BFH 11. August 2014
II B 131/13
GrEStG § 3 Nr. 2 u. 6; ErbStG § 7; AO § 42

Grundstücksübertragung zwischen Geschwistern aufgrund schenkungsvertraglicher Verpflichtung – interpolierende Betrachtungsweise

GrEStG § 3 Nr. 2 u. 6; ErbStG § 7; AO § 42
Grundstücksübertragung zwischen Geschwistern aufgrund schenkungsvertraglicher Verpflichtung – interpolierende Betrachtungsweise

1. Eine Grunderwerbsteuerbefreiung kommt bei Grundstücksübertragungen zwischen Geschwistern aufgrund einer interpolierenden Betrachtungsweise in Betracht, wenn die Übertragung der Erfüllung einer schuldrechtlichen Verpflichtung gegenüber einem Elternteil (hier: Auflage) dient und der Elternteil schenkungssteuerrechtlich als Zuwendender anzusehen ist.

2. Eine interpolierende Betrachtungsweise ist nur möglich, wenn für die Gestaltung ein außerhalb der Steuerersparnis liegender beachtlicher Grund wie die Neugestaltung der vorweggenommenen Erbfolge vorhanden ist. Eine Grunderwerbsteuerbefreiung aufgrund interpolierender Betrachtungsweise umfasst nicht eine übernommene Nießbrauchbelastung. (Leitsätze der DNotI-Redaktion)

BFH, Beschl. v. 11.8.2014 – II B 131/13

Problem
Im Jahr 2006 hatte der Vater seinen Kindern B und S ein Grundstück zu je ½ unter Vorbehalt eines lebenslangen Nießbrauchs übertragen. Durch notarielle Urkunde vom März 2013 übertrug der Vater im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Gesellschaftsanteile auf den Sohn B. In diesem Vertrag verpflichtete sich B gegenüber seinem Vater und seiner Schwester S „auf Veranlassung des Vaters“ sowie „zum Zwecke der Gleichstellung“ der S, den schenkweise erhaltenden Miteigentumsanteil am Grundstück auf S unter Anrechnung auf deren Pflichtteilsansprüche zu übertragen. Die Übertragung erfolgte unter Übernahme aller im Grundbuch eingetragenen Belastungen, insbesondere des bestehenden Nießbrauchs. Der BFH musste sich mit der Frage befassen, ob für die Übertragung des mit dem Nießbrauchrecht belasteten Miteigentumsanteils vom Bruder auf die Schwester Grunderwerbsteuer anfällt. Die Entscheidung erging im vorläufigen Rechtsschutz aufgrund summarischer Prüfung. Aus ihr ergeben sich dennoch wichtige Schlussfolgerungen.

Entscheidung
Der BFH stellt zunächst klar, dass der Grundstückserwerb nicht den Befreiungstatbestand des § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG erfüllt. Hiernach sind Grundstücksschenkungen im Sinne des ErbStG von der Grunderwerbsteuer befreit. Die Vorschrift finde nur Anwendung, wenn sich der Grundstückserwerb schenkungssteuerrechtlich als Schenkung zwischen Veräußerer und Erwerber vollziehe. B habe S das Grundstück jedoch nicht auf der Grundlage eines zwischen ihnen bestehenden Schenkungsvertrages übertragen. Der Übertragung habe eine schuldrechtliche Verpflichtung des B gegenüber V zugrunde gelegen (Auflage). Schenkungsteuerrechtlich sei nicht B, sondern der am Grunderwerb selbst nicht beteiligte V als Zuwendender des Grundstücks anzusehen.

Eine Befreiung des Grundstückserwerbs nach § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG scheide ebenfalls aus, da die Geschwister nicht in gerader Linie, sondern in Seitenlinie verwandt seien.

