Zur Wirksamkeit einer ursprünglich unwirksamen Rechtswahl gem. Art. 83 Abs. 2 EuErbVO
letzte Aktualisierung: 29.11.2019
BGH, Beschl. v. 10.7.2019 – IV ZB 22/18
EuErbVO Artt. 83 Abs. 1 u. 2 Var. 1, 25 Abs. 1, 22 Abs. 1
Zur Wirksamkeit einer ursprünglich unwirksamen Rechtswahl gem. Art. 83 Abs. 2
EuErbVO
Zur Wirksamkeit der Wahl des deutschen Errichtungsstatuts in einem Erbvertrag, der von einer
nach dem 17. August 2015 verstorbenen deutschen Erblasserin mit einem italienischen
Staatsangehörigen vor diesem Stichtag (
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Erbfolge nach der am 26. April 2017
verstorbenen Frau Tania W. (im Folgenden: Erblasserin).
Die Erblasserin hat zwei letztwillige Verfügungen hinterlassen, einen
notariellen Erbvertrag vom 6. Oktober 1998 und ein notarielles Testament
vom 25. April 2016. Ersteren hatte sie zusammen mit dem Beteiligten
zu 1, einem seit 1986 in Deutschland wohnhaften italienischen
Staatsangehörigen, mit dem sie nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts
zum Zeitpunkt der Beurkundung in einer Lebensgemeinschaft
zusammenlebte, geschlossen. In dem Erbvertrag hatten sich die Vertragsparteien
gegenseitig zu Alleinerben und als Erben des Letztversterbenden
die gemeinsamen Kinder - die Beteiligten zu 2 und 3 - zu gleichen
Teilen eingesetzt. Sie hatten zudem erklärt, dass hinsichtlich aller
Regelungen über ihr Erbrecht bzw. das Erbrecht jedes einzelnen ausschließlich
das deutsche Erbrecht gelten solle und "als Rechtswahl das
deutsche Erbrecht" vereinbart. In dem späteren Testament - zu diesem
Zeitpunkt war die Lebensgemeinschaft mit dem Beteiligten zu 1 beendet
- setzte die Erblasserin ihre noch nicht geborenen Enkelkinder als Erben
zu gleichen Teilen und für den - eingetretenen - Fall, dass solche zum
Todeszeitpunkt noch nicht vorhanden sind, die Beteiligte zu 4 als alleinige
Ersatzerbin ein.
Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Beteiligte zu 1 die
Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist. Das spätere
Testament sei unwirksam, da es gegen die bindende Erbeinsetzung in
dem nach der Europäischen Erbrechtsverordnung zulässigen und materiell
wirksamen Erbvertrag verstoße.
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2017 hat das Nachlassgericht die
für die antragsgemäße Erbscheinserteilung erforderlichen Tatsachen als
festgestellt erachtet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten
zu 4 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht
zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte
zu 4 ihr Begehren auf Zurückweisung des Erbscheinsantrags weiter.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde
hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat - soweit für die Rechtsbeschwerde
noch von Interesse - ausgeführt, der Erbvertrag dürfte vor Inkrafttreten
der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende
Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die
Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie
zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. EU 2012
Nr. L 201 S. 107; im Folgenden: Europäische Erbrechtsverordnung und
EuErbVO) unwirksam gewesen sein, da der Erbvertrag nach deutschem
Recht den anderen Rechtsordnungen fremd sei. Dies könne jedoch dahinstehen.
Er sei zumindest mit dem Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung
wirksam geworden.
Nach Art. 83 Abs. 2 und 3 EuErbVO seien vor dem 17. August
2015 getroffene Rechtswahlen und errichtete Verfügungen von Todes
wegen zulässig sowie materiell und formell wirksam, wenn sie - wie hier -
die Voraussetzungen des Kapitels III EuErbVO erfüllten. Die Erblasserin
habe zum Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland gehabt, so dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem
deutschem Recht unterliege (Art. 21 EuErbVO). Außerdem hätten die
Vertragsparteien sowohl hinsichtlich des Errichtungs- als auch des
Erbstatuts deutsches Erbrecht gewählt (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO). Damit
sei mit dem Stichtag die Wirksamkeit des Erbvertrages eingetreten. Diese
umfasse auch die Bindungswirkung des Vertrages für die Erblasserin,
die sich aufgrund der von den Vertragsparteien getroffenen Rechtswahl
nach dem deutschen Errichtungsstatut richte. Die Erblasserin habe den
Erbvertrag daher nach dem Stichtag nicht mehr widerrufen können. Dem
stehe der Schutz des Vertrauens in ihre fortbestehende Testierfreiheit
nicht entgegen.
