Keine Duldungspflicht für Überbau auf das eigene Grundstück durch Wärmedämmung einer Hauswand auf dem Nachbargrundstück
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Dokumentnummer: 6u121_09
letzte Aktualisierung: 19.2.2010
OLG Karlsruhe, 9.12.2009 - 6 U 121/09
Keine Duldungspflicht für Überbau auf das eigene Grundstück durch Wärmedämmung
einer Hauswand auf dem Nachbargrundstück
Der Eigentümer eines Grundstücks muss weder nach
Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg dulden, dass die Wand eines an die
Grundstücksgrenze gebauten Nachbarhauses mit Wärmedämmplatten versehen wird, die 15 cm
in den Luftraum seines Grundstücks ragen. Auf eine Hauswand aufgebrachte
Wärmedämmplatten stellen kein untergeordnetes Bauteil i.S. von § 7b Nachbarrechtsgesetz
Baden-Württemberg dar.
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17.
Juli 2009 - 5 O 253/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die das Grundstück des
Antragstellers/Verfügungsklägers bezeichnende Flurstücknummer in Ziff. 1 und 2 des
Beschlusses vom 25. Juni 2009 XX4 lautet.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Zulässigkeit
eines Überbaues an einer Außenwand zum Zweck der Wärmedämmung.
Der Verfügungskläger (zukünftig: Kläger) ist Eigentümer des Flurstücks XX.X Das
Grundstück des Klägers weist zur Straße eine ca. 4,50 - 5 m breite Durchfahrt zwischen den
Grundstücken K.-Straße 23 und K. Straße 25 auf. Diese bildet eine Zufahrt zum hinteren, sich
erweiternden und bebauten Grundstücksbereich des Klägers. Soweit im Tatbestand und im
Tenor der angegriffenen Entscheidung eine abweichende Flurstücknummer für das Grundstück
des Klägers angegeben ist, haben die Parteien diese auf Hinweis des Senats richtiggestellt.
Auch die Breite der Durchfahrt wurde im Senatstermin korrigiert. Die Durchfahrt ist
ausweislich der Lichtbilder in Anlage AK 8 als Privatweg und als Brandschutzzone (absolutes
Halteverbot) gekennzeichnet. Die Verfügungsbeklagte (zukünftig: Beklagte) ist Eigentümerin
des in westlicher Richtung unmittelbar angrenzenden Grundstücks K.-Straße 25 (Flurstück
XXX). Im vorderen Bereich grenzen beide Grundstücke an die K.-Straße. Das Grundstück der
Beklagten ist bis an die Grundstücksgrenze des Klägers mit einem Gebäude bebaut.
Die Beklagte ließ zunächst am 13.03.2009 ohne Genehmigung des Klägers auf dessen
Grundstück entlang ihrer der Durchfahrt zugewandten Gebäudeseite ein Gerüst stellen. Auf die
Bitte der Beklagten hin genehmigte der Kläger zeitlich begrenzt nachträglich das Aufstellen
des Gerüstes, um die von der Beklagten angegebene dringende Instandsetzungsmaßnahmen im
Giebelbereich durchführen lassen zu können. Am 14.05.2009 stellte der Kläger fest, dass die
Beklagte begonnen hatte, auf der Außenwand ihres Gebäudes eine mindestens 12 cm starke
Isolierung aufzubringen, die anschließend mit einem Grundputz und einem Oberputz versehen
werden sollte. Die Gesamtdicke der geplanten Baumaßnahme beläuft sich auf 15 cm. Diese
sollte im vorderen Bereich in einer Höhe von 3 m oberhalb des Bodens beginnen und im
hinteren Bereich wegen der ansteigenden Durchfahrt in einer Höhe von 2,20 m oberhalb des
Bodens enden. Die zu verkleidende Fläche der Außenwand der Beklagten beläuft sich auf
252,96 m². Da das Gebäude der Beklagten unmittelbar bis an die Grenze des Grundstücks der
Beklagten bebaut ist, ragt die beabsichtigte Dämmschicht 15 cm in den Luftraum über das
Grundstück des Klägers hinein und würde dessen Durchfahrt einengen. Der Kläger
widersprach der Aufbringung der Dämmschicht. Zunächst stoppte die Beklagte die Arbeiten
bis zur Klärung. Am 13.6.2009 setzte die Beklagte die zu einem Überbau führenden Arbeiten
fort. Der Kläger forderte die Beklagte erfolglos unter Fristsetzung und Androhung gerichtlicher
Schritte zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.
Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz v. 23.6.2009 den Erlass einer einstweiligen
Verfügung. Er hat hierzu vorgetragen, eine Duldungspflicht ergebe sich weder aus
noch aus § 7 b NRG BW. Die letztere Vorschrift erfasse Dämmmaßnahmen nicht. Im übrigen
handle es sich auch nicht um ein untergeordnetes Bauteil. Aus
ebenfalls keine Duldungspflicht, da es sich nicht um die Neuerrichtung eines Gebäudes handle.
