Anforderungen an den Widerruf des Ehegattentestaments durch Vernichtung
letzte Aktualisierung: 23.01.2020
OLG München, Beschl. v. 31.10.2019 – 31 Wx 398/17
BGB §§ 2255, 2247, 2265
Anforderungen an den Widerruf des Ehegattentestaments durch Vernichtung
1. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung
der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der
Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben.
2. An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere
voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des
anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann.
Gründe
I.
Die Ehegatten sind im Abstand von 4 Tagen verstorben. Das Verfahren der vorverstorbenen Ehefrau wird
unter dem Az. 31 Wx 398/17 beim Senat geführt, das Verfahren des nachverstorbenen Ehemanns unter dem
Az. 31 Wx 397/17.
Die Ehe war kinderlos. Aus der ersten Ehe des Ehemanns sind zwei Töchter hervorgegangen, die
Beteiligten zu 9 und 10.
Es liegt ein Testament der Ehegatten vom 20.3.2015 in Fotokopie vor, in dem es auszugsweise heißt:
„Wir [setzen] uns gegenseitig zu unseren alleinigen und beschränkten Erben ein.
Schlusserben des Letztversterbenden sind die zwei Töchter (aus 1. Ehe) des Ehemanns zu je ¼ … und
… … (Beteiligter zu 5), …, der Neffe der Ehefrau, zur Hälfte.
Soweit es gesetzlich vorgeschrieben ist, sollen alle unsere gemeinsamen Verfügungen wechselseitig sein,
damit sind sie nach dem Tode des zuerst versterbenden für den anderen verbindlich.“
eigenhändige Unterschriften beider Ehegatten Bei dem Beteiligten zu 5 handelt es sich um den
Beschwerdeführer.
Im Verfahren nach dem Tod der Ehefrau beantragte der Beschwerdeführer mit notarieller Urkunde vom
17.1.2017 einen Erbschein, der den nachverstorbenen Ehemann als Alleinerben aufgrund Testaments
ausweist.
Das Nachlassgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 1.9.2017 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, es sei
gesetzliche Erbfolge eingetreten. Das Testament vom 20.3.2015 sei in Widerrufsabsicht vernichtet worden
und deswegen für die Erbfolge nicht maßgeblich.
Dagegen richtet sich die Beschwerde.
Wegen des Ergebnisses der vom Nachlassgericht angestellten Ermittlungen nimmt der Senat zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf den angefochtenen Beschluss.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis erfolgreich.
Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Ehegatten das Testament
aus dem Jahre 2015 in Widerrufsabsicht vernichtet haben. Folglich richtet sich die Erbrechtslage nach
diesem Testament.
1. Zutreffend ist das Nachlassgericht zunächst davon ausgegangen, dass das verfahrensgegenständliche
Testament wirksam errichtet wurde.
Dass dieses Testament lediglich in Fotokopie vorliegt, hindert - wovon das Nachlassgericht zutreffend
ausgegangen ist - den Nachweis der formgerechten Errichtung grundsätzlich nicht. Zwar ist zum Nachweis
eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht
gestützt wird (§ 352 Abs. 3 FamFG). Ist diese Urkunde jedoch nicht auffindbar, können die formgerechte
Errichtung und Inhalt mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden, wobei an den Nachweis strenge
Anforderungen zu stellen sind (BayObLG
Auflage <2019> § 8 Rn. 29).
Vorliegend hat der Senat keinen Zweifel, dass das Testament vom 20.3.2015 tatsächlich von den Ehegatten
formgerecht errichtet wurde, auch die Beteiligten wenden sich nicht dagegen. Soweit das OLG Köln (a.a.O.)
die Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens verlangt, betraf dies nur den Fall, dass
die Echtheit der Unterschriften zweifelhaft war. So lag der Fall hier aber gerade nicht, so dass das Testament
ursprünglich wirksam in der Form der §§ 2247 Abs. 1, 2265 BGB errichtet worden war.
2. Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass das Testament von den Ehegatten in Widerrufsabsicht
vernichtet wurde.
a) Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass derjenige, der aus dem Widerruf eines
Testaments Rechte herleiten will, diesen Widerruf zu beweisen hat (Palandt/Weidlich BGB 78. Auflage
<2019> § 2255 Rn. 11; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 14 Rn. 8).
