Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft über die Genehmigung des Wirtschaftsplans
letzte Aktualisierung: 22.2.2024
BGH, Urt. v. 25.10.2023 – V ZB 9/23
Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft über die Genehmigung des
Wirtschaftsplans
a) Wird die Anfechtungsklage eines Wohnungseigentümers gegen einen nach dem 30. November
2020 auf der Grundlage des Wirtschaftsplans gefassten Beschluss über die Vorschüsse zur
Kostentragung und zu den Rücklagen abgewiesen, bestimmt sich die Beschwer weiterhin in aller
Regel nach der Höhe der Vorschüsse, die dem Anteil aus dem Wirtschaftsplan entsprechen
(Fortführung von Senat, Beschluss vom 18. September 2014 – 290/13,
b) Ein nach dem 30. November 2020 gefasster Beschluss, durch den „der Wirtschaftsplan genehmigt
wird“, ist nächstliegend dahingehend auszulegen, dass die Wohnungseigentümer damit lediglich die
Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen Beträge (Vorschüsse) festlegen wollen.
Gründe:
I.
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
(GdWE). In der Eigentümerversammlung vom 20. Juni 2022 fassten die
Wohnungseigentümer folgenden Beschluss:
"Der vorgelegteWirtschaftsplan 2022 wird genehmigt. Es gelten die
ausgedruckten neuen Wohnlasten und zwar rückwirkend ab dem
01.01.2022. Der Wirtschaftsplan gilt bis zur Beschlussfassung eines
neuen Wirtschaftsplanes fort."
Der Wirtschaftsplan weist Gesamtausgaben in Höhe von 126.680,32
aus; auf die Klägerin entfällt ein Anteil in Höhe von 4.226,19
Vorschüsse der Klägerin wurden auf einen Betrag von jeweils 352
aufgeführt ist, handelt es sich um ein offensichtliches Versehen.
Das Amtsgericht hat die gegen diesen Beschluss erhobene Anfechtungsklage
der Klägerin abgewiesen. Nach
Fassung sei zwar nicht mehr über den Wirtschaftsplan selbst, sondern nur noch
über die Vorschüsse zu der Kostentragung und zu den Rücklagen zu beschließen.
Es sei aber unschädlich, wenn sich - wie hier - in der Beschlussfassung über
die Vorschüsse auch eine Bezugnahme auf den Wirtschaftsplan finde. Der Inhalt
der Beschlussfassung sei nämlich regelmäßig durch Auslegung auf einen Beschluss
über die Vorschüsse zu reduzieren. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin
vorrangig ihren Antrag, den Beschluss für ungültig zu erklären, als Hauptantrag
weiterverfolgt und sich gegen die Auslegung des Amtsgerichts gewandt. Hilfsweise
hat sie die Feststellung der Teilnichtigkeit des Beschlusses beantragt und
sich insoweit auf eine entsprechende Rechtsprechung des Landgerichts berufen
(vgl. LG Köln,
verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, deren
Zurückweisung die Beklagte beantragt.
II.
Das Berufungsgericht meint, der Wert des Beschwerdegegenstandes
übersteige den Betrag von 600 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht. Soweit die Klägerin
mit ihrem Hauptantrag weiterhin die Ungültigkeitserklärung des Beschlusses
in Gänze verfolge, enthalte die Berufungsbegründung keine Ausführungen
dazu, dass die Vorschüsse, auf deren Festsetzung der Beschluss nach der von
dem Amtsgericht vorgenommenen Auslegung zu reduzieren sei, zu hoch bemessen
sein könnten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der
Wert der Beschwer bei der Anfechtung eines Beschlusses über einen Wirtschaftsplan
in der Regel nach dem Anteil des Klägers bestimmt werde (Verweis
auf Senat, Beschluss vom 18. September 2014 - V ZR 290/13,
Rn. 10), sei zu
nicht mehr anwendbar. Ob die Auslegung des Beschlusses durch das Amtsgericht
zutreffend sei, könne dahinstehen. Auch wenn man unterstelle, dass der
Beschluss nicht nur die Vorschüsse, sondern auch den Wirtschaftsplan umfasse
und sich insoweit nach Auffassung der Kammer als teilnichtig erweisen könnte,
habe die Klägerin nicht dargelegt, inwieweit sie durch die Klageabweisung in Bezug
auf den nichtigen Teilbeschluss beschwert sein könne. Die Feststellung der
Nichtigkeit dieses Teilbeschlusses stelle die Klägerin in wirtschaftlicher Hinsicht
nicht besser, da es bei der Festsetzung der Vorschüsse bliebe.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist zulässig, weil die Rechtsbeschwerde den Zulassungsgrund der
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung darlegt (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
ZPO). Dieser Zulassungsgrund ist unter anderem dann gegeben, wenn das Berufungsgericht
