Internationale Gerichtszuständigkeit für Entscheidungen über Vertragsstreitigkeiten
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letzte Aktualisierung: 5.2.2016
BGH , 16.10.2015 - V ZR 120/14
Internationale Gerichtszuständigkeit für Entscheidungen über Vertragsstreitigkeiten
1. Die Gerichte des Orts, an dem die Primärverpflichtung aus einem Vertragsverhältnis im Sinne
von
worden ist oder zu erfüllen war, sind auch für die Entscheidung über die aus der verletzten Primärverpflichtung
abgeleiteten Sekundäransprüche international zuständig.
2. Das Revisionsgericht kann die Sache unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen,
wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung
die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre.
ECLI:DE:BGH:2015:161015UVZR120.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 120/14 Verkündet am:
16. Oktober 2015
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2015 - V ZR 120/14 - OLG Schleswig
LG Kiel
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Oktober 2015 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers werden der Beschluss des 11. Zivilsenats
des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in
Schleswig vom 28. April 2014 und das Urteil der 12. Zivilkammer
des Landgerichts Kiel vom 13. Dezember 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das Landgericht
Kiel zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 15. Dezember 2010 kaufte der in Deutschland
ansässige Kläger von den in Dänemark ansässigen Beklagten ein Hausgrundstück
in Schleswig-Holstein für 114.000 € unter Ausschluss einer Haftung
für Sachmängel. Er erfuhr im Juli 2011 von einem Nachbarn, dass dieser sich
im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit dem verstorbenen
Vater der Beklagten auf die Erlaubnis, an das Haus auf dem Grundstück des
Klägers anzubauen und auf einen Ausgleich in Höhe von 10.000 € geeinigt habe,
wovon die Beklagten gewusst hätten. Er sieht sich von ihnen arglistig ge-
täuscht und verlangt Ersatz für Aufwendungen und Nachteile, die ihm als Folge
des Anbaus entstanden seien (Kostenermittlung 535,50 €, Renovierungskosten
19.249,50 €, Mietausfall 24.365 €, Kosten für den Hinzuerwerb einer Fläche
von 1 m² für 250 €). Davon verlangt er Zahlung eines erstrangigen Teilbetrags
von 19.499,50 € nebst Zinsen sowie Feststellung der gesamtschuldnerischen
Verpflichtung der Beklagten, ihm alle weiteren Aufwendungen „von der Hand
zu halten, hilfsweise zu erstatten“, die ihm aus dem Anbau entstehen.
Das Landgericht hat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit der
deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat
das Oberlandesgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem Senat
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagten
beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht begründet die Abweisung der Klage als unzulässig
mit der Erwägung, der einzige in Betracht zu ziehende Gerichtsstand in
Deutschland, nämlich der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1
der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG Nr. L 12
S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 280/2009 vom 6. April 2009,
ABl. EU Nr. L 93 S. 13 - EuGVVO alt) sei nicht begründet. Zwar gelte dieser
Gerichtsstand auch für Sekundäransprüche. Dabei sei aber nicht auf den ursprünglichen
Erfüllungsanspruch abzustellen, sondern auf die konkret streitige
Verpflichtung. Das sei ein Zahlungsanspruch, so dass die Gerichte am Wohnsitz
der Beklagten international zuständig seien.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die
deutschen Gerichte sind international zuständig.
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt sich
im vorliegenden Fall noch nach den Bestimmungen der bisherigen Verordnung
(EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO alt). Diese Verordnung ist im Verhältnis zum Königreich
Dänemark auf Grund von Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der
Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen vom 19. Oktober 2005 (ABl. EU Nr. L 299 S. 62)
anwendbar. Das gilt nach Art. 3 Abs. 1 des Abkommens nicht für Änderungen
der genannten Verordnung wie die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU Nr. L 351 S. 1, zuletzt geändert
durch Verordnung (EU) Nr. 2015/281 vom 26. November 2014, ABl.
EU Nr. L 54 S. 1 - EuGVVO neu). Sie werden nach Art. 3 Abs. 2 des Abkommens
erst nach einer entsprechenden Entscheidung Dänemarks anwendbar.
Eine solche Entscheidung änderte indessen nach
an der Geltung der bisherigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001, weil diese auf vor
dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 eingeleitete Gerichtsverfahren
wie das vorliegende weiterhin anzuwenden ist.