Dieselben Grundsätze gelten dann, wenn - wie vorliegend - die Vernichtung der Urkunde selbst nicht
feststeht, diese vielmehr lediglich unauffindbar ist.
Es besteht im Falle der Unauffindbarkeit eines Testamentes insbesondere keine Vermutung dafür, dass es
vom Erblasser vernichtet worden und deshalb gemäß
a.a.O.). Die Vermutung, dass mit der Vernichtung eines Testaments dessen Aufhebung beabsichtigt ist (§
2255 S. 2 BGB), setzt ihrerseits voraus, dass eine Vernichtung des Testaments festgestellt ist. Die bloße
Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde besagt für sich allein noch nichts; sie begründet insbesondere
keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser
vernichtet worden ist (OLG Hamburg a.a.O.)
Auch beim gemeinschaftlichen Testament steht den Testatoren für den Widerruf ihres Testaments die Form
des § 2255 zur Verfügung, so dass ein gemeinschaftliches Testament grundsätzlich auch durch Vernichtung
aufgehoben werden kann. Aus § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB folgt aber, dass die einseitige Aufhebung
wechselbezüglicher Verfügungen auch in der Form des § 2255 nicht möglich ist (BeckOGK/Braun,
<1.8.2019>, BGB § 2271 Rn. 27 Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 11 Rn.
21).
Mithin muss das Gericht positiv davon überzeugt sein, dass das Testament in Widerrufsabsicht durch die
Ehegatten vernichtet wurde. Für diesen Beweis genügt grundsätzlich, da eine absolute Gewissheit nicht zu
erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben
brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH
auszuschließen (BGH
für
Amtsermittlungsgrundsatz (BGH
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon
überzeugt, dass die Erblasser ihr Testament (gemeinschaftlich) in Widerrufsabsicht vernichtet haben.
Beweismittel, mit denen sich der Widerruf direkt beweisen ließe, insbesondere etwa die zerstörte Urkunde,
sind weder beim Verfahren vor dem Nachlassgericht noch durch die Ermittlungen des Senats zu Tage
getreten, so dass Schlüsse letztlich nur anhand von Indizien gezogen werden können.
Soweit das Nachlassgericht im Wesentlichen darauf abgestellt hat, dass andere Unterlagen der Eheleute
geordnet vorhanden waren und diese gegenüber Dritten erklärt hätten, an der Schlusserbensetzung
zugunsten des Beschwerdeführers nicht festhalten zu wollen und eine andere Verfügung, deren Entwurf sie
bereits beauftragt hatten, errichten zu wollen, reicht dies nach Ansicht des Senats nicht aus, um mit der
nötigen Sicherheit einen Widerruf der Verfügung annehmen zu können.
aa) Zunächst erscheint ein Widerruf ohne gleichzeitige Neuerrichtung einer Verfügung wenig plausibel. Er
hätte zur Folge, dass nach dem Tode des Erstversterbenden gesetzliche Erbfolge eingetreten würde, was
die Ehegatten nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen nicht gewollt hatten und die bei
den Ehegatten auch noch zu unterschiedlichen Erbquoten geführt hätte: Bei einem Vorversterben der
Ehefrau wäre der überlebende Ehemann Erbe zu ¾ geworden gemäß §§ 1931 Abs. 1, 3, 1371 Abs. 1, 1925
Abs. 1 BGB, da seitens der Ehefrau nur noch Abkömmlinge der Eltern, mithin Erben der 2. Ordnung
vorhanden waren. Umgekehrt, bei einem Vorversterben des Ehemannes, wäre die überlebende Ehefrau nur
Erbin zu ½ geworden, da der Ehemann Kinder - mithin Erben der 1. Ordnung - hinterlassen hat (§§ 1931
Abs. 1, 1371 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB).
