BGH 17. Mai 2022
II ZB 11/21
GmbHG § 74 Abs. 1 S. 2

Beendigung der Liquidation; vermögenslose GmbH; sonstige Abwicklungsmaßnahmen als Löschungshindernis; laufendes Steuerverfahren

letzte Aktualisierung: 1.7.2022
BGH, Beschl. v. 17.5.2022 – II ZB 11/21

GmbHG § 74 Abs. 1 S. 2
Beendigung der Liquidation; vermögenslose GmbH; sonstige Abwicklungsmaßnahmen als Löschungshindernis; laufendes Steuerverfahren

Sonstige im Interesse eines Dritten liegende Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug
können bei einer vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation nur dann
entgegenstehen, wenn dieses Interesse berechtigt ist.

Gründe:

I.
Die Antragstellerin ist eine GmbH, deren Auflösung am 7. März 2016 im
Handelsregister eingetragen wurde. Die Aufforderung an die Gläubiger, sich bei
der Gesellschaft zu melden, wurde am 16. März 2016 im Bundesanzeiger bekannt
gemacht. Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 meldete die Liquidatorin den
Schluss der Liquidation zur Eintragung in das Handelsregister an. Das Finanzamt
S. stimmte der Löschung nicht zu, weil ein Rechtsbehelf hinsichtlich Erbschaftssteuer
anhängig sei.

Das Amtsgericht - Registergericht - hat die Anmeldung daraufhin zurückgewiesen.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren
hat das Finanzamt S. ergänzend erklärt, es sei ein Einspruchsverfahren
der Liquidatorin der Antragstellerin gegen einen Bescheid
über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts ihres Anteils an der
Antragstellerin auf den Bewertungsstichtag 5. August 2011 für Zwecke der
Schenkungsteuer anhängig. Die Antragstellerin sei gemäß § 360 Abs. 3 AO
zum Verfahren hinzugezogen worden, wogegen sie ihrerseits Einspruch eingelegt
habe. Mit der Löschung der Antragstellerin könnten dieser die noch ausstehenden
Entscheidungen über die Einsprüche nicht zugestellt werden. Das Beschwerdegericht
hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt
die Antragstellerin ihren Löschungsantrag weiter.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung der Entscheidungen
der Vorinstanzen zur Anweisung an das Registergericht, über die
Anmeldung der Antragstellerin vom 15. Juni 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Senats neu zu entscheiden.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt, einer Löschung der Antragstellerin gemäß § 74
Abs. 1 Satz 2 GmbHG stehe ihre Beteiligung im laufenden Steuerverfahren der
Liquidatorin entgegen, weil dadurch weiterer Abwicklungsbedarf bestehe. Mit
der dort für Zwecke der Schenkungsteuer zu treffenden gesonderten Feststellung
des Werts der nicht notierten Anteile an Kapitalgesellschaften gemäß
§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG werde zugleich das Betriebsvermögen der Antragstellerin
bewertet. Diese sei gemäß § 153 Abs. 3 BewG erklärungspflichtig,
am Feststellungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 BewG beteiligt
und gemäß § 155 BewG befugt, Rechtsbehelfe einzulegen. Deshalb sei
die Antragstellerin auch zu Recht gemäß § 360 Abs. 3 AO im Einspruchsverfahren
hinzugezogen worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und
auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsbeschwerdebefugnis der Antragstellerin
ergibt sich bereits daraus, dass ihre Beschwerde gegen den Beschluss des
Registergerichts zurückgewiesen wurde (BGH, Beschluss vom 20. September
2011 - II ZB 17/10, BGHZ 191, 84 Rn. 5; Beschluss vom 26. Juni 2018
- II ZB 12/16, ZIP 2018, 1591 Rn. 7; Beschluss vom 27. Juli 2020 - II ZB 26/19,
ZIP 2020, 1658 Rn. 12).

