Notarhaftung; unbefristete Fortgeltungsklausel; Kausalität
letzte Aktualisierung: 05.03.2020
BGH, Urt. v. 23.1.2019 – III ZR 28/19
ZPO § 287
Notarhaftung; unbefristete Fortgeltungsklausel; Kausalität
a) Bei Verwendung einer (unwirksamen) unbefristeten Fortgeltungsklausel in einem von ihm
vorformulierten Angebot zum Kauf einer Immobilie handelt der Zentral- beziehungsweise
Vollzugsnotar amtspflichtwidrig, wenn er ohne vorherige Abklärung des Willens der Käufer in
Bezug auf das weitere Vorgehen im Rahmen der ihm obliegenden "betreuenden" Belehrung die
Annahme der Verkäuferin beurkundet und den Kaufvertrag vollzieht, insbesondere, indem er die
Fälligkeit des Kaufpreises gegenüber den Käufern bestätigt.
b) Da die haftungsausfüllende Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen
Kaufpreisschaden feststeht, betrifft die hypothetische Frage, ob dieser auch bei pflichtgemäßem
Verhalten des beklagten Notars entstanden wäre, weil die Urkundsbeteiligten ungeachtet der ihnen
gegenüber offengelegten Zweifel an der fortbestehenden Wirksamkeit ihres Angebots an dem
Abschluss des Kaufvertrags festgehalten hätten, eine im Rahmen des haftungsausfüllenden
Zurechnungszusammenhangs zu beachtende Reserveursache, für die der Notar nachweispflichtig ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe seine Amtspflicht
schuldhaft verletzt, indem er es unterlassen habe, die Kläger im zeitlichen
Zusammenhang mit der Beurkundung vom 28. März 2007 zu kontaktieren
und darüber zu belehren, dass Zweifel an der rechtlichen Wirksamkeit der in
ihrem Kaufangebot enthaltenen unbefristeten Fortgeltungsklausel bestünden.
Die Kläger hätten indes den ihnen obliegenden Nachweis nicht führen können,
dass der geltend gemachte Schaden kausal auf dieser Pflichtverletzung beruhe.
Für diesen haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang, bei dem es darauf
ankomme, wie sich das Geschehen und die Vermögenslage des Betroffenen
bei pflichtgemäßem Verhalten des Notars entwickelt hätten, trage der Geschädigte
die Darlegungs- und Beweislast. Die Kläger hätten zwar vorgetragen,
dass sie bei korrekter Belehrung kein weiteres Kaufangebot mehr abgegeben
hätten. Aufgrund der Parteivernehmung des Klägers zu 1 habe aber keine
überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür festgestellt werden können, dass bei
pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten der Wohnungskauf nicht abgewickelt
worden und der Schaden nicht entstanden wäre. Vielmehr erscheine es sehr
viel wahrscheinlicher, dass die Kläger auf eine Belehrung des Beklagten zur
Beseitigung der Rechtsunsicherheit erneut eine Vertragserklärung abgegeben
hätten.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat zwar rechtsfehlerfrei eine schuldhafte Amtspflichtverletzung
des beklagten Notars angenommen, ist jedoch zu Unrecht davon
ausgegangen, dass die Kläger beweispflichtig dafür sind, dass bei pflichtgemäßem
Verhalten des Beklagten der Wohnungskauf nicht abgewickelt worden
und der geltend gemachte Kaufpreisschaden nicht entstanden wäre. Denn
in der vorliegenden Fallkonstellation zielt die Frage, wie sich die Kläger hypothetisch
verhalten hätten, auf das Bestehen einer den haftungsausfüllenden
Zurechnungszusammenhang unterbrechenden Reserveursache ab, für die der
Beklagte als Schädiger die Beweislast trägt.
a) Das Kaufangebot der Kläger vom 11. November 2006 war ungeachtet
der Frage der Angemessenheit seiner Bindungsdauer (§ 147 Abs. 2 BGB; vgl.
