BGH 07. April 2022
IX ZR 107/20
InsO §§ 80, 134, 143; BGB § 199

Zurechnung der Kenntnis des Insolvenzschuldners für Verjährungsbeginn

letzte Aktualisierung: 22.7.2022
BGH, Urt. v. 7.4.2022 – IX ZR 107/20

InsO §§ 80, 134, 143; BGB § 199
Zurechnung der Kenntnis des Insolvenzschuldners für Verjährungsbeginn

Hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist hat sich der Insolvenzverwalter die bereits vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den
Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners grundsätzlich zurechnen
zu lassen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Der Rückzahlungsanspruch
aus § 143 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 134 InsO scheide aus, weil es sich
bei den Zahlungen an den Beklagten nicht um unentgeltliche Leistungen im Sinne
von § 134 InsO gehandelt habe. Eine Leistung ohne Rechtsgrund könne eine
unentgeltliche Leistung sein, wenn die Rückforderung der Leistung nach § 814
BGB wegen der Kenntnis des fehlenden Rechtsgrunds ausgeschlossen sei. Es
sei schon fraglich, ob es für das Bestehen des Auszahlungsanspruchs nicht auf
die festgestellten Jahresabschlüsse, sondern auf die wahre Ertragslage der
Schuldnerin ankomme. Diese Frage könne aber dahinstehen, weil selbst im letzteren
Fall eine unentgeltliche Leistung wegen fehlender Kenntnis der Schuldnerin
von dem fehlenden Rechtsgrund nicht gegeben sei. Der Leistende müsse positive
Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung haben, wobei eine Parallelwertung
in der Laiensphäre ausreiche. Dass der Vorstand der Schuldnerin eine
solche positive Kenntnis im Leistungszeitpunkt gehabt habe, könne im Streitfall
nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Mit dem Nachweis eines
bewusst betriebenen Schneeballsystems könne nicht bewiesen werden,
dass den Organen der Schuldnerin damit auch positiv bekannt gewesen sei, die
Bilanzen seien bilanzrechtlich falsch gewesen. Denn auch ein bewusst betriebenes
Schneeballsystem sage allein und für sich genommen nichts darüber aus,
ob in diesem nur fingierte Scheingewinne erwirtschaftet würden. Gegen die Annahme,
dass der Vorstand der Schuldnerin im Zeitpunkt der Auszahlung nicht
nur gewusst habe, dass die Bilanzen fehlerhaft gewesen seien, sondern auch,
dass bei Berücksichtigung notwendiger Abwertungserfordernisse und zutreffender
Bilanzierung Jahresfehlbeträge bestanden hätten, die einem Auszahlungsanspruch
des Beklagten entgegengestanden hätten, spreche entscheidend, dass
die Jahresabschlüsse nicht nur mit Billigung des Aufsichtsrats verbindlich festgestellt,
sondern darüber hinaus durch einen Wirtschaftsprüfer testiert worden
seien. Es spreche nichts dafür, dass der Vorstand der Schuldnerin demgegenüber
ein überlegenes Fachwissen gehabt habe. Auch fehle es an Anhaltspunkten
dafür, dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft
rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, dass die Jahresabschlüsse
der Schuldnerin nichtig und damit unverbindlich gewesen seien. Insbesondere
könne nicht angenommen werden, dass die Organe der Schuldnerin zumindest
im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre gewusst hätten, was wann
mit welchem Wert zutreffend hätte bilanziert werden müssen. Aus den vom Kläger
vorgelegten Schriftstücken ergebe sich solches nicht.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.

1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Anspruch des
Klägers auf Rückgewähr der Ausschüttungen aus § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1
InsO nicht verneinen. Nach den vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen
lässt sich nicht ausschließen, dass der Beklagte von der Schuldnerin
im Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
unentgeltliche Leistungen erhalten hat (§ 134 Abs. 1 InsO).

a) Die zugunsten des Beklagten erfolgten Ausschüttungen stellen Leistungen
der Schuldnerin dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen
eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) bewirkt (vgl. BGH,
Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 13; vom 22. Juli
2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 9; vom 2. Dezember 2021 - IX ZR
110/20, WM 2022, 126 Rn. 8). Sie erfolgten innerhalb von vier Jahren vor dem
Antrag auf Insolvenzeröffnung.

b) Die Auszahlungen können eine unentgeltliche Leistung im Sinne von
§ 134 Abs. 1 InsO darstellen.

