Grunderwerbsteuerbefreiung bei Übergang von einer Gesamthand; Maßstäbe der Missbrauchsprüfung
letzte Aktualisierung: 14.4.2021
BFH, Urt. v. 25.8.2020 – II R 23/18
Grunderwerbsteuerbefreiung bei Übergang von einer Gesamthand; Maßstäbe der
Missbrauchsprüfung
1. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG bezweckt die Abwehr missbräuchlicher Gestaltungen durch
Verbindung des grundsätzlich steuerfreien Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand
mit der steuerfreien Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen. Die Vorschrift
ist teleologisch zu reduzieren, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Auf einen konkreten
Missbrauch im Einzelfall kommt es nicht an.
2. Abstraktes Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Gesellschafterbestand
ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden.
3. Es ist nicht maßgebend, ob die Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet wurde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Der BFH entscheidet in der Sache selbst (
1. Nach dem Wortlaut des GrEStG ist der Erwerbsvorgang am 30.09.2010 steuerbar und steuerpflichtig, was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist.
a) Nach
b) Geht ein Grundstück von einer Gesamthand in das Alleineigentum einer an der Gesamthand beteiligten Person über, so wird die Steuer nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Nach
c) Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG gelten die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 insoweit nicht, als ein Gesamthänder innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Die Klägerin hatte ihre Kommanditbeteiligung an der KG, über die sie zu 100 % vermögensmäßig an der KG beteiligt wurde, am 22.02.2010 und damit innerhalb der Fünfjahresfrist erworben.
2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG gegen den Wortlaut teleologisch zu reduzieren ist.
a) Es handelt sich um eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift, mit der Steuerumgehungen durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a GrEStG nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand und der nachfolgenden nach
b) Nicht maßgebend ist, ob (subjektiv) im Einzelfall eine Steuerumgehung beabsichtigt war. Die Vorschrift greift ein, um objektiven Steuerumgehungen vorzubeugen, die der --im Grundsatz-- steuerfreie Übergang von Anteilen an einer Gesamthand ermöglicht. Dies wird für Änderungen der Beteiligungsverhältnisse an der veräußernden Gesamthand innerhalb der Fünfjahresfrist typisierend unterstellt (vgl. BFH-Urteile vom 14.06.1973 - II R 37/72,
c) Umgekehrt sind alle Fallbereiche auszunehmen, bei denen nicht etwa nur für den konkreten Fall keine Steuerumgehung vorliegt, sondern schon abstrakt keine Steuer zu vermeiden war (so bereits grundlegend BFH-Urteil vom 25.02.1969 - II 142/63,
aa) Ein abstrakter oder objektiver Maßstab bedeutet, dass es für die Reichweite der teleologischen Reduktion auf das abstrakte Missbrauchspotential derjenigen Gestaltung ankommt, auf die § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG zielt. Das ist die Kombination eines nicht steuerbaren Erwerbs einer Beteiligung an einer Gesamthand mit einer steuerbefreiten Grundstücksübernahme aus dem Vermögen der Gesamthand. Liegt eine solche missbrauchsgeneigte Gestaltung vor, kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall ein Missbrauch nachgewiesen oder nicht auszuschließen ist.
bb) § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist deshalb nur anzuwenden, wenn und soweit der das Grundstück von der Gesamthand erwerbende Gesamthänder seit dem Erwerb des Grundstücks durch die Gesamthand einen Anteil erlangt (oder nach Aufgabe wiedererlangt) hat, der über seinen Anteil im Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks durch die Gesamthand hinausreicht.
Dem Sinn und Zweck der Grunderwerbsteuer ist dadurch Rechnung getragen, dass schon der Erwerb des Grundstücks durch die Gesellschaft der Grunderwerbsteuer unterlag und schon mit diesem Erwerb das Grundstück in den grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich des Gesamthänders gelangt ist (so auch für die Parallelvorschrift des
cc) Die Steuervergünstigung des § 6 Abs. 2 GrEStG ist trotz § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG auch nicht schon deshalb zu versagen, weil die Gesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs noch keine fünf Jahre bestanden hatte (BFH-Urteile in
dd) Aus denselben Gründen ist § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG nicht anwendbar, wenn --ausnahmsweise-- bereits der Erwerb des Anteils an der Gesamthand nach § 1 Abs. 2a GrEStG der Grunderwerbsteuer unterlag. In diesem Fall ist ebenfalls eine Steuerumgehung durch die Kombination eines nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand und der nachfolgenden, nach
ee) Der BFH hat stets darauf abgestellt, ob ein Vorgang der Grunderwerbsteuer "unterlag". Das bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob Grunderwerbsteuer tatsächlich festgesetzt und erhoben wurde, sondern nur darauf, ob der Vorgang grunderwerbsteuerbar war.
