Einstellung des Teilungsversteigerungsverfahrens wegen konkreter Suizidgefahr auch nach langjähriger Verfahrensdauer
letzte Aktualisierung: 30.07.2020
BGH, Beschl. v. 7.11.2019 – V ZB 135/18
GG Artt. 1, 2, 14, 19 Abs. 4; ZPO § 765a; ZVG §§ 180 ff.
Einstellung des Teilungsversteigerungsverfahrens wegen konkreter Suizidgefahr auch nach
langjähriger Verfahrensdauer
Das Vollstreckungsgericht darf ein Teilungsversteigerungsverfahren nicht fortsetzen, wenn nicht
sichergestellt werden kann, dass sich die Gefahr des Suizides eines am
Teilungsversteigerungsverfahren Beteiligten bei Ergehen des Zuschlags nicht doch verwirklicht.
Dies gilt selbst dann, wenn das Verfahren schon zehn Jahre andauert und angesichts des
fortgeschrittenen Alters des Betreibenden nicht abzusehen ist, ob er es noch erleben wird, die in der
Immobilie gebundenen Werte für seine eigene Lebensführung einsetzen zu können. (Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe:
I.
Die Beteiligten sind zu je 1/2 Miteigentümer eines mit einem Wohnhaus
(226 m² Wohnfläche) bebauten, von der heute 71 Jahre alten Beteiligten zu 1
bewohnten Grundstücks in B. . Sie waren miteinander verheiratet, leben
seit spätestens 2003 getrennt und sind seit März 2012 geschieden. Der
heute 74 Jahre alte Beteiligte zu 2 ist wiederverheiratet.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Vollstreckungsgericht mit
Beschluss vom 25. Juni 2007 die Zwangsversteigerung zur Aufhebung der Gemeinschaft
an dem Grundstück an. Einen Antrag der Beteiligten zu 1 auf vorläufige
Einstellung der Zwangsversteigerung wies es mit Beschluss vom 24. Oktober
2007 zurück. Nach der Zurückweisung der Beschwerde der Beteiligten zu 1
gegen die Wertfestsetzung durch Beschluss des Landgerichts vom 28. Mai
2009 bestimmte das Vollstreckungsgericht den ersten Versteigerungstermin auf
den 16. März 2010.
Zur Durchführung dieses sowie eines auf den 20. März 2012 bestimmten
weiteren Versteigerungstermins kam es nicht, weil die Beteiligte zu 1 akute Suizidgefahr
einwandte und das Verfahren deswegen, gestützt auf ein ärztliches
Attest und gerichtlicherseits eingeholte Sachverständigengutachten, teils durch
das Vollstreckungsgericht selbst, teils durch das Landgericht bis zuletzt zum
31. Januar 2017 eingestellt wurde. Während dieses Zeitraums gestellte Anträge
des Beteiligten zu 2 auf Fortsetzung des Verfahrens blieben ohne Erfolg.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 vom 1. Februar 2017 ordnete das Vollstreckungsgericht
mit Beschluss vom 9. Februar 2017 die Fortsetzung des Verfahrens
an. Einen erneuten Antrag der Beteiligten zu 1 auf einstweilige Einstellung
der Teilungsversteigerung, der wiederum auf akute Suizidalität gestützt
war, sowie einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das Vollstreckungsgericht
mit Beschluss vom 24. März 2017 zurückgewiesen. Auf die
sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht dieser selbst und
dem Vollstreckungsgericht umfangreiche Auflagen zur Minderung der Suizidgefahr
gemacht, das Rechtsmittel aber im Übrigen zurückgewiesen. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 ihren Vollstreckungsschutzantrag
weiter.
II.