aa) Eine unentgeltliche Leistung läge nicht vor, wenn der Beklagte aufgrund
des Genussrechtsvertrags Anspruch auf die Ausschüttungen gehabt hat,
weil diese dann objektiv den Ausgleich für die Gewährung des Genussrechtskapitals
darstellten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 11; vom 2. Dezember
2021, aaO Rn. 10). Das Gleiche gilt, wenn die Schuldnerin sie ohne Rechtsgrund
vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den
Beklagten zugestanden hat, wenn also der Beklagte aufgrund des Genussrechtsvertrags
keinen Anspruch auf die Auszahlungen gegen die Schuldnerin gehabt
hat und er einem Bereicherungsanspruch der Schuldnerin nicht § 814 BGB hat
entgegenhalten können (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 12; vom
2. Dezember 2021, aaO Rn. 11).

bb) Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, dass die Ausschüttungen
der Schuldnerin an den Beklagten rechtsgrundlos erfolgten.

(1) Der Genussrechtsvertrag, den der Beklagte mit der Schuldnerin geschlossen
hatte, ist weder nach § 138 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember
2021, aaO Rn. 13 mwN) noch nach § 134 BGB unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom
2. Dezember 2021, aaO Rn. 14 mwN).

(2) Ob dem Beklagten ein Anspruch auf die streitgegenständlichen Ausschüttungen
zustand, ergibt sich mithin aus dem Genussrechtsvertrag und aus
den dem Vertrag zugrundeliegenden Genussrechtsbedingungen. Die streitgegenständlichen
Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind dahin auszulegen,
dass die materiellen Voraussetzungen der Ausschüttungen sich nach der objektiven
(wahren) Ertragslage der Schuldnerin bestimmen. Unerheblich sind die
endgültig festgestellten Jahresabschlüsse sowie ihre Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz
(vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234
Rn. 21 ff; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember
2021, aaO Rn. 17, 22).

(a) Danach kommt es - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts -
allein darauf an, ob die Schuldnerin in den streitgegenständlichen Jahren tatsächlich
Gewinne erwirtschaftet hat. Ob dies der Fall war, hängt davon ab, ob die
streitgegenständlichen Jahresabschlüsse, welche jeweils Gewinne ausgewiesen
haben, fehlerhaft und bei fehlerfreier Erstellung der Jahresabschlüsse Gewinne
nicht angefallen sind. Enthalten die Jahresabschlüsse handelsrechtlich zulässige
Bewertungen, liegt ein Fehler nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO
Rn. 19; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 18).

(b) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die
Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, die Schuldnerin entgegen den Abschlüssen
tatsächlich Verluste erwirtschaftet hat und ein Auszahlungsanspruch des Beklagten
danach nicht bestand, die Auszahlungen mithin ohne Rechtsgrund erfolgt
sind. Insbesondere hat es dahinstehen lassen, ob die Jahresabschlüsse nach
§ 256 AktG nichtig waren, ob die in den im Strafverfahren eingeholten Gutachten
enthaltenen Bewertungen zu den Bilanzierungsfehlern zutreffen und ob die Jahresabschlüsse
nach Zerschlagungswerten hätten aufgestellt werden müssen.
Davon ist deswegen revisionsrechtlich auszugehen.

cc) Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Kondiktionssperre
des § 814 BGB nicht verneint werden.

(1) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,
dass nach § 814 Fall 1 BGB das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit
Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende oder der die
Leistung bewirkende Vertreter gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet
war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung
(vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234
Rn. 30 mwN; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 22; vom
2. Dezember 2021 - IX ZR 110/20, WM 2022, 126 Rn. 21).

(2) Bereits die Formulierung im Berufungsurteil, es fehle an Anhaltspunkten,
dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft
rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, die Jahresabschlüsse der
Schuldnerin seien nichtig und deshalb habe ein Auszahlungsanspruch des Beklagten
nicht bestanden, weckt Zweifel, ob das Berufungsgericht vom richtigen
Maßstab ausgegangen ist. Die Schuldnerin leistete ohne Rechtsgrund, wenn sie
nach ihrer wahren Ertragslage nur Verluste erwirtschaftete, die positiven Jahresabschlüsse
also fehlerhaft wären, ohne dass es auf deren Nichtigkeit nach § 256
AktG ankäme (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021,
234 Rn. 25; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember
2021 - IX ZR 110/20, WM 2022, 126 Rn. 22). Nur darauf musste sich
daher die Kenntnis der Schuldnerin beziehen.

