Keine Rechtskraft einer deklaratorischen Feststellung des Familiengerichts, dass ein Versorgungsausgleich nach § 53d S. 1 FGG nicht stattfindet; Vorrang des § 27 VersAusglG vor den allgemeinen Grundsätzen zur Verwirkung
letzte Aktualisierung: 21.12.2023
OLG München, Beschl. v. 26.9.2023 – 2 UF 356/21
Keine Rechtskraft einer deklaratorischen Feststellung des Familiengerichts, dass ein
Versorgungsausgleich nach
vor den allgemeinen Grundsätzen zur Verwirkung
1. Die Entscheidung des Familiengerichts, dass ein Versorgungsausgleich aufgrund einer
ehevertraglichen Regelung nicht stattfindet, erwächst dann in Rechtskraft, wenn sie auf einer die
Wirksamkeit der Vereinbarung umfassenden Rechtsprüfung beruht. Eine Entscheidung des
Familiengerichts aus dem Jahr 1994, wonach ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, ist lediglich
eine an sich nicht erforderliche deklaratorische Feststellung auf die kraft Gesetzes zur damaligen
Gesetzeslage eintretende Rechtsfolge des
Versorgungsausgleich entbehrlich macht, wenn der Versorgungsausgleich nach
ausgeschlossen ist. Diese lediglich deklaratorische Feststellung erwächst nicht in Rechtskraft.
2. Eine illoyal verspätete Geltendmachung des Versorgungsausgleichs führt nicht zur Verwirkung,
da die Härtefallregelung des
verdrängt.
(Leitsätze der DNotI-Redaktion)
Gründe
I.
Die Antragstellerin macht gegen die Witwe und Alleinerbin ihres geschiedenen Ehemanns die nachträgliche
OLG München, Beschluss v. 26.09.2023 – 2 UF 356/21
Durchführung des Versorgungsausgleichs geltend.
Die Antragstellerin und ihr früherer verstorbener Ehemann haben am ... 1982 die Ehe geschlossen. Zu
diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin mit dem zweiten gemeinsamen Kind schwanger. Wenige Tage vor
der Eheschließung, am ... 1982, schlossen die Antragstellerin und der verstorbene Ex-Ehemann vor dem
Notar Dr. H. W. einen notariellen Ehevertrag, wonach Gütertrennung vereinbart wurde, der
Versorgungsausgleich ausgeschlossen wurde und auf nachehelichen Unterhalt verzichtet wurde. Während
der Ehe betreute die Antragstellerin die beiden gemeinsamen Kinder und war nur geringfügig beschäftigt.
Mit rechtskräftigem Endurteil des Amtsgerichts München vom 05.05.1994 wurde die Ehe aufgrund des am
28.04.1993 zugestellten Scheidungsantrags geschieden.
Ziffer 3 des Tenors des Scheidungsurteils lautet: „Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt“.
In den Entscheidungsgründen ist dazu ausgeführt:
„Ein Versorgungsausgleich findet nicht statt, weil die Parteien diesen in einem notariellen Vertrag gemäß §
1408 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen haben und der Scheidungsantrag erst nach Ablauf eines Jahres
gestellt wurde (
In dem Scheidungsverfahren wurden Auskünfte zum Versorgungsausgleich nicht eingeholt. Ein
Verfahrenswert für die Folgesache Versorgungsausgleich wurde nicht festgesetzt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.01.2021 wurde der Antrag der Antragstellerin auf
Durchführung des Versorgungsausgleichs als unzulässig abgewiesen. Das Amtsgericht führt aus, bei der
Scheidung sei rechtskräftig entschieden worden, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Bei der
gerichtlichen Entscheidung vom 05.05.1994 handele es sich nicht um eine bloß deklaratorische Feststellung,
dass der Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs aufgrund eines
Ehevertrags sei geprüft und bejaht worden. Damit liege eine auch materiell rechtskräftige Sachentscheidung
vor. Auch der BGH habe in der Entscheidung vom 22.10.2008 (BGH
materielle Rechtskraft einer Entscheidung über die Nichtdurchführung des Versorgungsausgleichs aufgrund
eines nach geänderter Rechtsprechung als sittenwidrig zu beurteilenden Ehevertrags angenommen.
