BGH 12. März 2025
IV ZR 88/24
BGB §§ 199 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, 1600d Abs. 5, 2317 Abs. 1

Verjährung des Pflichtteilsanspruchs; Entstehung des Pflichtteilsanspruchs mit dem Erbfall; Rechtswirkungen der Feststellung der Vaterschaft

letzte Aktualisierung: 10.4.2025
BGH, Urt. v. 12.3.2025 – IV ZR 88/24

BGB §§ 199 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, 1600d Abs. 5, 2317 Abs. 1
Verjährung des Pflichtteilsanspruchs; Entstehung des Pflichtteilsanspruchs mit dem Erbfall;
Rechtswirkungen der Feststellung der Vaterschaft

1. Für die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auch dann
die Regelung in § 2317 Abs. 1 BGB maßgeblich, wenn der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt des
Erbfalls aufgrund der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB an einer erfolgversprechenden
Geltendmachung des Anspruchs gehindert ist.
2. Kenntnis von den Anspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1
BGB erfordert beim Pflichtteilsanspruch des nichtehelichen Kindes nach seinem Vater auch die
Kenntnis von der wirksamen Anerkennung bzw. der rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung der
Vaterschaft. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB beginnt die Verjährungsfrist eines entstandenen
Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des
Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind der Pflichtteilsanspruch
und damit auch der Auskunfts-/Wertermittlungsanspruch nicht verjährt.
Diese Ansprüche verjährten grundsätzlich gemäß §§ 195, 199 BGB
innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist mit der Höchstverjährungsfrist
in § 199 Abs. 3a BGB. Da der Anspruch der Klägerin erst im Jahr 2022
mit der rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellung der Vaterschaft
des Erblassers entstanden sei, sei die Zustellung der Klageschrift am
17. April 2023 in nicht rechtsverjährter Zeit erfolgt. Ein Anspruch sei nach
den allgemeinen Grundsätzen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden,
sobald der Berechtigte den Anspruch erstmals geltend machen
und notfalls Klage erheben könne, um die Hemmung der Verjährung zu
erreichen. Im Zeitpunkt des Erbfalls habe die Klägerin den Beklagten nicht
auf Auskunft oder Auszahlung des Pflichtteils in Anspruch nehmen können,
da diesem Vorgehen § 1600d Abs. 5 BGB entgegengestanden habe.

Diese Vorschrift hindere das nichteheliche Kind daran, seine Ansprüche
aus der Vaterschaft vor der Vaterschaftsfeststellung gerichtlich zu verfolgen.
Dementsprechend habe der Lauf der Verjährungsfrist nicht beginnen
können, bevor dieses Hindernis durch die nachträgliche Feststellung der
Vaterschaft des Erblassers im Jahr 2022 behoben worden sei. Dem stehe
auch die Regelung des § 2317 Abs. 1 BGB nicht entgegen, denn diese
werde durch § 1600d Abs. 5 BGB überlagert. Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs
beginne in Fällen der vorliegenden Art nicht vor Feststellung
der Vaterschaft.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen
Begründung durfte das Berufungsgericht eine Verjährung der Ansprüche
der Klägerin auf Auskunft und Wertermittlung nicht verneinen und einen
Anspruch insoweit nicht zuerkennen.

1. Noch zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen,
dass die Klägerin nach rechtskräftiger und rückwirkender gerichtlicher
Feststellung der Vaterschaft des Erblassers gemäß § 1592 Nr. 3, § 1600d
BGB zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge im Sinne der
§ 1924 Abs. 1, § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB gehört und ihr aufgrund des sie
enterbenden Testaments vom 7. Februar 2017 gegen den Beklagten
Pflichtteils- sowie Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche nach § 2303
Abs. 1, § 2314 Abs. 1 BGB zustehen.