2. Die deutschen Gerichte sind für den geltend gemachten Anspruch auf
Schadenersatz wegen Sachmängeln aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts
nach
a) Diese Vorschrift begründet zwar nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Union keinen einheitlichen Gerichtsstand für alle
Verpflichtungen aus einem Vertrag etwa an dem Ort, an dem die vertragscharakteristische
Leistung zu erbringen wäre (EuGH, Urteile vom 15. Januar 1987
- Rs. C-266/85 - Shenavai/Kreischer, ECLI:EU:C:1987:11 Rn. 17 f. und vom
5. Oktober 1999 - Rs. C-420/97 - Leathertex, ECLI:EU:C:1999:483 Rn. 36). In
Abhängigkeit von den Orten, an denen sie zu erfüllen sind, können sich danach
unterschiedliche Gerichtsstände für die einzelnen Primärverpflichtungen ergeben.
Das bedeutet aber nicht, dass auch für die Primärverpflichtung und die
aus ihrer Verletzung abgeleiteten Sekundärverpflichtungen unterschiedliche
Gerichtsstände bestünden. Vielmehr bestimmt sich der Gerichtsstand solcher
Ansprüche nicht danach, wo diese selbst zu erfüllen wären, sondern danach,
wo der Primäranspruch, an den sie anknüpfen, zu erfüllen war oder erfüllt wurde
(EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1976 - Rs. C-14/76 - de Bloos,
ECLI:EU:C:1976, 134 Rn. 15/17, vom 15. Januar 1987 - Rs. C-266/85
- Shenavai/Kreischer, ECLI:EU:C:1987:11 Rn. 9 und vom 5. Oktober 1999
- Rs. C-420/97 - Leathertex, ECLI:EU:C:1999:483 Rn. 31; BGH, Urteile vom
11. Dezember 1996 - VIII ZR 154/96,
7. Dezember 2000 - VII ZR 404/99, WM 2001 904, 905; öst. OGH, Beschluss
27. Januar 1998 - 7 Ob 375/97s, www.ris.bka.gr.at; Czernich/Kodek/Mayr,
Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht,
Rn. 30; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5
EuGVVO [alt] Rn. 37). Diese Rechtsprechung ist zwar zu dem Europäischen
Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Übereinkommen und dem Luganer Übereinkommen
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ergangen. Der Gerichtshof
hat aber entschieden, dass die hier noch anzuwendende bisherige Verordnung
Nr. 44/2001 genauso auszulegen ist, ausgenommen nur den hier nicht gege-
benen Fall, dass der Verordnungsgeber bewusst von dem Übereinkommen
abgewichen ist (Urteil vom 23. April 2009 - Rs. C-533/07 - Falco,
ECLI:EU:C:2009:257 Rn. 54 f.). Für den hier geltend gemachten Anspruch auf
Schadensersatz wegen Sachmängeln ist deshalb der Erfüllungsort der Primärleistung
des Verkäufers - der Verpflichtung zur Verschaffung von Eigentum und
Besitz an dem verkauften Grundstück - maßgeblich. Dieser bestimmt sich gemäß
Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c VO (EG) Nr. 593/2008 (vom 17. Juni 2008, ABl.
EU Nr. L 177 S. 6 - sog. Rom I Verordnung) bei Grundstückskaufverträgen
nach dem Belegenheitsstatut, hier also nach deutschem Recht. Danach liegt
der Erfüllungsort in Deutschland.
b) Das von dem Berufungsgericht angeführte Urteil des Gerichtshofs in
der Rechtssache Besix/WABAG (Rs. 256/00, ECLI:EU:C:2002, 99) ergibt
nichts anderes. Danach ist zwar ein einheitlicher Erfüllungsort zu bestimmen,
wenn eine vertragliche Primärverpflichtung an einer Vielzahl von Orten zu erfüllen
ist, nämlich derjenige, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung
aufweist (aaO Rn. 32). Um eine solche Fallgestaltung geht es hier aber
nicht. Der Schadensersatzanspruch wird aus der Verletzung der Primärverpflichtung
abgeleitet, das verkaufte Grundstück in vertragsgemäßem Zustand
zu übereignen und zu übergeben. Diese Verpflichtung ist nur in Deutschland zu
erfüllen.
c) Unbehelflich ist auch die Berufung auf die Urteile des OLG Saarbrücken
vom 16. Februar 2011 (1 U 574/09,
OLG Köln vom 16. Dezember 2008 (9 U 47/07, juris Rn. 38, 44). Beide folgen
der dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs.
3. Auch für den weiter geltend gemachten, materiell-rechtlich konkurrierenden
Anspruch des Klägers aus der Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten
ist ein Gerichtsstand in Deutschland gegeben.
a) Es spricht viel dafür, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach
ist. Zwar können Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher
Pflichten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom
17. September 2001 - Rs. C-334/00 - Tacconi, ECLI:EU:C:2002:499 Rn. 23,
27) nicht in diesem Gerichtsstand, sondern nur im Gerichtsstand der unerlaubten
Handlung nach
Abbruchs der Vertragsverhandlungen nicht zum Vertragsschluss kommt
(Beispiel: öst. OGH, JBl 2007, 800, 803) oder eine vertragsfremde Person, z.B.
ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, in Anspruch genommen werden soll (Beispiel:
öst. OGH,
zu dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist aber der Umstand, dass es
in solchen Fällen an einer „freiwillig eingegangenen Verpflichtung“ fehlt (EuGH,
Urteil vom 17. September 2001 - Rs. C-334/00 - Tacconi, ECLI:EU:C:2002:499
Rn. 23). Es liegt daher nicht fern anzunehmen, dass der Gerichtsstand des Erfüllungsorts
der Primärleistung maßgeblich ist, auf die sich die verletzte vorvertragliche
Pflicht bezieht, wenn - wie hier - der Vertrag tatsächlich zustande
kommt und der Vertragspartner in Anspruch genommen wird (in diesem Sinne
etwa: EuGH, Urteil vom 14. Mai 2009 - Rs. C-180/06 - Ilsinger,
ECLI:EU:C:2009:303 Rn. 57 allerdings obiter zu einer Gewinnzusage;
Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht,
2. Aufl., Art. 5 Brüssel I Verordnung [EuGVVO alt] Rn. 27 aE; Mankowski
in Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 55; Schlosser,
EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl.,
in Simons/Hausmann, Brüssel-I-Verordnung, dt. Ausgabe, Art. 5 Rn. 19; in diesem
Punkt unklar: Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht,
3. Aufl.,
Zivilprozessrecht, 9. Aufl.,
werden muss die Frage nicht, weil die deutschen Gerichte hier in einem
wie im anderen Fall international zuständig sind.
b) Können Ansprüche wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten
im Gerichtstand des Erfüllungsorts geltend gemacht werden,
käme es - ebenso wie bei Sekundäransprüchen - nicht auf den Ort an, an dem
der aus der Verletzung folgende Anspruch zu erfüllen ist, sondern auf den Ort,
an dem die Primärpflicht aus dem zustande gekommenen Vertrag zu erfüllen
ist, auf die sich die verletzte Aufklärungspflicht bezieht. Denn die Zuständigkeit
ist insoweit umfassend (Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstandsund
Vollstreckungsrecht,
Deutschland zu erfüllende Eigentumsverschaffungspflicht. Müsste der aus der
verletzten Aufklärungspflicht abgeleitete Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten
Handlung verfolgt werden, käme es nach
an, wo das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
Das sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl der Handlungsals
auch der Erfolgsort (Urteile vom 16. Mai 2013 - Rs. C-228/11 - Melzer,
ECLI:EU:C:2013:305 Rn. 25 und vom 3. Oktober 2013 Rs. C-170/12 - Pinckney,
ECLI:EU:C:2013, 635 Rn. 26). Beide liegen hier in Deutschland. Aufklärungspflichten
sollen im Inland verletzt worden sein. Auch der Schaden ist im
Inland eingetreten, da das Grundstück hier liegt und der Kläger hier ansässig
ist.
III.
Der Beschluss des Berufungsgerichts kann deshalb keinen Bestand haben.
Weil sich die Vorinstanzen - bei ihrem Ausgangspunkt konsequent - mit
den geltend gemachten Ansprüchen nicht inhaltlich befasst und die erforderlichen
tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen haben, ist die Sache nicht zur
Endentscheidung reif.
Der Beschluss des Berufungsgerichts ist aufzuheben. Die Sache ist hier
zur neuen Verhandlung und Entscheidung nicht an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
sondern an das Landgericht. Eine solche Möglichkeit hat der
Bundesgerichtshof bislang für den Fall anerkannt, dass das Berufungsgericht
auf Grund der neuen Verhandlung die Sache an das Landgericht zurückverweisen
müsste (Urteil vom 24. September 1998 - IX ZR 371/97,
333). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zurückverweisung besteht nach geltendem
Recht zwar nicht mehr. Die Zurückverweisung stünde nach § 538
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts. Das Revisionsgericht
kann die Sache aber unmittelbar an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen,
wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen
Verhandlung die ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts
wäre. So liegt es hier. Der Kläger hat die Zurückverweisung an das Landgericht
schon im Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren vor dem Senat beantragt.
Die Beklagten haben nicht auf einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht
bestanden und nichts dafür vorgebracht, was es rechtfertigen
würde, dem Kläger die erste Tatsacheninstanz zu nehmen. Dann ist es ermessengerecht,
wenn das Revisionsgericht die Sache unmittelbar an das Landgericht
zurückverweist. Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:16.10.2015
Aktenzeichen:V ZR 120/14
Normen in Titel:EGV 44/2001 Art. 5 Nr. 1a; EUV 1215/2012 Art. 7 Nr. 1a