Da die Ehegatten naturgemäß nicht wissen konnten, wer von ihnen zuerst stirbt, erscheint es nicht
naheliegend, dass sie insoweit den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge gewollt hätten, was aber die Folge der
Vernichtung des gemeinschaftlichen Testaments gewesen wäre. Dass die Ehegatten in einem ersten Schritt
das gemeinschaftliche Testament vernichtet haben sollen, dann aber zum zweiten Schritt, der Neuerrichtung
einer Verfügung, nicht mehr gekommen sein sollen, erscheint aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht
plausibel.
Wäre es den Eheleuten im Wesentlichen darauf angekommen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr
(Schluss-)Erbe wird, hätte dessen Streichung aus dem Testament jedenfalls deutlich näher gelegen.
bb) Selbst wenn man dem Nachlassgericht jedoch insoweit folgen wollte, dass das Testament vernichtet
worden sein muss, müsste sich bei einem gemeinschaftlichen Testament - soweit wechselbezügliche
Verfügungen inmitten stehen - feststellen lassen, dass ein möglicher Widerruf durch Vernichtung der
Urkunde von beiden Ehegatten gewollt gewesen und mit Testierwillen umgesetzt worden ist.
Sofern das Nachlassgericht im angefochtenen Beschluss davon ausgeht, dass es keine Anhaltspunkte für
ein versehentliches Abhandenkommen des Testaments gibt und „eine andere Erklärung [als die Vernichtung]
für die Nichtauffindbarkeit kaum denkbar [ist]“, lässt diese Argumentation außer acht, dass auch ein Ehegatte
allein die Vernichtung herbeigeführt haben könnte. Das wäre, da der Widerruf wechselbezüglicher
Verfügungen inmitten steht, indes nicht ausreichend.
(1) Der Senat ist der Ansicht, dass die Einsetzung des überlebenden Ehegatten wie auch der Schlusserben
im Testament vom 20.3.2015 wechselbezüglich erfolgte. Die scheinbare Einschränkung („soweit es
gesetzlich vorgeschrieben ist…“) steht dem nicht entgegen, denn der nachfolgende Satz („damit sind sie
nach dem Tode des zuerst versterbenden für den anderen verbindlich.“) macht deutlich, dass die Ehegatten
wollten, dass die entsprechende Bindungswirkung eintritt.
(2) Folge des Vorliegens wechselbezüglicher Verfügungen ist, dass ein Widerruf in der Form des § 2255 S. 1
BGB voraussetzt, dass die Ehegatten die Verfügung gemeinsam mit Testierwillen in Widerrufsabsicht
vernichtet haben. Selbst eine spätere „Genehmigung“ einer einseitigen Zerstörung wäre daher nicht möglich
(BeckOGK/Braun, <1.8.2019> BGB § 2271 Rn. 27.1).
(3) Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Eine jederzeit
denkbare, nicht weniger naheliegende Erklärung wäre, dass einer der Ehegatten das Testament allein und
ohne Kenntnis des anderen vernichtet hat, ohne dass also zugleich seitens des anderen Testier- und
Widerrufswille vorgelegen hätten. Auch dies würde - worauf das Nachlassgericht zentral abgestellt hat -
erklären, dass zwar die Testamente unauffindbar waren, nicht aber sonstige, mit dem Erbrecht in
Zusammenhang stehende Unterlagen fehlten.
Da sich der Senat - auch nach Durchführung eigener Ermittlungen - im Ergebnis also nicht davon
überzeugen kann, dass das Testament vom 20.3.2015 in Widerrufsabsicht beider Ehegatten durch beide
vernichtet wurde, ist dieses Testament für die Erbrechtslage maßgeblich.
Nach dem Vorversterben der Ehefrau ist mithin der überlebende Ehemann Alleinerbe geworden. Nachdem
der Ehemann seinerseits am 3.5.2015 nachverstorben ist, war dem Antrag dessen Erben, dem
Beschwerdeführer, auf Erteilung eines entsprechenden Erbscheins zu entsprechen.
III.
Kosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:31.10.2019
Aktenzeichen:31 Wx 398/17
Rechtsgebiete:
Gemeinschaftliches Testament
Eheliches Güterrecht
Gesetzliche Erbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
FGPrax 2019, 279-280
NJW-RR 2020, 390-392
ZEV 2020, 162-164
BGB §§ 2255, 2247, 2265