(3) Aber auch im Übrigen ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts
fehlerhaft. Die Schuldnerin und die für sie handelnden Personen mussten nicht
wissen, was wann mit welchem Wert hätte bilanziert werden dürfen. Vielmehr
kann bereits das Wissen, dass verschiedene bilanzielle Wertansätze aufgrund
der ihnen bekannten Tatsachen überhöht waren, dafür sprechen, dass ihnen die
Unrichtigkeit der einen Überschuss ausweisenden Jahresabschlüsse bewusst
war. Nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre können sie
dann auch die rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben, dass Ansprüche der
Genussrechtsinhaber nicht bestanden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Juli 2021,
aaO Rn. 25 ff).

Den für die Schuldnerin handelnden Personen war die Wirkungsweise des
Geschäftsmodells, das in dem Ankauf von Lebensversicherungspolicen, fondsgebundenen
hochvolumigen Lebensversicherungen und von Goldsparverträgen
bestand, bekannt. Ihnen kann damit bewusst geworden sein, dass die Vermögenswerte
nicht ausreichend lange gehalten werden konnten, so dass die mit
den hohen Anschaffungskosten bilanzierten Vermögensgegenstände nicht den
bilanzierten Wert besaßen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO
Rn. 23 ff). Dann war den für die Schuldnerin verantwortlich Handelnden unter
Berücksichtigung der Parallelwertung in der Laiensphäre möglicherweise klar,
dass die auf den hohen Werten basierenden Jahresabschlüsse fehlerhaft waren
(vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 25 aE mwN).

(4) Auch ist die Würdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich der vorgelegten
Urkunden und der Aussage des Zeugen P. unvollständig und trägt
den Schluss des Berufungsgerichts nicht, der Kläger habe nicht bewiesen, die
Schuldnerin beziehungsweise die für sie verantwortlich handelnden Personen
hätten Kenntnis von der etwaigen Nichtschuld im Sinne von § 814 BGB gehabt
(vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 27).

(5) Das Berufungsgericht hätte den nicht widerlegten Vortrag des Klägers,
dass die Schuldnerin in den maßgeblichen Geschäftszweigen bewusst ein betrügerisches
Schneeballsystem betrieben habe, bei der Würdigung nicht in Gänze
außer Acht lassen dürfen. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schneeballsystem
sage für sich genommen nichts darüber aus, ob lediglich (fingierte)
Scheingewinne im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erwirtschaftet
würden, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Ein Schuldner, der weiß,
dass er zwar in einem geringen Umfang eine gewinnbringende Geschäftstätigkeit
entfaltet, aber im Übrigen von den Neuanlegern Gelder einsammelt, um aus dem
eingesammelten Geld an die Altanleger über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne
hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen, weiß, dass die über die tatsächlich
erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschlüsse
fehlerhaft sind, weil sie - wenn es sich um keine Fälschungen handelt
- unzulässige Bewertungen enthalten, wie vorliegend der Kläger behauptet
(vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 35; vom
2. Dezember 2021, aaO Rn. 28).

dd) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, die Leistungen
der Schuldnerin an den Beklagten seien nicht deswegen unentgeltlich im
Sinne von § 134 Abs. 1 InsO, weil die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB
eingriffe. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil
vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 33 mwN; vom 22. Juli
2021, aaO Rn. 37; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 31).

Die weiteren Angriffe der Revision führen zu keiner abweichenden Beurteilung.

Soweit sie geltend macht, dass der Ausschluss der Kondiktionssperre
des § 817 Satz 2 BGB dazu führe, dass das Schneeballsystem am Laufen gehalten
werde, indem die ausgezahlten Gewinne zurückgefordert werden könnten,
vermag dies keine andere Beurteilung zu begründen. Die Ausschüttungen an den
Beklagten hatten ihre Grundlage in dem wirksamen Genussrechtsvertrag (vgl.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 32; so auch allgemein zur Rückzahlung
von Gewinnen im Schneeballsystem MünchKomm-BGB/Schwab,
8. Aufl., § 817 Rn. 25). Da das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen
hat, dass dem Beklagten oder seinen Eltern, anders als bei klassischen Schenkkreisen,
bekannt war, dass es sich um ein Schneeballsystem handeln könnte, ist
dieser Vertrag weder nach § 138 BGB noch nach § 134 BGB nichtig (vgl. BGH,
Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 13 f). Der Schutz des Genussrechtsinhabers
wird über die Kondiktionssperre des § 814 BGB gewährleistet.

