OLG Düsseldorf 09. Dezember 2020
3 Wx 13/20
BGB §§ 119 Abs. 2, 1944 Abs. 1, 1954

Anfechtung einer Erbausschlagung wegen nachträglich festgestellter Werthaltigkeit des Nachlasses

letzte Aktualisierung: 31.8.2021
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2020 – 3 Wx 13/20

BGB §§ 119 Abs. 2, 1944 Abs. 1, 1954
Anfechtung einer Erbausschlagung wegen nachträglich festgestellter Werthaltigkeit des
Nachlasses

Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und
sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine
Ausschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen
sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen
bloß unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von
der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher
Fakten, nämlich auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage abgegeben hat (Bestätigung
der vom Senat in ständiger Rechtsprechung – zuletzt FGPrax 2019, 273 = ErbR 2020, 46 m. N. –
entwickelten Grundsätze zur Anfechtung von Erbausschlagung wegen Irrtums über eine
verkehrswesentliche Eigenschaft).

Gründe

I.
Der Erblasser hinterließ vier Kinder, die Beteiligten zu 1 und 2 sowie Heinz Jörg .. und
Sandra …; der Beteiligte zu 3 sowie Sidney … sind die Söhne von Sandra … und Enkel
des Erblassers. Alle vier Kinder und die beiden Enkel erklärten – zunächst – wie folgt die
Ausschlagung der Erbschaft:

Die Beteiligte zu 1, nicht eheliche Tochter des Erblassers, erklärte die Ausschlagung am 8.
Dez. 2015 zu Protokoll der Geschäftsstelle. In ihrer Erklärung heißt es:
„Der Nachlass ist der Erschienenen nicht bekannt.

Die Erschienene … schlägt die Erbschaft aus persönlichen Gründen aus.“

In der notariell beglaubigten Ausschlagungserklärung des Heinz Jörg … ebenfalls vom 8.
Dez. 2015 heißt es:

„Bei dem Verstorbenen handelte es sich um meinen Vater, zu dem ich seit Jahren einen
„gestörten“ und seit ca. 2 bis 3 Jahren keinen Kontakt mehr hatte.
...
Zwar ist der Nachlass nach dem Verstorbenen nach meiner Kenntnis nicht überschuldet;
doch möchte ich auf Grund der gestörten Beziehung zu dem Verstorbenen nicht dessen
Mit-Erbe sein.“
Der Beteiligte zu 3 schlug die Erbschaft mit notariell beglaubigter Erklärung vom 11. Dez.
2015 ohne Angabe von Gründen aus.

Sandra … und Sidney … schlugen die Erbschaft mit gleichlautender notarieller Erklärung
vom 16. Dez. 2015 aus, in der es heißt:

„Es wird vermutet, dass der Nachlass überschuldet ist.“

Der Beteiligte zu 2 erklärte notariell beglaubigt unter dem 5. Jan. 2016 die
Erbausschlagung, ohne Gründe dafür anzugeben.

Mit Beschluss vom 10. Febr. 2016 ordnete das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft an,
weil die Erben unbekannt bzw. die Erbenstellung noch nicht vollständig geklärt und
sicherungsbedürftiger Nachlass vorhanden sei.

Die Nachlasspflegerin ermittelte in ihrem Einleitungsbericht vom 14. April 2016 Aktiva in
Höhe von 72.998,97 € und Passiva in Höhe von 52.543,12 €. Nach dem Bericht bestand
das Aktivvermögen fast gänzlich aus einer Immobilie mit geschätztem Wert von 70.000 €,
belastet mit einem lebenslangem Wohnrecht an den Räumen im Dachgeschoss im Wert
von ca. 46.500 €. Die Veräußerung der Immobilie sei unwahrscheinlich mit Blick auf den
Sanierungsstau und weil die Inhaberin des Wohnrechts nicht darauf verzichten wolle. Da
die Kosten der Wohngebäudeversicherung nicht aus dem Nachlass getragen werden
konnten, regte die Nachlasspflegerin an, das Verfahren zur Feststellung des
Fiskuserbrechts einzuleiten.

