OLG Karlsruhe 22. Juli 2024
14 W 50/24
EuErbVO Art. 4, 21

Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts einer demenzkranken Person nach Ver­bringung ins Ausland

EuErbVO Art. 4, 21
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts einer demenzkranken Person nach Ver­bringung ins Ausland

Für die Bestimmung des unionsautonom auszulegenden Begriffes des „gewöhnlichen Aufenthalts“ eines Erblassers im Sinne des Art. 4 EuErbVO ist neben dem objektiven Kriterium des tatsächlichen Aufenthalts in subjektiver Hinsicht das Vorliegen eines animus manendi (Bleibewille) erforderlich. An dem fehlt es, wenn ein demenzkranker Erblasser gegen oder ohne seinen Willen in ein Pflegeheim im Ausland verbracht wurde, ohne dass der Erblasser über die reine Pflege hinausgehende Bindungen zu dem Land hatte, in dem er bis zu seinem Tod gepflegt wurde.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.7.2024 – 14 W 50/24 (Wx)

Problem
Der Erblasser wurde 1955 geboren. Er war deutscher Staatsangehöriger. Im Mai 2022 trat eine zunehmende Demenz auf, die ihn zum Pflegefall machte. Nachdem seine Ehefrau eine häusliche Betreuung nicht mehr bewerkstelligen konnte, wurde er ab Juni 2022 in verschiedenen Pflegeheimen in Deutschland versorgt. Da die sehr geringe Alters­rente gemeinsam mit dem Pflegegeld für eine weitere Unterbringung in deutschen Pflege­heimen nicht mehr ausreichte, brachte die Ehefrau ihn ab dem 1.4.2023 in einem Pflegeheim in Polen unter. Hier verstarb der Erblasser ein halbes Jahr später.

Das Amtsgericht am letzten Wohnsitz in Deutschland hat den Erbscheinsantrag zurück­gewiesen, da keine internationale Zuständigkeit nach Art. 4 EuErbVO bestehe. Die Beteiligten sind dagegen der Ansicht, es liege ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vor, da das gesamte Vermögen des Erblassers (inklusive eines Anteils an Immobilien und Gesellschaftsanteilen) sich in Deutschland befand, er kein polnisch sprach, keine Beziehungen nach Polen hatte und die Unterbringung in Polen gegen seinen Willen bzw. ohne seinen Willen erfolgte.

Entscheidung
Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers ist einer der Schlüsselbegriffe in der Europäischen Erbrechtsverordnung. Er entscheidet gem. Art. 4 EuErbVO über die internationale Zuständig­keit der Gerichte, gem. Art. 21 EuErbVO über das Erbstatut und gem. Art. 24 ff. EuErbVO auch über die Wirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen. Dabei enthält die Europäische Erb­rechtsverordnung keine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts. Der vom EuGH verfolgte Grundsatz der ver­ordnungsautonomen Definition des gewöhnlichen Aufenthalts bedingt zudem, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum gewöhnlichen Aufenthalt in anderen Zu­sammenhängen nur unter Vorbehalt auf die EuErbVO übertragen werden können (vgl. EuGH ZEV 2020, 628). Es verwundert daher nicht, dass die Bestimmung des gewöhnli­chen Aufenthalts in einigen Spezialfällen (Rentner mit Auslandsresidenz, Diplomaten, Expatriats etc.) zu den umstrittensten Problempunkten bei der Anwendung der EuErbVO zählen. Der Fall der Unterbringung des Erblassers im Ausland nach Eintritt einer Demenz wurde bislang von deutschen Gerichten unterschiedlich entschieden.

Das OLG Karlsruhe verweist zunächst auf die unionsautonome Auslegung des Begriffes und die Erwägungsgründe 23, 24 EuErbVO. In objektiver Hinsicht müsse zumindest ein tat­sächlicher Aufenthalt (körperliche Anwesenheit) in einem Staat gegeben sein, verbunden mit einem animus manendi (subjektives Element). Dieser Bleibewille erfordere keinen rechtsgeschäft­lichen Willen. Wenn aber eine pflegebedürftige Person bei Unterbringung in einem ausländischen Pflegeheim zum Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels keinen eigenen Willen mehr bilden könne oder die Unter­bringung gegen ihren Willen erfolge, so fehle es an dem für die Begründung des neuen gewöhnlichen Auf­enthalts erforderlichen Bleibewillen, sodass der gewöhnliche Aufenthalt i. S. v. Art. 4 EuErbVO im Herkunftsstaat verbleibe.

Praktischer Hinweis
Die Argumentation des OLG lässt sich dahingehend verstehen, dass ausschließlich der Fall erfasst werden soll, dass der Erblasser ins Ausland „verschickt“ wurde, eine abweichende Beurteilung aber möglich ist, wenn im Ausland lebende Familienangehörige diesen zu sich nehmen, er sich also dort im familiären Umfeld befindet.

Die deutsche Literatur strebt aus Gründen der Vereinfachung mehrheitlich einen einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts an und möchte wie bei den Haager Konventionen verstärkt die objektiven Umstände entscheiden lassen. Das OLG Karlsruhe hat sich mit seiner Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts dagegen der Recht­sprechung des Europäischen Gerichtshofs angenähert, die generell eine verordnungsautonome Auslegung des Begriffs anstrebt und bei erwachsenen Personen z.B. im Rahmen der Brüssel IIa-VO zunehmend das subjektive Element, also den Bleibewillen, betont. Endgültige Klarheit ließe sich für die Auslegung der EuErbVO freilich nur erreichen, wenn die deutschen Gerichte verstärkt solche Fälle dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen würden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Karlsruhe

Erscheinungsdatum:

22.07.2024

Aktenzeichen:

14 W 50/24

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 140-141

Normen in Titel:

EuErbVO Art. 4, 21