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dies kann
der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Das Beschwerdegericht
hat zutreffend angenommen, dass sich aufgrund der von den Vertragsparteien
getroffenen Rechtswahl die Erbfolge nach dem zwischen
der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1 geschlossenen Erbvertrag richtet.
Die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 4 in dem späteren notariellen
Testament ist gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, weil sie die
erbvertragliche Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 beeinträchtigt.
a) Das Beschwerdegericht hat die Wirksamkeit der Wahl des deutschen
Errichtungsstatuts zu Recht bejaht.
aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde richtet sich
das für die Rechtsnachfolge der Erblasserin maßgebliche Kollisionsrecht
für den nach dem 17. August 2015 eingetretenen Erbfall nicht nach den
zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrages geltenden mitgliedstaatlichen
Kollisionsnormen, sondern nach den Regelungen der Europäischen
Erbrechtsverordnung (
bb) Nach der Übergangsbestimmung des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1
EuErbVO ist eine vor dem 17. August 2015 getroffene Rechtswahl wirksam,
wenn sie die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt.
Dies ist hier der Fall.
(1) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, erfasst Art. 83 Abs. 2
Alt. 1 EuErbVO auch Erbverträge, denn die Vorschrift verweist allgemein
auf die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung und damit hinsichtlich
der Zulässigkeit, materiellen Wirksamkeit und Bindungswirkung
eines Erbvertrages, einschließlich der Voraussetzungen für seine Auflösung,
auf Art. 25 Abs. 3 EuErbVO (vgl. BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt,
Art. 83 Rn. 10 [Stand: 1. März 2019]; Burandt/Schmuck in
Burandt/Rojahn, Erbrecht 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 4; Erman/
Hohloch, BGB 15. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 4; Palandt/Thorn, BGB
78. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 4; Rudolf,
Art. 83 EuErbVO Rn. 7, der die Wahl des Errichtungsstatuts nach Art. 25
Abs. 3 EuErbVO dem Regelungsbereich des Art. 83 Abs. 3 EuErbVO zuweist,
für die Bindungswirkung aber Art. 83 Abs. 2 EuErbVO heranzieht;
so auch NK-BGB/Magnus, 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 14; Pünder, Gemeinschaftliche
Testamente und die EU-Erbrechtsverordnung 2018, S.
322 f.). Dem steht der Wortlaut der Norm nicht entgegen, da unter
"Rechtsnachfolge von Todes wegen" im Sinne des Absatzes 2 jede Form
des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes
wegen unter anderem im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung
von Todes wegen fällt (Art. 3 Abs. 1 lit. a) EuErbVO), zu der der
Erbvertrag zählt (Art. 3 Abs. 1 lit. d) EuErbVO).
(2) Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO gestattet
den Parteien eines Erbvertrages für die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit
und die Bindungswirkungen ihres Erbvertrages, einschließlich
der Voraussetzungen für seine Auflösung, das Recht zu wählen, das die
Person oder eine der Personen, deren Nachlass betroffen ist, nach Art.
22 EuErbVO unter den darin genannten Bedingungen hätten wählen
können. Hiernach kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes
wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl
oder im Zeitpunkt des Todes angehört (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1
EuErbVO). Art. 25 Abs. 3 EuErbVO erweitert somit den Kreis der wählbaren
Rechte und ermöglicht den Vertragsparteien eines mehrseitigen Erbvertrages
die einheitliche Wahl des Errichtungsstatuts nach dem Recht
des Staates, dem auch nur eine der Vertragsparteien angehört (vgl.
BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt, Art. 25 Rn. 33 [Stand: 1. März 2019];
Bauer in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht 2016 Art. 25 EuErbVO
Rn. 21; Erman/Hohloch, BGB 15. Aufl. Art. 25 EuErbVO Rn. 9; Döbereiner
in Firsching/Graf, Nachlassrecht 11. Aufl. § 47 Rn. 72; Odersky in
Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis,
3. Aufl. § 15 Rn. 260 f.; MünchKomm-BGB/Dutta, 7. Aufl.
Art. 25 EuErbVO Rn. 11; Süß, Erbrecht in Europa 3. Aufl. § 4 Rn. 38 ;
Hausmann in Benecke/Hausmann/Peifer/Gebauer, Arbeitsrecht, Erbrecht,
Urheberrecht - 50 Jahre deutsch-italienische Juristenvereinigung
2014, S. 37). Demgemäß stand den Vertragsparteien im Streitfall hinsichtlich
des Errichtungsstatuts das deutsche Erbrecht als das Recht der
Staatsangehörigkeit der Erblasserin (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 EuErbVO)
zur Wahl, das den Abschluss eines Erbvertrages unter den Voraussetzungen
der
Falle wirksamer Errichtung Bindungswirkung gegenüber einer späteren
Verfügung von Todes wegen verleiht, soweit sie - wie hier - das Recht
des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigt (§ 2289 Abs. 1 Satz 1 und 2
BGB).
(3) Die Rechtswahl ist auch formwirksam erfolgt. Die Form ist im
Streitfall durch die Aufnahme der Rechtswahl in den Erbvertrag und dessen
Beurkundung vor einem deutschen Notar gewahrt, Art. 83 Abs. 2
Alt. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) und c), Art. 25 Abs. 3, Art.
22 Abs. 2 EuErbVO i.V.m.
EuErbVO/J. Schmidt, Art. 25 Rn. 36 [Stand: 1. März 2019]; Erman/
Hohloch, BGB 15. Aufl. Art. 25 EuErbVO Rn. 9; Döbereiner, Mitt-
BayNot 2013, 437, 439).
b) Die vertragliche Alleinerbeneinsetzung des Beteiligten zu 1) hat
entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht etwa nach § 2279
Abs. 2 i.V.m.
durch die spätere Beendigung der Lebensgemeinschaft der Vertragsparteien
verloren. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten insbesondere
der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge, es habe der
aus § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 26 FamFG folgenden Amtsermittlungspflicht
nicht genügt, stand.
aa) Wie die Rechtsbeschwerde selbst sieht, finden die vorstehenden
Regelungen des BGB auf die Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
vom Gesetzeswortlaut her keine Anwendung (vgl.
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. Februar 2016 - 20 W 322/14,
Beschluss vom 31. Mai 2001 - 1 Z BR 3/01,
II 2 c; MünchKomm-BGB/Leipold, 7. Aufl. § 2077 Rn. 15; Palandt/
Weidlich, BGB 78. Aufl. § 2077 Rn. 2; Staudinger/Otte, BGB (2013)
§ 2077 Rn. 28).
bb) Das Beschwerdegericht hat seiner Beurteilung auch rechtsfehlerfrei
das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen
der Erblasserin und dem Beteiligten zu 1 zugrunde gelegt. Soweit die
Rechtsbeschwerde nunmehr vorträgt, es habe aufgrund der vom Beschwerdegericht
festgestellten Lebensumstände nahegelegen, dass zwischen
den Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Beurkundung des Erbvertrages
ein Verlöbnis im Sinne des § 2279 Abs. 2 BGB bestanden habe,
vermag dieser neue Vortrag eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht
nicht zu begründen.