Das Beschwerdegericht geht, sachverständig beraten, davon aus, dass
die Beteiligte zu 1 nach wie vor - schon durch die drohende Erteilung des Zuschlags
im Teilungsversteigerungsverfahren - akut suizidgefährdet ist und sich
diese Suizidgefahr nur nach einer weiteren Therapie von drei bis vier Jahren
Dauer und mit einem möglichst intensiven und breit gefächerten Therapieansatz
deutlich verringern werde. Es rechnet angesichts des nach seiner Einschätzung
relativ gering ausgeprägten Therapiewillens der Beteiligten zu 1 mit
einer deutlich längeren Dauer. Eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens
um einen Zeitraum von weiteren drei bis vier Jahren und
womöglich länger sei dem Beteiligten zu 2 aber nicht mehr zuzumuten. Das
Beschwerdegericht meint, den Vollstreckungsschutzantrag trotz fortbestehender
akuter Suizidgefahr zurückweisen zu können. Es stützt seine Entscheidung
neben dem gering ausgeprägten Therapiewillen der Beteiligten zu 1 auf folgende
Überlegungen: Das Verfahren dauere jetzt schon zehn Jahre. Zu berücksichtigen
sei ferner die hohe finanzielle Belastung des Beteiligten zu 2, der seinen
Anteil an dem in dem Haus gebundenen Vermögen nicht für sein eigenes
Leben einsetzen könne. Er habe angesichts seines hohen Alters ein schützenswertes
Interesse daran, das Ende des Zwangsversteigerungsverfahrens
und den Nutzen seines Eigentums überhaupt noch zu erleben. Der Beteiligten
zu 1 sei eine vorübergehende stationäre Unterbringung zuzumuten, die das
Betreuungsgericht allerdings abgelehnt habe. Der Lebensschutz der Beteiligten
zu 1 sei eine genuin staatliche Aufgabe, die im Rahmen der Aufgabenverteilung
zwischen den staatlichen Stellen und dem Gläubiger nicht diesem allein angelastet
werden dürfe.
III.
Diese Erwägungen halten im entscheidenden Punkt einer rechtlichen
Prüfung nicht stand. Die nach
Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der
Beteiligten zu 1 gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf weitere einstweilige
Einstellung des Teilungsversteigerungsverfahrens ist begründet. Sie führt zur
teilweisen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung
der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Dem auf § 765a ZPO gestützten Antrag eines beteiligten Miteigentümers
in einem Teilungsversteigerungsverfahren auf einstweilige Einstellung des
Verfahrens ist, wovon das Beschwerdegericht zutreffend ausgeht, zu entsprechen,
wenn der Zuschlag wegen einer mit dem Eigentumsverlust verbundenen
konkreten Gefahr für das Leben des Schuldners oder eines nahen Angehörigen
nicht erteilt werden darf. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats
für das Zwangsversteigerungsverfahren (Beschlüsse vom 12. November 2014
- V ZB 99/14,
238 Rn. 8 und vom 16. März 2017 - V ZB 150/16,
jeweils mwN). Für das Teilungsversteigerungsverfahren gilt nichts Anderes (vgl.
Senat, Beschluss vom 22. März 2007 - V ZB 152/06,
Rn. 21 f.).
2. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts besteht bei der Beteiligten
zu 1 die akute Gefahr, dass sie sich das Leben nimmt, wenn sie infolge
der Erteilung des Zuschlags ihren Miteigentumsanteil an dem Grundbesitz ver-
liert. Diese Feststellungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen und werden auch
von dem Beteiligten zu 2 nicht infrage gestellt.
3. Das Beschwerdegericht geht weiter zutreffend davon aus, dass der
Zuschlag nicht ohne weiteres zu versagen und die Teilungsversteigerung
(einstweilen) einzustellen ist, wenn eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit
des beteiligten Miteigentümers mit der Teilungsversteigerung verbunden
ist. Vielmehr ist das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse
des von der Auseinandersetzung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG) gegen das Auseinandersetzungsinteresse der anderen Miteigentümer
(Eigentumsschutz,
Es ist daher sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung auf
andere Weise als durch Einstellung der Teilungsversteigerung wirksam begegnet
werden kann (vgl. zum Ganzen: Senat, Beschlüsse vom 12. November
2014 - V ZB 99/14,
- V ZB 115/15,
695 Rn. 6 jeweils mwN; vgl. auch BVerfG,
4. Diesen Vorgaben wird das Beschwerdegericht im entscheidenden
Punkt nicht gerecht.
a) Das bisherige Vorgehen sowohl des Vollstreckungsgerichts als auch
des Beschwerdegerichts ist allerdings nicht zu beanstanden. Beide haben erkannt,
dass der Schutz des Lebens nicht die Aufgabe des die Teilungsversteigerung
betreibenden Miteigentümers, sondern eine staatliche Aufgabe ist (Senat,
Beschluss vom 9. Juni 2011 - V ZB 319/10,
eine einstweilige Einstellung der Teilungsversteigerung nach § 765a ZPO aus-
scheidet, wenn der Suizidgefahr eines beteiligten Miteigentümers durch seine
Ingewahrsamnahme nach polizeirechtlichen Vorschriften, seine Unterbringung
nach den einschlägigen Landesgesetzen, eine betreuungsrechtliche Unterbringung
(§ 1906 BGB) oder andere Maßnahmen der für den Lebensschutz primär
zuständigen Stellen sichergestellt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom
16. März 2017 - V ZB 150/16,
als auch das Vollstreckungsgericht haben ferner richtig gesehen,
dass eine einstweilige Einstellung der Teilungsversteigerung in dem - hier
eingetretenen - Fall einer Untätigkeit der für den Lebensschutz zuständigen
Stellen geboten ist, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine
Chance dafür besteht, dass die Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des
Suizidgefährdeten führen und durch therapeutische Maßnahmen während der
Unterbringung die Grundlage für ein Leben in Freiheit ohne konkrete Suizidgefährdung
gelegt werden kann (Senat, Beschlüsse vom 28. Januar 2016
- V ZB 115/15,
- V ZB 150/16,
seit inzwischen mehr als zehn Jahren einstweilen eingestellt.
