Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste; heimliche Einreichung der Gesellschafterliste durch die Gesellschaft; Reichweite des einstweiligen Rechtsschutzes
letzte Aktualisierung: 27.8.2024
OLG Hamm, Beschl. v. 20.6.2024 – 8 W 10/24
GmbHG §§ 16, 40; BGB § 1004 Abs. 1; ZPO §§ 935, 940
Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste; heimliche Einreichung
der Gesellschafterliste durch die Gesellschaft; Reichweite des einstweiligen Rechtsschutzes
1. Der einstweilige Rechtsschutz kann sich ausnahmsweise auf die Verpflichtung zur Einreichung
der ursprünglichen Gesellschafterliste zum Handelsregister erstrecken, wenn das Vorgehen einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung erkennbar darauf ausgerichtet ist, den präventiven
Rechtsschutz eines Gesellschafters zu vereiteln.
2. Die Rechtsordnung hat einem Gesellschafter maximalen effektiven Rechtsschutz zu gewähren,
wenn die anderen Gesellschafter die Geschäftsanteile des betroffenen Gesellschafters auf einer nicht
ordnungsgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung entgegen einer früheren richterlichen
Anordnung eingezogen haben und die Gesellschaft dem betroffenen Gesellschafter kein Protokoll
über die Gesellschafterversammlung übersandt und die geänderte Gesellschafterliste ohne
Anhörung des betroffenen Gesellschafters heimlich zum Handelsregister eingereicht hat und im
Nachgang jeden Kontaktversuch des betroffenen Gesellschafters ablehnt. In einem solchen
Ausnahmefall ist der einstweilige Rechtsschutz nicht auf die Erhaltung des status quo beschränkt
(Zuordnung eines Widerspruchs gegen die geänderte Gesellschafterliste und Verpflichtung zur
Behandlung als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten), sondern umfasst auch die
Wiederherstellung des ursprünglichen Handelsregisters (Verpflichtung zur Einreichung der
ursprünglichen Gesellschafterliste), um die Regelungssystematik des
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz nach Einziehung seiner
Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nach dem glaubhaft
gemachten Vorbringen des Antragstellers ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Antragsteller war Gründer und früherer Geschäftsführer der Antragsgegnerin und ist
Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von zuletzt 29 % (lfd. Nr. N02 bis N03). Weitere
Gesellschafter sind die I. AG mit einem Geschäftsanteil von 51 % (lfd. Nr. N04 bis N05)
und die Herren O. und Y. mit jeweils einem Geschäftsanteil von 10 %. Der Antragsteller
vermietete eine Immobilie an die Antragsgegnerin und stand mit ihr in einem
Arbeitsverhältnis.
Im Dezember 2023 deutete die Mehrheitsgesellschafterin gegenüber dem Antragsteller an,
eine Übernahme aller Gesellschafteranteile, eine Kündigung des Mietverhältnisses und
eine Freistellung vom Arbeitsverhältnis anzustreben. In der Folgezeit kündigte sie das
Mietverhältnis und machte dem Antragsteller ein Angebot zur Übernahme seiner
Geschäftsanteile, das der Antragsteller zurückwies.
Daraufhin kündigte die Antragsgegnerin das Arbeitsverhältnis und lud die Gesellschafter
zu einer Gesellschafterversammlung am 06.02.2024 ein, um u.a. über die Einziehung der
Geschäftsanteile des Antragstellers aus wichtigem Grund zu beschließen. Die
Gesellschafter beschlossen auf der Gesellschafterversammlung u.a. mehrheitlich gegen
die Stimme des Antragstellers die Einziehung seiner Geschäftsanteile, die Beauftragung
des Geschäftsführers zur Ermittlung und Auszahlung einer Einziehungsvergütung und die
Bildung neuer Geschäftsanteile zur Zuordnung an die Mehrheitsgesellschafterin.
Der Antragsteller erhob gegen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage
vor dem Arbeitsgericht Rheine (Az.: 2 Ca 65/24). Dieses stellte mit Urteil vom 27.05.2024
die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses fest.
Außerdem erwirkte der Antragsteller vor dem Landgericht Münster eine einstweilige
Verfügung vom 14.02.2024 (Az.: 26 O 3/24), wonach der Antragsgegnerin vorläufig
untersagt wurde, eine geänderte Liste der Gesellschafter zum Handelsregister
einzureichen, und diese vorläufig verpflichtet wurde, den Antragsteller als Gesellschafter
mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln. Außerdem erhob der Antragsteller gegen
die Gesellschafterbeschlüsse vom 06.02.2024 eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor
dem Landgericht Münster (Az.: 26 O 5/24).