2. Zu Recht wendet sich die Revision aber dagegen, dass das Berufungsgericht
die Voraussetzungen von § 195, § 199 Abs. 1, § 214
Abs. 1 BGB verneint hat. Der Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB
sowie die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus § 2314 Abs. 1
BGB unterliegen der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB. Gemäß
§ 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres,
in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den
den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners
Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).
a) Der Pflichtteilsanspruch ist gemäß § 2317 Abs. 1 BGB, der die
Entstehung des Pflichtteils an den Erbfall anknüpft, am 5. August 2017
entstanden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt der
Umstand, dass die Vaterschaft des Erblassers erst postmortal im Jahr
2022 rechtskräftig gerichtlich festgestellt worden ist, im Zusammenwirken
mit der Vorschrift des § 1600d Abs. 5 BGB nicht dazu, dass der Anspruch
im Jahr 2022 entstanden ist.

aa) Gemäß § 1600d Abs. 5 BGB können die Rechtswirkungen der
Vaterschaft, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom
Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden. Die Bestimmung
enthält eine Rechtsausübungssperre (vgl. Senatsurteil vom 13. November
2019 - IV ZR 317/17, ZEV 2020, 101 Rn. 19; BGH, Beschluss vom
29. Januar 2020 - XII ZB 580/18, FamRZ 2020, 577 Rn. 27; jeweils noch
zur Vorgängerregelung § 1600d Abs. 4 BGB in der bis zum 30. Juni 2018
geltenden Fassung). Aus ihr folgt, dass auch der auf die Vaterschaft eines
Erblassers gestützte Pflichtteilsanspruch in den Fällen des § 1600d BGB
erst mit wirksamer Feststellung derselben mit Erfolg geltend gemacht werden
kann (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1982 - IVa ZR 29/81,
BGHZ 85, 274 [juris Rn. 9] noch zur Vorgängerregelung § 1600a Satz 2
BGB in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung).

bb) Dies führt aber nicht dazu, dass der Zeitpunkt der Entstehung
des Pflichtteilsanspruchs bis zur Rechtskraft der postmortalen Vaterschaftsfeststellung
hinausgeschoben ist. Eine derartige Rechtswirkung
ergibt sich insbesondere nicht in Anlehnung an unterhaltsrechtliche
Grundsätze. Im Unterhaltsrecht ist anerkannt, dass die Verjährungsfrist
für den Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes nicht vor der
rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft in Lauf gesetzt werden kann
(vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2017 - XII ZB 56/16, NJW 2017, 1954
Rn. 14, 16 m.w.N.). Zum Teil wird dies auf § 205 BGB gestützt (Rauscher
in Staudinger (2011) BGB, § 1594 Rn. 16, § 1600d Rn. 92) bzw. ist aus
§ 202 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung abgeleitet
worden (RGZ 173, 15, 17; Böckermann in RGRK-BGB, 12. Aufl.
§ 1600a Rn. 35; offengelassen im Senatsurteil vom 27. Februar 1980
- IV ZR 125/78, BGHZ 76, 293, 298 [juris Rn. 11]). Nach anderer Ansicht
ist der Unterhaltsanspruch bis zur rechtskräftigen Vaterschaftsfeststellung
noch nicht gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden (OLG Celle
FamRZ 2018, 98 [juris Rn. 53]; Jacoby in Staudinger (2024) BGB, § 205
Rn. 23; Piekenbrock in BeckOGK-BGB, § 199 Rn. 83 [Stand: 1. Dezember
2024]; Obermann NZFam 2017, 458; offengelassen im Senatsurteil vom
6. Oktober 1967 - IV ZR 105/66, BGHZ 48, 361, 366 f. [juris Rn. 19]; in
BGH, Urteil vom 20. Mai 1981 - IVb ZR 570/80, FamRZ 1981, 763 [juris
Rn. 14] und in BSGE 73, 103 [juris Rn. 15 ff.]; vgl. zur Problematik auch
Senatsurteil vom 13. November 2019 - IV ZR 317/17, ZEV 2020, 101
Rn. 20). Selbst wenn man hinsichtlich unterhaltsrechtlicher Ansprüche
letzterer Ansicht folgen würde, kann diese Sichtweise nicht auf die Entstehung
des Pflichtteilsanspruchs übertragen werden.

(1) Hiergegen spricht bereits der eindeutige Wortlaut des § 2317
Abs. 1 BGB, wonach der Anspruch auf den Pflichtteil mit dem Erbfall entsteht.
Bei der Anwendung von Verjährungsvorschriften kommt dem Wortlaut
des Gesetzes besondere Bedeutung zu. Dem Verjährungsrecht liegt
der Gedanke zugrunde, dass gewisse tatsächliche Zustände, die längere
Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, im Interesse des Rechtsfriedens
und der Rechtssicherheit nicht mehr infrage gestellt werden sollen.
Da der Rechtsverkehr klare Verhältnisse erfordert und die Vorschriften
über die Verjährung dementsprechend eine formale Regelung enthalten,
ist es grundsätzlich geboten, sich bei der Anwendung solcher Vorschriften
eng an deren Wortlaut zu halten (Senatsurteil vom 13. November
2019 - IV ZR 317/17, ZEV 2020, 101 Rn. 23; BGH, Urteil vom
30. September 2003 - XI ZR 426/01, BGHZ 156, 232, 243 53]).
Dies gilt auch für Vorschriften, bei denen es sich zwar nicht um eine Verjährungsvorschrift
im engeren Sinn handelt, die aber - wie hier § 2317
Abs. 1 BGB - eine Tatbestandsvoraussetzung der Verjährung näher regeln.

