LG Konstanz 13. Januar 2022
A 11 S 19/21
BGB §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 1829 Abs. 1, 1908i Abs. 1 S. 1

Verstoß einer Betreuerin gegen vorvertragliche Pflichten

letzte Aktualisierung: 3.8.2022
LG Konstanz, Urt. v. 13.1.2022 – A 11 S 19/21

BGB §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 1829 Abs. 1, 1908i Abs. 1 S. 1
Verstoß einer Betreuerin gegen vorvertragliche Pflichten

Eine Betreuerin kann gegen vorvertragliche Pflichten verstoßen, wenn sie aufklärungspflichtige
Umstände nicht offenlegt. Ein fehlendes Einverständnis der Betreuten mit einem Wohnungsverkauf
ist ein solcher offenbarungspflichtiger Umstand, da gegen den Willen der solventen Betroffenen mit
einer Genehmigung der Veräußerung durch das Betreuungsgericht nicht zu rechnen ist.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

Die Berufung hat hinsichtlich der Hauptforderung Erfolg. Den Klägern steht die geltend
gemachte Klageforderung zu. Eine geringfügige Teilabweisung der Klage hat lediglich
hinsichtlich der Nebenforderung (Zeitpunkt des Zinslaufes) zu erfolgen.

1. Die Kläger haben gegen die Beklagte aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 1829
Abs. 1, 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1922 BGB einen Schadensersatzanspruch über 2.345,49
Euro. Die Beklagte hat als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer im Prozessverlauf
verstorbenen Mutter den Klägern die hälftigen Vertragskosten für den notariellen
Kaufvertrag von 1.297,10 Euro sowie die Kosten für die Grundschuldbestellung von
1.048,39 Euro zu erstatten, weil die Betreuerin der Verstorbenen bei den
Vertragsverhandlungen den unzutreffenden Eindruck erweckt hatte, die Verstorbene sei
mit der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung einverstanden.

a)
Die Beklagte haftet als Gesamtrechtsnachfolgerin der Verstorbenen gern.
§ 1922, 1967 BGB für deren Verbindlichkeiten. Die Verstorbene muss sich das Verhalten
ihrer damaligen Betreuerin nach § 278 BGB zurechnen lassen, soweit sie von ihr
innerhalb des übertragenen Aufgabenkreises und Kraft des gesetzlich geregelten
Vertretungsrechts vertreten worden ist (siehe nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.02.2016
I-24 U 102/15).

b)
Die Betreuerin hat gegen vorvertragliche Pflichten verstoßen, indem sie durch die
Verhandlungsführung und insbesondere auch die Äußerung, sie rechne mit der
Genehmigung des Kaufvertrags durch das Betreuungsgericht , den unzutreffenden
Eindruck erweckte, die Betroffene sei mit der Veräußerung der Eigentumswohnung
einverstanden. Gleichzeitig hat die Betreuerin den ihr bekannten Umstand verschwiegen,
dass die Verstorbene noch im Mai 2017 klar geäußert hatte, sie wolle die Wohnung
vorerst behalten und dass seither keine weitere Abklärung zwischen Betreuerin und der
Betroffenen stattgefunden hat.

Durch dieses Verhalten hat die Betreuerin gegen vorvertragliche Pflichten verstoßen. Es
obliegt jeder Vertragspartei, den angehenden Vertragspartner über solche Umstände
aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln können oder aus denen sich besondere
Gefahren bei der Vertragsdurchführung ergeben können und die daher für den anderen
Teil von wesentlicher Bedeutung sind, so dass er nach der Verkehrsauffassung eine
Mitteilung erwarten darf (siehe nur Beck OK BGB, 57. Edition, Stand 01.02.2021, § 311
RdNr. 75 m.N.). Ein fehlendes Einverständnis der Betreuten mit dem Wohnungsverkauf
ist ein solcher offenbarungspflichtiger Umstand, da gegen den Willen der solventen
Betroffenen mit einer Genehmigung, der Veräußerung durch das Betreuungsgericht nicht
zu rechnen war. Bei der vom Betreuungsgericht nach §§ 1908 i, 1822 BGB zu treffenden
Ermessensentscheidung hat sich das Gericht vorrangig an den Wünschen des Betreuten
auszurichten, soweit dies dessen Wohl nicht zuwider läuft und dem Betreuer zumutbar ist
(BayObLG, NJW-RR 1998, 158). Es gehört zu den Grundprinzipien des
Betreuungsrechts, den Wünschen des Betreuten soweit wie möglich den Vorrang
einzuräumen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sein Leben selbst zu gestalten, soweit
sein Wohl dadurch nicht gefährdet wird. Sofern der Betreute ein Rechtsgeschäft ablehnt,
hindert dies die Genehmigung nur dann nicht, wenn das Geschäft notwendig erscheint,
um schweren Schaden von dem Betreuten abzuwenden (Münchener Kommentar zum
BGB, 8. Auflage 2020, § 1908 i, RdNr. 22).

Da die Betreute über ein Barvermögen von etwa 90.000,00 Euro verfügte, kam eine
betreuungsrechtliche Genehmigung der Wohnungsveräußerung gegen den Willen der
Betroffenen rechtlich nicht in Betracht. Die Betreuerin hätte deshalb auf dieses
konkrete Vertragsrisiko hinweisen müssen und offenlegen, dass die Betreute mit der
Veräußerung zunächst nicht einverstanden gewesen ist und dass ihr nicht positiv bekannt
sei, ob sich die Einstellung der Betroffenen geändert habe.