Es gelang schließlich, das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 1. Sept. 2017 zu einem
– über dem vom Sachverständigen geschätzten Verkehrswert liegenden – Kaufpreis von
41.500 € zu veräußern.

Mit Schreiben vom 2. März 2018 teilte die Nachlasspflegerin mit, sie verwahre auf dem
Anderkonto einen Aktivnachlass von 32.083,73 € und Bargeld in Höhe von 72,31 €. Da
Kinder und Enkel ausgeschlagen hätten und Erben der 2. und 3. Ordnung nicht existierten,
müssten voraussichtlich Erben der 4. Ordnung ermittelt werden. Allerdings hätten Sandra
… und Sidney … Nachlassüberschuldung vermutet und … (der Beteiligte zu 2) und … (der
Beteiligte zu 3) hätten keine Gründe für ihre Ausschlagungen angegeben. Sie bitte daher
um Stellungnahme, ob ihnen Gelegenheit gegeben werde solle, eine Anfechtung der
Erbausschlagung zu prüfen.

Nach entsprechender Mitteilung des Nachlassgerichts vom 8. März 2018 unterrichtete die
Nachlasspflegerin Kinder und Enkel über die Höhe des Nachlasses und zwar die
Beteiligten zu 2 und 3, Sandra … und Sidney … mit Schreiben vom 15. März 2019, die
Beteiligte zu 1 und Heinz Jörg … mit Schreiben vom 10. April 2018.
Daraufhin fochten die Beteiligten zu 2 und 3 und Sandra … ihre
Ausschlagungserklärungen an.

Der Beteiligte zu 3 erklärte am 6. April 2018 er sei bei der Ausschlagung irrtümlich davon
ausgegangen, dass der Nachlass überschuldet gewesen sei.

Sandra … begründete ihre Anfechtung vom 3. April 2018 damit, sie habe wegen
Überschuldung ausgeschlagen; hätte sie Kenntnis davon gehabt, dass der Nachlass nicht
überschuldet war, hätte sie die Erbschaft angenommen.

Der Beteiligte zu 2 erklärte am 19. April 2018, er habe nach Erhalt des Schreibens der
Nachlasspflegerin mit ihr Rücksprache genommen, um den Sachverhalt zu klären. Er habe
sich über die Beschaffenheit des Nachlasses geirrt; wegen der irrigen Annahme der
Überschuldung fechte er seine Ausschlagung an.

Mit notarieller Erklärung vom 28. Juni 2019 beantragte der Beteiligte zu 2 unter Beifügung
der Einverständniserklärung des Beteiligten zu 3 vom 11. Juni 2019 die Erteilung eines
Erbscheins, der die Beteiligten zu 2 und 3 als gesetzliche Erben zu je ½ Anteil ausweist.
Sie beide hätten die Erbschaft ausgeschlagen, aber keinen Ausschlagungsgrund genannt.
Da der Nachlass nach Mitteilung der Nachlasspflegerin werthaltig sei, hätten sie die
Ausschlagungen angefochten.

Weitere gesetzliche Erben seien nicht vorhanden. Sandra … habe wegen vermuteter
Überschuldung ausgeschlagen, weshalb eine sich später herausstellende Werthaltigkeit
eine Anfechtung nicht rechtfertige.

Heinz-Jörg …, die Beteiligte zu 1, und Sidney … hätten die Erbschaft ausgeschlagen und
die Ausschlagung nicht angefochten.

