Besichtigungsrecht des Vermieters bei Vorliegen eines sachlichen Grundes
letzte Aktualisierung: 17.7.2023
BGH, Urt. v. 26.4.2023 – VIII ZR 420/21
BGB §§ 242, 535
Besichtigungsrecht des Vermieters bei Vorliegen eines sachlichen Grundes
Es besteht eine vertragliche, aus
Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren,
wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund (hier: beabsichtigte Veräußerung der Wohnung)
gibt. Eine solche Pflicht kann sich zudem aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag
ergeben (im Anschluss an Senatsurteil vom 4. Juni 2014 – VIII ZR 289/13,
Rn. 16 f., 20).
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für
das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei (als derzeit unbegründet) abzuweisen. Auch unter Würdigung
ihrer berechtigten Interessen sei den Klägern ein Betretungsrecht zum Zwecke
des Verkaufs der Wohnung vorliegend zu versagen.
Das grundsätzliche Zutrittsrecht der Kläger ergebe sich sowohl aus der
mietvertraglichen Vereinbarung (§ 14 des Mietvertrags) als auch - jedenfalls in
bestimmtem Maße und zu bestimmten Zwecken - aus einer mietvertraglichen
Nebenpflicht gemäß
umfassende Interessenabwägung, insbesondere der grundrechtlich geschützten
Positionen der Mietvertragsparteien. Dies gelte auch für den Fall, dass - wie hier -
dem Vermieter bereits mit einer Formularklausel ein entsprechendes Betretungsrecht
eingeräumt worden sei, da ihm dadurch keine weitergehenden Befugnisse
eingeräumt werden könnten und auch die vertragliche Vereinbarung verfassungskonform
auszulegen sei.
Auf Seiten der Kläger sei im Wesentlichen das durch
Eigentumsrecht zu beachten. Ausfluss dieses Eigentumsrechts sei,
dass grundsätzlich zum Zwecke der Verwertung die Wohnung mit Kaufinteressenten
betreten werden könne.
Dem stünden das grundgesetzlich geschützte Recht der Beklagten an der
Ungestörtheit in der gemieteten Wohnung (
Abs. 1 GG während der Mietzeit geschützte Besitzrecht der Beklagten als Mieterin
sowie das von den staatlichen Organen in jeder Lage des Verfahrens zu beachtende
Grundrecht der Beklagten auf Leben und körperliche Unversehrtheit
(
Bei der derzeitigen gesundheitlichen Situation der Beklagten wiege das
drohende Risiko einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands
bis hin zur Selbsttötung im Lichte von
Interessen der Kläger an der Verwertung der Wohnung.
Die 1982 geborene Beklagte leide ausweislich des psychiatrischen Gutachtens
des Sachverständigen an einem komplexen psychischen Störungsbild
mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen
Störungen. Das Krankheitsbild bestehe seit vielen Jahren und die Beklagte befinde
sich seit über 20 Jahren in - teilweiser stationärer - psychiatrischer Behandlung.
Sie habe mehrfach Suizidversuche unternommen. Trotz der andauernden
fachärztlichen Behandlungsmaßnahmen komme der dem Berufungsgericht als
erfahrener psychiatrischer Gutachter bekannte Sachverständige zu dem überzeugenden
Ergebnis, dass sowohl bei Erlass eines Urteils, das ein Betretungsrecht
zugunsten der Kläger ausspreche, als auch bei dessen Vollstreckung ein
hohes Risiko für Handlungen mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis
hin zum vollendeten Suizid bestehe. Der ohnehin schon schlechte psychische
Gesundheitszustand der Beklagten drohe sich im Falle eines Betretens der Wohnung
durch Dritte weiter zu verschlechtern. Dies liege insbesondere daran, dass
die Wohnung von der Beklagten als einziger Rückzugs- und "Schutz"-Raum gesehen
werde. Die Feststellungen des Sachverständigen stünden im Einklang mit
denjenigen der behandelnden Ärzte.
Maßnahmen, die das Risiko einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands
bis hin zum Suizid im Falle eines Betretens der Wohnung
durch Dritte signifikant verringerten, seien für das Berufungsgericht derzeit nicht
ersichtlich. Nach den Ausführungen des Sachverständigen könne das Risiko
durch weitere medikamentöse oder therapeutische Maßnahmen nicht weiter gesenkt
werden.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden
Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können
Ansprüche der Kläger auf Gewährung von Zutritt zu der von der Beklagten angemieteten
Wohnung aus § 14 Nr. 1 des Mietvertrags beziehungsweise gemäß
Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach § 280 Abs. 1, 2, §§ 286,
288 Abs. 4 BGB nebst Zinsen nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat
- wie die Revision mit Recht rügt - unter Verstoß gegen
von ihm eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten nicht vollständig
gewürdigt.
1. Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen
hat, besteht eine vertragliche, aus § 14 Nr. 1 des Mietvertrags beziehungsweise
Vorankündigung - den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren,
wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund (in § 14 Nr. 1 des Mietvertrags
bezeichnet als "besonderer Anlass") gibt (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2014
- VIII ZR 289/13,
Fall - in der gewünschten Besichtigung der Mietwohnung anlässlich
ihres beabsichtigten Verkaufs mit Immobilienmaklern, Gutachtern und Kaufinteressenten
liegen kann (vgl. hierzu
1. Februar 2023,
§ 535 Rn. 199; BeckOK-BGB/Zehelein, Stand: 1. November 2022, § 535 Rn. 551;
Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl.,
Stand: 18. März 2022,
15. Aufl.,
BGB Rn. 342; Schmid,
a) Während der Dauer des Mietverhältnisses ist das alleinige und uneingeschränkte
Gebrauchsrecht an der Wohnung zwar dem Mieter zugewiesen. Zudem
steht die Wohnung des Mieters als die räumliche Sphäre, in der sich das
Privatleben entfaltet, unter dem Schutz des
gewährleistet, in diesen Räumen "in Ruhe gelassen zu werden" (BVerfGE 89,
1, 23; BVerfG,
289/13,
hat, eine vertragliche, aus
Mieters, dem Vermieter - nach entsprechender Vorankündigung - den Zutritt zu
seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen
Grund gibt (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2014 - VIII ZR 289/13, aaO Rn. 20
mwN). Eine solche Pflicht kann sich zudem - wie hier - aus einer entsprechenden
Vereinbarung im Mietvertrag ergeben (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2014
- VIII ZR 289/13, aaO Rn. 16 f.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht,
15. Aufl.,
Rn. 344; MünchKommBGB/Häublein, 9. Aufl., § 535 Rn. 202).
b) Bei der Prüfung, ob ein solcher konkreter sachlicher Grund (bzw. dementsprechend
ein "besonderer Anlass" im Sinne des § 14 Nr. 1 des Mietvertrags)
vorliegt, ist - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat - einerseits
dem Eigentumsrecht des Vermieters (
dem Recht des Mieters, in den Mieträumen "in Ruhe gelassen" zu werden
(
Recht am Besitz der Mietwohnung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, NJW-RR
2004, 440, 441). Die Tatgerichte sind insofern gehalten, die widerstreitenden
grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen
Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, aaO;
siehe auch Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 15. Aufl.,
Rn. 213; Blank/Börstinghaus, Miete, 6. Aufl.,
Steege,
2. Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei
davon ausgegangen, dass den Klägern als Vermietern im Hinblick auf die
von ihnen beabsichtigte Veräußerung der Wohnung grundsätzlich ein Recht auf
Betreten der vermieteten Wohnung zuzubilligen ist. Denn angesichts der mit diesem
grundsätzlich berechtigten Grund einhergehenden lediglich geringfügigen
Beeinträchtigung der von
des Mieters werden diese regelmäßig hinter dem ebenfalls von Art. 14
Abs. 1 GG geschützten Interesse des Vermieters, über sein Eigentum frei verfügen
und dieses bei Bedarf veräußern zu können, zurücktreten.
3. Das Berufungsgericht hat ferner rechtsfehlerfrei erkannt, dass unter besonderen
Umständen diese Interessen des Vermieters jedoch - ausnahmsweise
- eine Beschränkung erfahren können, wenn der Mieter durch die Besichtigung
der Wohnung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen
oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt und damit in seinem Grundrecht aus
a) Aus
schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr verfassungsrechtlich
gehalten sind, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage
zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen (BVerfG, WM
2016, 1449, 1450;
3207) und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen
hinreichend Rechnung zu tragen (BVerfG,
9. November 2016 - VIII ZR 73/16,
Diesen Anforderungen hat das Berufungsgericht Rechnung getragen und
hat zur Beurteilung der vorbezeichneten Gefahren das Gutachten eines psychiatrischen
Sachverständigen eingeholt.
b) Auch hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt,
dass es für die Beurteilung der rechtlichen Bedeutung der von der Beklagten geltend
gemachten schweren Gesundheitsbeeinträchtigung infolge eines Betretens
der Wohnung zunächst einer Feststellung der in die Abwägung einzustellenden
sonstigen Interessen der Parteien bedarf, wobei auch die Folgen einer Zutrittsgewährung
beziehungsweise ihrer Verweigerung für die jeweilige Partei in den
Blick zu nehmen sind. Dementsprechend hat das Berufungsgericht - entgegen
der Auffassung der Revision - noch rechtsfehlerfrei auch die Konsequenzen einer
Zutrittsverweigerung für die Kläger in seine Erwägungen miteinbezogen (hierzu
unter aa). Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat es bei der Prüfung der abwägungsrelevanten
Interessen der Beklagten angenommen, dass die Beklagte nicht - wie
die Revision meint - auf ihre zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen
Einrichtung zur Reduzierung des Suizidrisikos verwiesen werden kann (hierzu
unter bb).
