Haftung des Grundstückseigentümers; Schäden am Nachbargrundstück durch Wasser aus öffentlichem Abwasserkanal
letzte Aktualisierung: 19.5.2022
BGH, Urt. v. 10.12.2021 – V ZR 121/20
NachbG LSA § 33;
Haftung des Grundstückseigentümers; Schäden am Nachbargrundstück
durch Wasser aus öffentlichem Abwasserkanal
Befindet sich auf einem Grundstück ein Abwasserkanal und nimmt das Nachbargrundstück durch
aus dem Kanal austretendes Wasser Schaden, scheidet eine Haftung des Grundstückseigentümers
gemäß
Abwasserbeseitigungsanlage gehört.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte
wegen des Wasserübertritts dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch
gemäß
Anhalt (im Folgenden: NbG LSA), der wegen eines Mitverschuldens des Klägers
um 25 % zu kürzen ist. Die Beklagte habe den Abwasserkanal, eine bauliche
Anlage i.S.d. § 33 NbG LSA, schuldhaft nicht so eingerichtet, dass Abwässer und
andere Flüssigkeiten, mithin auch Niederschlagswasser nicht auf das Grund-
stück des Klägers gelangten. Die Beklagte sei passivlegitimiert. Auf ihr Bestreiten,
Eigentümerin des maroden Abwasserkanals zu sein, komme es nicht an.
§ 33 NbG LSA setze lediglich Besitz oder Eigentum am Grundstück voraus. Etwas
anderes ergebe sich nicht aus der Abwasserbeseitigungssatzung der Stadt
Halle. Gemäß § 2 Abs. 6 dieser Satzung gehörten Grundstücksentwässerungskanäle
zu den privaten Grundstücksentwässerungsanlagen. Ob auch die Streitverkündete
dem Kläger hafte, weil der Wasserübertritt möglicherweise dadurch
begünstigt worden sei, dass sich mit der Einleitung in das öffentliche Netz der
Querschnitt der Abwasserleitung auf 30 cm verengt habe und die Leitung in diesem
Bereich Wurzelbewuchs aufgewiesen habe, könne offenbleiben. Gegebenenfalls
hafteten die Beklagte und die Streitverkündete dem Kläger als Gesamtschuldner.
II.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht
gegebenen Begründung lässt sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers
gegen die Beklagte nicht bejahen. Zu entscheiden ist durch Versäumnisurteil.
Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis des Klägers, sondern
auf einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60,
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Nach § 33 NbG LSA haben der Nachbar oder die Nachbarin - das sind
gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 NbG LSA der Eigentümer oder die Eigentümerin des
Grundstücks - und der unmittelbare Besitzer oder die unmittelbare Besitzerin eines
Grundstücks bauliche Anlagen so einzurichten, dass Tropfwasser, Abwässer
oder andere Flüssigkeiten nicht auf das benachbarte Grundstück übertreten.
Hierzu gehört auch Niederschlagswasser. Hätte die Beklagte schuldhaft gegen
§ 33 NbG LSA verstoßen, könnte der Kläger nach dieser Vorschrift i.V.m. § 823
Abs. 2 BGB den ihm durch den Wasserzufluss auf sein Grundstück im Jahr 2010
entstandenen Schaden ersetzt verlangen. § 33 NbG LSA ist ebenso wie vergleichbare
Vorschriften in anderen Nachbarschaftsgesetzen der Bundesländer
ein Schutzgesetz i.S.d.
- V ZR 277/10,
1984 - III ZR 20/83,
geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass es sich bei dem auf das
Grundstück des Klägers geleiteten Wasser nicht um wild abfließendes Wasser
i.S.d.
bauliche Anlage - der Abwasserkanal - und deren maroder Zustand jedenfalls
mitursächlich dafür waren, dass dem Grundstück des Klägers vermehrt Niederschlagswasser
zugeführt wurde (vgl. zu diesen Voraussetzungen allgemein
Senat, Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14,
§ 37 Abs. 1 LNRG RP). Gegen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts
werden von der Revision auch keine Einwendungen erhoben.