Mit am 8. Aug. 2019 bei Gericht eingegangener, notariell beglaubigter Erklärung vom 1.
Aug. 2019 teilte die Beteiligte zu 1 mit, sie habe die Erbschaft aus persönlichen Gründen
ausgeschlagen. Sie sei die nichteheliche Tochter des Erblassers. Der Erblasser habe die
Abstammung immer geleugnet, erst 1986 die Vaterschaft anerkannt und freiwillig keinen
Unterhalt gezahlt. Sie habe die deshalb bestehenden persönlichen Beeinträchtigungen
und psychischen Belastungen nicht noch ausdehnen wollen, indem sie sich an einer
Erbauseinandersetzung beteilige. Hinzu komme in derselben Gewichtung, dass man ihr
nach dem Tode des Erblassers mitgeteilt habe, er habe ein wirtschaftlich aufwendiges
Leben geführt und es gebe nur Forderungen gegen den Nachlass. Sie sei daher
irrtümlicherweise von falschen Vorstellungen über das Vorhandensein von
Nachlassverbindlichkeiten ausgegangen.

Ihre Schwester, Sandra …, habe ihr bei einem Telefonat gesagt, es sei kein aktiver
Nachlass vorhanden. Sie habe erst mit Zustellung des Erbscheinsantrags des Beteiligten
zu 2 Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt. Das Schreiben der Nachlasspflegerin vom
10. April 2018 sei ihr nicht zugegangen. In dem Schreiben sei eine seit Oktober 2016 nicht
mehr gültige Anschrift (nämlich … in Duisburg statt … in Gladbeck) angegeben. Sie habe
sich ordnungsgemäß abgemeldet und einen Nachsendeantrag gestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. Dez. 2019 hat das Nachlassgericht die zur
Begründung des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2 erforderlichen Tatsachen für
festgestellt erachtet.

Die als Anfechtung auszulegende Erklärung der Beteiligten zu 1 vom 1. August 2019 sei
unwirksam, weil kein Anfechtungsgrund vorliege. Sie habe aus persönlichen Gründen
ausgeschlagen, insoweit liege kein anfechtbarer Irrtum vor. Ein Anfechtungsgrund ergebe
sich auch nicht aus ihrer Mitteilung, sie habe falsche Vorstellungen über das
Vorhandensein von Nachlassverbindlichkeiten gehabt. Denn sie habe nach eigenen
Angaben im Zeitpunkt der Erbausschlagung keine genauen Kenntnisse vom Nachlass
gehabt, sondern lediglich Vermutungen angestellt. Insoweit liege ein unbeachtlicher
Motivirrtum vor. Dem Vortrag der Beteiligten zu 1, sie habe aufgrund Mitteilung ihrer
Geschwister, insbesondere ihrer Schwester Sandra …, Kenntnis vom Nachlass gehabt,
könne nicht gefolgt werden. Denn Sandra … habe in ihrer Erbausschlagungserklärung
selbst nur angegeben, eine Überschuldung zu vermuten.

Darüber hinaus sei die Anfechtungsfrist von sechs Wochen ab Kenntnis des
Anfechtungsgrundes nicht gewahrt. Nach Angaben des Notars habe die Beteiligte zu 1
zwar erst durch Erhalt des Erbscheinsantrags am 23. Juli 2019 vom Anfechtungsgrund
Kenntnis erlangt. Die Nachlasspflegerin habe die Beteiligte zu 1 aber bereits mit Schreiben
vom 10. April 2018 über die Werthaltigkeit des Nachlasses informiert. Es sei davon
auszugehen, dass die Beteiligte zu 1 dieses Schreiben erhalten habe, weil die
Nachlasspflegerin keinen Rückbrief erhalten und ein Nachsendeauftrag vorgelegen habe.
Gegen diesen Beschluss beschwert sich die Beteiligte zu 1.

Sie macht geltend, das Nachlassgericht habe sich über ihren Sachvortrag hinweggesetzt.
Was ihre Schwester Sandra … in ihrer Erbausschlagungserklärung angegeben habe, sei
ihr nicht bekannt. Sandra … habe ihr aber am Telefon gesagt, der Nachlass sei
überschuldet und mehrere Erben hätten bereits die Ausschlagung erklärt. Es treffe nicht
zu, dass sie das Schreiben der Nachlasspflegerin vom 10. April 2018 erhalten habe.
Mit weiterem Beschluss vom 16. Jan. 2020 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht
abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.
Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist nach der vom
Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gem. § 68 Abs. 1 S. 2, 2. Hs.
FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.