Das Berufungsgericht hat jedoch das von ihm zur Feststellung der Art und
des Ausmaßes der von der Beklagten geltend gemachten Erkrankung und ihrer
Folgen eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten hinsichtlich der
Frage, ob und inwieweit sich die gesundheitlichen Folgen einer Zutrittsgewährung
für die Beklagte mindern lassen, verfahrensfehlerhaft nicht vollständig gewürdigt
(hierzu unter cc). Die tatrichterliche Beweiswürdigung kann zwar von dem
Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden, nämlich darauf, ob der
Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und
widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung vollständig und rechtlich
möglich ist, und nicht gegen die Denk- und Naturgesetze verstößt (st. Rspr.; vgl.
etwa Senatsurteile vom 29. März 2017 - VIII ZR 44/16,
vom 11. November 2020 - VIII ZR 191/18,
2021 - VIII ZR 49/19,
sind dem Berufungsgericht hier aber unterlaufen.
aa) Das Berufungsgericht hat allerdings - entgegen der Ansicht der Revision
- die Folgen einer Zutrittsverweigerung für die Kläger hinreichend in den
Blick genommen.
(1) Es hat in diesem Zusammenhang weder übergangen, dass das Krankheitsbild
der Beklagten seit vielen Jahren besteht und die Beklagte sich seit über
20 Jahren in Behandlung befindet, noch, dass durch weitere medikamentöse und
therapeutische Behandlungen der Zustand der Beklagten nicht wesentlich verbessert
werden kann. Das Berufungsgericht hat auf diese Gesichtspunkte vielmehr
ausdrücklich in seiner Entscheidung hingewiesen und hat ausgeführt, dass
die Abweisung der Klage einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht der
Klagepartei bedeute. Hierbei hat das Berufungsgericht eine Besserung des Gesundheitszustands
der Beklagten nicht für wahrscheinlich erachtet und darauf
hingewiesen, dass im Fall des Eintritts einer solchen Verbesserung nicht nur weniger
einschneidende Maßnahmen als das Betreten der Wohnung in Anwesenheit
der Beklagten in Betracht kommen könnten, sondern das Betretungsrecht
insgesamt neu bewertet werden müsste.
Das Berufungsgericht hat somit auch berücksichtigt, dass den Klägern unter
Umständen der dauerhafte Entzug des Besichtigungsrechts drohen könnte.
Es hat hieraus lediglich nicht den von der Revision gewünschten Schluss gezogen,
dass die (derzeit) fehlende Besichtigungsmöglichkeit eine (wirtschaftlich
sinnvolle) Veräußerung der Mietwohnung gänzlich ausschließe, sondern darauf
verwiesen, dass unter Umständen die Möglichkeit bestehe, die Wohnung auch
ohne vorherige Besichtigung zu veräußern. Übergangenen Vortrag hierzu zeigt
die Revision nicht auf, sondern sie versucht lediglich, ihre Würdigung an die
Stelle derjenigen des Berufungsgerichts zu setzen. Dies ist revisionsrechtlich unbehelflich.
(2) Entgegen der Auffassung der Revision ist auch die Würdigung des Berufungsgerichts,
mit einem drohenden erheblichen Wertverlust der Immobilie sei
angesichts der Preisentwicklung der vergangenen Jahre nicht zu rechnen, aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Einen belastbaren allgemeinen Erfahrungssatz
dahingehend, dass eine Wohnung, die von Erwerbsinteressenten nicht
besichtigt werden könne, nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht oder nur
in geringerem Umfang an der allgemeinen Preisentwicklung teilnehme, gibt es
nicht. Gegenteiliges vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen.
(3) Ohne Erfolg rügt die Revision weiterhin, das Berufungsgericht habe
das besondere Interesse des Klägers zu 2 an der Besichtigung der Wohnung bei
seiner Gesamtabwägung nicht ansatzweise berücksichtigt und dadurch gegen
besonderen Umstände auf noch ist sonst ersichtlich, dass sich das Berufungsgericht
mit dem Vorbringen der Kläger, sie benötigten den Erlös aus dem Verkauf
der von der Beklagten gemieteten Wohnung, um - nachdem ihre Eigenbedarfskündigung
dieser Wohnung gescheitert sei - für den Kläger zu 2 eine andere
Wohnung zum Selbstbezug zu erwerben, nicht befasst haben könnte. Das Berufungsgericht
hat in seiner Abwägung vielmehr ausdrücklich die mit einer Besichtigung
einhergehende bessere Verkaufsmöglichkeit berücksichtigt und hervorgehoben,
dass die Abweisung der Klage einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht
der Kläger darstelle. Eines ausdrücklichen Eingehens auf den von den
Klägern angestrebten Erwerb einer Wohnung für den Kläger zu 2 im Berufungsurteil
bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht
.