dazu BGH, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09,
12 f und Versäumnisurteil vom 7. Juni 2013 - V ZR 10/12,
Rn. 8) spätestens mit deren Ablauf am 31. Dezember 2006 nach
erloschen, so dass die am 28. März 2007 beurkundete - verspätete - Annahmeerklärung
der Verkäuferin gemäß
Zwar sollte das Angebot auch nach Ablauf der Bindungsfrist unbegrenzt
fortgelten. Diese vom Beklagten als Zentral- beziehungsweise Vollzugsnotar zur
Verwendung in einer Vielzahl von Fällen für die Verkäuferin vorformulierte unbefristete
Fortgeltungsklausel war jedoch trotz der den Klägern eingeräumten
Widerrufsmöglichkeit nach § 308 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. BGH, Versäumnisurteil
vom 7. Juni 2013, aaO Rn. 18 ff).
b) Dies war zum Beurkundungszeitpunkt zwar noch nicht abschließend
höchstrichterlich geklärt. Allerdings hat der Senat auch in Fällen von in den Jahren
2006 bis 2008 beurkundeten Angeboten zum Abschluss von Wohnungskaufverträgen,
die eine unbefristete Fortgeltungsklausel enthielten, eine fahrlässige
Amtspflichtverletzung eines Notars bejaht, der - wie hier - das Käuferangebot
entwickelt sowie die Annahme des Verkäufers beurkundet hatte und in
dem Angebot als Vollzugsnotar bestimmt worden war. Denn der Notar hätte - in
Anbetracht des damals bestehenden breiten Meinungsspektrums zur Wirksamkeit
von Fortgeltungsklauseln - bei der am Maßstab des § 308 Nr. 1 BGB auszurichtenden
gebotenen sorgfältigen Prüfung der Rechtslage erkennen müssen,
dass die Wirksamkeit der verwendeten Klausel jedenfalls angesichts ihrer
mangelnden Befristung zweifelhaft war. Über diese Zweifel hätte er (auch) den
bei der Beurkundung der Verkäufererklärung nur mittelbar beteiligten Käufer
gemäß § 17 Abs. 1 BeurkG und § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO belehren müssen,
um mit ihm die weitere Vorgehensweise - etwa die Beurkundung eines erneuten
Angebots oder die Abstandnahme vom Vertragsschluss - zu klären. Das Unterlassen
einer solchen "betreuenden Belehrung" war sorgfaltswidrig (vgl. Senat,
Urteile vom 21. Januar 2016 - III ZR 159/15,
ZR 160/15,
ZR 558/16,
c) Die vom Beklagten hiernach schuldhaft verletzte Amtspflicht erschöpfte
sich indes nicht in einer bloßen Hinweis- und Belehrungspflicht. Vielmehr hätte
der Beklagte ohne vorherige Abklärung des Willens der Kläger die Annahmeerklärung
der Verkäuferin gar nicht beurkunden, jedenfalls aber den - nur
vermeintlich geschlossenen - Kaufvertrag nicht vollziehen dürfen (vgl. Senat,
Urteile vom 21. Januar 2016 - III ZR 159/15, aaO Rn. 21 und III ZR 160/15, aaO
Rn. 20). Dabei hätte er insbesondere nicht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 der im An-
gebot in Bezug genommenen Verweisurkunde den Klägern bestätigen dürfen,
dass die Rechtswirksamkeit des Vertrags als eine von mehreren Fälligkeitsvoraussetzungen
für die von ihnen jeweils binnen zehn Bankarbeitstagen (vgl. § 8
der Verweisurkunde) ratenweise nach Baufortschritt zu erbringende Kaufpreiszahlung
eingetreten sei. Indem er dies dennoch getan hat, hat er den Kaufpreisschaden
der Kläger verursacht. Die Kausalität seines amtspflichtwidrigen
Verhaltens für den eingetretenen Schaden steht damit fest und musste entgegen
der Auffassung des Berufungsgerichts von den Klägern nicht mehr bewiesen
werden. Ob diese auf Belehrung des Beklagten über die mögliche Unwirksamkeit
der verwendeten Fortgeltungsklausel und deren Rechtsfolgen hin erneut
ein Kaufangebot abgegeben hätten, durch dessen Annahme der Vertrag
zustande gekommen wäre, ist dementsprechend keine Frage nach dem haftungsausfüllenden
Ursachenzusammenhang (wie beim Unterlassen einer bloßen
Aufklärung), sondern nach dem Bestehen einer hypothetischen, anderen
Schadensursache, die bei wertender Betrachtung geeignet wäre, die haftungsrechtliche
Zurechnung des eingetretenen Schadens zu unterbrechen (vgl. zB
BGH, Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 144/87,
MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 207 f). Dass der Schaden aufgrund