Erst Recht hätte die Betreuerin zwei Tage nach dem Notartermin Veranlassung gehabt,
die ihr nun vermittelte positive Kenntnis, dass die Betreute den Wohnungsverkauf nicht
wünscht, an die Kläger weiter zu leiten, damit diese die Gelegenheit haben, der
Entstehung weiterer Vertragsabwicklungskosten (Grundschuldbestellung) zu verhindern.

c)
Das Verschulden der Betreuerin hat sich die Betreute nach § 278 BGB zurechnen zu
lassen. Die Betreuerin handelte schuldhaft im Sinne des § 276 BGB.
Offen bleiben kann, ob die vom BGH postulierten strengeren Anforderungen an die
Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten beim Grundstückskaufvertrag (siehe nur
BGH, NJW 1996, 1884; DNotZ 2018, 279) auch greifen, wenn, wie vorliegend, die
Formvorschriften des Kaufvertrages eingehalten worden sind und das zunächst
schwebend unwirksame Rechtsgeschäft letztlich erst an der fehlenden
betreuungsrechtlichen Genehmigung scheitert. Insoweit ist zumindest offen, ob noch von
einem, mit dem Schutzzweck der Formvorschrift unvereinbaren indirekten Zwang zum
Vertragsabschluss gesprochen werden kann.

Einer abschließenden Entscheidung bedarf die Frage indes nicht, da auch die vom BGH
geforderte qualifizierte schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt im Sinne eines besonders
schwerwiegenden Treueverstoßes vorliegt.

Als solch qualifizierter Verstoß gilt nach ständiger Rechtsprechung des BGH das
Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Bereitschaft, einen Vertrag
abzuschließen. Dem ist der Sachverhalt gleich zu stellen, dass ein Verhandlungspartner
zwar zunächst eine solche, von ihm geäußerte, Verkaufsbereitschaft tatsächlich gehabt
hat, im Verlaufe der Verhandlung aber innerlich von ihr abgerückt ist, ohne dies zu
offenbaren (BGH, NJW 1996, 1884).

Durch ihr Auftreten in den Vertragsverhandlungen hat die Betreuerin objektiv den
Eindruck erweckt, die Betreute sei mit der Veräußerung einverstanden und diese
Erwartung noch bestärkt, indem sie gegenüber den Klägern äußerte, sie rechne mit einer
Genehmigung der Veräußerung durch das Betreuungsgericht. Ob die Betreuerin zu
diesem Zeitpunkt positiv wusste, dass die Betroffene mit der Veräußerung der Wohnung
nicht einverstanden ist, ist nicht entscheidend. Zumindest war der Betreuerin bekannt,
dass die Betroffene ursprünglich die Wohnung behalten wollte. Soweit sie ohne weitere
Abklärung nach außen den Eindruck vermittelte, die Betroffene sei mit der Veräußerung
einverstanden, steht dies einer Angabe ins Blaue über die Vertragsabschlussbereitschaft
gleich. Hierin liegt zugleich der vom BGH geforderte qualifizierte schuldhafte Verstoß
gegen Treu und Glauben.

Aus dem Schreiben des Betreuungsgerichts vom 29.11.2017 durfte die Betreuerin nicht
die berechtigte Erwartung ableiten, der Wohnungsverkauf werde genehmigt werden, da
das Betreuungsgericht eindeutig zu erkennen gibt, dass keine Notwendigkeit zum
Verkauf der Wohnung besteht, solange die Heimkosten gedeckt sind.

Eine erneute qualifizierte Pflichtverletzung liegt darin, dass die Betreuerin auch nach
positiver Kenntnis des fehlenden Einverständnisses der Betreuten diese Information nicht
an die Kläger weiter geleitet hat, um so zumindest eine Schadensbegrenzung zu
ermöglichen.

d)
Zu ersetzen nach § 249 BGB sind als Vertrauensschaden die - der Höhe nach
unstreitigen - hälftigen Vertragskosten für den Kaufvertrag sowie die weiteren Kosten für
die Grundschuldbestellung. In Kenntnis des fehlenden Einverständnisses der Betroffenen
hätten die Kläger den notariellen Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
Ein etwaiges Mitverschulden der Kläger nach § 254 BGB hinsichtlich der Kosten der
Grundschuldbestelllung tritt hinter die qualifizierte Pflichtverletzung der Betreuerin der
Verstorbenen zurück.

Rückblickend hätte es sich möglicherweise empfohlen, mit der Grundschuldbestellung
abzuwarten, bis geklärt ist, ob das Betreuungsgericht den Kaufvertrag genehmigt. Indes
hat sich nicht das allgemeine Risiko einer offenen Abwägungsentscheidung verwirklicht.
Vielmehr hat sich ein im Vertragsschluss konkret angelegtes und von der Betreuerin
treuwidrig nicht offen gelegtes Risiko verwirklicht. Einem allenfalls als leicht fahrlässig zu
bewertenden Mitverschulden der Kläger steht damit ein qualifizierter Pflichtverstoß
gegenüber, hinter den ein etwaiges Mitverschulden der Kläger völlig zurück tritt (siehe
auch BGH, NJW 1986, 1884, 1885).

2. Die Zinsen sind gern. § 291 BGB ab Rechtshängigkeit geschuldet. Für einen früheren
Zinslauf fehlt ausreichender Vortrag. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 286
BGB nicht dargetan.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 ZPO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Konstanz

Erscheinungsdatum:

13.01.2022

Aktenzeichen:

A 11 S 19/21

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Allgemeines Schuldrecht
Gesetzliche Erbfolge
Beurkundungserfordernis
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 1829 Abs. 1, 1908i Abs. 1 S. 1