2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte
sei deshalb nach § 33 NbG LSA für den Abwasserkanal verantwortlich,
weil sie am Schadenstag Eigentümerin des Grundstücks war, auf dem sich der
Kanal befand.
a) Die in § 33 NbG LSA normierte Pflicht, bauliche Anlagen so einzurichten
, dass Traufwasser, Abwässer oder andere Flüssigkeiten nicht auf das benachbarte
Grundstück übertreten, setzt voraus, dass der Grundstückseigentümer
die Rechtsmacht hat, auf die bauliche Anlage einzuwirken. Dies ist in der Regel
unproblematisch bei baulichen Anlagen, die der Grundstückseigentümer selbst
errichtet hat und die als wesentliche Bestandteile in seinem Eigentum stehen
(§ 946,
b) Anders ist es aber, wenn dem Grundstückseigentümer eine Einwirkung
auf die bauliche Anlage rechtlich nicht möglich ist. So liegt es, wenn die bauliche
Anlage Bestandteil einer öffentlichen Abwasseranlage ist. Hierfür ist der Grundstückseigentümer
nicht verantwortlich.
aa) Nach
dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen - wie hier durch einen Abwasserkanal
- gesammelt abfließende Wasser (Niederschlagswasser) als Abwasser
zu qualifizieren. Damit finden die Regeln Anwendung, die der Bund und
die Länder bzw. die Kommunen für die Beseitigung von Abwässern getroffen haben.
Nach § 56 Satz 1 WHG ist Abwasser von den juristischen Personen des
öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind
(Abwasserbeseitigungspflichtige). Nach Satz 2 der Vorschrift können die Länder
bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Abwasserbeseitigung anderen
als den in Satz 1 genannten Abwasserbeseitigungspflichtigen obliegt. In Sachsen-
Anhalt obliegt gemäß § 151 Abs. 1 LWG SA in der hier maßgeblichen Fassung
vom 12. April 2006 (GVBl. LSA 2006, S. 248) die Abwasserbeseitigung den
Gemeinden. Nach § 151 Abs. 3 Nr. 1 LWG SA sind anstelle der Gemeinde die
Grundstückseigentümer zur Beseitigung des Niederschlagswassers verpflichtet,
soweit nicht die Gemeinde den Anschluss an eine öffentliche Abwasseranlage
und deren Benutzung vorschreibt, weil ein gesammeltes Fortleiten erforderlich
ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten.
bb) Von der einschlägigen Regelung hängt ab, für welche Leitungen der
Grundstückseigentümer und für welche Leitungen die Gemeinde die Verantwor-
tung trägt. In wessen Eigentum die Leitung steht, ist grundsätzlich nicht entscheidend.
Maßgeblich sind vielmehr die von den Gemeinden erlassenen Satzungen
bzw. die mit dem Grundstückseigentümer vereinbarten Ver- bzw. Entsorgungsbedingungen
(vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2008 - III ZR 5/07, NVwZ 2008,
1157 Rn. 12 f.; Urteil vom 1. Februar 2007 - III ZR 289/06,
Rn. 10; Urteil vom 14. Juli 1988 - III ZR 225/87,
Inhaberschaft einer Anlage i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG; vgl. zur
Unmaßgeblichkeit der Eigentumsverhältnisse auch BVerwG, Beschluss vom
13. Januar 2016 - 7 B 3/15, juris Rn. 6 ff.).
cc) Diese abwasserrechtlichen Regelungen wirken sich auch auf die Haftung
eines Grundstückseigentümers für Wasserschäden auf dem Nachbargrundstück
aus. Befindet sich auf einem Grundstück ein Abwasserkanal und nimmt das
Nachbargrundstück durch aus dem Kanal austretendes Wasser Schaden, scheidet
eine Haftung des Grundstückseigentümers gemäß
§ 33 NbG LSA aus, wenn der Kanal zu einer öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage
gehört.