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Prüfung
nicht stand. Nach den getroffenen Feststellungen steht die Beteiligung der
Antragstellerin im laufenden Steuerverfahren ihrer Liquidatorin ihrer Löschung
nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nicht entgegen.

a) Voraussetzung für die Beendigung der Liquidation im Sinne von § 74
Abs. 1 Satz 1 GmbHG und damit für eine Löschung nach § 74 Abs. 1 Satz 2
GmbHG ist, dass kein verteilbares Vermögen der Gesellschaft mehr vorhanden
ist. Verteilbares Vermögen ist nicht vorhanden, wenn die Gesellschaft über keine
Vermögenswerte mehr verfügt, die für eine Gläubigerbefriedigung oder eine
Verteilung unter die Gesellschafter in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschluss
vom 9. November 2021 - II ZB 1/21, ZIP 2022, 122 Rn. 7, 11). Davon ist im vorliegenden
Verfahren auszugehen. Das Beschwerdegericht hat hierzu keine
Feststellungen getroffen. Dass die weitere Beteiligung der Antragstellerin im
Steuerverfahren ihrer Liquidatorin Auswirkungen auf das Vermögen der Gesellschaft
haben könnte, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht ersichtlich.

aa) Die Antragstellerin ist in dem Schenkungssteuerverfahren ihrer Liquidatorin
weder Steuerschuldnerin, noch haftet sie für die dort festzusetzende
Steuer, hat diese für die Liquidatorin einzubehalten und abzuführen oder
Sicherheit dafür zu leisten. Damit können sich etwaige Steuererstattungen oder
Steuer(nach)forderungen infolge der Steuerfestsetzung in diesem Verfahren
weder unmittelbar noch mittelbar auf das Vermögen der Antragstellerin auswirken.

bb) Die Feststellung des Anteilswerts nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
BewG hat für das Vermögen der Antragstellerin ebenfalls keine Relevanz.
Das Beschwerdegericht hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass
mit der gesonderten Feststellung des Anteilswerts zugleich das Betriebsvermögen
der Antragstellerin zum Bewertungsstichtag bewertet wird. Dieser Stichtagswert
hat für die Gesellschaft selbst jedoch keine steuerliche Bedeutung
(vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, Stand Januar 2021, § 154 Rn. 9). Die
Bekanntgabe an die Gesellschaft dient daher im Wesentlichen der Kontrolle der
inhaltlichen Richtigkeit der gesonderten Wertfeststellung der Anteilswerte beim
aktuellen Bewertungsanlass (vgl. Schmid/Mannweiler, Nachfolgebesteuerung,
§ 154 Rn. 16; Höne/Krause, ZEV 2010, 298, 300). Gleiches gilt für die der Gesellschaft
nach § 155 Satz 1, § 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG gegen den Feststellungsbescheid
zustehende Rechtsbehelfsbefugnis. Dass sich die Stichtagsbewertung
in irgendeiner Form auf ein eigenes noch nicht abgeschlossenes
Steuerverfahren der Antragstellerin auswirken könnte, macht auch das Finanzamt
nicht geltend.

cc) Etwaige vermögensrelevante Auswirkungen sind auch im Hinblick auf
die mit der Abgabe der Feststellungserklärung nach § 153 BewG verbundenen
Kosten für die Antragstellerin nicht ersichtlich.

Da der Feststellungsbescheid bereits ergangen und von der Liquidatorin
mit dem Einspruch angegriffen worden ist, ist entsprechend dem Rechtsbeschwerdevorbringen
davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihre diesbezüglichen
Erklärungs- und Auskunftspflichten zur Anteilsbewertung und für die
nach § 13a Abs. 4, § 13b Abs. 10 ErbStG zu treffenden Feststellungen bereits
erfüllt hat und die damit verbundenen Kosten bereits angefallen sind. Dass
noch weitere Angaben seitens der Antragstellerin erforderlich wären, hat das
Finanzamt nicht geltend gemacht.