b) Mit den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats
steht es aber nicht in Einklang, das Teilungsversteigerungsverfahren jetzt fortzusetzen,
obwohl die akute Suizidgefahr bei der Beteiligten zu 1 unverändert
fortbesteht und obwohl nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts weder
sichergestellt ist noch sichergestellt werden kann, dass sie sich im Falle
eines Zuschlags nicht verwirklicht.
aa) Richtig ist zwar, dass die grundrechtsbewehrten Positionen der Beteiligten
eines Zwangsversteigerungsverfahrens, insbesondere das Recht auf
Leben des suizidgefährdeten Schuldners bzw. hier Miteigentümers und das Eigentumsrecht
des das Verfahren betreibenden Gläubigers bzw. hier des Miteigentümers,
aber auch dessen Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19
Abs. 4 GG, umfassend gegeneinander abzuwägen sind. Es trifft auch zu, dass
dem Gläubiger bzw. dem ein Teilungsversteigerungsverfahren betreibenden
Miteigentümer eine dauerhafte Einstellung nur in extremen Ausnahmefällen
zuzumuten ist (Senat, Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJWRR
2015, 393 Rn. 9).
bb) Dieser extreme Ausnahmefall liegt allerdings vor, wenn die konkrete
Gefahr besteht, dass sich ein Beteiligter eines Zwangs- oder Teilungsversteigerungsverfahrens
das Leben nimmt, wenn der Zuschlag erteilt wird, und diese
Gefahr nicht abgewendet werden kann.
(1) Die einstweilige Einstellung eines Zwangs- oder Teilungsversteigerungsverfahren
hat zwar den Zweck, dem suizidgefährdeten Beteiligten die
Möglichkeit zu geben, seine Situation mit fachlicher Hilfe zu stabilisieren, und
dient auch dazu, den für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen die Möglichkeit
zu geben, die gebotenen und ihnen möglichen Maßnahmen zu ergreifen.
Sie kann durchaus zu einer Verbesserung der Situation und im Ergebnis
dazu führen, dass das Zwangs- oder Teilungsversteigerungsverfahren mit einer
dem Gläubiger zumutbaren Verzögerung letztlich doch durchgeführt werden
kann. Nicht selten wird aber mit einer einstweiligen Einstellung des Verfahrens
eine Verbesserung der Lage nicht erreicht, sei es, weil sich die psychische Situation
des suizidgefährdeten Beteiligten auch mit ärztlicher Hilfe nicht beherrschen
lässt, sei es, weil der Betroffene gerade wegen der einstweiligen Einstellung
darauf vertraut, dass das Verfahren letztlich doch nicht durchgeführt wird,
sei es, weil die primär für den Lebensschutz zuständigen Stellen keine geeigne-
ten Eingriffsmöglichkeiten haben oder von entsprechenden Möglichkeiten keinen
Gebrauch machen. In einer solchen Fallgestaltung führt die ggf. auch wiederholte
einstweilige Einstellung des Verfahrens im Ergebnis dazu, dass die
Versteigerung des Grundstücks und damit bei der Zwangsversteigerung die
Vollstreckung des Titels und bei der Teilungsversteigerung die Verwirklichung
des Auseinandersetzungsanspruchs auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben
und unter Umständen am Ende nicht erreicht wird.