Außerdem habe er der angegriffenen Maßnahme umgehend widersprochen.
Umfang wie folgt erlassen (AS I 23):
1. Die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, auf der östlichen Außenfassade des Anwesens KStraße 25 (...) in das Grundstück des Antragstellers, K-Straße 23 a (...) hineinragende
Außenisolierung anzubringen.
2. Die Antragsgegnerin hat jegliche Baumaßnahme an der östlichen Hausfassade des
Anwesens K-Straße 25 (...) zu unterlassen, durch die ein Überhang oder ein Überbau des
Grundstücks K-Straße 23 a (...) entsteht.
3. Den Antragsgegnern wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in
Ziffer 1. und 2. ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu EUR 100.000,00, und
für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten
festgesetzt werden kann.
Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht die Verfügung mit Urteil vom 17. Juli
2009 mit der Maßgabe bestätigt, dass die in den Ziffern 1 und 2 genannten Maßnahmen
„einstweilen“ zu unterlassen seien.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt unter Wiederholung
ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung vor, dass der Kläger nach § 7 b NRG BW zur
Duldung des Aufbringens einer Wärmedämmung verpflichtet sei, da diese ein untergeordnetes
Bauteil im Sinne der Vorschriften darstelle. Die Wärmedämmung sei den exemplarisch
aufgeführten Bauteilen gleich zu stellen. Dies gelte um so mehr, als Bauvorschriften zur
Einsparung von Energie den Grundstückseigentümern entsprechende Auflagen machten. Die
Benutzung des Grundstücks des Klägers werde allenfalls unwesentlich beeinträchtigt, da die
Wärmedämmung erst in einer Höhe von 3 m beginne und daher selbst Lastkraftwagen diesen
Bereich befahren könnten. Für den Fall, dass der Kläger selbst eine Grenzbebauung vornehmen
wolle, habe man außergerichtlich angeboten, eine entsprechende Rückbauverpflichtung im
Grundbuch eintragen zu lassen. Jedenfalls aber könne der Kläger nicht eine endgültige
Regelung im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens begehren. Da der Kläger nicht
das einstweilige Unterlassen der Maßnahme beantragt habe, sei das Gericht in der
angegriffenen Entscheidung über den Antrag hinaus gegangen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17.07.2009 - 5 O 253/09 - abzuändern und den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es im ursprünglichen
Antrag und der vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung jeweils statt
„Flurstücknummer XXX“ richtig heißen muss: „Flurstücknummer XXX“.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Dem Kläger steht gemäß § 1004
BGB i.V.m.
(Verfügungsanspruch). Der Kläger muss nicht dulden, dass die Beklagte in sein Grundstück
hineinragend eine Wärmedämmung anbringt und damit die Breite seiner Durchfahrt verjüngt.
Diesen Anspruch kann der Kläger auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen
(Verfügungsgrund).
1. Der Kläger muss das Vorhaben der Beklagten, an ihr auf der Grenze stehendes Gebäude
hineinragen, nicht als Überbau gemäß
Dabei hat das Landgericht unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung
(BGH, Urt. v. 19.09.2008 - V ZR 152/07,
dass die Vorschrift nicht nur auf Fälle der Errichtung eines Gebäudes, sondern analog auch auf
die Fälle anzuwenden ist, dass eine Grundstücksgrenze infolge nachträglicher Veränderung
eines zunächst innerhalb der Grenzen errichteten Gebäudes überbaut wird. Eine Pflicht zur
Duldung ist jedoch deshalb ausgeschlossen, da die Beklagte grob fahrlässig oder vorsätzlich
handelt, indem sie Maßnahmen vornimmt oder vornehmen will, die einen 15 cm in das
Grundstück des Klägers hineinragenden Überstand verursachen. Wer im Bereich der
Grundstücksgrenze baut und sich nicht gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines
Vermessungsingenieurs darüber vergewissert, ob der für die Bebauung vorgesehene Grund
auch ihm gehört und er die Grenzen seines Grundstücks nicht überschreitet, handelt jedenfalls
grob fahrlässig (
Grundstücksgrenze gebaut ist. Sie weiß daher auch, dass bei einem weiteren Aufbringen von
Dämmplatten diese zwingend in das Grundstück des Klägers hineinragen. Darüber hinaus kann
Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.
2. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ergibt sich auch aus § 7 b NRG BW keine
Pflicht zur Duldung des Überbaues.