Über Art und Umfang der Ermittlungen entscheidet der Tatrichter
nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich
nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens
eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen
ausgegangen ist (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2019 - XII ZB
506/18, juris Rn. 13 m.w.N.). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein
Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht gegeben. Angesichts des
unstreitigen vorinstanzlichen Parteivortrags, der zahlreiche Anha ltspunkte
für das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, nicht aber
für ein Verlöbnis bot, und des Akteninhalts - die Erblasserin selbst
sprach in ihrem Testament von einer beendeten Lebensgemeinschaft -
war das Beschwerdegericht nicht gehalten, die persönliche Beziehung
der Erbvertragsparteien auf die Voraussetzungen eines Verlöbnisses zu
erforschen (vgl. zum Ermittlungsumfang bei übereinstimmenden Parteivortrag
etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2019 - XII ZB 334/18, juris
Rn. 19; Bahrenfuss/Rüntz, FamFG 3. Aufl. § 26 Rn. 9; Jacoby in
Bork/Jacoby/Schwab, FamFG 2. Aufl. § 26 Rn. 14; Zöller/Feskorn, ZPO
32. Aufl. § 26 FamFG Rn. 2).
c) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde schließlich auf
den europa- und verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der
Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot.
aa) Richtig ist allerdings, dass ein weites Verständnis des Anwendungsbereiches
des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO dazu führt, dass - solange
der Erbfall am oder nach dem 17. August 2015 eintritt - eine bereits
vor dem Geltungsbeginn der Verordnung und dem maßgeblichen
Stichtag ihrer Anwendbarkeit getroffene Rechtswahl wirksam wird, wenn
sie die Voraussetzungen des Kapitels III der Verordnung erfüllt, auch
wenn den Vertragsparteien die Rechtswahl nach dem bis zu diesem
Zeitpunkt noch gültigen Kollisionsrecht des Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsstaats
nicht möglich war (vgl. Lechner in Geimer/Schütze,
Europäische Erbrechtsverordnung 2016 Art. 83 Rn. 8; MünchKomm-
BGB/Dutta, 7. Aufl.
506; Rudolf,
Testamente und die EU-Erbrechtsverordnung 2018, S. 328;
Heinig,
Der Rechtsbeschwerde ist auch darin zuzustimmen, dass sich die
Übergangsvorschrift damit auf einen in der Zeit vor Geltungsbeginn der
Verordnung liegenden Sachverhalt für die Zukunft auswirkt und die
Rechtsposition eines Erblassers nachträglich zumindest dadurch entwertet,
dass er nach dem Stichtag an seine zuvor erbvertraglich getroffene
Rechtswahl und in der Folge an eine zuvor unwirksam errichtete Verfügung
von Todes wegen gebunden ist (eingehend Süß, Erbrecht in Europa
3. Aufl. § 1 Rn. 46). Anders als die Rechtsbeschwerde meint, handelt
es sich insoweit jedoch nicht um eine echte, sondern um eine unechte
Rückwirkung, da die Verordnung nicht an einen bereits in der Vergangenheit
beendeten Sachverhalt anknüpft. Dieser findet vielmehr erst mit
dem Eintritt des Erbfalls seinen Abschluss. Dementsprechend entfaltet
eine vor dem Stichtag getroffene Rechtswahl erst mit dem am oder nach
dem 17. August 2015 eintretenden Erbfall ihre Wirkung (vgl. dazu Palandt/
Thorn, BGB 78. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 4).
bb) Eine solche Rückwirkung verstößt entgegen dem Vorbringen
der Rechtsbeschwerde nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union verbietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit im Allgemeinen,
den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Union auf einen
Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen, wobei ausnahmsweise
anderes dann gelten kann, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und
das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet wird
(EuGH, Urteile vom 30. April 2019, C-611/17, Celex-Nr. 62017CJ0611,
Rn. 106; vom 22. Dezember 2010, Bavaria, C-120/08, Slg. 2010, I-13393
Rn. 40; vom 24. September 2002, Falck, C-74/00, Slg. 2002, I-7869 Rn.
119; jeweils m.w.N.). Die materiell-rechtlichen Unionsvorschriften sind
insoweit, um die Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und
des Vertrauensschutzes zu gewährleisten, so auszulegen, dass sie für
vor ihrem Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte nur gelten, soweit aus
ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht,
dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (EuGH, Urteile
vom 22. Dezember 2010 aaO; vom 24. September 2002 aaO; siehe auch
EuGH, Urteile vom 30. April 2019 aaO; vom 6. Juli 2006, Kersbergen-
Lap, Dams-Schipper, C-154/05, Slg. 2006, I-6249 Rn. 42; vom 29. Januar
2002, Pokrzeptowicz-Meyer, C-162/00, Slg. 2002, I-1049 Rn. 49).