bb) Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die
Beklagte nicht auf eine Unterbringung nach Art. 5 des Bayerischen Psychisch-
Kranken-Hilfe-Gesetzes vom 24. Juli 2018 (BayPsychKHG; GVBl. S. 583) verwiesen
werden kann. Die Revision rügt insofern zu Unrecht, das Berufungsgericht
habe die Möglichkeit einer solchen Unterbringung der Beklagten mit unzutreffenden
Erwägungen abgelehnt. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht
eine Unterbringung der Beklagten zur Ermöglichung des Betretens der Wohnung
durch den Vermieter wegen des beabsichtigten Verkaufs im Hinblick auf die vom
Berufungsgericht festgestellte Gefahr einer hierdurch drohenden Verschlechterung
des Gesundheitszustands der Beklagten jedenfalls als nicht geeignete und
nicht verhältnismäßige Maßnahme angesehen.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, der Beklagten
sei grundsätzlich zuzumuten, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die
Selbsttötungsgefahr zu verringern, übergeht sie, dass die Beklagte sich nach den
insofern nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts seit über
20 Jahren in psychiatrischer (ambulanter oder stationärer) Behandlung befindet
und medikamentös behandelt wird.
cc) Die Revision beanstandet mit der Verfahrensrüge (§ 286 Abs. 1,
- VIII ZR 49/19,
habe den Inhalt des von ihm eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens
nicht vollständig zur Kenntnis genommen und sich mit den Ausführungen
des Sachverständigen zu den gesundheitlichen Auswirkungen einer
möglichen Vertretung der Beklagten bei einer Wohnungsbesichtigung nicht auseinandergesetzt.
Der Senat ist im Hinblick auf diese durchgreifende Verfahrensrüge
nicht an die angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden
(
Das Berufungsgericht ist entsprechend der Beurteilung des psychiatrischen
Gutachtens des Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl
bei Erlass als auch bei der Vollstreckung eines Urteils, das ein Betretungsrecht
zugunsten der Kläger ausspreche, ein hohes Risiko für Handlungen der Beklagten
mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid
bestehe und Maßnahmen, die das Risiko einer solchen erheblichen Verschlechterung
signifikant verringerten, derzeit nicht ersichtlich seien.
Mit den Ausführungen des Sachverständigen, wonach sich das Risiko für
gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die Beklagte bei einem Betreten der
Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson
beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu
einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Beklagten verringere, hat
sich das Berufungsgericht dagegen unter Verstoß gegen
auseinandergesetzt, obwohl sie der Annahme einer durch das Betreten der Wohnung
nicht zu vermeidenden Gesundheitsverschlechterung der Beklagten entgegenstehen.
Es hat eine Vertretung der Beklagten bei der Wohnungsbesichtigung
lediglich als eine Maßnahme im Fall einer eventuellen Besserung des Gesundheitszustands
der Beklagten in Erwägung gezogen.
Soweit die vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen zu den
Auswirkungen einer Vertretung in (scheinbarem) Widerspruch zu den Feststellungen
des Sachverständigen stehen, wonach eine der Klage stattgebende Entscheidung
ein hohes Risiko einer erheblichen Gesundheitsgefährdung mit sich
bringe, wäre es die Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatgericht gewesen, auf
eine Aufklärung dieses möglichen Widerspruchs - etwa mittels einer Erläuterung
durch den Sachverständigen gemäß
Urteil vom 25. Februar 2009 - IV ZR 27/08, juris Rn. 9 mwN; Beschluss vom
10. Juli 2018 - VI ZR 580/15,
3. Das Berufungsurteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler (§ 545
Abs. 1 ZPO). Bei der - hier vorliegenden - Verletzung verfahrensrechtlicher
Bestimmungen genügt bereits die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht ohne
den Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Senatsurteile
vom 24. September 2014 - VIII ZR 394/12,
6. Mai 2015 - VIII ZR 161/14,
dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen
wäre, wenn es die vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen in seine
Würdigung miteinbezogen beziehungsweise den Sachverständigen zu seinen
- möglicherweise nur scheinbar - widersprüchlichen Feststellungen ergänzend
befragt hätte.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher
aufzuheben (
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO), damit die hiernach erforderlichen weiteren Feststellungen - gegebenenfalls
nach einer ergänzenden Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen -
erfolgen können.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:26.04.2023
Aktenzeichen:VIII ZR 420/21
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Miete
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 242, 535