Auf einer weiteren Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin am 05.06.2024 wurde
u.a. erneut die Einziehung der Gesellschaftsanteile des Antragstellers und die Bildung
neuer Gesellschaftsanteile und deren Zuordnung an die Mehrheitsgesellschafterin
beschlossen. Der Antragsteller wurde zu dieser Gesellschafterversammlung nicht
eingeladen. Er erhielt auch kein Protokoll über die Gesellschafterversammlung. Die
Antragsgegnerin veranlasste ohne Anhörung des Antragstellers am 07.06.2024 die
Einreichung einer geänderten Liste der Gesellschafter zum Handelsregister, wonach
aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 05.06.2024 die Geschäftsanteile des
Antragstellers aufgelöst, neue Gesellschafteranteile (lfd. Nr. N06 bis N07) gebildet und
diese der Antragsgegnerin zugeordnet wurden. Am 10.06.2024 veranlasste die
Antragsgegnerin erneut ohne Anhörung des Antragstellers die Einreichung einer weiteren
geänderten Liste der Gesellschafter, wonach aufgrund einer notariellen Urkunde des
Notars S. (UR-Nr. N01) die neuen Geschäftsanteile statt der Antragsgegnerin der
Mehrheitsgesellschafterin zugeordnet wurden.
Der Antragsteller erfuhr hiervon erstmalig am 12.06.2024, nachdem er das Handelsregister
eingesehen hatte. Er versuchte Kontakt zur Antragsgegnerin aufzunehmen, worauf diese
nicht reagierte. Daraufhin erwirkte er in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht
Münster im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes die Zuordnung eines Widerspruchs
zu den im Handelsregister veröffentlichten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024 und
10.06.2024 (Az.: 23 O 24/24).
Der Antragsteller hat eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen die
Gesellschafterbeschlüsse vom 05.06.2024 erhoben und im hiesigen einstweiligen
Verfügungsverfahren mit Schriftsatz vom 12.06.2024 vor dem Landgericht Münster
beantragt:
„1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, eine korrigierte und den Stand bis zum
05.06.2024 wiedergebende Liste der Gesellschafter zum Handelsregister einzureichen,
aus der die Gesellschafterstellung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Inhaber
der Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn. N02 bis N03 hervorgeht.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller bis zur rechtskräftigen
Feststellung der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses der
Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin vom 05.06.2024 weiterhin als
Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln.
3. Der Antragsgegnerin wird es bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der
mutmaßlich am 05.06.2024 gefassten Beschlüsse untersagt, diese ganz oder teilweise
umzusetzen, insbesondere registerrechtlich zu vollziehen.
4. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 2
bezeichneten Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 Euro und für
den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu
6 Monaten, zu vollstrecken gegen die Geschäftsführer, angedroht.“
Das Landgericht Münster hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.06.2024 dem
Verfügungsantrag zu 2 stattgeben und die Verfügungsanträge zu 1 und 3 abgewiesen. Die
Abweisung des Verfügungsantrags zu 1 hat es damit begründet, dass der Antragsteller
kein Rechtsschutzbedürfnis habe, weil er durch die Zuordnung des Widerspruchs im
Parallelverfahren und durch die Stattgabe des Verfügungsantrags zu 2 ausreichend
geschützt sei. Der Verfügungsantrag zu 3 sei abzulehnen, weil der Antragsteller einen
Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Es sei unklar, ob auf der
Gesellschafterversammlung am 05.06.2024 über den Einziehungsbeschluss hinaus
weitere Gesellschafterbeschlüsse gefasst worden seien. Der Antragsteller sei auf sein
Auskunftsrecht zu verweisen. Über den Verfügungsantrag zu 4 hat das Landgericht
Münster nicht entschieden.
Gegen die Zurückweisung der Verfügungsanträge zu 1 und 3 sowie der Nichtentscheidung
über den Verfügungsantrag zu 4 hat der Antragsteller Beschwerde beim Oberlandesgericht
eingelegt, mit der er unter Aufrechterhaltung des stattgegebenen Verfügungsantrags zu 2
beantragt:
„1. Unter Abänderung des Angefochtenen Beschlusses Die Antragsgegnerin wird
verpflichtet, eine korrigierte und den Stand bis zum 05.06.2024 wiedergebende Liste der
Gesellschafter zum Handelsregister einzureichen, aus der die Gesellschafterstellung des
Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Inhaber der Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn.
N02 bis N03 hervorgeht.
2. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird es der Antragsgegnerin bis zur
rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der mutmaßlich am 05.06.2024 gefassten
Beschlüsse untersagt, diese ganz oder teilweise umzusetzen, insbesondere
registerrechtlich zu vollziehen.
3. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der Antragsgegnerin für jeden
Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 2 bezeichneten Verpflichtungen ein
Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht
beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegen die
Geschäftsführer, angedroht.
Das Landgericht hat keine Abhilfeentscheidung getroffen und die Akten dem
Oberlandesgericht auf dessen Anforderung hin übersandt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss und die Schriftsätze
des Antragstellers nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Der Antragsteller hat das statthafte Rechtsmittel (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) form- und
fristgerecht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen beim zuständigen Beschwerdegericht
eingelegt (
Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach den allgemeinen
Zuständigkeitsregelungen berufen (
entbehrlich. Da die sofortige Beschwerde unmittelbar beim Beschwerdegericht eingelegt
wurde und das Abhilfeverfahren der Prozessökonomie dient, ist es angesichts der
Eilbedürftigkeit der Sache keine Voraussetzung für die Entscheidung des
Beschwerdegerichts (vgl. Feskorn in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 572 Rn. 4 mwN).
2. Die sofortige Beschwerde ist begründet.
a) Der Antragsteller kann im einstweiligen Rechtsschutz als Rechtsschutzziel die
Anordnung, eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, und die
Untersagung, die in der Gesellschafterversammlung vom 05.06.2024 getroffenen
Beschlüsse umzusetzen, verfolgen.
aa) Die Regelungssystematik des
Zuordnung der Widersprüche gegen die geänderten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024
und 10.06.2024 (Az.: 23 O 24/24) sowie die Stattgabe des Verfügungsantrags zu 2 auf
Behandlung des Antragstellers als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten bieten im
vorliegenden Fall keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz, weil die Antragsgegnerin
die Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers als Gesellschafter gezielt und heimlich
unterlaufen hat.
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass nach einer Einziehung eines Geschäftsanteils
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einreichung einer geänderten
Gesellschafterliste untersagt werden kann. Dem von einer möglicherweise fehlerhaften
Einziehung seines Geschäftsanteils betroffenen Gesellschafter muss ein effektives Mittel
zur Verfügung gestellt werden, seine Entrechtung in der Gesellschaft während der Dauer
des Rechtsstreits über die Einziehung zu verhindern bzw. seine streitige materiellrechtliche
Gesellschafterstellung bis zur Klärung der Wirksamkeit der Einziehung zu
sichern. Begleitend zur Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den
Einziehungsbeschluss kann der Gesellschafter bei Vorliegen der Voraussetzungen im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die insoweit passivlegitimierte Gesellschaft
das Verbot erwirken, eine neue Gesellschafterliste, in der er nicht mehr aufgeführt ist, bei
dem Registergericht einzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2019, II ZR 406/17, juris
Rn. 39).
Darüber hinaus kann sich der einstweilige Rechtsschutz ausnahmsweise auch auf die
Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste erstrecken, wenn das
Vorgehen der Gesellschaft erkennbar darauf ausgerichtet ist, den präventiven
Rechtsschutz des Gesellschafters zu vereiteln. Das gilt insbesondere dann, wenn der
betroffene Gesellschafter mangels Einladung und Anhörung keine Kenntnis vom
Einziehungsbeschluss und der Einreichung der geänderten Gesellschafterliste zum
Handelsregister hat. Andernfalls hinge die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes
von zeitlichen Zufällen ab und benachteiligt gerade den Gesellschafter, der auf
rechtswidrige Weise keine Kenntnis von der Einziehung seiner Geschäftsanteile hat (vgl.
KG, Urteil vom 17.05.2023, 23 U 14/23, juris Rn. 33 ff.; OLG München, Beschluss vom
18.05.2021, 7 W 718/21, juris Rn. 59).
Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Antragsgegnerin heimlich vorgegangen ist, den
Einziehungsbeschluss ohne ordnungsgemäße Einberufung der
Gesellschafterversammlung beschlossen hat, kein Protokoll der
Gesellschafterversammlung übersandt hat, die geänderte Gesellschafterliste ohne
Anhörung des betroffenen Gesellschafters zum Handelsregister eingereicht hat und im
Nachgang jede Kontaktaufnahme abgelehnt hat.
