AG Moers 11. Juli 2019
564 C 9/17
BGB §§ 280, 249, 675; WEG § 27

Verkehrssicherungspflicht des WEG-Verwalters

letzte Aktualisierung: 05.03.2020
AG Moers, Urt. v. 11.7.2019 – 564 C 9/17

BGB §§ 280, 249, 675; WEG 27
Verkehrssicherungspflicht des WEG-Verwalters

1. Eine Schadensersatzpflicht des WEG-Verwalters gegenüber einem Wohnungseigentümer, der
eine zum Gemeinschaftseigentum gehörende Treppenanlage hinabgestürzt ist und sich schwer
verletzt hat, kann aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht folgen.

2. Kennt allerdings ein Wohnungseigentümer die von ihm beanstandete Gefahrenquelle seit vielen
Jahren, so ist eine etwaige Haftung wegen Mitverschuldens ausgeschlossen, § 254 BGB.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche zu.
Sowohl eine vertragliche Haftung aus dem Verwaltervertrag (§§ 280, 249 BGB in
Verbindung mit § 675 BGB) als auch eine deliktische Haftung wegen Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht (§§ 823, 249 ff. BGB) müssen ausscheiden.

Zwar steht nach der Beweisaufnahme vom 12.09.2018 zur Überzeugung des Gerichts
fest, dass der Kläger entsprechend seiner Behauptung am 05.10.2012 gegen 20.00 Uhr
die Nottreppe, die von der Tiefgarage hinauf in den Garten führt, hinabstürzte.
Der Kläger selber hat erklärt, ein Plätschern vernommen und dem Wasserhahn an der
Fluchttreppe zugeordnet zu haben.

Das Gericht hat sich bei dem Ortstermin vom 12.09.2018 die Treppe und den Wasserhahn
angesehen und damit die Örtlichkeit in Augenschein genommen.

Die Wegstrecke zwischen der Terrasse der Erdgeschosswohnung und dem Wasserhahn
beträgt etwa 5 Meter, so dass plausibel ist, dass der Kläger den tropfenden Wasserhahn
hörte.

Der Wasserhahn ist in einer Entfernung von einem knappen ½ Meter von der Treppe auf
Bauchhöhe installiert. Die oberste Stufe weist einen Versatz von 5 cm zum Boden auf;
zum Vorfallszeitpunkt befanden sich dort Waschbetonplatten, wie auf dem Lichtbild Bl. 170

d. Gerichtsakte.

Der Zeuge C hat den Sturz zwar nicht beobachtet, da er dem Kläger von der Terrasse nur
ein Stück nachfolgte. Er hat aber bekundet, einen Schrei gehört zu haben. Er habe den
Kläger daraufhin nicht mehr sehen können. Er sei zur Treppe geeilt und habe den Kläger
am unteren Ende der Treppe gesehen, als dieser sich dort aufrappelte.

Nach diesen Erklärungen des Zeugen hat das Gericht keine Zweifel an der Schilderung
des Klägers, dass er die Treppe hinabstürzte.

Offenbleiben kann, ob der Beklagten als zum damaligen Zeitpunkt tätige Verwalterin der
Wohnungseigentümergemeinschaft B im Hinblick auf die bauliche Gestaltung der obersten
Stufe der Nottreppe die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden
kann.

Eine Gefahrenquelle wird nur dann haftungsbegründend, wenn sich aus einer zu
verantwortenden Situation vorausschauend die naheliegende Gefahr ergibt, das
Rechtsgüter Dritter verletzt werden können (BGH NJW 2004, 1449). Verpflichtet ist, wer
für den Bereich der Gefahrenquelle verantwortlich ist.

Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG trifft zwar den Verwalter die Pflicht zur Instandhaltung und
Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber den einzelnen
Wohnungseigentümern (Bärmann, § 27 Rdnr. 349 a.).

Der Verwalter kann diese Pflicht allerdings delegieren.

Hier hat die Beklagte darauf verwiesen, durch den Verwaltervertrag vom 16.07.2010 die
Verkehrssicherungspflicht auf den Hausmeister übertragen zu haben.

Bei einer Übertragung einer Verkehrssicherungspflicht hat der Übertragene (nur) dafür
einzustehen, dass der nun Verpflichtete bereit und in der Lage ist, seine Verpflichtung zu
erfüllen. Dies hat er zu überwachen.

Ob die zweimalige Begehung im Jahr, die die Beklagte selbst durchgeführt haben will,
hierfür ausreichte, kann auch offenbleiben.

Bei der Inanspruchnahme wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht hat
Berücksichtigung zu finden, dass eine Verkehrssicherung, die jegliche Schädigung
ausschließt, nicht erreichbar ist. Es verbleibt vielmehr stets ein Gefahren- und
Lebensrisiko, das der Einzelne selber zu tragen hat und für das er einen anderen nicht
haftbar machen kann.