(2) Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt sich kein
anderes Verständnis. Ausweislich der "Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen
Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band V, Erbrecht " sah
es die Erste Kommission als "selbstverständlich" an, "dass der Pflichtteilsanspruch
für den Pflichtteilsberechtigten kraft des Gesetzes mit dem Erb-
". "Die Aufnahme der dies aussprechenden
Vorschrift " wurde damit begründet, dass sich dies " sowohl wegen
der großen praktischen Wichtigkeit derselben als zur Abschneidung möglicher
Zweifel" (S. 417 [zu § 1992 BGB-E I]) rechtfertige. Ausdrücklich werden
in diesem Zusammenhang Zweifel erwähnt, "
nicht unter Umständen in einem späteren Zeitpunkt zur Entstehung ge-
".

Zwar kam der Vorschrift zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch keine
Relevanz für die Frage der Verjährung von Pflichtteilsansprüchen in Fällen
postmortaler Vaterschaftsfeststellung zu. Denn einerseits knüpfte die Verjährung
des Pflichtteilsanspruchs nach § 2332 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch
vom 18. August 1896 (RGBl. 1896, S. 195; im Folgenden:
BGB 1896) nicht an den Zeitpunkt seiner Entstehung, sondern der Kenntniserlangung
bzw. - bei der Verjährungshöchstfrist - des Eintritts des Erbfalls
an (vgl. auch § 1999 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB-E I, § 2197 Abs. 1
BGB-E II) und andererseits konnte ein Pflichtteilsanspruch eines nichtehelichen
Kindes, das nach § 1589 Abs. 2 BGB 1896 (vgl. auch § 30 Abs. 3
BGB-E I, § 15 Abs. 2 BGB-E II) als nicht mit seinem Vater verwandt galt
und damit nicht die Rechtsstellung eines Abkömmlings innehatte, in Ermangelung
eines gesetzlichen Pflichtteilsrechts nach der Vorschrift des
§ 2303 Abs. 1 BGB (vgl. auch § 1975 Abs. 1 BGB-E I, § 2169 Abs. 1
BGB-E II) nicht entstehen.

Aber auch aus der weiteren Rechtsentwicklung ergeben sich keine
Hinweise darauf, dass bei der Begründung eines gesetzlichen Pflichtteilsrechts
des nichtehelichen Kindes sowie der Anknüpfung des Verjährungsbeginns
(auch) an den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs in Fällen
des § 1600d BGB ein vom Wortlaut abweichendes Verständnis des § 2317
Abs. 1 BGB dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte. Nach ersatzloser
Streichung des § 1589 Abs. 2 BGB 1896 und Normierung eines
Pflichtteilsrechts des nichtehelichen Kindes in der - zwischenzeitlich aufgehobenen
- Vorschrift des § 2338a BGB durch das Gesetz über die rechtliche
Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. I,
1243), das mit der Vorschrift des § 1600a Satz 2 BGB erstmals eine
Rechtsausübungssperre, wie sie heute § 1600d Abs. 5 BGB enthält, einführte,
stellte sich die verfahrensgegenständliche Problematik erstmals
mit der Überarbeitung der verjährungsrechtlichen Vorschriften durch das
Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24. September
2009 (BGBl. 2009 I, 3142). Der Pflichtteilsanspruch ist seither den Regelungen
der §§ 195, 199 BGB unterworfen mit der Folge, dass der Verjährungsbeginn
- anders als noch nach § 2332 Abs. 1 BGB 1896 - auch an
die Entstehung des Anspruchs anknüpft. Dass sich sein Entstehen nach
§ 2317 Abs. 1 BGB richtet, hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang
ausdrücklich festgestellt (vgl. BT-Drucks. 16/8954, S. 22 li. Sp.).
Zwar lässt sich aus den Gesetzesmaterialien nicht ersehen, ob der Gesetzgeber
mögliche verjährungsrechtliche Folgen einer Entstehung des
Pflichtteilsanspruchs trotz fehlender gesetzlicher Vaterschaft im Sinne des
§ 1592 BGB und damit trotz fehlender Möglichkeit des Pflichtteilsberechtigten,
seinen Anspruch erfolgreich gerichtlich geltend machen zu können,
bedacht hat. Entscheidend ist aber, dass sich aus den Gesetzesmaterialien
jedenfalls kein anderes Verständnis des Gesetzgebers als das nac h
dem Wortlaut naheliegende ergibt.