(2) Dieses Ergebnis beeinträchtigt die ebenfalls grundrechtsgeschützten
Positionen des betreibenden Gläubigers einer Zwangsversteigerung oder des
betreibenden Teilhabers einer Teilungsversteigerung. Das zeigt der vorliegende
Fall sehr deutlich: Der Beteiligte zu 2 versucht seit mehr als zehn Jahren vergeblich,
die Gemeinschaft der Beteiligten an dem Grundstück aufzulösen und
den in seinem Miteigentumsanteil gebundenen Teil seines Vermögens für das
Leben mit seiner neuen Frau einzusetzen. Es besteht wenig Aussicht, dass ihm
das auf absehbare Zeit gelingt. Für den Beteiligten zu 2 kann das angesichts
seines vorgerückten Alters bedeuten, dass er die Auseinandersetzung der Gemeinschaft
nicht mehr erlebt. Eine derart starke Beeinträchtigung der Interessen
des ein gerichtliches Versteigerungsverfahren betreibenden Gläubigers
bzw. Teilhabers könnte es rechtfertigen oder auch erfordern, dem suizidgefährdeten
Beteiligten stärkere Einbußen in seiner Freiheit und Lebensgestaltung
etwa durch eine einstweilige Unterbringung zum Schutz seines Lebens zuzumuten.
(3) Das Vollstreckungsgericht kann auf diesen Interessenkonflikt aber nur
mit einer - gegebenenfalls auch wiederholten - einstweiligen Einstellung des
Verfahrens reagieren. Es kann den Konflikt nicht selbst auflösen.
(a) Die primäre Aufgabe des Vollstreckungsgerichts besteht in der
Zwangsversteigerung in der Verwirklichung der Grundpfandrechte und der Zugriffsrechte
anderer Gläubiger durch die Verwertung des belasteten Grundstücks
und in der Teilungsversteigerung darin, die Gemeinschaft mehrerer Eigentümer
an einem Grundstück aufzulösen und so deren Auseinandersetzungsanspruch
zu realisieren. Die Aufgabe des Lebensschutzes ist demgegenüber
primär Aufgabe der Polizei- und Ordnungsbehörden und, soweit die Bundesvorschriften
über die Betreuung und die Landesvorschriften über die Unterbringung
psychisch kranker Menschen dies erlauben, der entsprechenden Abteilungen
der Amtsgerichte. Die Aufgabe des Lebensschutzes wächst den Vollstreckungsgerichten
in der Regel deshalb zu, weil die primär zuständigen Stellen
keine ausreichenden rechtlichen Handlungsmöglichkeiten haben oder bestehende
Handlungsmöglichkeiten nicht nutzen. Denn das Untätigbleiben der
primär für den Lebensschutz zuständigen Behörden und Gerichte dispensiert
die übrigen beteiligten staatlichen Stellen nicht von der in
Verpflichtung, die Menschenwürde und das Leben des suizidgefährdeten
Beteiligten zu schützen. Das Vollstreckungsgericht muss deshalb „einspringen“
und mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln sekundären Lebensschutz
leisten (vgl. BVerfG,
(b) Die Vorschriften über die Zwangs- und die Teilungsversteigerung geben
dem Vollstreckungsgericht keine gesetzliche Handlungsbefugnis, die es
ihm erlauben würde, den Konflikt zwischen den Interessen des betreibenden
Gläubigers bzw. Teilhabers und dem suizidgefährdeten Beteiligten selbst aufzulösen.
Es könnte deshalb beispielsweise nicht selbst eine einstweilige Unterbringung
des suizidgefährdeten Beteiligten anordnen, auch wenn sich hierdurch
der aufgezeigte Interessenkonflikt angemessen auflösen ließe, ohne das Leben
des Betroffenen zu gefährden. Das Vollstreckungsgericht hat aufgrund der Vor-
schrift über den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO nur die Möglichkeit,
das Verfahren einstweilen einzustellen. Es kann und muss die einstweilige Einstellung
mit Auflagen versehen, die die primär für den Lebensschutz zuständigen
Stellen zu einer intensiven Prüfung ihrer Handlungsmöglichkeiten und den
Betroffenen zu dem Versuch veranlassen, seine psychische Situation mit ärztlicher
Hilfe in den Griff zu bekommen und eine Gefährdung seines eigenen Lebens
zu vermeiden. Erzwingen kann das Vollstreckungsgericht aber beides
nicht.
(c) Es ist darauf angewiesen, dass die primär für den Lebensschutz zuständigen
Stellen nach den jeweils maßgeblichen Vorschriften geeignete Maßnahmen
überhaupt ergreifen können. Davon kann nicht als selbstverständlich
ausgegangen werden. Diese Vorschriften sind auf die Sondersituation einer
Suizidgefährdung durch ein Zwangsvollstreckungsverfahren nicht zugeschnitten.
Sie erlauben ein Eingreifen nur, wenn diese Situation gleichzeitig auch einen
Fall darstellt, in dem die maßgeblichen Vorschriften ein Eingreifen gestatten.