dem Rechtsmittelführer den Zugang zu der an sich gegebenen
Berufung unzumutbar erschwert. Eine solche Erschwerung kann in einem Fehler
bei der Bemessung der Beschwer liegen. Voraussetzung dafür ist, dass das Berufungsgericht
die Grenze seines Ermessens überschritten oder von seinem Er-
messen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht hat. Dies ist der Fall, wenn das Berufungsgericht die Beschwer
aufgrund von rechtlichen Erwägungen bemessen hat, die das Rechtsschutzziel
des Rechtsmittelführers verkennen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juni 2016
- V ZB 17/15,
verwehrt der Klägerin zu Unrecht eine Entscheidung in der Sache.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Berufung der Klägerin
durfte nicht als unzulässig verworfen werden, weil die Beschwer den Betrag von
600 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Hierfür kommt es nicht darauf an, ob
sich der gefasste Beschluss auf die Bestimmung der Vorschüsse zu der Kostentragung
und zu den Rücklagen beschränkt, wie das Amtsgericht meint, oder ob
- jedenfalls auch - der der Beschlussfassung zugrundeliegende Wirtschaftsplan
genehmigt werden sollte, wie es der Auffassung der Klägerin entspricht. In beiden
Fällen bestimmt sich die Beschwer der Klägerin, die sie mit ihrer Berufung
beseitigt wissen möchte, nach dem auf sie entfallenden Anteil an dem Wirtschaftsplan.
Dieser Anteil beträgt im Hinblick auf die für das Jahr 2022 monatlich
12 x , die die
Klägerin zahlen müsste, wenn es bei dem klageabweisenden Urteil des Amtsgerichts
bliebe.
a) Unter der Geltung des bisherigen Rechts hatte der Verwalter jeweils für
ein Kalenderjahr einen Wirtschaftsplan aufzustellen, über den die Wohnungseigentümer
durch Stimmenmehrheit zu beschließen hatten (§ 28 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 WEG aF). Wurde die von einem Wohnungseigentümer gegen einen solchen
Beschluss betreffend den Wirtschaftsplan erhobene Anfechtungsklage abgewiesen,
so bestimmte sich seine Beschwer in aller Regel nach dem Anteil aus
dem Wirtschaftsplan (vgl. Senat, Beschluss vom 18. September 2014 - V ZR
290/13,
b) Nach der Neufassung des
Zwar beschließen die Wohnungseigentümer nach neuem Recht nicht mehr über
den Wirtschaftsplan im Ganzen, sondern nur noch über die Vorschüsse zur Kostentragung
und zu den Rücklagen, die auf Grundlage des Wirtschaftsplans festzusetzen
sind (
mit dem Anteil, der nach dem Wirtschaftsplan auf den jeweiligen Wohnungseigentümer
entfällt, bezogen auf die Klägerin also Wird die Anfechtungsklage
eines Wohnungseigentümers gegen einen nach dem 30. November 2020
auf der Grundlage des Wirtschaftsplans gefassten Beschluss über die Vorschüsse
zur Kostentragung und zu den Rücklagen abgewiesen, bestimmt sich
die Beschwer weiterhin in aller Regel nach der Höhe der Vorschüsse, die dem
Anteil aus dem Wirtschaftsplan entsprechen.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hängt die Höhe der
Beschwer nicht davon ab, welche Einwendungen mit der Anfechtungsklage gegen
den Beschluss über den Wirtschaftsplan bzw. gegen den Beschluss über die
Vorschüsse und Rücklagen erhoben werden. Erstrebt der Anfechtungskläger
- wie hier die Klägerin mit dem Hauptantrag - die Aufhebung des gesamten Beschlusses,
ist er bei einer Klageabweisung in Höhe des auf ihn entfallenden Betrages
beschwert. Ob die Einwendungen durchgreifen, betrifft nicht die Zulässigkeit
der Berufung, sondern ihre Begründetheit. Deshalb ändert sich an der Bemessung
der Beschwer nichts dadurch, dass sich der Wohnungseigentümer
nicht gegen die Höhe der festgesetzten Vorschüsse wendet, sondern sonstige
Einwendungen gegen den Beschluss insgesamt erhebt. So ist es hier. Mit dem
Hauptantrag macht die Klägerin geltend, der Beschluss sei wegen eines Verstoßes
gegen
IV.
Die Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben
und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(
ist die Sache nicht. Weder kann der Berufung stattgegeben werden noch liegen
die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung vor.
1. Die von der Klägerin erstrebte Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses
wegen des Fehlens der Beschlusskompetenz kommt nicht in Betracht.
Dass die Wohnungseigentümer den "vorgelegten Wirtschaftsplan 2022" genehmigt
haben, führt nämlich weder zur Nichtigkeit noch zu Teilnichtigkeit des Beschlusses.
