BGH 26. Juni 2018
II ZR 205/16
BGB § 744 Abs. 2; AktG § 246 Abs. 1

Notgeschäftsführung zur Abwendung einer akuten Gefahr für die Gesellschaft

DNotI Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 24.8.2018
BGH, Urt. v. 26.6.2018 – II ZR 205/16

BGB § 744 Abs. 2; AktG § 246 Abs. 1
Notgeschäftsführung zur Abwendung einer akuten Gefahr für die Gesellschaft

b) Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB erfasst über dessen Wortlaut hinaus
nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstandes des
Gesamthandvermögens, sondern greift auch dann ein, wenn der Gesellschaft selbst eine akute
Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist (Anschluss an BGH,
Beschluss vom 23. September 2014 – II ZB 4/14, NJW 2014, 3779, Rn. 15; BGH, Urteil vom
4. Mai 1955, IV ZR 185/54, BGHZ 17, 181, 183).
a) Die Notwendigkeit raschen Handelns ist nicht gegeben, wenn es dem Gesellschafter möglich
ist, durch Inanspruchnahme seiner Mitgesellschafter eine Mitwirkung an der Abwendung der
Gefahren für die Gesellschaft zu erreichen (Anschluss an BGH, Urteil vom 10. Januar 1963 –
II ZR 95/61, BGHZ 39, 14, 20 f.).

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision von Bedeutung -
ausgeführt, der Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Anfechtung der in Rede stehenden
Beschlüsse verfolge, sei zulässig und begründet. Der Einwand der
Schiedsabrede greife nicht durch, weil diese unwirksam sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis
für den Antrag bestehe, weil die angegriffenen Beschlüsse Auswirkungen
auf seine Rechtsposition hätten. Er sei auch prozessführungsbefugt. Er
habe diese Befugnis nicht bis zur Erhebung der Klage verloren. Dem stehe
auch nicht sein Ausscheiden aus der GbR am 30. Juni 2014 entgegen.
Analog § 744 Abs. 2 BGB könne sich jeder Gesellschafter einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts auf eine Notgeschäftsführungsbefugnis berufen, die
auch das Recht umfasse, die Rechte der Gesellschaft im eigenen Namen geltend
zu machen, wenn der Gesellschaft eine akute Gefahr drohe und zu deren
Abwendung rasches Handeln erforderlich sei. Das sei vorliegend der Fall gewesen,
weil das Recht der GbR, die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten
gefassten Beschlüssen anzufechten, analog § 246 Abs. 1 AktG befristet
und nicht zu erwarten sei, dass der Kläger vor Ablauf dieser grundsätzlich einen
Monat betragenden Frist im Wege der Schiedsklage seine Mitgesellschafter zu
einer Anfechtungsklage hätte bewegen können. Die von der Beklagten vorgeschlagene
Vorgehensweise, der Kläger möge, sofern seine gegen seine Mitgesellschafter
in der GbR gerichtete Schiedsklage Erfolg habe, eine abgeänderte
Beschlussfassung der sich dem Schiedsspruch beugenden GbR in einer dann
anzuberaumenden Gesellschafterversammlung der Beklagten abwarten, sei mit
dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Gebot des effektiven Rechtsschutzes
nicht zu vereinbaren. Dies würde nämlich dazu führen, dass dem Kläger seine
im Bereich der GbR bestehenden Minderheitsrechte auf der Ebene der Beklagten
für die Zeitspanne bis zu dem im Gegensatz zu der Anfechtungsklage nur
ex nunc und nicht ex tunc wirkenden Abänderungsbeschluss vereitelt würden.
Die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit lägen vor und die Beschlüsse
seien für nichtig zu erklären.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung
in einem Punkt nicht stand.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht noch davon ausgegangen, dass
die Klage nicht im Hinblick auf die erhobene Schiedseinrede gemäß § 1032
Abs. 1 ZPO unzulässig ist. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ist die
zwischen den Parteien getroffene Schiedsabrede im Hinblick auf die Anfechtung
der Beschlüsse der Beklagten unwirksam.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine
Schiedsvereinbarung, um wirksam zu sein, bei einer GmbH zur Sicherung der
Beteiligungsmöglichkeit für sämtliche Gesellschafter Bestimmungen enthalten,
dass der Verfahrenseinleitungsantrag ohne Festlegung des Antragstellers auf
einen Schiedsrichter bei der Gesellschaft einzureichen und von dort aus sämtlichen
Mitgesellschaftern mit der Aufforderung zuzustellen ist, in einer bestimmten
Frist über einen Beitritt auf Seiten des Antragstellers oder der Gesellschaft
zu entscheiden (BGH, Urteil vom 6. April 2009 - II ZR 255/08, BGHZ 180, 221
Rn. 26). Daran fehlt es hier.
Dem steht im Gegensatz zur Auffassung der Revision nicht entgegen,
dass die GbR alleinige Gesellschafterin der Beklagten ist. Ob eine Schiedsklausel
wirksam ist oder nicht und damit die Schiedseinrede eröffnet ist oder nicht,
darf nicht nachträglich von Fall zu Fall entschieden werden (BGH, Urteil vom
6. April 2009 - II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 Rn. 28). Hier ist nach der gebote-
nen objektiven Auslegung des Gesellschaftsvertrags dieser nicht darauf ausgerichtet,
dass nur die GbR einzige Gesellschafterin der Beklagten ist. Im Übrigen
war der Kläger neben der GbR auch zeitweilig zusätzlich Gesellschafter der
Beklagten.

