – 15a W 108/71; DNotZ 1972, 97 f.; Kleist, MittRhNotK 1985, 133)
– weiteren Ermittlungen des Grundbuchamtes hinzunimmt, wonach auf die Antragstellerin im
Saarland kein weiterer Grundbesitz eingetragen war.

Diese Umstände sind schon nicht geeignet, die Annahme zu begründen, die Antragstellerin
verfüge über ihr Vermögen im Ganzen. Die gegenteilige Annahme des Grundbuchamtes lässt
insbesondere außer Acht, dass die Antragstellerin über weiteres Vermögen in Form von
Sparvermögen, Grundstücken außerhalb des Saarlandes oder sonstigen Vermögenswerten
verfügen könnte. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin kein weiteres Vermögen in
ausreichender Höhe besitzt, sind nicht ersichtlich; sie sind insbesondere auch nicht nach der
allgemeinen Lebenserfahrung gegeben.

Waren mithin schon keine Anhaltspunkte für das Vorliegen des objektiven Tatbestandes des
§ 1365 Abs. 1 BGB gegeben, kommt es nicht mehr darauf an, ob das Grundbuchamt vorliegend
von den Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes des § 1365 Abs. 1 BGB ausgehen durfte
(vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 – V ZB 15/12, MDR 2013, 701; BGH,
Urteil vom 25. Juni 1993 – V ZR 7/92, BGHZ 123, 93-96; BGH, Urteil vom 26. Februar 1965 –
V ZR 227/62 –, BGHZ 43, 174-178), insbesondere ob auch ohne konkrete Anhaltspunkte
generell angenommen werden kann, dass die Bank als Kreditgeberin stets umfassende Kenntnis
von den Vermögensverhältnissen des Kreditnehmers – hier der Antragstellerin – haben müsse.

3.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§§ 22 und 25 GNotKG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Saarbrücken

Erscheinungsdatum:

25.01.2023

Aktenzeichen:

5 W 87/22

Rechtsgebiete:

Eheliches Güterrecht
Grundbuchrecht
Kostenrecht

Normen in Titel:

BGB § 1365 Abs. 1; GBO § 19