c) Ob der Abwasserkanal in den Verantwortungsbereich der Beklagten fiel
und sie deshalb rechtlich befugt und damit auch verpflichtet war, den Kanal als
bauliche Anlage i.S.d. § 33 NbG LSA in einem ordnungsgemäßen Zustand zu
erhalten, lässt sich mangels hinreichender Feststellungen nicht beurteilen. Richtig
ist, dass nach § 2 Abs. 6 der Abwassersatzung der Stadt Halle Grundstücksentwässerungskanäle
zu den privaten Grundstücksentwässerungsanlagen
gehören. Ob aber der auf dem Grundstück der Beklagten befindliche Kanal von
§ 2 Abs. 6 der Abwassersatzung erfasst wird oder aber zu den öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen
gemäß § 2 Abs. 5 der Satzung gehört, hat das Berufungsgericht
nicht geklärt. Nach dem Vortrag der Beklagten, den das Berufungsgericht
als streitigen Tatsachenvortrag in seinem Urteil wiedergibt und der
für das Revisionsverfahren als zutreffend zu unterstellen ist, soll es sich bei dem
Abwasserkanal um einen Durchleitungskanal des öffentlichen Durchleitungs- und
Abwassersystems der Stadt Halle handeln, über den auch Privatgrundstücke,
Grundstücke der Universität Halle und öffentliche Flächen entwässert worden
seien. Träfe dies zu, schiede ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach
tragen deshalb das auf diese Vorschriften gestützte Grundurteil nicht.
3. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar
(
setzen eine Verantwortlichkeit der Beklagten für den auf ihrem Grundstück befindlichen
Abwasserkanal voraus, von der im Revisionsverfahren nicht ausgegangen
werden kann.
a) Dies gilt zunächst für einen Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG.
Wird durch die Wirkungen von (u.a.) Flüssigkeiten, die von einer Rohrleitungsanlage
ausgehen, eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet,
den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs gehört die gemeindliche Abwasserkanalisation zu
den Rohrleitungsanlagen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli
1983 - III ZR 119/82,
5/07,
Verschulden der Inhaber der Anlage. Inhaber ist, wer die tatsächliche Herrschaft
über ihren Betrieb ausübt und die hierfür erforderlichen Weisungen erteilen kann
(BGH, Urteil vom 4. November 2021 - III ZR 249/20, juris Rn. 9; Beschluss vom
30. April 2008 - III ZR 5/07,
Verantwortung des kommunalen Entsorgers endet und die des Anschlussnehmers
beginnt, hängt entscheidend von den Regelungen in den von
den Gemeinden erlassenen Satzungen bzw. von den mit dem Grundstückseigentümer
vereinbarten Ver- bzw. Entsorgungsbedingungen ab (vgl. BGH, Beschluss
vom 30. April 2008 - III ZR 5/07,
fehlt es an Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, wie es sich hier verhält.
b) Entsprechendes gilt für einen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1
BGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht
oder für einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz
2 BGB, sollte letzterer ohnehin nicht bereits aus anderen Gründen ausscheiden,
wovon das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats
(Urteil vom 18. November 1994 - V ZR 98/93,
den Abwasserkanal die Verkehrssicherungssicherungspflicht trägt bzw. bei
Schäden als Störer i.S.d.
der Kanal zu der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage oder zu der privaten
Grundstücksentwässerungsanlage der Beklagten gehört.
III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
da die Sache nicht entscheidungsreif ist (
Berufungsgericht wird den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme
zu der vorrangig zu klärenden Frage einzuräumen haben, ob der Abwasserkanal
in den Verantwortungsbereich der Beklagten oder der Stadt Halle bzw.
der von ihr mit der Abwasserbeseitigung beauftragten Streitverkündeten fällt. In
diesem Zusammenhang kann es auch auf entsprechende Vereinbarungen der
Beklagten mit der Stadt bzw. der Streitverkündeten ankommen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:10.12.2021
Aktenzeichen:V ZR 121/20
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
NachbG LSA § 33; BGB § 823 Abs. 2