In einem solchen Fall muss die Rechtsordnung dem betroffenen Gesellschafter vorläufig
maximalen effektiven Rechtschutz gewähren. Dieser ist nicht auf die Erhaltung des status
quo beschränkt (Zuordnung eines Widerspruchs gegen die geänderte Gesellschafterliste
und Verpflichtung zur Behandlung als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten),
sondern umfasst auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands durch Korrektur
des Handelsregisters (Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen
Gesellschafterliste). Denn die Gesellschaft hat durch ihre Vorgehensweise gezeigt, dass
sie den betroffenen Gesellschafter gerade nicht als solchen mit allen Rechten und
Pflichten behandelt, weshalb eine solche Anordnung als milderes Mittel nicht genügt. Auch
die Zuordnung des Widerspruchs reicht in einem solchen Fall nicht aus, weil dieser nur vor
einem gutgläubigen Erwerb schützt, aber die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1
GmbHG unberührt lässt. Dagegen wird durch die Einreichung der ursprünglichen
Gesellschafterliste die anfängliche Regelungssystematik des
wiederhergestellt.
bb) Das Rechtsschutzziel im einstweiligen Rechtsschutz kann sich zur Sicherung der
Hauptsache auch auf die Untersagung der Umsetzung formell rechtswidriger und nichtiger
Gesellschafterbeschlüsse wegen fehlerhafter Einberufung zur Gesellschafterversammlung
erstrecken.
b) Der Antragsteller hat einen Verfügungsanspruch für beide vom Landgericht
abgewiesenen Verfügungsanträge i.S.d.
gemacht.
Er hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Beseitigung rechtswidriger Eingriffe
in sein Mitgliedschaftsrecht als Gesellschafter gemäß
Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB.
Die auf der Gesellschafterversammlung am 05.06.2024 beschlossenen
Gesellschafterbeschlüsse sind formell rechtswidrig und nichtig, weil der Antragsteller zu
der Gesellschafterversammlung entgegen § 51 GmbHG nicht eingeladen wurde und nicht
anwesend war (vgl. bereits BGH, Urteil vom 14.12.1961, II ZR 97/59, juris [Ls.]. Hierbei
handelt es sich ausweislich der vorgelegten geänderten Gesellschafterlisten vom
07.06.2024 und 10.06.2024 um die Einziehung der Gesellschafteranteile des
Antragstellers, die Bildung neuer Gesellschafteranteile, deren Zuordnungen an die
Antragsgegnerin und die Mehrheitsgesellschafterin sowie die Einreichung der geänderten
Gesellschafterlisten beim Handelsregister.
Die Nichtigkeit bezieht sich auch auf alle weiteren Gesellschafterbeschlüsse vom
05.06.2024. Der Antragsteller hat entgegen dem angefochtenen Beschluss glaubhaft
gemacht, dass weitere naheliegende Gesellschafterbeschlüsse ergangen sind, die
mangels ordnungsgemäßer Einberufung der Gesellschafterversammlung in die
Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers eingreifen, etwa die Beauftragung des
Geschäftsführers zur Ermittlung und Auszahlung einer Einziehungsvergütung, wie es die
Gesellschafter auf der vorangegangenen Gesellschafterversammlung am 14.02.2024
beschlossen haben. Entgegen dem angefochtenen Beschluss ist der Antragsteller bei
Beachtung des Wahrheitsgrundsatzes gemäß § 138 Abs. 1 ZPO nicht in der Lage, die
weiteren Gesellschafterbeschlüsse näher zu konkretisieren, weil die Antragsgegnerin kein
Protokoll über die Gesellschafterversammlung übersandt und jede Kontaktaufnahme
verweigert hat. Schon aus diesem Grund kann der Antragsteller zur Konkretisierung der
Gesellschafterbeschlüsse auch nicht auf ein offenkundig nicht erfolgsversprechendes
Auskunftsrecht verwiesen werden, zumal die Sache eilbedürftig ist.
Schließlich sind die unter diesen Umständen erstellten und zum Handelsregister
eingereichten geänderten Gesellschafterlisten weitere Eingriffe in die Mitgliedschaftsrechte
des Antragstellers als Gesellschafter.
c) Der Antragsteller hat auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.
aa) Die Begründetheit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt neben
dem Bestehen eines streitigen Rechtsverhältnisses (Verfügungsanspruchs) die
Notwendigkeit einer Sicherung oder Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
voraus (Verfügungsgrund). Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes setzt nach ständiger
Rechtsprechung des Senats in Konstellationen wie der vorliegenden eine Dringlichkeit
bzw. Eilbedürftigkeit voraus, die nicht schon aufgrund bloßer abstrakter Erwägungen
angenommen werden kann, sondern konkret im Einzelfall begründet werden muss. Sie
kommt nur in Betracht, wenn eine Existenzgefährdung oder die Gefahr eines endgültigen
Rechtsverlusts drohen (vgl. u.a. Senat, Urteil vom 10.03.2021, 8 U 151/20, juris Rn. 6).
bb) Diese strengen Voraussetzungen an den Verfügungsgrund sind hier erfüllt.
