Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
letzte Aktualisierung: 16.6.2021
OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2020 – 8 W 342/20
IntErbRVG §§ 33 ff.; EuErbVO Art. 62 ff.;
Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
1. Anhängige Einwände im Sinne des
Europäisches Nachlasszeugnis nicht ausgestellt werden kann, sind nur
solche, die anderweitig, also in einem anderen Verfahren anhängig sind. Demgegenüber sind
Einwände, die ein Berechtigter unmittelbar gegenüber der Ausstellungsbehörde
geltend macht, im Rahmen des Erteilungsverfahrens zu würdigen. Sie stehen nicht per se der
Erteilung des Zeugnisses entgegen.
2. „Anhängigkeit“ im Sinne des
Klage, mithin die Anhängigkeit eines Rechtsstreits in Bezug auf den zu
bescheinigenden Sachverhalt.
3. Das Ausstellungsverfahren für das Europäische Nachlasszeugnis richtet sich grundsätzlich nach
dem jeweiligen mitgliedsstaatlichen Verfahrensrecht. Die EuErbVO steht
einer unterschiedlichen Prüfungstiefe durch die „Ausstellungsbehörde“ nicht entgegen.
4. In der Bundesrepublik Deutschland verweisen die §§ 33 ff. des zur Durchführung der EuErbVO
erlassenen Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes (IntErbRVG) auf das
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (FamFG) und damit unter anderem auf
Prüfungskompetenzen von Nachlassgericht und Beschwerdegericht decken sich.
Gründe
I.
Unter dem 10.07.2019 hat der Beteiligte Ziff. 8 die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ)
gemäß
Durch Beschluss vom 10.08.2020 hat das Amtsgericht Stuttgart - Nachlassgericht - die Erteilung des
beantragten Europäischen Nachlasszeugnisses wegen des Vorliegens von Einwendungen der Beteiligten Ziff. 7
versagt. Zur Begründung wurde ausgeführt, anders als im deutschen Erbscheinsverfahren werde im ENZAusstellungsverfahren
nicht streitig entschieden. Die vorliegenden Einwände gegen den zu bescheinigenden
Sachverhalt (gesetzliche Erbfolge) bezögen sich auf die zur Begründung des Antrags gemachten Angaben
(Nichtvorhandensein einer Verfügung von Todes wegen). Das ENZ könne daher nicht erteilt werden.
Gegen den ihr am 14.08.2020 zugestellten Beschluss des Nachlassgerichts vom 10.08.2020 wendet sich die
Beteiligte Ziff. 7 mit ihrem am 27.08.2020 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage,
mit dem sie beanstandet, dass der Beschluss vom 10.08.2020 keine Kostenentscheidung enthält. Der
Schriftsatz enthält diesbezüglich einen Antrag auf Beschlussergänzung gemäß
Beschwerde, jeweils mit dem Antrag, dem Beteiligten Ziff. 8 als Antragsteller die Kosten des Verfahrens
einschließlich der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten Ziff. 7 aufzuerlegen.
Der Beteiligte Ziff. 8 wendet sich gegen den ihm am 13.08.2020 zugestellten Beschluss des Nachlassgerichts
vom 10.08.2020 mit seiner am 10.09.2020 beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde, mit der er seinen
Antrag auf Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses weiterverfolgt.
Durch Beschluss vom 13.10.2020 hat das Amtsgericht Stuttgart - Nachlassgericht - entschieden, dass eine
Beschlussergänzung nicht veranlasst sei, den Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 nicht abgeholfen wird
und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt werden.
II.
Die Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 haben insoweit Erfolg, als der angegriffene Beschluss des
Nachlassgerichts aufgehoben wird und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das
Ausgangsgericht zurückverwiesen wird.
1.
6 Das Ausstellungsverfahren für das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) richtet sich grundsätzlich nach dem
mitgliedsstaatlichen Verfahrensrecht (Perscha in: Deixler-Hübner/Schauer, Kommentar zur EuErbVO, 1.