Das (eigene) Einspruchsverfahren der Antragstellerin richtet sich nur gegen
ihre Hinzuziehung zum Besteuerungsverfahren der Liquidatorin gemäß
§ 360 Abs. 3 AO. Dass sich die Antragstellerin in diesem Rahmen auch gegen
ihre Heranziehung als Erklärungspflichtige nach § 153 Abs. 3 BewG wenden
und einen Anspruch auf Rückerstattung der ihr entstandenen Erklärungskosten
geltend machen würde, ist nicht festgestellt.

dd) Schließlich ist auch keine Vermögensrelevanz der Beteiligung für die
Antragstellerin wegen eines möglichen Kostenerstattungsanspruchs in den Einspruchsverfahren
gegeben. In steuerrechtlichen Einspruchsverfahren ist auch
bei Obsiegen grundsätzlich keine Kostenerstattung vorgesehen (vgl. Seer in
Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 2.2021, vor § 347 AO Rn. 23 ff.; § 367 AO Rn. 55;
Bartone in Gosch, AO/FGO, Stand 1.8.2019, § 367 AO Rn. 81). Die lediglich
abstrakte Möglichkeit, dass sich an die Einspruchsverfahren ein gerichtliches
Verfahren anschließen könnte, in dem nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO auch
Kosten eines Vorverfahrens erstattungsfähig wären, begründet als solche noch
keinen hinreichenden Anhalt für einen etwaigen künftigen Anspruch (vgl. BGH,
Beschluss vom 9. November 2021 - II ZB 1/21, ZIP 2022, 122 Rn. 11).

b) Die weitere Beteiligung der Antragstellerin an dem Besteuerungsverfahren
begründet auch keinen Abwicklungsbedarf, der ihrer Löschung nach
§ 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG entgegenstehen könnte. Sonstige im Interesse
eines Dritten liegende Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug können
bei einer vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation nur
dann entgegenstehen, wenn dieses Interesse berechtigt ist. Ein solches berechtigtes
Interesse des Finanzamts am Fortbestehen der Antragstellerin liegt
nicht vor.

aa) Dabei bedarf die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene und
vom Senat bislang offengelassene Frage, ob vor dem Abschluss eines die Ge-
sellschaft betreffenden Besteuerungsverfahrens die Liquidation mit der Folge
der Löschungsreife beendet werden kann, auch hier keiner Entscheidung (vgl.
zum Meinungsstand BGH, Beschluss vom 9. November 2021 - II ZB 1/21,
ZIP 2022, 122 Rn. 18). Denn das Steuerverfahren der Liquidatorin "betrifft" die
Antragstellerin lediglich insoweit, als sie daran als Erklärungspflichtige gemäß
§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 153 Abs. 3 BewG zum Zwecke der gesonderten
und einheitlichen Wertfeststellung der Anteilswerte beteiligt ist. Diese Beteiligung
steht einer Löschung der Gesellschaft nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG
jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sie - wie hier - die ihr obliegenden steuerrechtlichen
Erklärungs- und Auskunftspflichten erfüllt hat.

bb) Ob sonstige Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug bei einer
vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation und damit
ihrer Löschung nach § 74 Abs. 1 GmbHG entgegenstehen, ist in Rechtsprechung
und im Schrifttum umstritten (bejahend: BayObLG, ZIP 1983, 938, 940;
ZIP 1984, 450, 451; ZIP 1985, 33, 35; ZIP 2020, 1979, 1981; OLG Hamm,
ZIP 2015, 1827, 1828; OLG Jena, NotBZ 2019, 391, 392; KG, ZIP 2020, 520,
521; ZIP 2021, 2486; Lehre vom sog. erweiterten Doppeltatbestand, siehe etwa
Haas in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 74 Rn. 2, 20 und § 60
Rn. 105 f.; MünchKommGmbHG/Berner, 3. Aufl., § 60 Rn. 51 ff.; Kleindiek in
Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 74 Rn. 5, 19; Altmeppen, GmbHG,
10. Aufl., § 74 Rn. 27; Wicke, GmbHG, 4. Aufl., § 74 Rn. 2, 6, 8; Gesell in
Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., § 74 Rn. 12, 21 f.; Passarge in
Passarge/Torwegge, GmbH in der Liquidation, 3. Aufl., § 11 Rn. 770; differenzierend:
Scholz/K. Schmidt/Scheller, GmbHG, 12. Aufl., § 74 Rn. 4, 26 ff. und
§ 60 Rn. 70 ff.; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 74
GmbHG Rn. 2, 26; Brünkmans in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 5. Aufl., § 74
Rn. 23; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 60 Rn. 98;
verneinend: MünchKommGmbHG/H.-F. Müller, § 74 Rn. 47; Paura in Habersack/
Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 74 Rn. 42 ff.; Hachenburg/Ulmer,
GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 60 Rn. 40; K. Schmidt, GmbHR 1988, 209, 212 f.;
Schmidt, FGPrax 2019, 212, 213).

