Überprüfung der Verfahrensvollmacht eines Rechtsanwalts; Eignung von Familienangehörigen als Betreuer
letzte Aktualisierung: 31.8.2023
BGH, Beschl. v. 3.5.2023 – XII ZB 442/22
Überprüfung der Verfahrensvollmacht eines Rechtsanwalts; Eignung von Familienangehörigen
als Betreuer
a) Ist ein Verfahrensbeteiligter durch einen Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigten vertreten,
wird dessen Vollmacht gemäß
Rüge eines anderen Beteiligten hin überprüft; etwas anderes gilt nur dann, wenn sich für das Gericht
aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte begründete Zweifel an der Wirksamkeit oder dem Fortbestand
der Verfahrensvollmacht ergeben (im Anschluss an BGH Urteil vom 5. April 2001 – IX ZR 309/00,
b) Wünscht der Betreute einen bestimmten Familienangehörigen zum Betreuer und würde dessen
Bestellung zu erheblichen familiären Konflikten führen, unter denen der Betreute persönlich leiden
müsste, oder könnte infolge dieser Spannungen innerhalb der Familie eine Regelung der
wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse des Betreuten nicht gewährleistet werden, können diese
Umstände auf die Eignung der gewünschten Person zur Führung der konkreten Betreuung im Sinne
des
– XII ZB 57/19,
Gründe:
I.
Die 1933 geborene Betroffene leidet an einem schweren dementiellen
Syndrom. Am 7. September 2020 erteilte sie ihrer Enkeltochter K. eine notariell
beurkundete Generalvollmacht. Mit Schreiben vom 15. November 2021 hat ihre
andere Enkeltochter D. die Einleitung eines Betreuungsverfahrens für die Betroffene
angeregt, worauf das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
und nach Anhörung der Betroffenen mit Beschluss vom 5. Juli
2022 den Beteiligten zu 1 als Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Sorge für
die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Regelung von Behördenangelegenheiten,
Vermögenssorge, Rücknahme von Vollmachten bestellt hat. Gegen diesen
Beschluss hat die Betroffene durch einen Rechtsanwalt Beschwerde eingelegt.
Das Amtsgericht hat die Sache mit Nichtabhilfebeschluss dem Landgericht vorgelegt
und mit gesondertem Beschluss vom 2. August 2022 die Betreuung auf
den Aufgabenkreis der Postangelegenheiten erweitert. Auch gegen die Erweiterung
der Betreuung hat sich die Betroffene mit der Beschwerde gewendet. Das
Landgericht hat der Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellt und ihre Beschwerden
gegen die amtsgerichtlichen Beschlüsse vom 5. Juli 2022 und vom
2. August 2022 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die das Ziel
verfolgt, im Hinblick auf die bestehende Generalvollmacht von der Einrichtung
einer Betreuung abzusehen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass bereits erhebliche Zweifel
an der Zulässigkeit der Beschwerde bestünden, da eine Vollmacht des im Namen
der Betroffenen auftretenden Rechtsanwalts nicht aktenkundig sei und diese wegen
der aufgehobenen Geschäftsfähigkeit der Betroffenen wohl auch nichtig sein
dürfte. Die Beschwerde sei jedenfalls unbegründet. Die medizinischen Voraussetzungen
der Betreuung lägen vor und auch die Generalvollmacht stehe der
Anordnung einer Betreuung nicht entgegen, wobei dahingestellt bleiben könne,
ob sie im Zustand der Geschäftsunfähigkeit erteilt worden sei. Jedenfalls könne
die bevollmächtigte Enkeltochter K. die Angelegenheiten der Betroffenen in den
von der Betreuung erfassten Aufgabenkreisen nicht so gut besorgen wie ein Betreuer.
Die Betroffene führe ihr Leben in einer völlig zerrütteten familiären Umgebung
und es dränge sich der Verdacht auf, dass innerfamiliäre Spannungen auf
dem Rücken der Betroffenen ausgetragen würden. Die Auswahl des Betreuers
laufe auch
erkennbar,
als Betreuerin zur Seite gestellt bekommen möchte. Selbst wenn die Betroffene
ernstlich nur ihre Enkeltochter K. als Betreuerin wünschen sollte, gebiete das
Wohl der Betroffenen die Bestellung eines familienfremden Betreuers, um der
Betroffenen einen ruhigen Lebensabend in ihrer Häuslichkeit zu ermöglichen.
2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Es bestehen entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts keine
Bedenken an der Zulässigkeit der Erstbeschwerde der Betroffenen.
Ist ein Beteiligter - wie hier die Betroffene - durch einen Rechtsanwalt als
Verfahrensbevollmächtigten vertreten, wird dessen Vollmacht gemäß § 11 Satz 3
und 4 FamFG nicht von Amts wegen, sondern allein auf die Rüge eines anderen
Verfahrensbeteiligten hin überprüft; etwas anderes gilt nur dann, wenn sich für
das Gericht aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte begründete Zweifel an der
Wirksamkeit oder dem Fortbestand der Verfahrensvollmacht ergeben (vgl. BGH
Urteil vom 5. April 2001 - IX ZR 309/00 -
vom 11. Februar 2015 - XII ZB 48/14 -
Solche Anhaltspunkte bestehen hier nicht. Es braucht im Betreuungsverfahren
insbesondere nicht geklärt zu werden, ob ein Betroffener bei Erteilung der Vollmacht
an einen Rechtsanwalt geschäftsfähig gewesen ist, weil die dem Betroffenen
durch
gewährte Verfahrensfähigkeit auch die Befugnis einschließt, einen Verfahrensbevollmächtigten
zu bestellen (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober
2013 - XII ZB 317/13 -
b) In der Sache hält die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Verfahrensrügen
der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese rügt zu Recht, dass das
Landgericht nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen hätte absehen
dürfen.
aa) Nach
Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts
persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.