Auflage 2015,
EuErbVO erlassenen Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes (IntErbRVG) auf das Gesetz über das
Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Das
Verfahren über die gemäß
nicht Abweichungen bestimmt sind (§ 43 IntErbRVG). Die Beschwerden der Beteiligten Ziff. 7 und 8 sind jeweils
gemäß
Übrigen zulässig.
2.
Gemäß § 43 Abs. 5 Sätze 2 und 4 IntErbRVG in Verbindung mit
Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens an das
Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Diese
Zurückverweisung kann von Amts wegen erfolgen, sie setzt - anders als eine Zurückverweisung nach § 69 Abs.
1 Satz 3 FamFG - keinen entsprechenden Antrag eines Beteiligten voraus (Keidel/Sternal, FamFG, 20. Auflage
2020,
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des
Nachlassgericht im Hinblick auf die von der Beteiligten Ziff. 7 im Ausstellungsverfahren erhobenen
Einwendungen zu Unrecht gehindert sah, eine streitige Entscheidung über den Antrag des Beteiligten Ziff. 8 auf
Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zu treffen. Das Nachlassgericht hat damit im Sinne des § 69
Abs. 1 Satz 2 FamFG in der Sache noch nicht entschieden. Die Anwendung dieser Norm kommt insbesondere
dann in Betracht, wenn das Ausgangsgericht - wie hier - einen Antrag zu Unrecht aus rein verfahrensrechtlichen
Gründen zurückgewiesen hat (vgl. MüKoFamFG/A. Fischer, a.a.O.,
übt sein durch
MüKoFamFG/A. Fischer, a.a.O.,
zurückverwiesen wird.
Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
a)
10 Das Amtsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss vom 10.08.2020 ausgeführt, die Erteilung des durch den
Beteiligten Ziff. 8 beantragten Europäischen Nachlassverzeichnisses (ENZ) werde wegen des Vorliegens von
Einwendungen der Beteiligten Ziff. 7 versagt. Das Amtsgericht hat dabei die Auffassung vertreten, im
Ausstellungsverfahren betreffend das ENZ werde - anders als im deutschen Erbscheinsverfahren - nicht streitig
entschieden. Die vorliegenden Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt (gesetzliche Erbfolge)
bezögen sich auf die zur Begründung des Antrags gemachten Angaben (Nichtvorhandensein einer Verfügung
von Todes wegen). Das ENZ könne daher nicht erteilt werden. Dem vermag der Senat schon im
Ausgangspunkt nicht zu folgen.
11 Gemäß
wenn Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig sind. Einwände können sich auf die zur
Begründung des Antrags gemachten Angaben (zum Beispiel die Wirksamkeit eines vorgelegten Dokuments)
oder aber auch auf die zu bescheinigende Rechtsstellung, Rechte und Befugnisse (zum Beispiel Auslegung
eines Testaments) beziehen (vgl. Grziwotz in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2019, Art. 67
EuErbVO, Rdnr. 6).
b)
Die Auslegung der Regelung des
dass das Zeugnis nur ausgestellt werden darf, wenn kein Verfahrensbeteiligter dem Antrag des Antragstellers
widerspricht. Es genügt danach für die Versagung des Zeugnisses die so verstandene bloße „Anhängigkeit“ der
Einwände, das heißt, sie müssen im Verfahren lediglich geltend gemacht worden sein (Fornasier in:
Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 1. Auflage 2016,
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2020,
Münchener Kommentar zum FamFG, a.a.O.,
a.a.O.,
Einwände im Ausstellungsverfahren selbst (ausführlich Kleinschmidt in: Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth
/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Auflage 2020,
Versagung des Zeugnisses, sobald ein streitiges Verfahren geführt wird. Hingegen soll im Beschwerdeverfahren
gemäß
Verfahrensbeteiligten ausgestellt werden können (Fornasier in: Dutta/Weber, a.a.O.,
So werde auf einem anderen Weg als im Erbscheinsverfahren (
FamFG) verhindert, dass beim Widerspruch eines Beteiligten bereits in erster Instanz ein gegebenenfalls
unrichtiger Erbnachweis erteilt und in Umlauf gebracht wird (Fornasier in: Dutta/Weber, a.a.O., Art. 67
EuErbVO, Rdnr. 7). Noch weitergehend wird vertreten, dass auch in der Beschwerdeinstanz nur geprüft wird,
ob die vom Nachlassgericht vorgenommene Zurückweisung des Antrages auf Ausstellung eines ENZ
rechtmäßig war, also Einwände anhängig gemacht worden sind, wobei irrelevant sein soll, ob diese Einwände
auch materiell-rechtlich bestehen (Kleinschmidt in jurisPK-BGB, a.a.O.