b) Im Übrigen folgt die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung auch daraus,
dass es an einer Regelung zur Konzentration der Beschlussmängelrechtsstreitigkeiten
bei einem Schiedsgericht mangelt. Eine solche Konzentration erfordert,
dass eine neutrale Person oder Stelle ex ante als Schiedsgericht festgelegt
wird (BGH, Urteil vom 6. April 2009 - II ZR 255/08, BGHZ 180, 221,
Rn. 25). Daran fehlt es hier. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision bewirkt
die in der Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien vorgesehene Konzentration
an einem bestimmten Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1043
ZPO) keine Konzentration bei einem bestimmten Schiedsgericht. Die Alleingesellschafterin
der Beklagten könnte, gegebenenfalls vertreten durch unterschiedliche
geschäftsführende Gesellschafter, ebenso wie nach dem Gesellschaftsvertrag
mögliche Mitgesellschafter mehrere Klagen bei unterschiedlichen
Schiedsgerichten einreichen. Allein die Vorschrift des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO
lässt die Notwendigkeit einer entsprechenden Regelung zur Konzentration nicht
entfallen (BGH, Urteil vom 6. April 2009 - II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 Rn. 33).

2. Einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält jedoch die Auffassung
des Berufungsgerichts, der Kläger sei prozessführungsbefugt für die mit dem
Hilfsantrag geltend gemachte Beschlussanfechtungsklage.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht noch angenommen, dass die Anfechtungsbefugnis
nur dem nach § 16 Abs. 1 GmbHG zu bestimmenden rechtlichen,
nicht auch dem wirtschaftlichen Gesellschafter oder Treugeber zusteht
(vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, NJW 2009, 230 Rn. 11
mwN). Die GbR ist hier eine Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, die rechtlich
Alleingesellschafterin der Beklagten ist. Die typischen Merkmale einer Innengesellschaft
sind die mangelnde Teilnahme am Rechtsverkehr, der Verzicht
auf Bildung von Gesamthandsvermögen und das Fehlen einer Vertretungsregelung
(Schäfer in MünchKommBGB, 7. Aufl., § 705 Rn. 275; vgl. BGH, Urteil vom
29. November 2011 - II ZR 306/09, NZG 2012, 222 Rn. 19). Im vorliegenden
Fall hat die GbR mit dem Gesellschaftsanteil an der Beklagten Gesamthandsvermögen
und ihr Gesellschaftsvertrag enthält eine Vertretungsregelung.

b) Eine Anfechtungsbefugnis ergibt sich nicht aus einer Berechtigung aus
dem Gesellschaftsvertrag der GbR als Alleingesellschafterin der Beklagten. Das
Berufungsgericht hat eine solche nicht festgestellt und der Kläger macht eine
solche für sich nicht geltend.

c) Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich keine
Anfechtungsbefugnis des Klägers aus § 744 Abs. 2 BGB analog, weil die dafür
erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