Der BFH nimmt jedoch an, dass eine teilweise Befreiung bei interpolierender Betrachtung gem. § 3 Nr. 2 S. 1 i. V. m. § 3 Nr. 6 GrEStG in Betrachtung kommt. Eine interpolierende Betrachtung sei möglich, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Grundstückserwerb als abgekürzter Weg darstelle und die unterbleibenden Zwischenerwerbe im Falle ihrer Durchführung ebenfalls steuerfrei wären.
Nach Ansicht des BFH sind die Voraussetzungen für eine Interpolation im vorliegenden Fall erfüllt. Nach seiner Auffassung kann der interpolierenden Betrachtungsweise auch nicht der Einwand des § 42 AO entgegengehalten werden, da hier ein außerhalb der Steuerersparnis liegender beachtlicher Grund vorhanden ist. Ein beachtlicher Grund könne sich bei einer Neugestaltung der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Interesse eines Elternteils ergeben, ggü. dem begünstigten Kind selbst als Schenker aufzutreten. Dieses Interesse sei im vorliegenden Fall mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen; B habe seinen Miteigentumsanteil am Grundstück anstelle der Zahlung eines Gleichstellungsgeldes ausdrücklich „auf Veranlassung“ des V auf S übertragen. Erst recht dürfte ein solches berechtigtes Interesse anzuerkennen sein, wenn sich die durch die Übertragung des Miteigentumsanteils begünstigte S den Wert des Vermögensgegenstands auf ihre Pflichtteilsansprüche nach V anrechnen lassen müsse.

Der BFH führt dann aber aus, dass diese Beurteilung nicht für den Wert des von S übernommenen Nießbrauchrechts gelte. Das Nießbrauchrecht sei der Bemessung der Grunderwerbsteuer zugrunde zu legen. § 3 Nr. 2 S. 2 GrEStG schließe Grundstücksschenkungen unter einer Auflage insoweit von der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG aus, als der Wert solcher Auflagen bei der Schenkungssteuer abziehbar sei. Gegenstand der Zuwendung des Vaters an S sei der mit dem Nießbrauchrecht belastete Miteigentumsanteil des B. Die Zuwendung des Vaters an S erfülle damit die Merkmale einer Schenkung unter Nutzungs- oder Duldungsauflage.

Eine solche Auflage mindere bei der Schenkungssteuer die Bereicherung i. S. d. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Die interpolierende Betrachtungsweise könne nicht so weit gehen, dass das mit dem Nießbrauchrecht belastete Miteigentum insgesamt grunderwerbsteuerfrei übertragen werden könne. Einer interpolierenden Betrachtung stehe entgegen, dass insoweit kein über die Ausnutzung der Steuerersparnis hinausgehender beachtlicher Grund bestehe. Eine interpolierende Betrachtung scheide auch deshalb aus, weil diese nicht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs einer Befreiungsvorschrift über ihren Zweck hinaus führen dürfe. Dies wäre der Fall, wenn man § 3 Nr. 6 GrEStG ohne jeden Bezug zu einer anderen Befreiungsregel interpolierend auf die Übertragung eines Grundstücks zwischen Geschwistern und damit auf eine Gestaltung anwendete, die nach der Systematik der Befreiungsvorschriften gerade nicht von der Grunderwerbsteuer befreit sei.

Hinweis
Die Entscheidung des BFH bringt erfreuliche Klarstellungen. Eine Interpolation dürfte immer möglich sein, wenn die Übertragung eines Grundstücks zwischen Geschwistern mit dem Ziel der Herstellung gleichwertiger Verhältnisse im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge auf Initiative der Eltern erfolgt. Zu beachten ist allerdings, dass der BFH eine Interpolation (§ 3 Nr. 2 i. V. m. § 3 Nr. 6 GrEStG) nur insoweit zulässt, als der Vorgang nach § 3 Nr. 2 GrEStG steuerfrei wäre (s. auch FG Münster, Urt. v. 28.5.2008 – 8 K 1597/06; FG Düsseldorf, Urt. v. 16.7.2014 – 7 K 1201/14, Revision anhängig beim BFH unter II R 49/14).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BFH

Erscheinungsdatum:

11.08.2014

Aktenzeichen:

II B 131/13

Rechtsgebiete:

Grunderwerbsteuer
Erbschafts- und Schenkungsteuer

Erschienen in:

DNotI-Report 2015, 38-40

Normen in Titel:

GrEStG § 3 Nr. 2 u. 6; ErbStG § 7; AO § 42