Wenn der Grundsatz der Rechtssicherheit einer rückwirkenden
Anwendung einer Verordnung unabhängig davon entgegensteht, ob sich
eine solche Anwendung für den Betroffenen günstig oder ungünstig auswirkt,
verlangt derselbe Grundsatz, dass jeder Sachverhalt normalerweise,
soweit nichts Gegenteiliges bestimmt ist, anhand der seinerzeit
geltenden Rechtsvorschriften beurteilt wird. Zwar gilt die neue Regelung
somit nur für die Zukunft, doch ist sie, soweit nichts Abweichendes bestimmt
ist, auch auf die künftigen Wirkungen von unter dem alten Recht
entstandenen Sachverhalten anwendbar (EuGH, Urteile vom 22. Dezember
2010, Bavaria, C-120/08, Slg. 2010, I-13393 Rn. 41; vom 24. September
2002, Falck, C-74/00, Slg. 2002, I-7869 Rn. 41; vom 6. Juli 2006,
Kersbergen-Lap, Dams-Schipper, C-154/05, Slg. 2006, I-6249 Rn. 42;
jeweils m.w.N.). Der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Vertrau-
ensschutzes darf nicht so weit erstreckt werden, dass die Anwendung
einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter der Geltung
der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten schlechthin
ausgeschlossen ist (EuGH, Urteile vom 14. Januar 2010, Stadt Papenburg,
C-226/08, Slg. 2010, I-131 Rn. 46; vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-
Meyer, C-162/00, Slg. 2002, I-1049 Rn. 55 m.w.N.)
Gemessen hieran begegnet die Rückwirkung der Verordnung in
Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO keinen durchgreifenden Bedenken.
(a) Ziel der Europäischen Erbrechtsverordnung ist es, die Hindernisse
für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer
Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem
Bezug nach den autonomen mitgliedstaatlichen Regelungen Schwierigkeiten
bereitet, auszuräumen, um das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarktes zu erleichtern, den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihren
Nachlass im Voraus zu regeln und die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer
sowie anderer Personen, die dem Erblasser nahestehen, effektiv
zu wahren (vgl. Erwägungsgründe 7 und 8 EuErbVO; siehe dazu
auch EuGH, Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C-20/17,
Rn. 49).
Vor diesem Hintergrund sollen die Übergangsbestimmungen einer
Rechtswahl möglichst zur Wirksamkeit verhelfen und das Vertrauen des
Erblassers, der nach dem Stichtag verstirbt, aber bereits zuvor eine
Rechtswahl getroffen hat, auf ein bestimmtes materielles Recht schützen
(vgl. BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt, Art. 83 Rn. 4 [Stand: 1. März 2019];
Fucik in Deixler-Hübner/Schauer, EuErbVO 2015 Art. 83 Rn. 5; Bauer in
Dutta/Weber, Internationales Erbrecht 2016 Art. 83 EuErbVO Rn. 4;
Lechner in Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung 2016 Art.