Die Pflichten aus
FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3
Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die
Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies
setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung
bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften
vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren
keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. Senatsbeschluss
vom 16. Dezember 2020 - XII ZB 315/20 -
mwN).
bb) Die Voraussetzungen, unter denen das Landgericht von einer erneuten
persönlichen Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen, sind im vorliegenden
Fall nicht gegeben. Denn die Anhörung in erster Instanz ist nicht verfahrensfehlerfrei
erfolgt. Das Amtsgericht hat die Betroffene in Abwesenheit eines
- erst nachträglich vom Landgericht bestellten - Verfahrenspflegers angehört.
Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht als verfahrensfehlerhaft.
(1) Muss dem Betroffenen ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt werden,
hat das Betreuungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch
dessen rechtzeitige Bestellung und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin
sicherzustellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen
kann. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des
Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in
seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus
gilt nur dann etwas anderes, wenn das Gericht vor der Anhörung des Betroffenen
die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht erkennen
konnte und aus diesem Grunde daran gehindert war, den Verfahrenspfleger
schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 15. Mai 2019 - XII ZB 57/19 -
und vom 14. Februar 2018 - XII ZB 465/17 -
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier offensichtlich nicht vor. Sowohl der Inhalt
der Betreuungsanregung der Enkeltochter D. als auch die Stellungnahme
der Betreuungsbehörde vom 17. Januar 2022 und der Inhalt des in erster Instanz
eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. P. legten schon vor der
Durchführung der erstinstanzlichen Anhörung die Annahme nahe, dass sich die
Betreuungsanordnung des Amtsgerichts - wie geschehen - auf einen Aufgabenkreis
erstrecken kann, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der
Lebensgestaltung der Betroffenen umfasst. Unter diesen Umständen war gemäß
die in erster Instanz anwaltlich nicht vertretene Betroffene zwingend geboten
(vgl. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2021 - XII ZB 510/20 -
Rn. 6 mwN). Die Durchführung der Anhörung, ohne vorher einen Verfahrenspfleger
zu bestellen und diesem die Gelegenheit zur Teilnahme an der Anhörung zu
geben, verletzte die Betroffene in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Das Beschwerdegericht hat in diesem Zusammenhang zwar zutreffend
erkannt, dass die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers in erster Instanz
verfahrensfehlerhaft gewesen ist. Die nachträgliche Bestellung eines Verfahrenspflegers,
die im Hinblick auf die anwaltliche Vertretung der Betroffenen im
Beschwerdeverfahren ohnehin nur im Ausnahmefall geboten gewesen wäre
(
den Verfahrensfehler des Amtsgerichts bei der Durchführung der Anhörung
zu heilen. Vielmehr hätte das Beschwerdegericht den in der verfahrensfehlerhaften
Anhörung des Amtsgerichts liegenden Gehörsverstoß zwingend durch
eine Wiederholung der Anhörung heilen müssen, ohne dass es - wie das Beschwerdegericht
wohl meint - auf die Frage nach dem voraussichtlichen Erkenntnisgewinn
durch eine erneute Anhörung angekommen wäre (vgl. Prütting/Helms/
Abramenko FamFG 6. Aufl. § 68 Rn. 27).
3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie
ist gemäß
Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen
Feststellungen zu treffen haben wird.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf das Folgende hin:
Die Kriterien für die Auswahl des Betreuers richten sich seit dem Inkrafttreten
des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts am
1. Januar 2023 nach
als Betreuer, ist diesem Wunsch nach
ebenso wie die Vorgängervorschrift des
Gesetz dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers insoweit kein Ermessen
ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die
gewünschte Person zur Führung der Betreuung nicht geeignet ist. Insoweit hat
der Gesetzgeber im Rahmen der Betreuungsrechtsreform die Grenzen der
Wunschbefolgungspflicht neu definiert, da in
auf die fehlende Eignung des gewünschten Betreuers und nicht - wie in § 1897
Abs. 4 Satz 1 BGB aF - darauf abgestellt wird, ob die Führung der Betreuung
durch die gewünschte Person dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft. Damit ist
indessen nicht die Aussage verbunden, dass die gewünschte Person bei der Betreuerbestellung
nur wegen Unredlichkeit oder fehlender psychischer oder physischer
Voraussetzungen für die Ausübung des Betreueramtes übergangen werden
dürfte. Denn es ist neben der generellen Eignung der gewünschten Person
als Betreuer auch dessen Eignung für den konkreten Betreuten zu prüfen
(vgl. BT-Drucks. 19/24445 S. 238). Dies erfordert weiterhin die einzelfallbezogene
Prüfung, ob sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten
Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung
der gewünschten Person sprechen. Solche Umstände können sich auch aus erheblichen
familiären Konflikten ergeben, welche die Bestellung eines bestimmten
Familienangehörigen als Betreuer hervorrufen würde. Wenn der Betreute persönlich
unter den Spannungen seiner Familienangehörigen leidet oder wenn die
Regelung seiner wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse wegen der Spannungen
innerhalb der Familie nicht gewährleistet werden kann (vgl. Senatsbeschluss
vom 15. Mai 2019 - XII ZB 57/19 -
diese Umstände auf die Eignung der gewünschten Person für die Führung der
konkreten Betreuung durchschlagen. Für eine solche Würdigung reichen die tatsächlichen
Feststellungen des Beschwerdegerichts allerdings bislang nicht aus.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7
FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen
grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:03.05.2023
Aktenzeichen:XII ZB 442/22
Rechtsgebiete:
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
FamFG § 11 S. 4; BGB § 1816 Abs. 2