Beschlusskompetenz bei mehrfacher Entscheidung in derselben Angelegenheit; Abgrenzung zwischen Beschlusskompetenz und ordnungsmäßiger Verwaltung; Zweitbeschluss über Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans
letzte Aktualisierung: 18.11.2024
BGH, Urt. v. 20.9.2024 – V ZR 235/23
WEG §§ 23 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1
Beschlusskompetenz bei mehrfacher Entscheidung in derselben Angelegenheit;
Abgrenzung zwischen Beschlusskompetenz und ordnungsmäßiger Verwaltung;
Zweitbeschluss über Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans
1. Eine im Wohnungseigentumsgesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz
der Wohnungseigentümer umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen
über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betrifft die Frage, ob die
Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe Angelegenheit entscheiden dürfen, nicht
die Beschlusskompetenz, sondern die ordnungsmäßige Verwaltung.
2a. Die Wohnungseigentümer können nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht
auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse
aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz folgt aus § 28
Abs. 1 WEG.
2b. Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lässt die Kompetenz der Wohnungseigentümer für
einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans nicht entfallen
(Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 9. März 2012 – V ZR 147/11,
2c. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans wird regelmäßig nur
dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des
Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend
berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beschlüsse seien mangels Beschlusskompetenz
der Eigentümergemeinschaft nichtig. Vor dem 1. Dezember 2020
habe in einem folgenden Wirtschaftsjahr ein Erstbeschluss durch einen Zweitbeschluss
ersetzt werden können, wenn Zweifel an seiner Wirksamkeit bestanden
hätten. Mit dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes
(WEMoG) zum 1. Dezember 2020 müssten die Wohnungseigentümer über die
Vorschüsse zur Kostentragung und zu den vorgesehenen Rücklagen beschließen
(
Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse
beschließen (
die in dem vergangenen Jahr angefallenen tatsächlichen Kosten
feststünden, könnten Vorschüsse zu den voraussichtlichen Kosten nicht mehr
nachträglich durch Beschluss begründet werden, weshalb ein solcher Beschluss
nichtig sei. Überdies seien die angegriffenen Beschlüsse im Hinblick auf die Klägerin
zu 2 auch deshalb nichtig, weil zu ihren Lasten in unzulässiger Weise Zahlungspflichten
für zurückliegende Zeiten begründet würden und auch insoweit
keine Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft bestehe.
Zutreffend nehme das Amtsgericht zudem an, dass die Ladung der Klägerin
zu 1 zu den Eigentümerversammlungen zwar grob nachlässig, nicht aber vorsätzlich
unterblieben sei, so dass die Erstbeschlüsse jedenfalls nicht nichtig
seien. Selbst wenn man die grundsätzliche Kompetenz der Eigentümergemeinschaft
anerkenne, einen Zweitbeschluss für zurückliegende Wirtschaftsjahre zu
fassen, fehlte es daher an den Voraussetzungen für eine solche Beschlussfassung,
da jedenfalls keine Zweifel an der Wirksamkeit der Erstbeschlüsse bestünden.
Schließlich widerspreche es nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben,
dass sich die Klägerin zu 1 in dem Vorprozess - anders als nunmehr - auf die
Nichtigkeit der Erstbeschlüsse berufen habe.
II.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts besteht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer
für die angefochtenen Beschlüsse.
1. Ohne nähere Begründung geht das Berufungsgericht davon aus, dass
die angefochtenen Beschlüsse nicht lediglich die früher gefassten Beschlüsse
über die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016 bis 2018 wiederholen und bestätigen,
sondern erstmals Vorschusspflichten begründen. Diese Auslegung hält der
insoweit uneingeschränkten Nachprüfung durch den Senat (st. Rspr., vgl. nur Senat,
Urteil vom 17. April 2015 - V ZR 12/14,
Mit den Beschlüssen werden jeweils die Vorschüsse auf die Kosten und die
Rücklage auf Grund der von dem Verwalter erstellten Wirtschaftspläne für die
Jahre 2016 bis 2018 mit Druckdatum vom 17. Mai 2022 genehmigt. Zugleich werden
noch offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse unter Verrechnung
bereits geleisteter Zahlungen für das entsprechende Jahr zur sofortigen
Zahlung fällig gestellt. Durch die wiederholte Beschlussfassung wird ein neuer
Rechtsgrund für die Zahlung der Vorschüsse geschaffen, indem die Vorschusspflichten
neu begründet werden. Davon ist bereits deshalb auszugehen, weil
keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Zahlungspflichten zulasten zwischenzeitlich
ausgeschiedener Eigentümer begründet werden sollen. Zudem geht der
Regelungsgehalt der angefochtenen Beschlüsse über eine Bestätigung der vormaligen
Beschlüsse hinaus, indem offene Forderungen auf die beschlossenen
Vorschüsse zur sofortigen Zahlung fällig gestellt werden.