Der Bundesgerichtshof hat die Frage bislang nicht entschieden. Er hat allerdings,
nachdem er in einer früheren Entscheidung ausdrücklich offengelassen
hat, ob im Fall eines berechtigten Interesses an einer Abwicklungsmaßnahme
auch bei Vermögenslosigkeit der Gesellschaft eine Nachtragsliquidation
entsprechend § 273 Abs. 4 AktG oder aber eine Bestellung entsprechend § 74
Abs. 2 Satz 2 GmbHG oder analog § 1913 BGB in Betracht kommt (BGH, Urteil
vom 10. Oktober 1988 - II ZR 92/88, BGHZ 105, 259, 262), später die Durchführung
einer Nachtragsliquidation auch in diesem Fall für angezeigt erachtet
(BGH, Urteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 65/09, NJW-RR 2010, 544 Rn. 18).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs setzt eine Abwicklungsmaßnahme
im Sinne des § 273 Abs. 4 AktG nicht voraus, dass noch Vermögen
vorhanden ist; sie kann zum Beispiel lediglich im Interesse eines Gläubigers
erfolgen (BFHE 122, 389, 392).

cc) Ob sonstige Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug bei einer
vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation entgegenstehen,
bedarf hier keiner Entscheidung, weil es bereits an einem berechtigten
Interesse des Finanzamts an einer weiteren Beteiligung der Antragstellerin in
den Einspruchsverfahren fehlt, das die Erforderlichkeit weiterer Abwicklungsmaßnahmen
begründen könnte.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Abwicklungsmaßnahmen
immer dann durchzuführen, wenn daran ein berechtigtes Interesse
besteht (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1988 - II ZR 92/88, BGHZ 105,
259, 262). Eine bereits gelöschte Gesellschaft ist daher im Fall eines berechtigten
Interesses des Gläubigers an einer von ihr abzugebenden Erklärung zum
Zweck der prozessualen Durchsetzung dieses Anspruchs als existent anzusehen
(BGH, Urteil vom 26. April 2001 - IX ZR 317/98, ZIP 2001, 1089, 1090;
siehe auch BAGE 36, 125, 129).

(2) Da - wie oben ausgeführt - davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin
die ihr obliegenden Erklärungspflichten nach § 153 Abs. 3 BewG, § 13a
Abs. 4, § 13b Abs. 10 ErbStG erfüllt hat, kann dahinstehen, ob ein berechtigtes
Interesse des Finanzamts zu bejahen wäre, wenn die Antragstellerin diesen
Pflichten noch nicht nachgekommen wäre.

(3) Die damit allein verbleibende Beteiligung der Antragstellerin zum
Zweck der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen, d.h. der rein passiven
Entgegennahme der Zustellungen, begründet kein berechtigtes Interesse des
Finanzamts an einem Fortbestehen der Gesellschaft.

(a) Eine Kapitalgesellschaft bleibt auch nach ihrer Löschung im Finanzverfahren
beteiligtenfähig. Denn die Beteiligtenfähigkeit richtet sich nicht nach
der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit, sondern nach der Steuerrechtsfähigkeit.
Steuerrechtlich besteht eine GmbH nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
trotz ihrer Löschung im Handelsregister weiter fort, solange sie
noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder gegen sie ergangene Steuerbescheide
angreift (vgl. BFHE 122, 389, 392 mwN; BFH/NV 2004, 670, 671;
BFHE 262, 174 Rn. 32; BFH/NV 2022, 24 Rn. 17; ferner BFH, GmbHR 2022,
487 Rn. 9). Die Löschung der Gesellschaft im Register steht auch ihrer Beiladung
nicht entgegen (BFH/NV 2022, 24 Rn. 17). Da die GmbH mit der
Löschung nicht aus dem Finanzverfahren ausscheidet, ist ein Aufschub der
Löschung unter diesem Gesichtspunkt nicht erforderlich.