Dabei handelt es sich bei der Frage, ob die Beteiligte zu 1 nach Anfechtung ihrer
Ausschlagung als gesetzliche Erbin in Betracht kommt, um eine Tatsache, die sowohl für
die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit ihrer Beschwerde von Bedeutung ist
(doppelrelevante Tatsache). Daher werden die Tatsachen, für die Zuständigkeitsprüfung
als gegeben unterstellt, so dass die schlüssige Behauptung für die Zulässigkeit der
Beschwerde genügt.

In der Sache richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss vom
19. Dez. 2019, mit dem das Nachlassgericht die zur Begründung des Erbscheinsantrages
des Beteiligten zu 2 erforderlichen Tatsachen festgestellt hat.

Insoweit hat die Beschwerde Erfolg, denn der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 ist
nicht gerechtfertigt.

Der Beteiligte zu 2 hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn (als Sohn des
Erblassers) und den Beteiligten zu 3 (als dessen Enkel) als gesetzliche Erben zu je ½
Anteil ausweist. Da sämtliche (vier) Kinder und (zwei) Enkel des Erblassers die Erbschaft –
zunächst – ausgeschlagen haben, ist der beantragte Erbschein nur dann zu erteilen, wenn
zum einen die Beteiligten zu 2 und 3 ihre Ausschlagungen wirksam angefochten haben
und wenn zum anderen die übrigen vier gesetzlichen Erben ihre Ausschlagungen nicht
wirksam angefochten haben.

Heinz Jörg .. und Sidney … scheiden als gesetzliche Erben ohne weiteres deshalb aus,
weil sie ihre Ausschlagungen vom 8. Dez. 2015 bzw. vom 16. Dez. 2015 nicht angefochten
haben.

Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 ist schon deshalb nicht begründet, weil weder
er noch der Beteiligte zu 3 ihre Ausschlagungen der Erbschaft wirksam angefochten
haben.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung (zuletzt FGPrax 2019, 273 = ErbR 2020, 46
m.N.) die folgenden Grundsätze zur Anfechtung von Erbausschlagungen wegen Irrtums
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft entwickelt:

Stützt sich die Anfechtung – wie hier – auf einen Irrtum über verkehrswesentliche
Eigenschaften einer Sache gemäß § 119 Abs. 2 BGB, ist als „Sache“ im Sinne dieser
Vorschrift die Erbschaft anzusehen, d.h. der dem Erben angefallene Nachlass oder
Nachlassteil. Insoweit ist nahezu einhellig anerkannt, dass die Überschuldung der
Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt, die zur Anfechtung berechtigen
kann, indes nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen
hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, also bezüglich des Bestandes an
Aktiva oder Passiva, beruht. Der Senat hat in der Vergangenheit den Standpunkt vertreten,
hieraus folge zugleich, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis
der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag;
mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der
nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis
gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine
Entscheidung auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage getroffen hatte.
Wer bewusst bestimmte Umstände als lediglich möglich betrachtet und dieses
Vorstellungsbild handlungsleitend sein lässt, der verhält sich aufgrund Hoffnungen oder
Befürchtungen, die das Motiv seines Handelns bilden. Ein bloßer Irrtum im Motiv berechtigt
jedoch weder im allgemeinen, noch speziell im Zusammenhang der Annahme oder
Ausschlagung einer Erbschaft zur Anfechtung. Dies findet allgemein seine Rechtfertigung
im Gesichtspunkt der Rechtssicherheit; im besagten erbrechtlichen Zusammenhang ist
zudem der Gefahr zu begegnen, durch eine zu großzügige Berücksichtigung reiner
Motivirrtümer faktisch eine im Gesetz nicht vorgesehene weitere Form der
Haftungsbeschränkung eines Erben zu schaffen, nämlich eine sozusagen einstweilige
Ausschlagung bis zur abschließenden Klärung der Vermögensverhältnisse (entwickeln
sich die Erkenntnisse negativ, belässt der Erbprätendent es bei der erklärten
Ausschlagung, entwickeln sie sich günstig, ficht er seine Ausschlagung an).
An diesen Grundsätzen hält der Senat nach Prüfung fest.