Es hat hierbei eine Risikoverteilung zwischen dem Verkehrssicherungspflichtigen und der
beschädigten Person stattzufinden. Der Pflichtige muss nicht für alle denkbaren
Möglichkeiten Sorge tragen. Der Dritte ist nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst
bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt nicht hätte erkennen oder vermeiden
können (Palandt, BGB, § 823 Rdnr. 51).

Jedenfalls sind jegliche etwaige Ansprüche des Klägers wegen seines Mitverschuldens
am Unfallereignis ausgeschlossen, § 254 BGB.

Bei der Frage eines Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB wegen Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht ist zu fragen, ob „ein Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt.
Besteht eine Mitverantwortung daran, sich in die Gefahrensituation begeben zu haben, so
führt dies zu einer Minderung oder sogar zu einem Ausschluss des
Schadensersatzanspruches gemäß § 254 BGB.

Hier trifft den Kläger unter zwei Gesichtspunkten ein Verstoß gegen die Vorschrift des §
254 BGB. Zum einen ist dem Kläger die Treppenanlage seit seiner Kindheit bekannt. Die
Treppenanlage befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Terrasse der
Wohnung, die er mit seinen Eltern in den Jahren 1974 bis 1997 durchgängig bewohnt hat.
Zwar mag die Treppenanlage nachträglich eine Erweiterung durch die obere Stufe
erfahren haben. Dies ist aber in den 1980-iger Jahren erfolgt, d.h. zu einem Zeitpunkt, als
der Kläger noch für mehrere Jahre in dem Objekt wohnhaft war.

Auch nach seinem Auszug im Jahr 1997 sind seine Eltern in der Wohnung verblieben und
er hat die Örtlichkeit bei Besuchen immer wieder vor Augen geführt bekommen. Im Jahr
2011 ist er durch Erbschaft Miteigentümer der Wohnung geworden und hat mit
Umbaumaßnahmen wegen der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter begonnen. Hierdurch ist
es immerhin noch einmal zu einer derartigen Erinnerungsauffrischung gekommen, dass er
am Abend des 05.10.2012 das Tropfen dem Wasserhahn zuordnen konnte, der sich
neben der Treppenanlage befindet. Dabei ist der Wasserhahn von der Terrasse der
Wohnung aus nicht sichtbar, sondern wird durch Pflanzenbewuchs ebenso verdeckt wie
durch den Umstand, dass sich der Wasserhahn „um die Ecke“ befindet.

Konnte der Kläger aber dennoch das Tropfen dem Wasserhahn zuordnen, so folgt daraus,
dass ihm die Örtlichkeit hinlänglich bekannt war.

Dennoch hat er sich im Dunklen (20.00 Uhr, Mitte Oktober) zum Wasserhahn begeben
und hat als Rechtshänder versucht, den Hahn mit der linken Hand zuzudrehen, weil er mit
der rechten Hand eine Zigarette hielt.

Er hat sich mit dem Rücken seitlich nach links zur ihm bekannten Fluchttreppe gestellt, die
steil und betoniert abwärts führt.

Soweit er auf die Stolperkante verweist, die die Beklagte seiner Ansicht nach durch ein
Törchen hätte sichern müssen, führt dies nicht dazu, dass eine Resthaftung der Beklagten
bei unterstellter Versicherungspflichtverletzung verbleibt.

Denn ein weiterer Mitverschuldensvorwurf, der zu einem vollkommenen
Haftungsausschluss führt, trifft den Kläger wegen einer unterlassen Information der seiner
Ansicht nach gegebenen erheblichen Gefahrenquelle.

Der Kläger verweist darauf, dass die oberste Stufe seit den 1980-iger Jahren vorhanden
ist und einen „offenkundigen“ Versatz zur Rasen-/Kiesfläche als Stolperkante aufweise.
Wenn denn diese Kante als verkehrssichtungspflichtige Stolperkante einzuordnen sein
sollte, muss sich der Kläger als Bewohner und Miteigentümer seit dem Jahr 2011
vorwerfen lassen, dass er diesen Umstand niemals zum Thema einer
Eigentümerversammlung machte oder der Verwalterfirma sonst eine Information hierzu
zukommen ließ. Gleiches gilt für die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband.
Wenn aber die Wohnungseigentümer über Jahrzehnte diesen Zustand hinnehmen, ohne
ihren Verwalter auf eine Stolperkante, die verkehrssicherungspflichtig sein könnte,
hinzuweisen, kann sodann ein verunfallter Wohnungseigentümer die Verwalterfirma nicht
wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht wegen einer „offenkundigen
Gefahrenquelle“ in Anspruch nehmen.

Vor diesem Hintergrund muss die Klage der Abweisung unterliegen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 709 ZPO.
Streitwert: 272.903,46 EUR.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses
Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses
Urteils schriftlich bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf,
eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die
Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt
werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten
nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber Landgericht Düsseldorf zu begründen.
Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt
vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die
Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des
angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

AG Moers

Erscheinungsdatum:

11.07.2019

Aktenzeichen:

564 C 9/17

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 280, 249, 675; WEG § 27