Ein Verstoß gegen
der Klägerin nicht vor.
a) Allerdings wird in Teilen der Rechtsprechung und Literatur die Ansicht
vertreten, ein Beschluss, in dem die Wohnungseigentümer nach dem 30. November
2020 über den Wirtschaftsplan beschließen, sei mangels Beschlusskompetenz
(teil-)nichtig. Nach der Neufassung des
noch über die Vorschüsse zu beschließen, nicht mehr über den Wirtschaftsplan.
Ein solcher Beschluss könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er sich
trotz des Wortlauts (nur) auf die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen
beschränke (vgl. LG Frankfurt a.M.
gelassen; MüKoBGB/Skauradszun, 9. Aufl.,
[1.8.2023],
Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 10 Rn. 31 mit Hinweis auf die Möglichkeit
einer Umdeutung; vgl. für Beschlussfassungen über die Jahresabrechnung
auch LG Frankfurt a.M.,
Rn. 23; AG Hamburg-St. Georg,
WEG [1.6.2023], § 28 Rn. 230).
b) Richtig ist demgegenüber die Gegenauffassung. Ein nach dem 30. November
2020 gefasster Beschluss, durch den "der Wirtschaftsplan genehmigt
wird", ist nächstliegend dahingehend auszulegen, dass die Wohnungseigentümer
damit lediglich die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen
Beträge (Vorschüsse) festlegen wollen (vgl. LG Berlin,
Bärmann/Becker, WEG, 15. Aufl., § 28 Rn. 58; Lehmann-Richter/Wobst, WEGReform
2020, Rn. 790; für einen Beschluss über die Jahresabrechnung auch AG
Schöneberg,
heraus" auszulegen (Senat, Urteil vom 15. Oktober 2021 - V ZR 225/20, NJW
2022, 326 Rn. 9). Dabei kommt es maßgebend darauf an, wie der Beschluss
nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend
zu verstehen ist (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 - V ZR 315/13,
im Zweifel keinen rechtswidrigen Beschluss fassen wollen (Senat,
Urteil vom 17. April 2015 - V ZR 12/14,
nächstliegend dafür, dass die Wohnungseigentümer nach Inkrafttreten des § 28
Abs. 1 Satz 1 WEG entsprechend dieser Vorschrift nur über die Höhe der Vorschüsse
beschließen möchten, auch wenn nach dem Wortlaut (zugleich) der
Wirtschaftsplan genehmigt werden soll. (Objektive) Anhaltspunkte, die die Annahme
rechtfertigen könnten, die Wohnungseigentümer wollten mit ihrer Beschlussfassung
weitere als die gesetzlich vorgesehenen Regelungen treffen, liegen
bei einem Beschluss mit dem oben genannten Inhalt nicht vor (so auch LG
Berlin,
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze enthält der Beschluss lediglich
die Festsetzung der Vorschüsse für das Wirtschaftsjahr 2022, wie es der Regelung
des
2. Auf der anderen Seite kann die Berufung nicht zurückgewiesen werden.
Der Bundesgerichtshof ist zwar befugt, die Verwerfung einer Berufung durch eine
Zurückweisung als unbegründet zu ersetzen, wenn auf der Grundlage der Feststellungen
des Berufungsgerichts eine andere Entscheidung nicht möglich ist
(vgl. Senat, Urteil vom 13. März 1998 - V ZR 190/97,
mwN; BGH, Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95,
- jeweils zum Revisionsverfahren). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht
vor, da nicht feststeht, ob und wenn ja welche weiteren Einwendungen die Klägerin
mit ihrer Anfechtungsklage gegen den Beschluss erhoben hat. Eine Bezugnahme
auf das Urteil des Amtsgerichts, aus dem die Einwendungen entnommen
werden könnten, ist in dem Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts
nicht erfolgt. Nach dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde hat die Klägerin
auch geltend gemacht, der Beschluss sei insgesamt "intransparent" und deshalb
für ungültig zu erklären. Hierzu und zu möglichen weiteren Einwendungen hat
das Berufungsgericht - von seinem Ausgangspunkt folgerichtig - keine Feststellungen
getroffen.
V.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren
beruht auf
der Klägerin in Höhe von 31.680 ). Dieses Interesse ist
maßgeblich, weil das Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer höher ist. Dass
das Berufungsgericht demgegenüber ohne Begründung den Berufungsstreitwert
auf lediglich 29.583,33 festgesetzt hat, beruht erkennbar darauf, dass es von
einem auf die Klägerin entfallenden Jahresbetrag von 4.226,19
ist und diesen Betrag sodann nicht - wie in
Faktor 7,5, sondern lediglich mit dem Faktor 7 multipliziert hat.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:25.10.2023
Aktenzeichen:V ZB 9/23
Rechtsgebiete:
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG § 28; ZPO § 511