§ 7 b NRG BW regelt, dass dann, wenn nach den baurechtlichen Vorschriften unmittelbar an
die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut werden darf, der Eigentümer des
Nachbargrundstücks in den Luftraum seines Grundstücks übergreifende untergeordnete
Bauteile, die den baurechtlichen Vorschriften entsprechen, zu dulden hat, so lange diese die
Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Untergeordnete
Bauteile sind nach der Vorschrift insbesondere solche Bestandteile einer baulichen Anlage, die
deren nutzbare Fläche nicht vergrößern.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei wärmeschutzbedingten Überbauten
an einer Hauswand nicht um ein untergeordnetes Bauteil. Der nachbarrechtliche Begriff eines
untergeordneten Bauteils ist dabei nicht anders auszulegen, als in
Dort werden in einer beispielhaften Aufzählung „Gesimse, Dachvorsprünge, Eingangs- und
Terrassenüberdachungen“ genannt. Dem steht eine ab einer bestimmten Höhe in den Luftraum
des benachbarten Grundstücks hineinragen Hauswand nicht gleich (ebenso Heinzmann,
Vorbau einer Wand ist weder nach dem Zweck noch nach der Funktion ein untergeordnetes
Bauteil. Entgegen Schröer,
Wärmedämmplatten im Wege des Überbaues darüber hinaus mittelbar die nutzbare Fläche
vergrößert. Wollte man vermeiden, dass die Dämmung in das Grundstück des Nachbars
hineinragt, müsste die Dämmung an den Innenwänden angebracht werden, was die jeweilige
Raumgröße verkleinern würde. Bei gleicher Wärmedämmung führt die Lösung des Überbaus
daher zu einer Vergrößerung der nutzbaren Fläche. Auch dies steht der Annahme entgegen, das
Anbringen von Wärmedämmplatten an einer Hausaußenwand als untergeordnetes Bauteil zu
qualifizieren (vgl. § 7 b Abs. 1 S. 2 NRG BW).
3. Eine Duldungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis.
Die Ableitung von Rechten und Pflichten aus einem solchen nachbarrechtlichen
Gemeinschaftsverhältnis muss eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben, da
sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber entsprechende Überbauregelungen
getroffen haben. Die darin zum Ausdruck kommende grundsätzliche Wertung des
hinzunehmen ist, führt dazu, dass allein das grundsätzliche Interesse an einer verbesserten
Wärmedämmung als energetische Maßnahme nicht zu einer Duldungspflicht führt. Besondere
Umstände sind im Streitfall nicht dargetan. Weder ist ersichtlich, dass die Wärmedämmung
zwingend vorgenommen werden muss, noch ist dargetan, dass diese aus technischen Gründen
nicht anders als von außen erfolgen kann. Hinzu kommt, dass an dieser Stelle nach dem
Schreiben der Stadt X v. 18.8.2009 eine „geschlossene Bebauung vorgegeben“ ist, so dass - für
den Fall der Bebauung dieser Lücke durch den Kläger - auch dessen Interesse am Erhalt der
Ausschöpfung seiner Grundstücksgröße zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Streitfall
scheidet damit eine aus
Gemeinwohlinteresse an einer Wärmedämmung rechtfertigt den Überbau nicht (insoweit zu §
912 BGB ebenso: OLGR Celle 1998, 32, 33).
Zu Recht hat das Landgericht daher dem Kläger das Anbringen der in das Flurstück Nr. XXX
hineinragenden Außenisolierung und entsprechende Baumaßnahmen einstweilen untersagt.
4. Dabei steht dem Kläger für die Geltendmachung seines Anspruchs auch ein
Verfügungsgrund zur Seite. Im Hinblick auf die begonnenen Arbeiten musste der Kläger
vermeiden, dass die Beklagte nicht oder nur schwer rückbaubare Tatsachen schafft. Dem steht
auch nicht entgegen, dass der Kläger bis zum 23.6.2009 zugewartet hat, bis er einstweiligen
Rechtsschutz begehrt hat. Denn die Beklagte hatte zunächst die Arbeiten aufgrund einer
Vereinbarung bis zur Klärung der Sachlage eingestellt. Am 13.6.2009 hat diese die Arbeiten
wieder aufgenommen, so dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Antragsschrift (23.6.2009)
Dringlichkeit bestand und der Kläger durch sein Verhalten keinen Anlass gegeben hat,
anzunehmen, die Angelegenheit sei ihm nicht hinreichend eilig (Verfügungsgrund).
5. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, das Landgericht sei durch Einfügung der Maßgabe
„einstweilen“ über den Antrag des Klägers hinausgegangen und habe damit gegen
verstoßen. Das Landgericht hat mit dieser Maßgabe lediglich die im einstweiligen
Rechtsschutz selbstverständliche Begrenzung des Sicherungszwecks einer einstweiligen
Verfügung umschrieben und hat dies mit dem Wort „einstweilen“ zum Ausdruck gebracht. Ein
Verstoß gegen
im Rahmen der einstweiligen Verfügung nach freiem Ermessen zu bestimmen, welche
Anordnungen zu Erreichung des Zwecks erforderlich sind.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:08.12.2009
Aktenzeichen:6 U 121/09
Rechtsgebiete:Sachenrecht allgemein
Erschienen in:NJW 2010, 620-621
Normen in Titel:BGB § 912; NRG BW § 7b