Die Beteiligtenfähigkeit bleibt auch bestehen, soweit es die Bekanntgabe
der Einspruchsentscheidungen gegenüber der Antragstellerin betrifft. Diese
richtet sich gemäß § 153 Abs. 5 BewG, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 155 Abs. 1,
§§ 365, 366 AO nach § 122 AO. Für die Finanzverwaltung ist damit Ziffer
2.8.3.2. des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung vom 1. Januar 2014
(BStBl. I 2014 S. 290; im Folgenden: AEAO 2014) zu § 122 AO anwendbar.
Auch danach gilt eine im Handelsregister gelöschte juristische Person steuerrechtlich
so lange als fortbestehend, wie sie noch steuerrechtliche Pflichten zu
erfüllen hat. Nach der im Anwendungserlass in Bezug genommenen Entscheidung
des Bundesfinanzhofs ist eine Kapitalgesellschaft steuerrechtsfähig, solange
ihre Rechtsbeziehungen zur Finanzbehörde nicht vollständig abgewickelt
sind, sie steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder ihr gegenüber ergangene
Bescheide angreift (vgl. BFHE 169, 294, 296 f.; siehe auch Drüen in
Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 2.2019, § 33 AO Rn. 49; Schindler/Gosch,
AO/FGO, Stand 1.6.2021, § 33 AO Rn. 43 f.). Dabei gehören zu den das Gesellschaftsverhältnis
betreffenden steuerrechtlichen Rechtsbeziehungen alle
Verpflichtungen, durch die eine Gesellschaft zum Steuerpflichtigen im Sinne
des § 33 AO wird (vgl. BFHE 169, 294, 297). Danach ist die Antragstellerin
nicht nur bis zur Abgabe ihrer Feststellungserklärung nach § 153 Abs. 1 und 3
BewG, sondern darüber hinaus auch noch bis zur Beendigung ihrer Hinzuziehung
zum Einspruchsverfahren der Liquidatorin und ihres eigenen Einspruchsverfahrens
steuerrechtsfähig (§ 154 Abs. 2 BewG; vgl. BFHE 122, 389, 392).

(b) Die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an die Antragstellerin
ist auch keine Voraussetzung für die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des
Feststellungsbescheids gegenüber der Liquidatorin.

Die Wirksamkeit der Bekanntgabe eines Feststellungsbescheids an einen
Empfänger und die Verbindlichkeit des Bescheids diesem gegenüber sind
jeweils für sich unabhängig von der Bekanntgabe des Bescheids an andere
Adressaten zu beurteilen (vgl. BFHE 152, 10, 13; 234, 107 Rn. 31 f.). Das gilt
auch für die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an die Antragstellerin
nach § 154 Abs. 2 BewG und der Entscheidung über den diesbezüglichen Einspruch
der Liquidatorin an die Antragstellerin (§ 365 Abs. 1 AO). Der Anteilsinhaber
hat kein subjektives Recht, dass der Feststellungsbescheid nach § 154
Abs. 2 BewG auch der Kapitalgesellschaft bekannt gegeben wird. Es handelt
sich lediglich um eine objektive Verpflichtung der Finanzbehörde; ein Einspruch
wäre insoweit unzulässig (vgl. Immes in Wilms/Jochum, ErbStG, BewG,
GrEStG, Stand 1.5.2014, § 154 BewG Rn. 26). Gegenteiliges wird auch vom
Finanzamt hier nicht geltend gemacht.

(c) Ein berechtigtes Interesse des Finanzamts an einem Fortbestehen
der Antragstellerin ergibt sich auch unter Berücksichtigung der gebotenen Einheitlichkeit
der Feststellungsentscheidung (§ 154 Abs. 1 Satz 2 BewG) nicht
aus dem Gesichtspunkt der formellen Bestandskraft der Einspruchsentscheidungen
(auch) gegenüber der Antragstellerin.