Gegen den Beschluss, ihr zugestellt am 20.01.2021, legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.02.2021,
bei Gericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde ein mit dem Antrag, den Versorgungsausgleich
durchzuführen. Sie führt aus, eine inhaltliche Prüfung durch das Amtsgericht dahingehend, ob der
Versorgungsausgleich wirksam ausgeschlossen wurde, sei nicht erfolgt. Daher sei die Feststellung, dass ein
Versorgungsausgleich nicht stattfindet, nicht in Rechtskraft erwachsen. Der Ehevertrag vom 09.02.1982 sei
sittenwidrig, weil er in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife und die Lasten der Ehe evident
einseitig verteile. Der frühere Ehemann habe die Notlage der von ihm schwangeren Antragstellerin
ausgenutzt, einen ehelichen Vater für die Kinder haben zu wollen und eine Absicherung während der Ehe.
Der Versorgungsausgleich sei daher durchzuführen. Eine Verwirkung liege nicht vor. Die Antragstellerin habe
erst kurz vor dem Tod des früheren Ehemanns von der geänderten Rechtsprechung des BGH zur
Sittenwidrigkeit von Eheverträgen erfahren. Allein der Zeitablauf führe nicht zur Verwirkung.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen. Der Durchführung des Versorgungsausgleichs stehe die materielle
Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 05.05.1994 entgegen. Die richterliche Prüfung habe die
Wirksamkeitsvoraussetzung des
nicht erforderlich gewesen. Der Anspruch auf Durchführung des Versorgungsausgleichs sei auch verwirkt, da
er illoyal verspätet geltend gemacht wurde. Die Antragstellerin habe im gesamten Scheidungsverfahren nie
zum Ausdruck gebracht, dass sie den Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht akzeptiere. Dass die
Antragstellerin aufgrund der damaligen Rechtslage nicht die Möglichkeit gehabt hätte, gegen den Ehevertrag
vorzugehen, sei unerheblich, ebenso sei unerheblich, wann sie von der geänderten Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen erfahren habe.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Auf Antrag der Antragstellerin war der Versorgungsausgleich
nach Scheidung durchzuführen.
1. Die materielle Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 05.05.1994 steht der Durchführung des
Versorgungsausgleichs nicht entgegen.
Eine materiell rechtskräftige Sachentscheidung über den Versorgungsausgleich wurde in der Entscheidung
nicht getroffen. Die Entscheidung des Familiengerichts, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet,
erwächst dann in Rechtskraft, wenn sie auf einer die Wirksamkeit der Vereinbarung umfassenden
Rechtsprüfung beruht (BGH
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Antragstellerin und ihr Ex-Ehemann hatten notariell vereinbart, dass ein
Versorgungsausgleich nicht stattfinden solle. Daher wurde die Folgesache Versorgungsausgleich durch das
damalige Familiengericht nicht eingeleitet. Auskünfte zum Versorgungsausgleich wurden nicht eingeholt.
Auch wurde kein Verfahrenswert für die Folgesache Versorgungsausgleich festgesetzt. Der zum Zeitpunkt
des Urteils am 05.05.1994 geltende
Versorgungsausgleich nicht statt, wenn der Versorgungsausgleich nach
ist.“ Die damals geltende Fassung des
Ehegatten durch eine ausdrückliche Vereinbarung auch den Versorgungsausgleich ausschließen. Der
Ausschluss ist unwirksam, wenn innerhalb eines Jahres nach Vertragsschluss Antrag auf Scheidung der Ehe
gestellt wird.“ Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Inhaltskontrolle und Sittenwidrigkeit von
Eheverträgen stammt erst aus dem Jahr 2004. Erst zum 01.01.2009 wurde
geändert, dass ein Verweis auf
Versorgungsausgleich einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten muss. Die Entscheidung des
Familiengerichts aus dem Jahr 1994, wonach ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, ist daher lediglich
eine an sich nicht erforderliche deklaratorische Feststellung auf die kraft Gesetzes zur damaligen
Gesetzeslage eintretende Rechtsfolge des
Versorgungsausgleich entbehrlich macht, wenn der Versorgungsausgleich nach
ausgeschlossen ist. Diese lediglich deklaratorische Feststellung erwächst nicht in Rechtskraft (BGH FamRZ
2007, 536 m.w.N.). Eine materiell-rechtliche Prüfung des Ehevertrags hat im Rahmen des
Scheidungsverfahrens nicht stattgefunden. Es wurde im Rahmen des
geprüft, ob der Ausschluss unwirksam ist, weil innerhalb eines Jahres nach Vertragsschluss Antrag auf
Scheidung der Ehe gestellt wird.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung des BGH vom
22.10.2008,
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2001 zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen die
Wirksamkeit des Ehevertrags durch das Familiengericht auch im Rahmen des
geprüft wurde.
2. Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs durch notariellen Ehevertrag vom 09.02.1982 ist sittenwidrig.