2. Die Wohnungseigentümer können - anders als das Berufungsgericht
meint - nach dem seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht
auch nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse
aufgrund des Wirtschaftsplans fassen; die hierfür erforderliche Beschlusskompetenz
folgt aus
Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Recht maßgeblich (vgl. Senat, Urteil
vom 11. Juni 2021 - V ZR 215/20,
a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Wohnungseigentümer
grundsätzlich befugt, über eine schon geregelte gemeinschaftliche Angelegenheit
erneut zu beschließen, ohne dass es darauf ankommt, aus welchen Gründen
sie eine erneute Beschlussfassung für angebracht halten (vgl. Senat, Urteil vom
10. November 2023 - V ZR 51/23,
2023 - V ZR 246/21,
2001 - V ZB 10/01,
- V ZB 8/90,
GdWE, auf die der Senat in diesem Zusammenhang wiederholt verwiesen hat,
begründet keine Beschlusskompetenz, sondern setzt vielmehr eine solche voraus.
Durch Beschlussfassung können nur solche Angelegenheiten geordnet
werden, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung
durch Beschluss entschieden werden darf (§ 23 Abs. 1 Satz 1, § 10
Abs. 1 Satz 2 WEG; vgl. Senat, Beschluss vom 20. September
2000 - V ZB 58/99,
oder in einer Vereinbarung vorgesehene Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer
umfasst sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen
über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betrifft
die Frage, ob die Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe
Angelegenheit entscheiden dürfen, nicht die Beschlusskompetenz, sondern die
ordnungsmäßige Verwaltung. Geht es - wie hier - um den Beschluss über die
Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans, folgt die Beschlusskompetenz der
Wohnungseigentümer aus
besteht, können die Wohnungseigentümer in eigener Autonomie entscheiden, ob
sie von ihrer gesetzlich zugewiesenen Beschlusskompetenz erneut Gebrauch
machen und einen Zweitbeschluss fassen.
b) Allerdings hat der Senat eine erneute Beschlussfassung Einschränkungen
unterworfen. Zu der bis zu dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes
(WEMoG) zum 1. Dezember 2020 geltenden Fassung
des
der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung in einem folgenden Wirtschaftsjahr
durch einen bestätigenden Zweitbeschluss ersetzt werden kann
(
Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 168/13,
der Senat aus Gründen des Minderheitenschutzes ausgesprochen, dass ein wegen
eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärter Beschluss
im Kern inhaltsgleich nur dann erneut gefasst werden darf, wenn der in
dem Vorprozess benannte Beschlussmangel entweder behoben worden ist oder
sich die darauf bezogenen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände geändert
haben (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 - V ZR 246/21,
Rn. 14 f.).
c) Diese Einschränkungen, an denen festzuhalten ist, betreffen jedoch
nicht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer. In den von dem Senat
entschiedenen Fällen kam es auf die Beschlusskompetenz nicht an, weil diese
jeweils zweifellos bestand. Vielmehr beziehen sich die Einschränkungen - wie
oben ausgeführt - auf die Frage, ob der angefochtene Zweitbeschluss ordnungsmäßiger
Verwaltung entspricht. Dementsprechend hat der Senat bereits darauf
hingewiesen, dass ein nach den von dem Senat aufgestellten Maßstäben unzulässiger
Zweitbeschluss nicht wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig,
sondern nur anfechtbar ist (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 - V ZR
246/21,
d) Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht die Beschlusskompetenz der
GdWE für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans
unter Hinweis auf die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des WEMoG.