gerichtliche Zuständigkeit für den Erbenstreit um das europäische Nachlasszeugnis,
Eine andere Auffassung geht dahin, dass anhängige Einwände, die dazu führen, dass ein Zeugnis nicht gemäß
anhängig sind. Demgegenüber sind nach dieser Auffassung Einwände, die ein Berechtigter unmittelbar
gegenüber der Ausstellungsbehörde geltend macht, im Rahmen des Erteilungsverfahrens zu würdigen, sie
hindern nicht per se an der Erteilung des Zeugnisses (Dorsel in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr
in Zivil- und Handelssachen, Werkstand: 60. Ergänzungslieferung, August 2020,
„Anhängigkeit“ im Sinne des
mithin die Anhängigkeit eines Rechtsstreits in Bezug auf den zu bescheinigenden Sachverhalt (BeckOGK/J.
Schmidt, Stand: 01.08.2020,
unstreitigen Fällen ausgestellt werden?, ZErb 2015, 342; Steiner, Einstweiliger Rechtsschutz gegen das
Europäische Nachlasszeugnis?,
Nachlasszeugnis, Dissertation Bochum 2018, S. 270).
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Die Auslegung, nach der die bloße Erhebung von
Einwänden im Ausstellungsverfahren ohne weitere Prüfung der Ausstellung eines ENZ entgegensteht, kann
sich zwar darauf berufen, dass etwa die englische und die französische Sprachfassung des Art. 67 Abs. 1 Satz
3 lit. a EuErbVO im Unterschied zur deutschen Sprachfassung sehr weit gefasst sind (“if the elements to be
certified are being challenged“ beziehungsweise „si les éléments à certifier sont contestés“) und das
Ausstellungsverfahren für nationale Erbnachweise in vielen europäischen Ländern als (notarielles)
Konsensverfahren ausgestaltet ist (Dorth, a.a.O., Seite 267 mit Nachweisen in Fußnote 865). Weiter wird auch
auf das Fehlen einer Norm wie
spricht indes, dass sie in klaren Fällen zu befremdlichen Ergebnissen führen kann (vgl. Steiner, a.a.O, Seite
487/488). Auch kann ein vom Oberlandesgericht als Beschwerdegericht nach Art. 43 Abs. 5 Satz 2 IntErbRVG
ausgestelltes ENZ keine anderen rechtlichen Voraussetzungen als ein vom Nachlassgericht ausgestelltes ENZ
haben. Die Kompetenzen von Nachlassgericht und Beschwerdegericht decken sich (Zimmermann, a.a.O., Seite
342/343).
Vorzugswürdig erscheint dem Senat daher die Auffassung, nach der
auszulegen ist, dass es der Ausstellungsbehörde nur dann versagt ist, das Zeugnis auszustellen, wenn
anderweitig, also in einem anderen Verfahren, Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig
sind. Dies korreliert mit
wenn es mit einer Entscheidung zum selben Sachverhalt nicht vereinbar wäre, und mit Art. 65 Abs. 3 lit. l
EuErbVO, wonach mit dem Antrag eine Erklärung des Inhalts abgegeben werden muss, dass nach bestem
Wissen des Antragstellers kein Rechtsstreit in Bezug auf den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig ist.
Soweit in anderen europäischen Ländern die Erteilung von Erbbescheinigungen als Konsensverfahren vor
einem Notariat ausgestaltet ist, weist Steiner (
unterschiedlichen Prüfungstiefe durch die „Ausstellungsbehörde“ nicht entgegensteht, was sich aus Art. 66 Abs.