Danach fehlt es schon an wirksamer Anfechtung der Ausschlagungen der Beteiligten zu 2
und 3. Beide haben für ihre Ausschlagungen keine Gründe angegeben. Ihre
Anfechtungserklärungen haben beide darauf gestützt, sie seien irrtümlich davon
ausgegangen, dass der Nachlass überschuldet gewesen sei. Damit befanden sie sich
allenfalls in einem bloßen und unbeachtlichen Motivirrtum und nicht in einem Irrtum über
eine verkehrswesentliche Eigenschaft, denn sie handelten ohne Kenntnis der
Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihnen etwa bekannter oder
zugänglicher Fakten, sondern auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage.
Bereits aus diesem Grund kann der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 keinen Erfolg
haben.

Auch wenn es für die Entscheidung über die Beschwerde der Beteiligten zu 1 demnach
nicht mehr entscheidend ist, weist der Senat vorsorglich und ohne Bindungswirkung auf
folgendes hin:

Soweit – außer den Beteiligten zu 2 und 3 – auch Sandra Heuschreiber und die Beteiligte
zu 1 ihre Ausschlagungen angefochten haben, dürften auch diese Anfechtungen auf der
Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Senates nicht wirksam sein, so dass auch
diese beiden Töchter des Erblassers nicht als dessen gesetzliche Erben nicht in Betracht
kommen.

Bei dem von Sandra … genannten Anfechtungsgrund handelt es sich um einen bloßen
unbeachtlichen Motivirrtum und nicht um einen Irrtum über eine verkehrswesentliche
Eigenschaft. Ausgeschlagen hat sie mit der Begründung „Es wird vermutet, dass der
Nachlass überschuldet ist.“, mithin ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des
Nachlasses und ohne Bewertung ihr bekannter oder zugänglicher Fakten, sondern
ebenfalls auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage. Sie hat sich damit von
bloßen Vermutungen leiten lassen und diese zum Motiv ihres Handelns gemacht. Nach
dem Inhalt ihrer Anfechtung hat sie durch das Schreiben der Nachlasspflegerin vom 15.
März 2018 erfahren, dass es eine Nachlassmasse von ca. 32.000 € gebe, sie sich also in
dem ihrer Ausschlagung zugrundeliegenden Motiv geirrt hat. Das rechtfertigt keine
Anfechtung.

Auch die Anfechtung der Beteiligte zu 1 dürfte unwirksam sein.

Ihre als Anfechtung der Erbausschlagung auszulegende Erklärung vom 1. August 2019 ist
zwar innerhalb der – auch hier zu beachtenden – Frist des § 1944 Abs. 1 BGB (vgl. Dietz,
in: Beck´sches Notarhandbuch, 7. Auflage 2019, § 17. Erbrecht, Rn. 477) erfolgt. Die
Feststellungslast dafür, dass die Anfechtung verspätet war, also für die Kenntnis des
Anfechtenden vom Anfechtungsgrund und für den Zeitpunkt der Anfechtung trägt
regelmäßig der Anfechtungsgegner (vgl. Palandt/Ellenberger, §§ 1954, Rdnr. 8, 121, Rdnr.
4; zu den Folgen – hier nicht vorliegender – fehlender Mitwirkung des Anfechtenden vgl.
Senat, NJW-RR 2013, 842).

Hier kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beteiligte zu 1 das an eine frühere
Anschrift adressierte Schreiben der Nachlasspflegerin vom 10. April 2018 erhalten hat.
Weder ein fehlender Rückbrief noch ein von der Beteiligten zu 1 erteilter
Nachsendeauftrag belegen den von ihr bestrittenen Zugang des Schreibens.