aa) Von Teilen der Literatur wird allerdings eingewandt, dass der Senatsrechtsprechung
zum Zweitbeschluss eines Wirtschaftsplans nach Inkrafttreten
des WEMoG nicht mehr gefolgt werden könne. Weil jetzt nicht mehr der Wirtschaftsplan
selbst, sondern nur die Vorschüsse Gegenstand der Beschlussfassung
seien, könnten die Wohnungseigentümer nach Ablauf des Wirtschaftsjahres
durch Beschluss keine Vorschusspflichten mehr begründen. Infolgedessen
könnten Vorschüsse nicht mehr Beschlussgegenstand sein, sobald die tatsächlichen
Kosten feststünden. Im Falle der rechtskräftigen Ungültigerklärung des Beschlusses
über die Vorschüsse genüge es, durch einen ersetzenden Zweitbeschluss
die zuvor beschlossene Abrechnungsspitze zu korrigieren (vgl. Bärmann/
Becker, WEG, 15. Aufl., § 28 Rn. 66, 235; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG
Recht 2021, Kapitel 10 Rn. 39).
bb) Dieser Einwand ist unzutreffend. Nach
Verwalter für ein Kalenderjahr einen Wirtschaftsplan aufzustellen, über welchen
die Wohnungseigentümer gemäß
beschlossen haben. Die Wohnungseigentümer waren verpflichtet, nach Abruf
durch den Verwalter dem beschlossenen Wirtschaftsplan entsprechende Vorschüsse
zu leisten (
der bisherigen Senatsrechtsprechung entgegenstehen, sind mit der
Neufassung des Gesetzes nicht verbunden. Auch nach dem jetzt geltenden
Recht muss der Verwalter für ein Kalenderjahr einen Wirtschaftsplan aufstellen
(
und zu den Rücklagen enthält, über welche die Wohnungseigentümer beschließen
müssen (
den Wirtschaftsplan und die Jahresabrechnung in
dazu führen, dass die wesentlichen Inhalte von Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung
dem Wortlaut des Gesetzes entnommen werden können und die Zahl
der Streitigkeiten über den Wirtschaftsplan und die Jahresabrechnung verringert
werden, indem der Beschlussgegenstand jeweils auf die Zahlungspflichten reduziert
wird (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 76). Bereits nach altem Recht gehörten
zum Wirtschaftsplan die Einzelwirtschaftspläne, die festlegten, welche Vorschüsse
der einzelne Wohnungseigentümer auf die Lasten und Kosten zu erbringen
hatte (
Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl. 2020, § 28 Rn. 21). Dem entspricht
nach dem jetzt geltenden Recht in
der Vorschüsse auf der Grundlage des Wirtschaftsplans. Ohnehin handelt es sich
bei den in
nicht um gewöhnliche Abschlagszahlungen, für die charakteristisch ist,
dass sie von dem Gläubiger nicht mehr verlangt werden können, sobald eine
Berechnung der eigentlichen Forderung vorliegt. Die Jahresabrechnung dient,
anders als der Begriff des Vorschusses nahelegt, nicht der Ermittlung des eigentlichen"
Beitragsanspruchs, sondern nur der Anpassung der laufend zu erbringenden
Vorschüsse an die tatsächlichen Kosten. Sie tritt nicht an die Stelle
des Wirtschaftsplans (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 168/13, NZM
2014, 436 Rn. 20 f. zu
e) Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lässt die Kompetenz der
Wohnungseigentümer für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund
des Wirtschaftsplans aus
aa) Der Senat hat es bislang bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines
Zweitbeschlusses ersichtlich nicht für relevant gehalten, ob es bis zum Zeitpunkt
der Beschlussfassung einen Eigentumswechsel gegeben hat. Richtig ist allerdings,
dass der rechtsgeschäftliche Erwerber eines Wohnungseigentums nicht
schon von Gesetzes wegen für die Hausgeldrückstände seines Rechtsvorgängers
haftet. Eine Haftung kann auch nicht durch Mehrheitsbeschluss, sondern
nur durch Vereinbarung begründet werden (vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2012
- V ZR 147/11,
bb) Hier geht es jedoch nicht darum, durch die angefochtenen Zweitbeschlüsse