Der Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts ist betroffen. Durch den Verzicht auf Versorgungsausgleich und
Unterhalt erfolgte eine einseitige Lastenverteilung zum Nachteil der die zwei gemeinsamen Kinder
betreuenden nicht erwerbstätigen Antragstellerin ohne Kompensation (BGH
die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schwanger war, ist auch die subjektive Seite der
Sittenwidrigkeit aufgrund ihrer unterlegenen Vertragsposition gegeben (BGH
3. Der Durchführung des Versorgungsausgleichs steht auch der Einwand der Verwirkung nicht entgegen.
Allein eine illoyal verspätete Geltendmachung des Versorgungsausgleichs führt nicht zur Verwirkung. Die
Härtefallregelung des
Beschluss vom 17.01.2007, XII ZB 168/01). Demnach ist eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände
vorzunehmen und zu prüfen, ob die Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz des langen Zeitablaufs
nicht als grob unbillig anzusehen ist. Der Maßstab ist dabei strenger als im Rahmen des
(Grüneberg-Siede 82. Aufl. 2023,
Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts der relativ geringen Höhe der auszugleichenden Anwartschaft
nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin ihre Lebensumstände bei Kenntnis der Durchführung des
Versorgungsausgleichs anders geordnet hätte und daher auf die ungeteilte Anwartschaft angewiesen wäre.
Auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Dauer der Ehe, nämlich 11 Jahre bei der Antragstellerin und ein
Jahr bei der Antragsgegnerin, sowie der Tatsache, dass die Antragstellerin 2 Kinder mit ihrem früheren
Ehemann hatte und ehebedingt in der Betreuungszeit keine eigenen Anwartschaften erwerben konnte,
während die Ehe der Antragsgegnerin kinderlos blieb und diese eine Witwenrente erhält, kann nicht von
einer groben Unbilligkeit bei Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz des langen Zeitablaufs
ausgegangen werden.
4. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs hat auch zu Lasten des Anrechts der Antragstellerin bei der
gesetzlichen Rentenversicherung zu erfolgen. Zwar haben gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 VersAusglG die
Erben kein Recht auf Wertausgleich, nach
durch den Wertausgleich jedoch nicht bessergestellt werden, als wenn der Versorgungsausgleich
durchgeführt worden wäre.
Damit ergibt sich folgende Berechnung:
Anfang der Ehezeit: ... 1982
Ende der Ehezeit: ... 1993
In der Ehezeit haben die früheren Ehegatten folgende Anrechte erworben:
Bei der D. Rentenversicherung ... hat die Antragstellerin ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 1,9670
Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gemäß
Ausgleichswert mit 0,9835 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47
VersAusglG beträgt 8547,62 DM oder 4370,33 €.
Bei der D. Rentenversicherung ... hat der geschiedene Ehemann ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von
7,8051 Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gemäß
den Ausgleichswert mit 3,9026 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47
VersAusglG beträgt 33.917,59 DM oder 17.341,79 €.
III.
Eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde war auch unter Berücksichtigung von
geboten. Den Beteiligten wurde vor Entscheidung rechtliches Gehör gewährt. Der Sachverhalt ist vollständig
aufgeklärt.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Der Verfahrenswert war gemäß
FamGKG auf das Nettoeinkommen der Ehegatten abzustellen und daher für den zum Zeitpunkt der nach §
34 FamGKG relevanten Antragstellung bereits verstorbenen Ehemann kein Einkommen anzusetzen. Der
sich dann aus § 50 Abs. 1 S.2 FamGKG ergebende Ansatz des Mindestwerts von 1000 € erscheint jedoch
nach den besonderen Umständen des Einzelfalls hier unbillig, da der Mindestwert aus der Besonderheit des
Vorversterbens des sonst beteiligten früheren Ehegatten resultiert und zum anderen vorliegend wesentlich
vom Regelfall des Verfahrensgegenstands Versorgungsausgleich abweichende Rechtsfragen im Hinblick auf
die Zulässigkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs zu klären waren und die zusätzliche Prüfung
der Wirksamkeit des Ehevertrags zu erfolgen hatte. Es erscheint daher angemessen, den Verfahrenswert auf
2000 € festzusetzen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor,
Die Entscheidung ergeht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:26.09.2023
Aktenzeichen:2 UF 356/21
Rechtsgebiete:
Versorgungsausgleich
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
FGG § 53d S. 1; BGB §§ 242, 1408 Abs. 2; VersAusglG §§ 6 Abs. 1, 8 Abs. 1, 27