Sollte das der Fall sein, kann das Vollstreckungsgericht nur abwarten, ob
die primär zuständigen Stellen hiervon auch Gebrauch machen oder ob sie davon
- nicht selten gerade mit Rücksicht auf die Verpflichtung des Vollstreckungsgerichts
zur Gewährleistung sekundären Lebensschutzes - absehen.
Entsprechendes gilt für die Auflagen, die sich an den Betroffenen und sein persönliches
Umfeld richten. Das Vollstreckungsgericht ist hier darauf angewiesen,
dass der suizidgefährdete Beteiligte und sein Umfeld die Auflagen erfüllen. Geschieht
dies nicht, darf das Vollstreckungsgericht das Verfahren nicht ungeachtet
der bestehenden akuten Suizidgefährdung fortsetzen. Es muss vielmehr
auch dann den Lebensschutz im Wege der Einstellung gewährleisten, regelmäßig
durch eine - auch wiederholte - einstweilige Einstellung, in seltenen Ausnahmefällen
aber auch durch eine dauernde (vgl. dazu BVerfG,
Rn. 40). Die im System der maßgeblichen Vorschriften angelegte Schwäche,
dass die Vollstreckungsgerichte den Lebensschutz des Schuldners zu Lasten
des Gläubigers gewährleisten müssen, wenn die primär zuständigen staatlichen
Stellen nicht eingreifen, lässt sich mit den Mitteln richterlicher Rechtsauslegung
und Rechtsfortbildung nicht ausgleichen. Sie kann nur durch eine Ergänzung
der gesetzlichen Vorschriften über den Vollstreckungsschutz, über die Handlungsmöglichkeiten
der primär für den Lebensschutz zuständigen Behörden
oder Stellen oder durch eine Kombination von beidem behoben werden. Das ist
die Aufgabe des zuständigen Bundes- oder Landesgesetzgebers.
(d) Bis dahin wird das Vollstreckungsgericht deshalb ein Zwangs- oder
Teilungsversteigerungsverfahren regelmäßig einstweilen einzustellen und in
regelmäßigen Zeitabständen eine Veränderung der Lage zu prüfen haben,
wenn sich weder durch eigene noch durch Maßnahmen anderer Stellen sicherstellen
lässt, dass sich die akute Suizidgefahr durch den Zuschlag nicht verwirklicht
(vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Dezember 2007 - V ZB 67/07, NJW 2008,
586 Rn. 10 und vom 16. März 2017 - V ZB 150/16,
Das gilt auch dann, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen
an sich die Möglichkeit hätten, diesen auf andere Weise sicherzustellen, hiervon
aber keinen Gebrauch machen, oder wenn der suizidgefährdete Beteiligte
durch eigene Mitwirkung einen weiteren Aufschub der Teilungsversteigerung
hätte vermeiden können oder künftig vermeiden könnte, es aber nicht tut.
IV.
Die Zurückweisung des Einstellungsantrags der Beteiligten zu 1 kann
danach keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif.
Die Beteiligte zu 1 ist nach den bisherigen Feststellungen zwar akut suizidgefährdet,
und die Verwirklichung der Gefahr kann nach den getroffenen Feststellungen
nicht sicher verhindert werden. Es bedarf aber der Feststellung, ob sich
die Situation verändert hat und ob sowie ggf. unter welchen Bedingungen es
möglich ist, die Teilungsversteigerung durchzuführen, ohne das Leben der Beteiligten
zu 1 zu gefährden. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung
an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
V.
Das Beschwerdegericht wird bei der erneuten Entscheidung auch über
die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben. Zwar
ergeht bei der Entscheidung über den Einstellungsantrag eines Miteigentümers
im laufenden Teilungsversteigerungsverfahren, ebenso wie bei der Entscheidung
über den Einstellungsantrag des Schuldners im laufenden Zwangsversteigerungsverfahren,
keine Kostenentscheidung nach den §§ 91 ff. ZPO (Senat,
Beschluss vom 10. Januar 2019 - V ZB 19/18,
Vorschriften sind aber für das Rechtsbeschwerdeverfahren anwendbar, weil
sich die Beteiligten bei einer Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Einstellung
oder Nichteinstellung der (Zwangs- oder) Teilungsversteigerung wie in
einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschlüsse
vom 29. November 2007 - V ZB 26/07,
10. Januar 2019 - V ZB 19/18,
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:07.11.2019
Aktenzeichen:V ZB 135/18
Rechtsgebiete:
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
GG Artt. 1, 2, 14, 19 Abs. 4; ZPO § 765a; ZVG §§ 180 ff.