Das ergibt sich bereits aus der Formulierung selbst. Die Tatbestände des
Diese Sichtweise entspricht dem Zweck der Vorschrift. Eine objektive Steuerumgehungsmöglichkeit hängt nicht davon ab, ob es zu Schwierigkeiten bei der Erhebung der einen oder anderen Steuer gekommen ist. Das gilt erst recht, als der BFH die Begünstigung des Erwerbs von der Gesamthand sogar dann für möglich erachtet hat, wenn der vorausgegangene Grunderwerb durch die Gesamthand noch nicht steuerpflichtig war (BFH-Urteil vom 28.01.1981 - II R 146/75,
3. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung und insbesondere daran fest, dass allein das abstrakte Missbrauchspotential Maßstab für die Auslegung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG einschließlich der teleologischen Reduktion ist.
a) Die seit Jahrzehnten durch den BFH vorgenommene und seitens der Finanzverwaltung grundsätzlich akzeptierte teleologische Reduktion des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG hat die Grenzen zulässiger richterlicher Auslegung und Rechtsfortbildung nicht überschritten. Sie hat insbesondere kein eigenes Modell an die Stelle des gesetzgeberischen Konzepts gesetzt (vgl. dazu im Einzelnen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011 - 1 BvR 918/10,
b) Da die Vorschrift selbst typisiert, ist es folgerichtig, auch teleologische Einschränkungen im Wege einer Typisierung durch abstrakt-generelle Rechtssätze vorzunehmen. Die Nichtanwendung einer Vorschrift unter den besonderen Umständen des Einzelfalls wäre keine einschränkende Auslegung mehr, sondern eine Einzelfallentscheidung im Billigkeitswege nach § 163 der Abgabenordnung (AO) oder § 227 AO.
c) Eine mit dem Konzept des Gesetzes konforme einschränkende Auslegung muss sich demnach nach abstrakten Maßstäben an dem von § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG erfassten Missbrauchspotential orientieren. Sie bezieht sich auf solche Fälle, in denen aus dem Aufeinanderfolgen von steuerfreiem Beteiligungserwerb und steuerbefreiter Grundstücksübernahme von der Gesamthand keine Missbrauchsmöglichkeit resultiert. Sie erfasst nicht sonstige Elemente der Steuergestaltung und Steuervermeidung, die mit dem in § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG erfassten abstrakten Missbrauchspotential nicht in Zusammenhang stehen.
d) Es entspricht diesen Grundsätzen, dass für die Steuerbefreiung des zweiten Erwerbs allein auf die Grunderwerbsteuerbarkeit des ersten Erwerbs abzustellen ist, nicht auf die Grunderwerbsteuerpflicht, die Festsetzung oder Erhebung der Grunderwerbsteuer.
aa) Das Ziel des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG liegt nicht darin, dass wenigstens einmal Grunderwerbsteuer gezahlt wird, sondern die objektive Steuerumgehung zu vermeiden. Sollte der erste Erwerb aus Gründen steuerfrei sein, die nicht im Zusammenhang mit dem durch die Vorschrift erfassten Missbrauchspotential stehen, wird auch keine Grunderwerbsteuer gezahlt. Eine Einzelfallprüfung widerspräche nicht nur dem typisierenden Ansatz, sondern müsste sich ggf. auch auf die Frage erstrecken, welcher Beteiligte in welchem Umfange eine Nichtfestsetzung oder Nichterhebung der Steuer für den ersten Erwerb zu verantworten hat. Schließlich können Komplikationen auftreten, wenn zum Zeitpunkt des zweiten Erwerbs die tatsächliche Erhebung der Steuer für den ersten Erwerb noch nicht feststeht.
bb) Eine abweichende Sichtweise vermengte die Aufgaben der beiden Festsetzungsverfahren. Wenn der Verdacht besteht, dass die zeitnahe Festsetzung und Erhebung der Steuer für den ersten Erwerb mit unangemessenen Mitteln vereitelt wurde, ist die Lösung in dem Festsetzungsverfahren für den ersten Erwerb zu suchen, wofür in entsprechenden Fällen regelmäßig die verlängerte Festsetzungsfrist des
cc) Soweit das FA auf die Bedeutung der Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Sicherung der Steuerzahlung hinweist, ist dies zwar zutreffend, jedoch kein spezifisches Problem des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG. Es stellt sich beim fiktiven Rechtsträgerwechsel stets.
4. Nach diesen Maßstäben ist § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG infolge teleologischer Reduktion im Streitfall nicht anzuwenden. Die Klägerin hat am 22.02.2010 sämtliche Geschäftsanteile der KG erworben. Dieser Vorgang war nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbar. Das bedeutet, dass die Überführung der Grundstücke in den grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich der Klägerin bereits der Grunderwerbsteuer unterlag. Schwierigkeiten bei Festsetzung und Erhebung dieser Grunderwerbsteuer sind für die Reichweite des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG nicht von Bedeutung.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
6. Der Senat entscheidet nach
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:25.08.2020
Aktenzeichen:II R 23/18
Rechtsgebiete:
Grunderwerbsteuer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
BGB § 738; GrEStG §§ 1 Abs. 1 Nr. 3 S. 1, 6 Abs. 2 S. 1 u. 3 u. Abs. 4 S. 1