83 Rn. 5; MünchKomm-BGB/Dutta, 7. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 1; NKBGB/
Magnus, 3. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 2, 8; Palandt/Thorn, BGB
78. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 1; Lechner, ZErb 2014, 188, 193 f.; Rudolf,
ZfRV 2015, S. 212; Schoppe,
(b) Zwar kann dies im Einzelfall dazu führen, dass auch eine zuvor
unwirksam getroffene Rechtswahl nach dem Stichtag wirksam und bindend
wird (Lechner in Geimer/Schütze, Europäische Erbrechtsverordnung
2016 Art. 83 Rn. 8; Schoppe,
Art. 83 Abs. 3 EuErbVO Lechner aaO Rn. 43; Odersky in Hausmann/
Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis
3. Aufl. § 15 Rn. 259; Hertel in Rauscher, Europäisches Zivilprozess-
und Kollisionsrecht, 4. Aufl. Art. 83 EuErbVO Rn. 9; Pünder,
Gemeinschaftliche Testamente und die EU-Erbrechtsverordnung 2018,
S. 328). Der europäische Gesetzgeber hat aber in Art. 83 Abs. 2 Alt. 1
EuErbVO bewusst die Wirksamkeit einer vor dem Stichtag getroffenen
Rechtswahl allein davon abhängig gemacht, dass die Voraussetzungen
des Kapitels III der Verordnung erfüllt sind (Lechner aaO Rn. 8). Eine
Einschränkung dahingehend, dass dies nur gelten solle, wenn die
Rechtswahl zugleich nach altem Kollisionsrecht wirksam war, lässt sich
dem Wortlaut hingegen nicht entnehmen (vgl. Schoppe aaO mit Hinweis
auf die englische und französische Sprachfassung). Somit werden nach
der gesetzlichen Konzeption des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO in rechtlicher
Unkenntnis erfolgte zunächst unwirksame Rechtswahlen geheilt
(vgl. Lechner aaO Rn. 8). Die Übergangsbestimmungen des Art. 83 Eu-
ErbVO sind geprägt von dem Ziel, die Wirksamkeit - früherer - Verfügungen
von Todes wegen und Rechtswahlen soweit irgend möglich aufrechtzuerhalten,
sie aber gegebenenfalls auch zu heilen (vgl. Lechner
aaO Rn. 5).
(c) Gestützt wird dieses Verständnis des Anwendungsbereiches
des Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO durch den Sinn und Zweck der Übergangsregelungen,
einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Vertrauensschutz
des Erblassers an den Bestand seiner - wenn auch zum damaligen
Zeitraum möglicherweise unwirksamen - Rechtswahl und dem
Ziel, der politisch gewollten Gesetzesänderung auch tatsächliche Geltung
zu verleihen (vgl. Schoppe,
der Verordnung erfasste Erblasser werden hierdurch nicht unverhältnismäßig
beeinträchtigt, da ihnen der Übergangszeitraum von rund
drei Jahren zwischen Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverordnung
und ihrer Geltung in aller Regel ausreichend Zeit bot, ihre Nachlassangelegenheiten
an die neue Rechtslage anzupassen (vgl. EuGH,
Urteile vom 5. Mai 1981, 112/80, Slg. 1981, 1095 Rn. 50; vom 16. Mai
1979, 84/78, Slg. 1979, 1801 Rn. 20 ff.; siehe auch Schoppe aaO 28).
(2) Die Rüge der Rechtsbeschwerde, die vorgenannte Auslegung
der Übergangsbestimmungen verletze deutsches Verfassungsrecht,
greift schon deshalb nicht durch, weil die unechte Rückwirkung der Europäischen
Erbrechtsverordnung auch verfassungsrechtlich unbedenklich
ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht
der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz insbesondere nicht so weit,
den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere
Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine
Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert
fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfGE
132, 302 [juris Rn. 45];
287 [juris Rn. 46]; jeweils m.w.N.). Der Gesetzgeber muss aber, soweit
er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft,
dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem
Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung
verfolgt werden, und das Vertrauen der Einzelnen auf die Fortgeltung
der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den
Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes
daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet
und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen
dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und
der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die
Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (
Anforderungen wird die Übergangsregelung der EuErbVO aus den
oben dargelegten Gründen gerecht.
3. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen
Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist im Streitfall nicht veranlasst,
da die richtige Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen
der Europäischen Erbrechtsverordnung derart offenkundig
sind, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbleibt (vgl.
EuGH, Urteile vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement,
C-379/15, ABl. EU 2016 Nr. C 350 S. 11 [juris Rn. 53]; vom 1. Oktober
2015, Doc Generici, C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 [juris Rn. 43];
vom 6. Oktober 1982, CILFIT, 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16, 21).
III.
Die Entscheidung wegen der Kosten beruht auf § 84 FamFG, die
Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz
1 i.V.m.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:10.07.2019
Aktenzeichen:IV ZB 22/18
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
MittBayNot 2020, 184-187
RNotZ 2019, 623-627
ZNotP 2020, 117-120
NJW 2019, 3449-3452
NotBZ 2019, 452-453
ZEV 2019, 538-542
Zerb 2019, 268-272
EuErbVO Artt. 83 Abs. 1 u. 2 Var. 1, 25 Abs. 1, 22 Abs. 1