Der Senat kann offenlassen, ob sich der Verfügungsgrund bei einem gezielten Unterlaufen
von Gesellschafterrechten bereits aus der Streichung des Antragstellers aus der
Gesellschafterliste ergibt (so KG, Urteil vom 17.05.2023, 23 U 14/23, juris Rn. 69). Der
Verfügungsgrund liegt jedenfalls in der vom Antragsteller glaubhaft gemachten konkreten
Gefahr einer Umgestaltung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter und der
damit verbundenen Gefahr eines endgültigen Rechtsverlusts für den Antragsteller.
Die Streichung von der Gesellschafterliste ist ein wesentlicher Nachteil für den
Antragsteller. Die übrigen Gesellschafter können das Unternehmen nach ihrem Belieben
umgestalten. Aufgrund der Legitimationswirkung des
die von den übrigen Gesellschaftern gefassten Beschlüsse auch dann wirksam, wenn der
Gesellschafter mit seiner Klage gegen den Einziehungsbeschluss Erfolg hätte.
Insbesondere wenn wie vorliegend der Anteil eines Minderheitengesellschafters
eingezogen und dieser aus der Gesellschafterliste entfernt wird, kommt es zu einem
unmittelbaren Kontrollwechsel. Die veränderten Machtverhältnisse ermöglichen
weitreichende Geschäftsführungsentscheidungen sowie die Fassung und Umsetzung
satzungs- und strukturändernder Beschlüsse, die der Mehrheitsgesellschafter nach
Abschluss des Hauptsacheverfahrens entweder überhaupt nicht mehr oder nur mit
unverhältnismäßigem Aufwand rückgängig machen kann (vgl. KG, Urteil vom 17.05.2023,
23 U 14/23, juris Rn. 69).
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass für ihn nicht nur eine abstrakte, sondern die
konkrete Gefahr eines endgültigen Rechtsverlusts besteht. Die gesamte Vorgehensweise
der Antragsgegnerin spricht dafür, dass die Mehrheitsgesellschafterin die Gesellschaft
unter Missachtung der Gesellschafterrechte des Antragstellers nach ihrem Belieben
umgestalten möchte. Nachdem eine Umsetzung der auf der ordnungsgemäß einberufenen
Gesellschafterversammlung am 06.02.2024 beschlossenen Einziehung der
Geschäftsanteile des Antragstellers gescheitert war, hat die Antragsgegnerin entgegen
den gesetzlichen Vorgaben in § 51 GmbHG und trotz der gerichtlichen Anordnung des
Landgerichts Münster vom 14.02.2024 (Az.: 26 O 3/24) erneut eine Einziehung der
Geschäftsanteile des Antragstellers beschlossen und die geänderten Gesellschafterlisten
vom 07.06.2024 und 10.06.2024 zum Handelsregister eingereicht, ohne den Antragsteller
zur Gesellschafterversammlung einzuladen und ihn über diese Vorgehensweise im
Nachgang zu informieren. Damit hat sie offenbart, dass sie sich weder an gesetzliche
Vorgaben noch gerichtliche Anordnungen hält, um eigene Interessen durchzusetzen.
Außerdem hat sie die Einziehung der Geschäftsanteile und die Einreichung der
geänderten Gesellschafterlisten vor dem Antragsteller verheimlicht und eine
Kontaktaufnahme des Antragstellers verweigert. Hinzu kommt das im Dezember 2023 zum
Ausdruck gebrachte Bestreben der Mehrheitsgesellschafterin, alle Gesellschaftsanteile zu
übernehmen und die bereits getroffenen Umgestaltungen der Gesellschaft wie die
Kündigung des Arbeits- und Mietverhältnisses mit dem Antragsteller. Der Senat geht vor
diesem Hintergrund davon aus, dass eine konkrete Gefahr, weiterer
Geschäftsführungsmaßnahmen sowie die Fassung und Umsetzung satzungs- und
strukturändernder Beschlüsse zum Nachteil des Antragstellers besteht.
III.
Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf § 890 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Der Senat setzt den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren gemäß § 53 Abs. 1
Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 100.000 € fest.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:20.06.2024
Aktenzeichen:8 W 10/24
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
GmbHG §§ 16, 40; BGB § 1004 Abs. 1; ZPO §§ 935, 940