2. Soweit das Berufungsgericht einen etwaigen Bereicherungsanspruch
nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB für verjährt gehalten hat, ist dies rechtsfehlerfrei
(vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 39). Es hat darauf abgestellt,
dass die Verjährung bereits Ende 2016 eingetreten ist, da die Organe der Schuldnerin
bereits im Jahr 2013 davon Kenntnis hatten, dass kein Gewinn erzielt
wurde. Insofern die Revision unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 24. Juli 2012 (II ZR 177/11, WM 2012, 1779 Rn. 15) geltend
macht, für den Beginn der Verjährung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs
sei nicht auf die Kenntnis des Schuldners, sondern nur auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters
und damit frühestens auf das Eröffnungsdatum abzustellen,
ist dies nicht zutreffend.

Im Falle des Gläubigerwechsels durch Abtretung (§ 398 BGB), Legalzession
(§ 412 BGB) oder Gesamtrechtsnachfolge muss sich der neue Gläubiger
- entsprechend § 404 BGB - die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des
alten Gläubigers zurechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1995
- VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118; vom 24. April 2014 - III ZR 156/13, NJW
2014, 2345 Rn. 25; vom 30. April 2014 - IV ZR 30/13, NJW 2014, 2492 Rn. 13;
vom 30. April 2015 - IX ZR 1/13, WM 2015, 1246 Rn. 12). Dies gilt auch für den
Fall eines Wechsels des Verwalters (BGH, Urteil vom 30. April 2015, aaO). Nichts
anderes gilt bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters und dem damit gemäß
§ 80 Abs. 1 InsO einhergehenden Übergang der Verfügungsbefugnis über die
zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen auf ihn. Der Insolvenzverwalter
hat sich die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des
Insolvenzschuldners von den den Anspruch begründenden Umständen und der
Person des Drittschuldners zurechnen zu lassen, weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
ansonsten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Neubeginn
der Verjährung führen würde (vgl. OLG Hamm, VersR 2017, 610, 611; BeckOGKBGB/
Piekenbrock, 2022, § 199 Rn. 124). Der Neubeginn der Verjährung ist seit
der Schuldrechtsreform gegenüber der Hemmung auf wenige Ausnahmefälle begrenzt
(vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 97).

Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des II. Zivilsenats vom 24. Juli
2012 (aaO Rn. 15) nicht entgegen. Soweit dort für den Beginn der Verjährungsfrist
auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters abgestellt wurde, betraf dies den
Sonderfall der als Innenhaftung ausgestalteten Existenzvernichtungshaftung. Bei
dem existenzvernichtenden Eingriff besteht die Besonderheit, dass zwischen
dem Schädiger und dem Geschäftsführer der anspruchsberechtigten Gesellschaft
Personenidentität vorliegen kann. Ist der Schädiger das einzige Organ der
Gesellschaft, ist seine Kenntnis für den Verjährungsbeginn bedeutungslos (vgl.
BGH, Urteil vom 9. Februar 2009 - II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 Rn. 34).

III.

Das Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene
Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur
Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Das Berufungsgericht wird die Frage, ob die für die Schuldnerin verantwortlich
handelnden Personen wussten, dass keine Verpflichtung zur Zahlung
von Basisdividenden und einer Übergewinnbeteiligung bestand, nach den Maßstäben
des Senats neu zu beurteilen haben. Da für das Bestehen einer solchen
Verpflichtung die objektive Ertragslage der Schuldnerin maßgeblich ist und nicht
der Inhalt der festgestellten Jahresabschlüsse, wird die Kenntnis der Schuldnerin
von einer fehlenden Leistungspflicht kaum beurteilt werden können, wenn nicht
zunächst festgestellt wird, ob und in welchem Umfang die Jahresabschlüsse
- gegebenenfalls aufgrund von die bilanzrechtlich eingeräumten Bewertungsspielräume
überschreitenden Bewertungen - unzutreffende, von der objektiven
Ertragslage abweichende Jahresüberschüsse ausweisen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

07.04.2022

Aktenzeichen:

IX ZR 107/20

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Aktiengesellschaft (AG)
Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

InsO §§ 80, 134, 143; BGB § 199