(3) Auch Sinn und Zweck der Vorschrift erfordern keine vom Wortlaut
abweichende Auslegung. § 2317 Abs. 1 BGB bestimmt einschränkungslos,
dass der Anspruch mit dem Erbfall entsteht. Hieran knüpfen
dann die beiden Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Entstehung
des Anspruchs) und Nr. 2 (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis
der den Anspruch begründenden Umstände und der Person des
Schuldners) an. Durch die Anwendung dieser allgemeinen Vorschriften
wird den Interessen des Erben und des nichtehelichen Kindes gedient. Der
Erbe hat ein Interesse daran, dass in überschaubarer Zeit Rechtssiche rheit
und -frieden eintritt. Das wäre nicht gewährleistet, wenn die Entstehung
des Anspruchs bis zur Vaterschaftsfeststellung hinausgeschoben
werden könnte, denn für das Verfahren nach § 1600d BGB gibt es keine
Frist (OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 2023 Rn. 46; Grüneberg/Siede, BGB
84. Aufl., § 1600d Rn. 3). Die Interessen des nichtehelichen Kindes werden
durch die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB
in hinreichendem Umfang geschützt.

Eine vom Wortlaut abweichende Auslegung ergibt sich auch nicht
aus dem Umstand, dass der Pflichtteilsanspruch im Einzelfall bereits verjährt
sein könnte, bevor er mit Blick auf die Vorschrift des § 1600d Abs. 5
BGB mit hinreichender Erfolgsaussicht im Klagewege hätte geltend gemacht
werden können, etwa weil die postmortale Vaterschaftsfeststellung
erst nach Ablauf von drei Jahren nach dem Schluss des Jahres, in dem
sich der Erbfall ereignete, erfolgt. Zwar ist für den Entstehungstatbestand
des § 2317 Abs. 1 BGB - anders als für denjenigen des § 199 Abs. 1 Nr. 1
BGB (vgl. BGH, Urteile vom 21. Mai 2019 - II ZR 340/18, NJW 2019, 2461
Rn. 13; vom 16. September 2010 - IX ZR 121/09, WM 2010, 2081 Rn. 22;
Beschluss vom 22. März 2017 - XII ZB 56/16, NZFam 2017, 454 Rn. 13) -
irrelevant, ob der Berechtigte den Anspruch geltend machen und notfalls
im Wege der Klageerhebung durchsetzen kann. Dies hat aber nicht zur
Folge, dass der Anwendungsbereich des § 2317 Abs. 1 BGB - etwa im
Wege einer teleologischen Reduktion - für die Frage, wann der Anspruch
im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden ist, dann nicht eröffnet
ist, wenn der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Rechtsausübungssperre
des § 1600d Abs. 5 BGB entgegensteht. Denn die Verjährung
des Pflichtteilsanspruchs hängt in diesen Fällen nicht nur von der
Entstehung des Anspruchs, sondern auch von der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten
und damit auch von der Vaterschaftsfeststellung ab
(Senatsurteil vom 13. November 2019 - IV ZR 317/17, ZEV 2020, 101
Rn. 34; dort zum Anspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB). Die fehlende Möglichkeit,
den Anspruch gerichtlich geltend zu machen, findet demzufolge
bei der zweiten Voraussetzung des § 199 Abs. 1 BGB Berücksichtigung
(s. nachfolgend unter b)). Dies ist interessengerecht, denn einerseits erhält
der Pflichtteilsberechtigte hierdurch eine realistische Möglichkeit,
nach postmortaler rechtskräftiger Vaterschaftsfeststellung seinen Pflichtteilsanspruch
durchzusetzen, und andererseits wird der Beginn sowohl der
Regelverjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB als auch der Verjährungshöchstfrist
nach § 199 Abs. 3a BGB nicht auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben.

b) Die Klägerin hatte erst mit rechtskräftigem Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens
Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2
Alt. 1 BGB von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person
des Schuldners.

Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen hat ein Gläubiger,
wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte
Person eine Klage erheben kann, die bei verständiger W ürdigung so viel
Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil
vom 16. Mai 2017 - X ZR 85/14, GRUR 2017, 890 Rn. 40; BAG NZA 2013,
785 Rn. 24). Im Fall des Pflichtteilsanspruchs bedarf es auf Seiten des
Pflichtteilsberechtigten der Kenntnis des Erbfalls, der ihn beeinträchtigenden
Verfügung sowie der familiären Verbindung zum Erblasser, aus der
sich ein Pflichtteilsrecht ergibt. Beruht das Pflichtteilsrecht - wie hier - auf
nichtehelicher Abstammung, muss das Kind mithin hinsichtlich des Pflichtteilsrechts
nach seinem Vater unter anderem Kenntnis davon haben, dass
es von diesem abstammt. Dahinstehen kann, unter welchen Voraussetzungen
überhaupt von einer Kenntnis eines Abkömmlings von seiner
eigenen Zeugung ausgegangen werden kann, denn soweit es für den Beginn
der Verjährung auf die Kenntnis der Abstammung ankommt, ist nicht
auf die Kenntnis der diese begründenden äußeren Umstände abzustellen,
sondern mit Rücksicht auf die Sperrwirkung der § 1594 Abs. 1, § 1600d
Abs. 5 BGB auf die Kenntnis von der wirksamen Anerkennung bzw. der
rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft (vgl. OLG
Hamm NJW-RR 1986, 165; Rauscher in Staudinger (2011) BGB, § 1594
Rn. 16). Nur auf diese Weise wird dem Umstand hinreichend Rechnung
getragen, dass der Gesetzgeber auch im Pflichtteilsrecht für die Ausübung
von Rechten des nichtehelichen Kindes, die auf der Abstammung vom
Vater gründen, allein eine biologische Vaterschaft nicht genügen lässt,
sondern eine solche im Rechtssinn fordert. Hier war der Klägerin nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts zwar bereits im Jahr 2017 bekannt,
dass der Erblasser verstorben war und er den Beklagten wirksam durch
ein Testament zu seinem Alleinerben eingesetzt hatte. Sie hatte jedoch
nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze keine Kenntnis von ihrer Abstammung,
denn der Erblasser, der zum Zeitpunkt der Geburt nicht mit
ihrer Mutter verheiratet war, hatte die Vaterschaft weder anerkannt
(§ 1592 Nr. 2 BGB) noch war seine Vaterschaft nach § 1600d BGB oder
§ 182 Abs. 1 FamFG gerichtlich festgestellt (§ 1592 Nr. 3 BGB).

c) Da § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis
der Kenntnis gleichstellt, beginnt die Verjährungsfrist eines entstandenen
Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände
und die Person des Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht
bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich
großem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem
hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit
muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver
Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches
Maß erheblich übersteigt (Senatsurteile vom 25. Mai 2011
- IV ZR 151/09, VersR 2011, 1390 Rn. 6; vom 29. Oktober 2003
- IV ZR 16/03, VersR 2003, 1561 [juris Rn. 16]; vom 29. Januar 2003
- IV ZR 173/01, VersR 2003, 364 [juris Rn. 10], st. Rspr.). Dem Gläubiger
muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit
der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH,
Urteile vom 25. August 2022 - VII ZR 23/21, juris Rn. 18 m.w.N.; vom
29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 14; vom 26. Mai 2020
- VI ZR 186/17, VersR 2020, 1109 Rn. 19). Dafür ist eine Würdigung aller
e des Einzelfalles erforderlich (Senatsurteil vom 29. April 1998
- IV ZR 118/97, VersR 1998, 1231 [juris Rn. 15]).