einer beachtlichen Reserveursache ohnehin entstanden wäre, hat jedoch im
Streitfall der Schädiger zu beweisen, wobei zwar (auch) für ihn das herabgesetzte
Beweismaß des
Zweifel zu seinen Lasten gehen (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 2015 - III
ZR 292/14,
des Beklagten in der Revisionsverhandlung geäußerten Ansicht
auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn es um die (theoretische) Frage ginge,
ob die Kläger in der kurzen Zeitspanne zwischen der Mitteilung des Beklagten
über die Annahmeerklärung der Verkäuferin beziehungsweise die Rechtswirksamkeit
des Kaufvertrags ein neues Angebot abgegeben hätten, wenn sie
zusammen mit dieser Unterrichtung ordnungsgemäß aufgeklärt worden wären.
Auch in diesem Fall wäre das Hinzutreten des neuen Angebots in den (gedachten)
Kausalverlauf eine nur hypothetische Reserveschadensursache, die lediglich
den haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der Mitteilung
der Fälligkeitsvoraussetzungen für die erste Kaufpreisrate und der Zahlung
der Kläger unterbrechen würde.
Aus dem vom Beklagten in seiner Revisionserwiderung herangezogenen
Senatsurteil vom 21. Januar 2016 (III ZR 171/15,
ähnlichen, aber nicht gleichgelagerten Fall folgt nichts Anderes. In dem
dieser Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren hatte sich der Tatrichter in
dem nach
darüber verschafft, dass der betreffende Urkundsbeteiligte angesichts
der Unwirksamkeit seines ursprünglichen Kaufangebots ein neues Angebot abgegeben
hätte (aaO Rn. 18). Die Frage der Beweislast stellte sich dementsprechend
nicht.
d) Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist entscheidungserheblich.
Zwar hat es die Vorinstanz aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für
"sehr viel wahrscheinlicher" gehalten, dass die Kläger auf eine Belehrung des
Beklagten hin eine erneute Vertragserklärung abgegeben hätten, als dass der
Wohnungskauf nicht abgewickelt worden und der geltend gemachte Kaufpreisschaden
nicht entstanden wäre. Dieser (nur) vergleichenden Betrachtung lässt
sich indes nicht zweifelsfrei entnehmen, dass das Berufungsgericht es auch bei
zutreffender Verortung der Beweislast auf Seiten des beklagten Notars in einem
dem Beweismaß des
wahrscheinlich (vgl. dazu BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 485 [Stand: 1. September
2019]) und damit als erwiesen angesehen hätte, dass die Kläger auf
Hinweis zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit ein neues Kaufangebot abgegeben
hätten. Dies gilt umso mehr, als sich seine Einschätzung im Wesentlichen
auf den vom Kläger zu 1 bekundeten Umstand stützt, dass die Kläger von
der Vermittlerin erwähnte finanzielle Nachteile beziehungsweise Regressansprüche
für den Fall des Widerrufs ihres Kaufangebots nach Ablauf der Bindungsfrist
befürchtet hätten. Denn insoweit übersieht das Berufungsgericht,
dass diese Furcht letztlich auf der irrigen Vorstellung der Kläger beruhte, dass
ihr Angebot auch nach Ablauf der Bindungsfrist weiterhin Rechtswirkung entfaltet
habe und als Grundlage für etwaige Regressansprüche dienen könne. Die
Besorgnis der Kläger hätte sich mutmaßlich erheblich abgeschwächt, wenn der
Beklagte sie ordnungsgemäß darüber aufgeklärt hätte, dass ihr Angebot möglicherweise
wegen Unwirksamkeit der unbefristeten Fortgeltungsklausel nach
Ablauf der Bindungsfrist erloschen sei und deshalb von der Verkäuferin überhaupt
nicht mehr habe angenommen werden können. Ob auch in diesem Fall
für die Kläger noch ein hinreichendes Motiv bestanden hätte, zur Behebung der
dargelegten Rechtsunsicherheit erneut ein annahmefähiges Kaufangebot abzugeben,
ist unklar. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht
bei rechtsfehlerfreier Entscheidung vor allem in Bezug auf die vorliegend gegebene
Beweislastverteilung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig (
den beklagten Notar wegen fahrlässiger Amtspflichtverletzung nicht an der
Subsidiaritätsklausel des
anderweitigen Ersatzmöglichkeit des Schadens verlangt.