aa) § 744 Abs. 2 BGB berechtigt den Teilhaber einer Gemeinschaft, die
zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Gegenstands notwendigen Maßregeln
ohne Zustimmung der anderen Teilnehmer zu treffen. Die analoge Anwendung
des § 744 Abs. 2 BGB auf die Geschäftsführung für die Gesellschaft durch einen
Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs als möglich anerkannt (vgl. BGH, Beschluss
vom 23. September 2014 - II ZB 4/14, NJW 2014, 3779 Rn. 15; Urteil vom
17. Juli 2000 - II ZR 39/99, NJW 2000, 3272; Urteil vom 10. Januar 1963
- II ZR 95/61, BGHZ 39, 14, 20; Urteil vom 4. Mai 1955 - IV ZR 185/54,
BGHZ 17, 181, 183).
Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB erfasst bei einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts über diesen Wortlaut hinaus nicht nur
Maßnahmen zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstandes des Gesamthandvermögens
sondern greift auch dann ein, wenn der Gesellschaft selbst eine
akute Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist
(vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2014 - II ZB 4/14, NJW 2014, 3779,
Rn. 15; BGH, Urteil vom 4. Mai 1955 - IV ZR 185/54, BGHZ 17, 181, 183;
BayObLG DB 1990, 2468, 2469). Dieses Notgeschäftsführungsrecht kann auch
die Erhebung einer gesellschaftsrechtlichen Beschlussanfechtungsklage umfassen.
Das Notgeschäftsführungsrecht nach § 744 Abs. 2 BGB analog entspricht
insoweit dem Notgeschäftsführungsrecht des Miterben einer Miterbengemeinschaft
aufgrund der vergleichbaren gesetzlichen Regelung in § 2038
Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz BGB, für den der Bundesgerichtshof dies bereits
entschieden hat (BGH, Urteil vom 12. Juni 1989 - II ZR 246/88, BGHZ 108, 21,
30 f.). Das Notgeschäftsführungsrecht berechtigt den Notgeschäftsführer zur
Wahrnehmung der Rechte im eigenen Namen (BGH, Urteil vom 4. Mai 1955
- IV ZR 185/54, BGHZ 17, 181, 186 f.) und damit auch zur Beschlussanfechtung.
Zugleich verleiht es für die Erhebung der Beschlussanfechtungsklage gemäß
§ 744 Abs. 2 BGB eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis (vgl. BGH,
Urteil vom 21. März 1985 - VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117, 120; Urteil vom
2./3. Dezember 1968 - III ZR 2/68, BGHZ 51, 125, 128).

bb) Die angefochtenen Beschlüsse der GmbH stellen aber keine Gefahr
für die GbR dar. Nur auf deren Interessen ist abzustellen. Die Wahrung eigener
Interessen des Notgeschäftsführenden jenseits derer der Gemeinschaft gehört
nicht zum Notgeschäftsführungsrecht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1963
- II ZR 95/61, BGHZ 39, 14, 20).
Die Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu genügen nicht für die
Annahme einer Gefahr für die GbR. Die kurze Anfechtungsfrist nach § 246
Abs. 1 AktG analog begründet für sich genommen noch keine Gefahr für die
GbR. Die vom Berufungsgericht angeführten Gründe eines für den Kläger unzureichenden
effektiven Rechtsschutzes stellen ebenfalls keine Gefahr für die
GbR dar. Durch die Beschlüsse der Beklagten wird die GbR nicht in ihrer
Rechtstellung betroffen. Allein die behauptete objektive Rechtswidrigkeit der
Beschlüsse ist für sich genommen auch keine Gefahr für die GbR. Dies würde
das Notgeschäftsführungsrecht im Übrigen uferlos ausdehnen und jedem Gesellschafter
der GmbH-Gesellschafterin immer ein Anfechtungsrecht geben.
Weitere Umstände, die diese Voraussetzung des § 744 Abs. 2 BGB analog
ausfüllen können, sind weder festgestellt noch vorgetragen.

cc) Daneben ist die weitere Voraussetzung des § 744 Abs. 2 BGB analog,
die Notwendigkeit raschen Handelns, nicht gegeben. Eine Notgeschäftsführung
scheidet aus, wenn es dem Gesellschafter möglich ist, durch Inanspruchnahme
seiner Mitgesellschafter eine Mitwirkung an der Abwendung der Gefahren
für die Gesellschaft zu erreichen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1963
- II ZR 95/61, BGHZ 39, 14, 20 f.).
Das Berufungsgericht stellt zu Unrecht auf die Eilbedürftigkeit wegen der
für die Beschlussanfechtung geltenden Frist gemäß § 246 Abs. 1 AktG ab. Im
vorliegenden Fall könnte die GbR die in Rede stehenden Beschlüsse durch eine
neue Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung der Beklagten
aufheben und damit die Wirkungen der Beschlüsse beseitigen. Abweichende
Gesichtspunkte, die ausnahmsweise ein Bedürfnis für eine Anfechtung der Beschlüsse
- wie mit dem Hilfsantrag geltend gemacht - trotz einer später möglichen
Aufhebung durch die GbR in einer Gesellschafterversammlung der Be-
klagten rechtfertigen könnten, sind weder festgestellt, noch behauptet oder
sonst ersichtlich.

III. Das Berufungsurteil ist daher insoweit aufzuheben, als der Berufung
des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts stattgegeben
worden ist. Der Bundesgerichtshof kann jedoch in der Sache selbst entscheiden,
da diese zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

26.06.2018

Aktenzeichen:

II ZR 205/16

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)
Sachenrecht allgemein

Erschienen in:

DNotZ 2018, 866-869

Normen in Titel:

BGB § 744 Abs. 2; AktG § 246 Abs. 1