Hier wäre der Pflichtteilsanspruch der Klägerin angesichts der dreijährigen
Verjährungsfrist (§ 195 BGB) und der Klageerhebung im Jahr
2023 verjährt, wenn der Klägerin vor dem 1. Januar 2020 grobe Fahrlässigkeit
zur Last zu legen wäre, weil sie das gerichtliche Feststellungsverfahren
nach § 1600d Abs. 1 BGB nicht schon früher betrieben und damit
ihre Kenntnis von der Vaterschaft des Erblassers hinausgeschoben hat,
und wenn während des Laufs der Verjährungsfrist kein Hemmungstatbestand
gemäß §§ 203 ff. BGB vorgelegen hätte, der eine Verjährung bis
zum Zeitpunkt der Klageerhebung gehindert hätte. Die Feststellung der
tatsächlichen Voraussetzungen und die Abgrenzung zwischen einfacher
und grober Fahrlässigkeit obliegen im Einzelfall in erster Linie dem
Tatrichter (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2011 - IV ZR 151/09,
VersR 2011, 1390 Rn. 7; vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01,
VersR 2003, 364 [juris Rn. 13]). Da das Berufungsgericht die Voraussetzungen
des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht geprüft hat, sind dem Berufungsurteil
schon keine hinreichenden Feststellungen zu dieser Frage zu entnehmen.
So hat die Klägerin in den Instanzen etwa unter Vorlage eines
Attestes aus dem Jahr 2023 vorgetragen, ihr sei die Durchsetzung von
Ansprüchen aus psychischen Gründen "über lange Zeit" nicht möglich gewesen.
Weiter hat sie behauptet, der Beklagte habe sie nach dem Tod des
Erblassers darauf hingewiesen, dass eine postmortale Vaterschaftsfeststellung
nicht möglich sei. Erst 2022 habe sie erfahren, dass eine Vaterschaft
auch ohne körpereigenes Material gerichtlich festgestellt werden
könne.

Von einer Prüfung der Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB
durch das Berufungsgericht kann auch nicht deswegen abgesehen werden,
weil auf der ersten Stufe der Stufenklage nicht über den Pflichtteilsanspruch,
sondern über die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus
§ 2314 BGB entschieden worden ist. Aus ihrem Charakter als Hilfsansprüche
ergibt sich die wesentliche Einschränkung, dass sie nicht später verjähren
als der Hauptanspruch selbst, nämlich der Pflichtteilsanspruch
(BGH, Urteil vom 2. November 1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 379
[juris Rn. 25 m.w.N.]). Ist der Pflichtteilsanspruch gegen den Erben verjährt
und wird die Verjährungseinrede erhoben, dann kann der Pflichtteilsberechtigte
mit einer Auskunft und Wertermittlung des Erben gemäß
§ 2314 BGB im Allgemeinen nichts mehr anfangen. Deshalb ist sein
gleichwohl gestelltes Informationsverlangen in einer solchen Lage, von
Ausnahmefällen abgesehen, unbegründet (vgl. Senatsurteil vom 9. März
1988 - IVa ZR 272/86, BGHZ 103, 333, 334 [juris Rn. 7]). Ein derartiger
Ausnahmefall liegt hier nicht vor, nachdem sich das Informationsbedürfnis
der Klägerin allein darauf beschränkt, anhand der Auskunft und Wertermittlung
ihren Pflichtteilsanspruch berechnen zu können.

3. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

Insbesondere kann nicht angenommen werden, der Anspruch sei
selbst bei unterstelltem Beginn der Verjährungsfrist spätestens zum
31. Dezember 2019 nicht verjährt, weil dem Beklagten aufgrund der
Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht
zusteht, das die Verjährung gemäß § 205 BGB hemmt. § 205
BGB setzt voraus, dass das Leistungsverweigerungsrecht auf einer Vereinbarung
zwischen Gläubiger und Schuldner beruht. Auf gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte
(BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017
- IX ZR 118/17, NZI 2018, 154 Rn. 15 m.w.N.) und auch die hier in Rede
stehende Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB findet die Vorschrift
keine Anwendung, weil diese nicht auf dem Parteiwillen beruhen
(vgl. Senatsurteil vom 13. November 2019 - IV ZR 317/17, ZEV 2020, 101
Rn. 29).

III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie ist nicht zur Endentscheidung
reif, weil sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt
aus folgerichtig - nicht mit der Frage befasst hat, ob der Anspruch verjährt
ist, insbesondere weil der Klägerin die den Anspruch begründenden Umstände
zu einem Zeitpunkt vor dem 1. Januar 2020 aufgrund grober Fahrlässigkeit
unbekannt waren (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB). Das wird
nachzuholen sein.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

12.03.2025

Aktenzeichen:

IV ZR 88/24

Rechtsgebiete:

Verein
Erbenhaftung
Gesetzliche Erbfolge
Vermächtnis, Auflage
Abstammung (incl. künstliche Befruchtung), Adoption
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)

Normen in Titel:

BGB §§ 199 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, 1600d Abs. 5, 2317 Abs. 1