eine Haftung für rückständige Hausgeldzahlungen eines Rechtsvorgängers
zu begründen. Vielmehr wurden die Vorschusspflichten auf Grundlage der
Wirtschaftspläne der Jahre 2016 bis 2018 insgesamt neu beschlossen. Das erlaubt
Folge des Zweitbeschlusses. Sie kann im Übrigen auch dann entstehen, wenn
ein Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans rechtskräftig
für ungültig erklärt und deshalb neu gefasst wird. Dass der Senat den Wohnungseigentümern
in seinem Urteil vom 9. März 2012 (V ZR 147/11,
Rn. 9) die Kompetenz für den Beschluss über die Jahresabrechnung abgesprochen
hat, beruhte darauf, dass in die Einzelabrechnungen des Folgejahres Hausgeldrückstände
aus den Vorjahren aufgenommen wurden und diese dadurch in
die Abrechnungsspitze des Folgejahres einflossen. Dazu ermächtigt § 28 Abs. 1
WEG die Wohnungseigentümer nicht, weil Vorjahresrückstände nicht Bestandteil
der Jahresabrechnung sind und die Wohnungseigentümer nicht auf diese Weise
eine eigenmächtige Novation vornehmen und damit die Verjährung umgehen
dürfen. Soweit sich das Urteil des Senats vom 9. März 2012 (V ZR 147/11, NJW
2012, 2796 Rn. 9 ff.) dahingehend verstehen lässt, dass ein mehrheitlich gefasster,
auf den Wirtschaftsplan bezogener Zweitbeschluss generell mangels Beschlusskompetenz
nichtig ist, wenn er zu einer Haftung eines Wohnungseigentümers
für die Rückstände seines Rechtsvorgängers führt, hält der Senat daran
nicht fest
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (
dass sich die Klägerin zu 1 nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu
und Glauben (
zu den Wirtschaftsplänen der Jahre 2016 bis 2018 berufen könne und
ihre Prozessführung missbräuchlich sei, weil sie im Vorprozess die Nichtigkeit
der Beschlüsse eingewandt habe.
a) Widersprüchliches Verhalten verstößt nicht ohne weiteres gegen die
Grundsätze von Treu und Glauben (
Rechtsauffassung vermag für sich allein den Vorwurf missbräuchlicher Rechtsausübung
nicht zu begründen. Hinzukommen muss, dass der andere Teil auf
eine Beibehaltung des einmal bezogenen Rechtsstandpunktes vertrauen durfte
und sich in einer Weise darauf eingerichtet hat, dass ihm die Anpassung an die
veränderte Rechtslage nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann
(vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1986 - III ZR 236/84,
vom 29. Oktober 1969 - I ZR 72/67,
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kein Anhalt. Die Klägerin zu 1
hat durch ihre im Vorprozess vertretene Rechtsauffassung keinen Vertrauenstatbestand
geschaffen, auf den sich die Beklagte verlassen hat und hätte verlassen
dürfen. Insbesondere hat die Beklagte nicht im Vertrauen auf die Beibehaltung
des von der Klägerin zu 1 im Vorprozess eingenommenen Standpunktes in einer
Weise Dispositionen getätigt, dass ihr die Anpassung an die zwischenzeitlich geänderte
Rechtsauffassung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden
kann. Zutreffend macht die Revisionserwiderung geltend, dass die erneute Beschlussfassung
am 20. Juni 2022 gerade nicht Ausdruck eines Vertrauens auf
die Beibehaltung der Rechtsansicht der Klägerin zu 1 war, sondern vielmehr der
Absicherung der eigenen Rechtsposition für den Fall diente, dass die Klägerin
zu 1 weiterhin die Nichtigkeit der Beschlüsse geltend macht.
b) Darüber hinaus ist jedenfalls die Klägerin zu 2 auch bei Zugrundelegung
der von der Revision vertretenen Rechtsansicht nicht gehindert, sich in diesem
Prozess auf die Wirksamkeit der früher gefassten Beschlüsse zu den Wirtschaftsplänen
der Jahre 2016 bis 2018 zu berufen, da sie an dem Vorprozess nicht beteiligt
war und nicht festgestellt ist, dass sie jemals zuvor die Nichtigkeit der Beschlüsse
eingewandt hat.
III.
1. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist
nicht zur Endentscheidung reif, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. Sie ist
daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(
2. Das Berufungsgericht wird die von der Beschlusskompetenz zu trennende
Frage beurteilen müssen, ob die angefochtenen Beschlüsse der Wohnungseigentümer
ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Dazu hat es - von
seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Der
Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
a) Bei der Frage, ob ein auf der Grundlage von
Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans ordnungsmäßiger
Verwaltung entspricht, kann im Ausgangspunkt auf die bisherige Rechtsprechung
des Senats zur Zulässigkeit einer erneuten Beschlussfassung der
Wohnungseigentümergemeinschaft zurückgegriffen werden. Jeder Wohnungseigentümer
kann nach
Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses
berücksichtigt (vgl. Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 - V ZR 246/21, NJW
2023, 2190 Rn. 10; Beschluss vom 25. September 2003 - V ZB 21/03, BGHZ
156, 192, 202 f.; Beschluss vom 20. Dezember 1990 - V ZB 8/90, BGHZ 113,
197, 200). Angesichts der Gefahr, dass mittelbar eine Erwerberhaftung begründet
wird und die Verjährungsvorschriften umgangen werden, ist bei der Entscheidung
über einen auf den Wirtschaftsplan bezogenen Zweitbeschluss Zurückhaltung
geboten; ob die Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht,
lässt sich nur nach sorgfältiger Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls
feststellen. Ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans
wird regelmäßig nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen,
wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen
und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt
werden.
b) Bei der vorzunehmenden Abwägung sind insbesondere folgende Gesichtspunkte
von Bedeutung:
aa) Sofern der auf den Wirtschaftsplan bezogene Beschluss rechtskräftig
für unwirksam erklärt wurde, entspricht ein inhaltsgleicher Zweitbeschluss auch
nach Ablauf des Wirtschaftsjahres ohne weiteres ordnungsmäßiger Verwaltung.
Es besteht in derartigen Fällen ein besonderes Bedürfnis für einen Zweitbeschluss.
Denn bei den Vorschüssen aufgrund des Wirtschaftsplans handelt es
sich um das zentrale Finanzierungselement der Wohnungseigentümergemeinschaft.
Der Beschluss über die Vorschusszahlung bleibt auch nach der Jahresabrechnung
Anspruchsgrundlage (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 2012 - V ZR
171/11,
Der GdWE wäre ohne Zweitbeschluss die finanzielle Grundlage für das betroffene
Wirtschaftsjahr entzogen; sie wäre in ihrer Handlungsfähigkeit stark beschränkt.
Daher überwiegt das Interesse der GdWE, einen Wohnungseigentümer
zu verpflichten, rückständige Beiträge aus einem Zeitraum vor dem Eigentumserwerb
zu zahlen, die eigentlich von dem Voreigentümer zu tragen sind. Etwaige
Ausfälle bei den Vorschüssen müssten andernfalls ohnehin durch eine Son-
derumlage ausgeglichen werden, die von den aktuellen Eigentümern aufzubringen
wäre. Erwerber können sich insoweit im Verhältnis zu dem Voreigentümer
ggf. vertraglich absichern.
bb) Ein Bedürfnis, einen Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des
Wirtschaftsplans in einem folgenden Wirtschaftsjahr durch einen Zweitbeschluss
zu ersetzen, besteht ebenfalls, wenn berechtigte Zweifel an seiner Wirksamkeit
bestehen. Dann müssen die Wohnungseigentümer davon ausgehen, dass ihre
Vorschusszahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt sind und es an einem verpflichtenden
Schuldgrund fehlt. Diese Unsicherheit dürfen sie durch einen Zweitbeschluss
beheben (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 168/13, NZM
2014, 436 Rn. 21).
(1) Hier nimmt das Berufungsgericht allerdings im Ausgangspunkt zutreffend
an, dass die Erstbeschlüsse über die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016
bis 2018 trotz der Ladungsmängel mangels Anfechtung gemäß
gültig sind.
(a) Die Einberufung der Eigentümerversammlungen in den Jahren 2016
bis 2018 entsprach zwar nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes.
Entgegen
nicht zu den Versammlungen eingeladen.
(b) Das führt aber nicht zur Nichtigkeit der Beschlüsse. Es entspricht ständiger
Rechtsprechung des Senats, dass die in
Eigentümerversammlung geregelten Formvorschriften nicht zu den zwingen-
den Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes gehören,
weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen abgeändert werden können.
Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer führt deshalb regelmäßig
nur zur Anfechtbarkeit der in der Eigentümerversammlung gefassten Be-
(vgl. Senat, Beschluss vom 23. September 1999 - V ZB 17/99,
294 f.). Der Senat hat die Nichtigkeit der Beschlüsse, ohne dass es darauf ankam,
lediglich für den Fall erwogen, dass ein Wohnungseigentümer in böswilliger
Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll (vgl. Senat, Urteil
vom 20. Juli 2012 - V ZR 235/11,
festzuhalten ist, hat der Senat zuletzt vor dem Hintergrund der damit einhergehenden
Rechtsunsicherheit dahinstehen lassen (vgl. Senat, Urteil vom
8. März 2024 - V ZR 80/23,
- von der Revision nicht angegriffen - einen böswillig herbeigeführten Teilnahmeausschluss
der Klägerin zu 1 bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ohnehin nicht
festgestellt.
(2) Ob berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit eines auf den Wirtschaftsplan
bezogenen Beschlusses bestehen, beurteilt sich allerdings nicht nach der
objektiven Rechtslage, sondern nach den Erkenntnissen der Wohnungseigentümer
im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Es bedarf konkreter Umstände, welche
aus Sicht der Wohnungseigentümer bei vernünftiger Betrachtung die Annahme
der Unwirksamkeit nahelegen. Derartige Umstände liegen etwa vor, wenn ein
Gericht den Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans bei
der Entscheidung über die Zahlungsklage des Verbands inzident als nichtig ansieht
oder vor anderweitiger Beendigung des Verfahrens jedenfalls die Ansicht
vertreten hat, dass es sich so verhalten könnte. Hierzu wird das Berufungsgericht
Feststellungen zu treffen haben. Sind die Voraussetzungen erfüllt, nach denen
berechtigte Zweifel bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die Erstbeschlüsse
tatsächlich nichtig sind. Dass die Klägerin zu 1 in ihrer Rolle als Streithelferin in
dem Vorprozess den Nichtigkeitseinwand erhoben hat, begründet nach den vorstehenden
Grundsätzen für sich genommen noch keine berechtigten Zweifel an
der Wirksamkeit der Erstbeschlüsse.
cc) Steht nicht rechtskräftig fest, dass der Erstbeschluss ungültig ist, darf
der Zweitbeschluss ferner nicht mit dem Ziel gefasst werden, Verjährungsvorschriften
zu umgehen.
(1) Eine erneute Beschlussfassung darf nur der Beseitigung der Mängel
des Erstbeschlusses dienen, welche die berechtigten Zweifel an dessen Wirksamkeit
begründen. Deshalb entspricht es regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung,
den Zweitbeschluss möglichst zeitnah nach der Kenntnisnahme der Umstände
zu fassen, welche die berechtigten Zweifel begründen. Eine erneute Beschlussfassung
noch während des laufenden Wirtschaftsjahres begegnet im Normalfall
keinen Bedenken.
(2) Damit die Verjährungsvorschriften nicht umgangen werden, wird es
insbesondere nach längerem Zeitablauf der Rücksichtnahme auf die Belange
einzelner Wohnungseigentümer in der Regel entsprechen, dass die GdWE vor
erneuter Beschlussfassung zunächst eine Klage auf Zahlung rückständiger Vorschüsse
gegen säumige Wohnungseigentümer erhebt. Je mehr Zeit seit der Fassung
des Erstbeschlusses vergangen ist, desto höhere Anforderungen sind an
die Unzumutbarkeit einer vorherigen Zahlungsklage zu stellen. Im Rahmen der
Zahlungsklage prüft das mit der Klage befasste Gericht inzident die Wirksamkeit
des vorangegangenen Beschlusses und darüber hinaus die etwaige Verjährung
der Ansprüche. Bleibt die Zahlungsklage deshalb erfolglos, weil der Beschluss
inzident für nichtig gehalten wird, oder wird das Verfahren anderweitig beendet,
nachdem das Gericht eine dahingehende Rechtsansicht vertreten hat, kann ein
Zweitbeschluss erfolgen. Wird die Zahlungsklage hingegen (auch) wegen Verjährung
abgewiesen, widerspricht es regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung,
anschließend zwecks Neubegründung der Rückstände einen Zweitbeschluss zu
fassen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:20.09.2024
Aktenzeichen:V ZR 235/23
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
WEG §§ 23 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1