a) Die Kläger können nicht auf Ansprüche gegen die Verkäuferin, die
P. R. GbR, verwiesen werden. Ein Anspruch des Geschädigten
gegen einen Dritten stellt keine zumutbare anderweitige Ersatzmöglichkeit im
Sinne des
- ebenfalls in den Schutzbereich der verletzten Notarpflichten einbezogen ist.
Denn dann muss letztlich der Notar für den Schaden einstehen, da er, selbst
wenn er den Geschädigten darauf verweisen dürfte, sich an dem Dritten schadlos
zu halten, sofort von diesem in Anspruch genommen werden könnte (vgl.
BGH, Urteil vom 15. Juli 2004 - IX ZR 262/00,
mwN). Etwas Anderes folgt auch nicht ausnahmsweise daraus, dass ein etwaiger
Anspruch der Verkäuferin gegen den Beklagten verjährt wäre, wovon das
Landgericht allerdings unrichtig ausgegangen ist. Der Beginn der Verjährung
eines Schadensersatzanspruchs der in den Schutzbereich der verletzten notariellen
Amtspflichten einbezogenen Verkäuferin gegen den Beklagten setzt die
Entstehung eines Schadens bei ihr voraus. Dabei kann es sich, soweit es um
die Frage nach einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit geht, nur um den Schaden
handeln, der ihr aus der Inanspruchnahme durch die Kläger als ihren Vertragspartnern
erwächst. Solange diese Inanspruchnahme aussteht, läuft im
Verhältnis der Verkäuferin zu dem beklagten Notar keine Verjährungsfrist (vgl.
BGH, Urteil vom 15. Juli 2004, aaO S. 1706).
b) Entgegen der mit der Revisionserwiderung geäußerten Auffassung
des Beklagten hätte es den Klägern auch nicht oblegen, zunächst Ansprüche
gegen die Vermittlerin beziehungsweise deren Gesellschafter zu verfolgen. Die
Kläger haben unbestritten vorinstanzlich vorgetragen, dass die vormals als
Wirtschaftskanzlei S. & R. firmierende Vermittlerin in Bezug auf
den Erwerb der Wohnung keine Beratungsleistungen erbracht habe (vgl. Klageschrift
vom 20. März 2017 S. 9). Konkrete Ansatzpunkte für eine mit hinreichender
Aussicht auf Erfolg und damit zumutbar verfolgbare Schadensersatz-
verpflichtung der mittlerweile aufgelösten Vertriebsfirma beziehungsweise ihrer
Gesellschafter ergeben sich daraus nicht, zumal keine Partei behauptet hat,
dass deren Mitarbeiter die Kläger in irgendeiner Weise wahrheitswidrig über die
Anlage und deren Rentabilität informiert hätten.
3. Nach alldem ist das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:23.01.2019
Aktenzeichen:III ZR 28/19
Rechtsgebiete:
Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
AGB, Verbraucherschutz
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
ZNotP 2020, 221-224
NJW-RR 2020, 626-628
BeurkG § 17 Abs. 1; BNotO §§ 14 Abs. 1 S. 2, 19 Abs. 1 S. 2; BGB §§ 146, 150 Abs. 1, 308 Nr. 1; ZPO § 287