1 Satz 2 EuErbVO ergibt. Diese Vorschrift regelt, dass eine Amtsermittlung nur stattfindet, wenn das eigene
Recht des Mitgliedsstaats dies vorsieht oder zulässt. Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland der Fall (§ 26
FamFG). Nach
Angaben, Erklärungen, Schriftstücke und sonstigen Nachweise. Sie führt dabei im Zusammenspiel von Art. 66
EuErbVO mit
Einvernehmen oder Schweigen der anderen Beteiligten Voraussetzung der Ausstellung des ENZ wäre
(Zimmermann, ZErb 2015, 342), das Verfahren also als reines Konsensverfahren ausgestaltet wäre
(Zimmermann, ZErb 2015, 342; Dorth, Seite 269). Dass das Ausstellungsverfahren wegen divergierender
mitgliedsstaatlicher Verfahrensregeln unterschiedlich sein kann, wurde ausweislich der Regelung des Art. 66
Abs. 1 Satz 2 EuErbVO vom Verordnungsgeber hingenommen, weshalb auch diesbezügliche grundsätzliche
Einwendungen gegen eine streitige Entscheidung (vgl. Kleinschmidt in: jurisPK-BGB, a.a.O.,
Rdnr. 26) nicht durchzudringen vermögen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum das deutsche Nachlassgericht
im Ausstellungsverfahren betreffend das ENZ Einwände nicht selbständig prüfen sollte, es sei denn, sie sind in
einem anderweitigen gerichtlichen Verfahren anhängig, welches zu einer divergierenden Entscheidung führen
könnte (Steiner,
anhängig ist, vom Nachlassgericht zu entscheiden. Das Beschwerdegericht prüft - wie sonst auch - lediglich die
vom Ausgangsgericht erlassene Entscheidung.
Die Bundesregierung hat im Gesetzgebungsverfahren betreffend das IntErbRVG (BT-Drs. 18/4201, Seiten
75/76 und 83) als Antwort auf eine Prüfungsbitte des Bundesrates, ob in das IntErbRVG für streitige Fälle nicht
eine dem
EuErbVO enthalte für das ENZ ein eigenes Regelungskonzept, das vom deutschen Erbscheinsverfahren
abweiche. Wenn Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig seien, dürfe nach der
EuErbVO schon kein Europäisches Nachlasszeugnis ausgestellt werden (vgl. Art. 67). Daher bedürfe es keiner
vorgelagerten gerichtlichen Entscheidung, wie sie im anders konzipierten deutschen Erbscheinsverfahren
vorgesehen sei. Soweit diese Ausführungen dahin zu verstehen sein sollten, dass im ENZ-Verfahren erster
Instanz nicht streitig entschieden werden darf, kann dem aus den oben dargelegten Gründen nicht gefolgt
werden. Der Beteiligte, der sich mit der Beschwerde gegen die Erteilung eines ENZ wendet, ist vielmehr auf
einen Antrag gemäß Art. 73 Abs. 1 lit. b) EuErbVO auf Aussetzung der Wirkungen des Zeugnisses während der
Anhängigkeit des Rechtsbehelfs verwiesen.
3.
Im vorliegenden Fall hat in erster Instanz - vom Standpunkt des Amtsgerichts aus folgerichtig - keine
abschließende Sachprüfung stattgefunden. Diese ist vor dem Hintergrund des oben Gesagten nachzuholen. Im
Rahmen der erneuten Entscheidung wird vom Amtsgericht auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
befinden sein.
4.
Die Streitfrage, inwieweit im Verfahren über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses streitig zu
entscheiden ist oder nicht, hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 44 IntErbRVG in Verbindung mit § 70
Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Über sie wurde, soweit ersichtlich, obergerichtlich und höchstrichterlich noch nicht
entschieden. Daher hat der Senat gemäß §§ 44 IntErbRVG, 70 Abs. 1 FamFG die Rechtsbeschwerde
zugelassen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Stuttgart
Erscheinungsdatum:15.12.2020
Aktenzeichen:8 W 342/20
Rechtsgebiete:
Deutsches IPR (EGBGB)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
IntErbRVG §§ 33 ff.; EuErbVO Art. 62 ff.; FamFG § 26