Die Antragstellerin hat durch ihren Löschungsantrag zu erkennen gegeben,
dass ihrerseits an einer weiteren Beteiligung am Steuerverfahren einschließlich
der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen das Ergebnis der Wertfeststellung
kein Interesse besteht; ein solches Interesse ist - insbesondere
mangels Vermögensrelevanz der Feststellung (s.o.) - auch sonst nicht ersichtlich.
Selbst wenn man insoweit ein berechtigtes Interesse des Finanzamts bejahen
wollte, könnte dem nach Ziffer 2.8.3.2. AEAO 2014 zu § 122 AO auch
dadurch Rechnung getragen werden, dass vor der Löschung ein Bevollmächtigter
der Gesellschaft bestellt wird, dessen Bevollmächtigung auch die Entgegennahme
von Entscheidungen der Finanzbehörde umfasst.

Für die Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch der Antragstellerin
gegen ihre Hinzuziehung nach § 360 Abs. 3 AO gilt nichts anderes.
Das gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zum Fortbestehen der Gesellschaft bei anhängigen Aktiv- oder Passivprozessen
(vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2010 - II ZR 115/09, GmbHR 2011,
83 Rn. 22 mwN). Wie oben ausgeführt berühmt sich die Antragstellerin in diesem
Einspruchsverfahren weder eines vermögenswerten Anspruchs, noch steht
ihr im Fall ihres Obsiegens ein Kostenerstattungsanspruch zu. Soweit sie die
Aufhebung ihrer Hinzuziehung erreichen will, um ein darin möglicherweise liegendes
Löschungshindernis zu beseitigen, entfällt dieses Interesse mit ihrer
Löschung.

(d) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Löschung nach § 74
Abs. 1 Satz 2 GmbHG zwar, wie das Beschwerdegericht zutreffend angemerkt
hat, andere Voraussetzungen hat als eine von Amts wegen erfolgende
Löschung wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft gemäß § 394 Abs. 1
FamFG, die insbesondere kein Liquidationsverfahren voraussetzt. Auch wenn
die Vermögenslosigkeit und geschäftliche Inaktivität der Gesellschaft im Fall
des § 74 Abs. 1 GmbHG (nur) Folge der durchgeführten Liquidation sein kön-
nen, greift aber der einer Löschung nach § 394 Abs. 1 FamFG zugrundeliegende
Zweck, das Handelsregister zum Schutz des Rechtsverkehrs von vermögenslosen
Gesellschaften zu bereinigen (vgl. Müther in Dutta/Jacoby/Schwab,
FamFG, 4. Aufl., § 394 Rn. 1.2; Keidel/Heinemann, FamFG, 20. Aufl., § 394
Rn. 1; Holzer in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 394 Rn. 2), auch in diesem
Fall (vgl. OLG Jena, RPfleger 2010, 431, 432; v. Rintelen, RNotZ 2017, 185,
186). Hinzu kommt, dass die Gesellschaft bis zur Löschung als Liquidationsgesellschaft
mit allen Rechten und Pflichten fortbesteht und damit, trotz Abschluss
ihrer vermögensbezogenen Liquidationsmaßnahmen, auch die dafür anfallenden
Kosten, etwa für die Erstellung von Bilanzen, Kammerbeiträge sowie
Rechts- und Steuerberatungskosten, zu tragen hat (vgl. Wachter,
GmbHR 2022, 257, 260; siehe auch Peetz, GmbHR 2020, 1263 Rn. 29 f.).

(e) Stellt die noch ausstehende Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen
an die Antragstellerin danach keine sonstige Abwicklungsmaßnahme
dar, die der Beendigung ihrer Liquidation entgegensteht, greift auch das Argument
des Beschwerdegerichts nicht, dass im Fall ihrer Löschung noch eine
Nachtragsliquidation entsprechend § 273 Abs. 4 AktG für den Abschluss der
steuerrechtlichen Einspruchsverfahren erforderlich werden könnte.

4. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Die
Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil die für die Eintragung der
Löschung der Antragstellerin maßgeblichen weiteren Voraussetzungen bislang
nicht festgestellt sind. Da diese Feststellung zweckmäßigerweise durch das
Registergericht erfolgt, ist die Sache an dieses zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6
Satz 2 FamFG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

17.05.2022

Aktenzeichen:

II ZB 11/21

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Aktiengesellschaft (AG)
GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

GmbHG § 74 Abs. 1 S. 2