Jedoch dürfte es an einem Anfechtungsgrund fehlen, §§ 1954 Abs. 1 i.V.m. 119, 120, 123
BGB. Denn auch der von der Beteiligten zu 1 angeführte Irrtum über die Werthaltigkeit des
Nachlasses stellt lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Zwar will sie nach
eigenen Angaben von ihrer Schwester Sandra … von der (angeblichen) Überschuldung
des Nachlasses erfahren haben. Dass sie eine Vorstellung über die Zusammensetzung
des Nachlasses, also des Bestandes an Aktiva oder Passiva gehabt habe, trägt sie aber
selbst nicht vor. Dies wäre auch wenig nachvollziehbar, weil – wie dargestellt – Sandra …
selbst eine solche Vorstellung nicht hatte. Hat die Beteiligte zu 1 ihre
Ausschlagungsentscheidung allein aufgrund der Einschätzung der Sandra … hinsichtlich
einer Überschuldung des Nachlasses getroffen, ohne näher über dessen Bestand
informiert zu sein, beruht diese Entscheidung auf einer bewusst ungesicherten Grundlage
und ist nicht als Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses
anzusehen.

Im Übrigen gibt auch die Ausschlagungserklärung der Beteiligten zu 1 vom 8. Dezember
2015 nichts dafür her, dass sie sich falsche Vorstellungen von der Zusammensetzung des
Nachlasses gemacht hätte. Vielmehr heißt es darin ausdrücklich, der Nachlass sei der
Beteiligten zu 1 nicht bekannt; sie schlage die Erbschaft aus persönlichen Gründen aus.
Auch danach ist nicht davon auszugehen, dass die Voraussetzungen eines
Anfechtungsgrundes vorliegen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Satz 1 FamFG. Danach sind die Kosten des
Verfahrens nach billigem Ermessen zu verteilen. In die Ermessensentscheidung sind
sämtliche in Betracht kommenden Umstände einzubeziehen (etwa das Maß des
Obsiegens und Unterliegens, die verschuldete oder unverschuldete Unkenntnis der
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die familiäre und persönliche Nähe zwischen
Erblasser und Verfahrensbeteiligten, ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B.
Beschluss vom 1. Aug. 2019, 3 Wx 48/18, BeckRS 2019, 27678).

Es entspricht billigem Ermessen, dass der Beteiligten zu 2 die Kosten seines
Erbscheinsantrages und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt. Er hat
seinen Erbscheinsantrag in einer Situation gestellt, in der alle Beteiligten zunächst die
Erbschaft ausgeschlagen, ihre Ausschlagung nach dem Hinweis der Nachlasspflegerin
angefochten haben und ist mit seinem Antrag das damit in dieser Situation verbundene
besondere Verfahrensrisiko eingegangen. Wenn sich dann herausstellt, dass die
Anfechtungen sämtlich nicht gerechtfertigt waren und er deshalb mit dem
Erbscheinsantrag unterliegt, ist es ermessensgerecht, dass er die Kosten seines
Erbscheinsantrages und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt.
Andererseits entspricht es wegen des persönlichen Näheverhältnisses der Beteiligten
billigem Ermessen, dass sie die ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten des
Beschwerdeverfahrens jeweils selbst tragen.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 S. 1
FamFG liegen nicht vor, da die entscheidungstragenden Erwägungen des Senats einzig
auf einer Würdigung des gegebenen Einzelfalles beruhen.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 S. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG.
Den Nachlassreinwert schätzt der Senat aufgrund der Angaben der ehemaligen
Nachlasspflegerin auf bis zu 33.000,00 €.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Düsseldorf

Erscheinungsdatum:

09.12.2020

Aktenzeichen:

3 Wx 13/20

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 119 Abs. 2, 1944 Abs. 1, 1954